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E-Book

Kohle, Öl und Krieg

Eine Biographie

AutorIngrid Krau
VerlagTransit Buchverlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783887473204
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis17,99 EUR
Öl braucht Krieg und Krieg braucht Öl, ersatzweise Öl aus heimischer Kohle - das ist die harte Logik der deutschen Expansion im 2. Weltkrieg. Für den jungen Bergingenieur aus der Provinz, Vater der Autorin, bietet der Expansionskurs der DEA (Deutsche Erdöl AG) Arbeit und Aufstieg. Eine Kindheit in Niederschlesien, Gymnasium in den zwanziger Jahren, Bergbaustudium in Clausthal (Harz), ab 1931 Anstellung bei der DEA als Bergingenieur, Tätigkeiten in Thüringen (Borna, Meuselwitz), ab 1937 in der Berliner Firmenzentrale, ab 1942 Technischer Direktor im Elsass (Pechelbronn), Juni 1945 Rückversetzung nach Meuselwitz, 1946 Flucht in den Westen, Neustart im Ruhrgebiet, Entlassung 1960 - das sind die Stationen eines auf den ersten Blick unspektakulären Lebens. Eine völlig andere, brisante Dimension bekommt es durch die wachsende Bedeutung des DEA-Konzerns in den dreißiger und vierziger Jahren. Als Treibstofflieferant für den Militärapparat war er im 2. Weltkrieg eingebunden in eines der wichtigsten Kriegsziele, die Eroberung der Ölquellen in Osteuropa und um Baku. 1943 stieg er zum größten Erdölproduzenten im Deutschen Reich auf. Wie alle Industrieunternehmen beschäftigten die DEA-Betriebe von 1941 an Zwangsarbeiter in großer Zahl. Die Einbindung des konservativen Ingenieurs in diese rasante Entwicklung und seine Abgrenzungsversuche gegen Eingriffe der nationalsozialistischen Politik in die Arbeits-und Sicherheitsbedingungen im Bergbau (die er aber nicht verhindern kann), zeigen sich als persönliches Dilemma, das ihn bis in die Nachkriegszeit verfolgt. Sehr behutsam nähert sich die Autorin diesem Leben und dieser Zeit, ergänzt die Erzählung mit Briefen, Dokumenten, eigenen Erinnerungen und genau recherchierten Fakten, die deswegen so verblüffend und erschreckend wirken, weil sie mit dieser »privaten« Biographie engstens und ganz selbstverständlich verflochten sind.

Ingrid Krau, 1942 in Berlin geboren, studierte Architektur in Braunschweig und Berlin, arbeitete als Architektin, führte ein Projekt zur Humanisierung des Arbeitslebens durch und war an der Umnutzung von Industrieanlagen im Ruhrgebiet beteiligt, 1985 bis 1990 Mitherausgeberin der »Stadtbauwelt«, 1994 - 2007 Professorin an der TU München (Lehrstuhl für Stadtraum und Stadtentwicklung) und bis 2010 Direktorin in der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung. Sie lebt in München.

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Leseprobe

ALLES IST – FRÜHE KINDERTAGE


Alles ist, Kinder stellen das Ist, das sie umgibt, nicht in Frage. Meine Welt ist das Dorf, ein Kaleidoskop aus einzelnen bunten Bildern, jedes für sich stehend. Die Bilder haben keine Reihenfolge, keine chronologische Ordnung, sind aus der Zeit gefallen, aber jedes einzelne ist unabänderlich wahr. Erst viel später verlieren sie ihre Unbefangenheit, fügen sich die Teile zu Zusammenhängen und gewinnen Bedeutungen.

Es ist eine Erinnerungswelt von dem, was mich umgibt in den frühen Kindertagen und was ich an der sonntäglichen Kaffeetafel in den Fotoalben längst vergangener Zeit sehe, beides geht unlöschbar ins Gedächtnis ein und verschmilzt mit dem Erzählten zu einem Einzigen. Den Fotos haftet der Reiz des Fremden an, sie zeigen schöne Menschen in schönen Kleidern inmitten schöner Gegenstände und Landschaften, an ihnen versteht das Kind, dass diese Welt vorbei ist und dass Paradiese im »Früher« liegen. Das Kind entwickelt eine heimliche Sehnsucht, ja Sucht, in das Fotoalbum hinein. Nicht anders wird es dem Vater ergangen sein, wenn er die vom Fotografen aufgenommenen Bilder seiner Kindheit ansah, Bilder einer bürgerlichen Welt, die ebenso im Krieg verschwunden war. Das heutige Kind weiß nicht, dass es hier um zwei aufeinander folgende Kriege geht, aber es versteht, dass Krieg das ist, was schöne Dinge zum Verschwinden bringt.

Wir sind offensichtlich von einem anderen Stern in das Dorf gefallen. Auch andere sind es und wir, die Fremden, sind sogar die Mehrheit gegenüber den Einheimischen, aber auch das weiß das Kind noch nicht. Doch versteht es schon den Unterschied zwischen uns und jenen. Wir sind nach dem Krieg aus westlicher Richtung hergekommen, alle anderen aus östlicher. Der Krieg endete 1945, also muss ich drei Jahre, meine kleine Schwester ein Jahr alt gewesen sein. Wir leben mit unserer Mutter und eines Tages kommt noch die Großmutter hinzu aus Niederschlesien, also aus östlicher Richtung, sie findet wohl über Landshut in Bayern zu uns nach Niedersachsen, weitenteils zu Fuß, deswegen hat sie einen Buckel und ist sehr klein geworden, denke ich. Wir hantieren in meinen Bildern meist in der Küche, nur da ist es zunächst warm, denn wir haben keinen Ofen für die Zimmer zugeteilt bekommen und in der Küche gibt es den Herd. Unser Vater kommt darin nicht vor und er ist auch nicht in den anderen Zimmern.

Ich habe eine vage Erinnerung an die Zeit davor. Da sitze ich an einem lichten Sommertag wohl auf dem Fußboden, denn ich sehe den unteren Teil einer vom Wind bewegten Tüllgardine, durch die das Sonnenlicht hereinfiltert und den unteren Teil einer rosa Schleiflackschublade, es könnte mein Kinderzimmer gewesen sein – die Momentaufnahme ist von einem warmen Gefühl begleitet. Vielleicht ist es auch nur ein späteres Gefühlsbild, Erinnerung an diese wunderbare Vorzeit, die die Mutter manchmal mit einem tiefen Seufzer wachruft.

Einmal läuft, nein stürzt, unsere Mutter mit uns in Panik in den Wald, der nah hinter dem Haus beginnt. Sie hält beim Laufen Gila im Arm, dann springen wir zwischen den Kiefern in eine Kuhle. Ich bin ja schon groß, bin wie ein Wiesel gelaufen und sitze in den weichen, grünen Moospolstern, streichele die sanften Moosbuckel, noch heute kenne ich das Gefühl, es macht glücklich. Ein Dröhnen dringt durch die Baumwipfel. Sie ruft beugen, Köpfe nach unten, drückt Gila an sich und sieht dann doch besorgt zwischen den Baumwipfeln steil zum Himmel. Unbemerkt riskiere auch ich einen Blick nach oben, ein Schwarm Flugzeuge dreht ab, das Brausen verebbt. Die Mutter zaubert aus einer bunt emaillierten Blechbüchse zwei Anisplätzchen hervor, ein nie zuvor erlebter Geschmack, er wird als Sehnsucht in mir bleiben und gehört für immer zum erinnerten Glücksgefühl.

Wir kommen im mittleren der drei stolzen Doppelhäuser für die leitenden Angestellten der Firma unter, eingewiesen ins Obergeschoss, das das Ehepaar P. freigeben muss. Im ersten sehr kalten Winter ohne Öfen gibt es phantastische Eisblumen an den Fensterscheiben, wohnen kann man das nicht nennen, sagt unsere Mutter. Die hinzugekommene Oma bekommt das Kanapee im Wohnzimmer. Ich schlafe im Ehebett rechts, meine Mutter links, Gila hat ein eigenes Gitterbett, eingeklemmt zwischen einem Schrankungetüm und der Dachschräge. Der Vater gehört im Erinnerungsbild irgendwie auch nicht zum Schlafzimmer, er ist nur selten da. Mal kommt er mit der Eisenbahn von irgendwo und bringt Hasenbrote mit. Essen ist rar, sie sind ein begehrtes Zubrot. Ich esse eines, gierig auf den Vater und erkenne auch die Vorzüge des grauen Geruchs und säuerlichen Mettwurstgeschmacks aus Liebe zu ihm. In einem anderen Bild, beugt sich meine Mutter zu Gila herunter, als er zur Tür hereinkommt: Das ist dein Vati. Gila schaut erstaunt an ihm hoch und nennt ihn Onkel Vati. Einmal fährt die Mutter mit uns Kindern im Sonntagsstaat nach Celle, wo wir fotografiert werden, damit der Vati überhaupt noch weiß, wie wir aussehen. Gila bestaunt danach ihr postkartengroßes Ebenbild und ruft überwältigt, wie kommt das nur, dass ich so schön bin – es bleibt ein geflügeltes Wort in der Familie.

Wir dürfen nicht allein die Treppe runter, die in den offenen Flur der P.s mündet. Frau P. ist in ihrer unförmigen blauen Trainingshose und mit den wirren Haaren nicht nur furchterregend, sondern stürzt wie eine Furie – einmal sehe ich es selbst – mit einem großen blanken Brotmesser, in meiner Erinnerung ein scharfer Dolch, aus der Küchentür, rennt durch den Flur und verschwindet hinter der Wohnzimmertür. Eine andere Wohnung kann meine Mutter bei der Betriebsleitung nicht erwirken, es herrscht krasse Wohnungsnot, aber Frau P. soll das nicht mehr tun. Doch sie kann nicht anders, wir müssen uns arrangieren und werden zum Spielen herunter und herauf gebracht.

An diesem Flur ist eine weitere Tür. Aus ihr tritt Frau L., groß, rothaarig, grüne Augen, auffallend gekleidet und sogar mit Lippenstift, was so kurz nach dem schrecklichen Krieg sich doch eigentlich nicht schickt. Wir sollen zu ihr nicht hinsehen, sie hat ja häufigen Herrenbesuch. Die Mutter schiebt sich, mich fest im Handgriff, vor meinen Blick, so kann ich hinter ihr um so besser verstohlen seitwärts lugen.

Der Vorgarten, der linke Teil vom Hühnerhof und der mit einem Törchen verschlossene große Garten sind für uns tabu, die P.s reklamieren das für sich. Auch die Bahnhofstraße, die vor dem hohen eisernen Tor entlangführt, dürfen wir nicht allein betreten. Den Protesten unserer Mutter gegen die Verbote setzt Herr P. seine Regeln entgegen. Also spielen wir im Hühnerhof mitten im Hühnerkot oder in der Zufahrt vor der Zugangsveranda, auf der wir uns auch nicht aufhalten sollen. Gila schabt in ganzer Hingabe mit einem spitzen Stein am Verandasockel den Mörtel aus den Klinkerfugen oder rührt Knallerbsen in ihrem Sandeimerchen zu grauem Brei, beides erzeugt einen stumpfen blechernen Ton, der mir unter die Daumennägel kriecht.

In der ersten Zeit rasen und donnern die schweren Militärfahrzeuge der Tommis über die gepflasterte Straße. Ich stürme an einem warmen Sommertag Rock über Kopf hinaus. Noch heute höre ich den entsetzlichen Schrei meiner Mutter, der mich kurz vor einem malmenden Rad stoppt. In den Träumen verwandeln sich der blanke Dolch und das Rad in einen gierigen Fuchs, der mich beißen will. Von wilder Angst aufgeweckt, finde ich die Rettung: Es darf kein Finger und Zeh über den Bettrand hinausragen.

Doch ist die Bahnhofstraße auch voller wunderbarer Versprechen, so wenn der Milchwagen kommt. Wenn die Pferdehufe laut aufs Pflaster platzen, greifen wir zur Milchkanne. Es bleibt ein immer neues Wunder, wie die Milchfrau den sämigen Milchstrahl in hohem Bogen in ihre Messkanne und von da in unsere Kanne gießt, kein Tropfen geht daneben. Als wir am Rande des Bohrbetriebs ein Stück Erde oder besser Sand, die ganze Gegend besteht ja aus Sand, zugewiesen bekommen und die Oma da Erdbeeren anpflanzt, renne ich mit der Kohlenschau fel zum Milchwagen, um die Pferdeäpfel zum Düngen zu ergattern. Ich muss schnell sein, um den anderen Kindern zuvor zu kommen.

Auf der anderen Straßenseite gibt es die Empampepoleliska mit ihren vielen Fenstern. Das wahre Abenteuer ist aber der Hof zwischen ihrer Rückseite und den Kaninchenställen. Da sägt der bucklige Herr Romeike für uns Feuerholz, wischt sich mit dem Unterarm den Schweiß aus dem Gesicht, in das verschwitzte Hemd schneiden sich die Hosenträger ein, zwischen zwei Holzböcken klemmt ein dicker länglicher Stubben, dem er einen Schnitt abtrotzt, denn Wurzelholz ist hart. Weiter hinten wringt Frau Wojan aus einer hölzernen Mangel, die auf einer ebenso hölzernen wasserbetriebenen Waschmaschine klemmt, zusammengedrückte Wäschestücke heraus, während das Wasser nur so auf den Boden klatscht. Sie bedient auch bei uns den beheizbaren Waschkessel im Keller, um abwechselnd Wäsche zu kochen oder Zuckerrübenschnitze, aus denen irgendwie...

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