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E-Book

Freiheit

Psychobiologische Errungenschaft und neurokognitiver Auftrag

AutorLudger Tebartz van Elst
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl172 Seiten
ISBN9783170286832
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis26,99 EUR
Ist Freiheit aus neurowissenschaftlicher Perspektive eine Illusion? In diesem Buch wird gezeigt, dass dies nur dann der Fall ist, wenn Unfreiheit so definiert wird, dass sie entsteht, wenn menschliches Verhalten vom eigenen Körper gesteuert wird. Dementgegen wird ein positives Verständnis von Freiheit entwickelt als Qualität einer Untergruppe von behavioralen Sequenzen. Sie ist als psychobiologische Komplexleistung höherer Lebewesen kein Phänomen außerhalb der Naturgesetze, sondern Ausdruck körperlicher und damit wesentlich zerebraler Prozesse. Dieser Freiheitsbegriff ist empirischer Untersuchung zugänglich und gut vereinbar sowohl mit neurobiologischen Forschungsansätzen als auch mit alltäglichen, psychotherapeutischen und juristischen Konzeptualisierungen.

Prof. Dr. med. Ludger Tebartz van Elst ist Neurowissenschaftler, Professor für Psychiatrie und Psychotherapie und stellv. Direktor der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Freiburg.

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Leseprobe

2         Freiheit im Alltag – eine Analyse des alltäglichen Redens über Freiheit


 

 

 

»Der Versuch, auf dem Wege der Analyse des Beobachtbaren zu bestimmten psychologischen Begriffen zu gelangen, muss sich zunächst an die Sprache des gewöhnlichen Lebens wenden, da nur mit hülfe dieser die Objecte, um die es sich handelt, überhaupt zur Vorstellung gebracht und zur Untersuchung gestellt werden können; denn der Hinweis auf das, was jeder in sich erfährt, ist nur durch die Ausdrücke möglich, durch die er es auszusprechen gewöhnt ist« (Siegward 1889, S. 117).

Ich möchte dieses Essay beginnen mit Überlegungen darüber, was wir in alltagssprachlichen Zusammenhängen alles mit dem Begriff der Freiheit bezeichnen. Denn der Begriff hat viele verschiedene Bedeutungsräume. Und auch wenn man wie in diesem Text versucht, die Bedeutung des hier gemeinten Begriffs klarer einzugrenzen, so schwingen doch oft die anderen alltagssprachlichen Konnotationen in einer Diskussion mit. Daher erscheint es sinnvoll, zunächst einmal eine Orientierung darüber zu schaffen, was alltagssprachlich alles mit dem Freiheitsbegriff angesprochen wird.

Die Bedeutungsbereiche, die ich beim Nachdenken über den Freiheitsbegriff der Alltagssprache erkennen kann, möchte ich unter den folgenden sechs Titeln subsumieren: Meinungsfreiheit, »Ich bin so frei«, »I Want to Break Free«, »Die Gedanken sind frei«, Freiheit und Vorhersage, Freiheit und Kontrolle. Die Aufsummierung verschiedener Bedeutungsräume des Freiheitsbegriffs erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Auch wird sich zeigen, dass sich die assoziativen Bedeutungsräume der verschiedenen Begriffe teilweise überschneiden.

2.1        Meinungsfreiheit


Die Meinungsfreiheit ist uns allen ein hohes Gut. In Deutschland ist sie im Grundgesetz verankert, wo geschrieben steht, dass die Menschen in unserem Staat das Recht haben, ihre Meinung frei zu äußern, ohne dafür negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Allerdings kann sie auch in unserem System eingeschränkt werden. So können inhaltliche Meinungsäußerungen, die dem Tatbestand der Volksverhetzung entsprechen, trotzdem juristische Sanktionen zur Folge haben. Auch werden Beleidigungen nicht durch das Recht auf Meinungsfreiheit geschützt.

Diese Beschreibungen der Meinungsfreiheit machen aber schon klar, dass der so verstandene Freiheitsbegriff ein politischer bzw. juristischer Freiheitsbegriff ist. Freiheit in diesem Sinne regelt die Organisation eines sozialen Systems und bestimmt, was alles gesagt und getan werden kann, ohne Konsequenzen seitens einer sozialen Organisation befürchten zu müssen.

Bei der Meinungsfreiheit wird meistens an Staaten als Bezugspunkt gedacht. Aber auch in kleineren sozialen Subsystemen können ausgesprochene oder unausgesprochene Regeln in Hinblick auf die Meinungsfreiheit gelten. So ist häufig in substaatlichen sozialen Systemen wie z. B. dem Militär, Firmen, religiösen Gruppen oder auch Familien die Meinungsfreiheit trotz des staatlichen Schutzes nicht in der Form garantiert, dass die einzelnen Menschen tatsächlich jederzeit ihre Meinung kund tun können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen.

Im Zusammenhang der hier thematisierten Frage nach der Freiheit im neuronalen Netz muss aber festgehalten werden, dass der primär politisch-juristisch definierte Begriff der Meinungsfreiheit nichts über die individuelle Willensbildung oder die Fähigkeit eines Individuums aussagt, Entscheidungen frei treffen zu können oder nicht.

Der Freiheitsbegriff im Sinne der Meinungsfreiheit ist ein politisch juristischer Begriff. Er hat mit der Diskussion um die theoretische Möglichkeit freien Denkens und Handels wenig zu tun.

2.2        »Ich bin so frei«


»Ein Glas Sekt?«

»So früh am Morgen? Ja, ich bin so frei!«

Mit einem solchen oder ähnlichen Kommentar mag so mancher Zeitgenosse früher oder später eine Annehmlichkeit entgegennehmen. Aber was meint er, wenn er in diesem Sinne von Freiheit spricht? Was ist mit dieser Art der Freiheit gemeint?

In einer solchen Situation werden von dem Menschen, der sich für frei erklärt bzw. auf seine Freiheit hinweist, schwache soziale Normen gebrochen, so etwa die Norm, am frühen Morgen noch keinen Alkohol zu trinken. Dieser Freiheitsbegriff thematisiert also das Verhalten von Personen im normativen Kontext eines sozialen Bezugssystems. Mit dem Verweis auf die eigene Freiheit wird angezeigt, dass eine soziale Norm oder Regel erkannt wurde, die im Widerspruch zur Entscheidung des Individuums steht (hier keinen Alkohol am Morgen zu trinken). Gleichzeitig wird die eigene Entscheidung entschuldigt, indem mit dem Verweis auf die eigene Freiheit das Recht in Anspruch genommen wird, die soziale Norm oder Regel zu überschreiten.

Ohne dass schon der hier gemeinte Kernbereich erreicht wäre, klingt bereits das Thema der Willensfreiheit insofern an, als dass das Individuum sich in seinem Verhalten gegen eine soziale Norm entscheidet und damit offensichtlich eine Willensentscheidung trifft. Gerade das Konflikthafte lässt das Wesen einer Willensentscheidung, nämlich das Abwägen von und Entscheiden zwischen Handlungsalternativen, klar hervortreten. Allerdings sind in solchen alltagssprachlichen Kontexten das Zusammenspiel und der Konflikt zwischen individuellen Zielen und sozialen Normen, Regeln und Gesetzen angesprochen. Insofern wird nicht die Frage nach der Möglichkeit von Freiheit individuellen Verhaltens thematisiert, sondern individuell freies Verhalten wird als Realität vorausgesetzt und in seinem Verhältnis zu den anderen einer Gruppe problematisiert.

Die Formulierung: »Ich bin so frei«, weist darauf hin, dass ein Individuum mit seinem Verhalten eine soziale Norm in einer Bezugsgruppe überschreitet. Damit klingt der Freiheitsbegriff im Sinne einer Willensfreiheit an.

2.3        »I Want to Break Free«


»It’s strange but it’s true

I can’t get over the way you love me like you do

But I have to be sure

When I walk out that door

Oh how I want to be free, baby

Oh how I want to be free,

Oh how I want to break free.«1

Dieser Text aus dem berühmten Lied »I Want to Break Free« von Queen wird vielen bekannt sein. Das in diesem Lied angesprochene Freiheitsgefühl beschreibt aber eine ganz eigene Bedeutungsdimension dieses Begriffs. Denn der Begriff Freiheit problematisiert in diesem Zusammenhang nicht die Möglichkeit, freie Entscheidungen zu treffen, sondern vielmehr die emotionale Gebundenheit an andere Menschen und damit verbundene Einengungen. Dieser Freiheitsbegriff steht allenfalls in einem indirekten Zusammenhang mit der Freiheit als Willensfreiheit. In solchen Zusammenhängen wird vielmehr der Beziehungsaspekt von Freiheit thematisiert. Freiheit wird hier verstanden als Antipol zu einer emotionalen Bindung. Die mit einer partnerschaftlichen Beziehung allgemein verknüpften Werte wie Liebe, gegenseitige Achtsamkeit, Verbindlichkeit, Verpflichtung und Treue werden in einer solchen Konstellation von demjenigen, der sich aus einer Bindung lösen will, als zu starke Beschränkung des eigenen Freiheitsgefühls empfunden. Oft sind es Phänomene wie Eifersucht oder ein Besitz ergreifendes Beziehungsverhalten eines der Partner, die in solchen Beziehungen den anderen in seinem Freiheitsgefühl stark beeinträchtigen. Sie führen zu einer Freiheitssehnsucht trotz emotionaler Zuneigung und werden schließlich zum Grund für das von Queen so eindrücklich vorgetragene emotionale Frei-Brechen.

Wenngleich dieses Freiheitsbedürfnis vielen Leserinnen und Lesern aus eigener Erfahrung gut bekannt sein dürfte und damit ein alltagssprachlich wichtiger Bedeutungsbereich von Freiheit angesprochen wird, so berührt Freiheit als interpersonelle Ungebundenheit den hier gemeinten Bereich der Willensfreiheit doch allenfalls am Rande.

Freiheit als Qualitätsmerkmal von Beziehungen beschreibt Aspekte der interpersonellen Gebundenheit und hat wenig mit dem Begriff der Willensfreiheit zu tun.

2.4        »Die Gedanken sind frei«


»Die Gedanken sind frei, wer will sie erraten,

sie fliegen vorbei, wie nächtliche Schatten,

kein Mensch kann sie wissen,

kein Jäger erschießen,

es bleibet dabei, die Gedanken sind frei.«

Viele werden dieses alte Volkslied kennen. Die in diesem Lied ausgedrückten Erkenntnisse über die mentalen Zustände anderer...

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