Einleitung
Wenn man die Bäche Brigach und Breg betrachtet, die sich bei Donaueschingen zur jungen Donau vereinigen, kann man kaum glauben, zu welch gewaltigem Strom sich das Flüsschen noch entwickeln wird. Nach 2888 Kilometern – von der Bregquelle ab gemessen – wird die Donau der zweitlängste Fluss Europas sein, nur die Wolga ist noch länger. Mit nie versiegender Kraft bahnt sie sich durch Bergmassive den Weg zum Schwarzen Meer. Mit ihren zahlreichen Nebenflüssen zieht sie sich wie ein grünes Band durch Mittel- und Südosteuropa, durchquert sowohl verschiedene Naturregionen als auch mehrere Sprach- und Kulturräume. An ihre Ufer grenzen zehn sehr unterschiedliche Länder, und mit ihrer Mündung ins Schwarze Meer verbindet sie Europa mit Asien. Diese Vielfalt macht ihre Besonderheit aus und unterscheidet sie von anderen europäischen Flüssen.
Die Idee, der Donau auf ihrem gesamten Lauf zu folgen, ist allmählich entstanden, hat sich in mir verankert und entwickelt, bis der Plan so weit gereift war, dass ich ihn verwirklichen konnte. Ich gehöre zu den Menschen, deren Kindheit von einem Fluss geprägt wurde, von seinem sich bewegenden Wasser und der Frage, woher er kommt und wohin er fließt. Der Mensch, der an einem Fluss aufwächst und für diese Erfahrung empfänglich ist, wird frühzeitig spüren – und der Fluss zeigt es ihm beispielhaft –, dass man nicht an dem Platz, wo man geboren wurde, gefangen bleiben muss, dass ein Weiter und immer Weiter möglich ist, eine Fortbewegung in die Ferne.
Der Fluss, der mich so nachhaltig beeinflusst hat, hieß Unstrut. Schon der Name weckte meine Fantasie, er klang für mich nach unbezähmbarer Wildheit, nach Ungestüm, nach Strudel und Gefahr und beflügelte meine angeborene Lust auf Abenteuer. Die Unstrut fließt bei Naumburg in die Saale, mein Heimatort Freyburg liegt nur wenige Kilometer von Naumburg entfernt. Die Unstrut hat dort schon fast das Ende ihres Laufes erreicht, ist schätzungsweise 20 Meter breit und etwa zwei Meter tief.
Schwimmen hatte ich in einem See gelernt, die wilde Unstrut aber formte mich zu einem Wesen, das sich im Wasser sicher fühlt, sich seiner eigenen Fähigkeiten bewusst wird und gleichzeitig Respekt vor der Macht und Gewalt des Wassers hat. Ich ließ mich von der Strömung mitziehen, schwamm gegen sie an, tauchte mit weit geöffneten Augen hinab zum Grund, suchte zwischen bunten Kieseln nach goldenen Schätzen und fand lebende Flussperlmuscheln. Das Wasser der Unstrut war kristallklar und kalt.
Ich glaube, damals entstand in mir der Wunsch, Flüsse von ihrer Quelle bis zur Mündung zu erkunden. Meinem Heimatfluss konnte ich nicht folgen, denn noch bevor ich 14 Jahre alt war, zogen wir in eine andere Gegend. Erstmals habe ich diesen lang gehegten Plan an der Isar erprobt, um mich nun der Donau zu widmen, die sich schon durch ihre enormen Dimensionen von der Isar unterscheidet. Wie abenteuerlich wird eine Reise entlang dieses zweitgrößten Flusses Europas sein, der auf fast magische Weise durch das Herz des europäischen Kontinents führt?
Flüsse waren schon immer lebenswichtig für Menschen. Seit alters siedelten sie bevorzugt in den umliegenden Tälern, denn der Fluss lieferte zuverlässig das nötige Trinkwasser, und in den tierreichen Auen konnten die Jäger des Stammes gute Beute machen. Als die Menschen zum Ackerbau übergingen, zweigten sie das Flusswasser zur Bewässerung der Felder ab, tränkten ihre Tiere und ließen Mühlen »klappern«. Der Fluss wurde aber auch als praktischer Handelsweg genutzt und war zugleich Barriere, Schutz und Grenze gegen feindliche Nachbarn. Steine, Sand und Kies, die der Fluss anschwemmte, dienten als Baumaterial, und nicht zuletzt war der Fluss der große Saubermacher. Alles, was die Menschen loswerden wollten, wurde in den Fluss geworfen. Er trug den Abfall rasch außer Sichtweite. Trotzdem konnte das Wasser bei der nächsten Siedlung wieder getrunken werden, denn durch die natürliche Selbstreinigung mittels Wasserpflanzen, Algen und Mikroorganismen war es bald wieder rein. So waren Flüsse für die Menschen von unschätzbarem Wert. Orte, die an Flüssen lagen, wuchsen und gediehen. Die Donau als mächtiger Strom hat gleich vier Hauptstädte an ihrem Ufer erblühen lassen: Wien, Bratislava, Budapest und Belgrad.
Meine erste Idee, mit einem Paddelboot oder Kajak auf dem Fluss zu fahren, verwarf ich bald. Würde ich auf dem Strom dahingleiten, sähe ich nur wenig von der Umgebung. Das abenteuerliche Erlebnis, sich sportlich mit dem Element Wasser zu messen, wiegt für mich nicht die Begegnungen mit Menschen auf. Ich möchte erfahren, wie der Fluss das Land und seine Bewohner prägt, will die Dörfer und Städte an seinen Ufern kennenlernen, die Wiesen, Wälder und Moore auf der Suche nach Pflanzen und Tieren durchstreifen. Nur zu Fuß bin ich langsam genug, um Schritt für Schritt die Umwelt mit all ihren Schönheiten wahrzunehmen. Allerdings, an der Donau gibt es so gut wie keine Wanderwege, nur hin und wieder kieselharte Dammwege, vor allem aber asphaltierte Radwege. Autostraßen führen durch zersiedelte Landschaft und von Industrieanlagen geprägte Orte. In diesen Gegenden wäre das Wandern mühselig und unerfreulich. Die Lösung war daher eine Fahrrad-Wander-Kombination.
Um die Donau in voller Länge zu erforschen, teilte ich die Strecke in zwei Teile. Beide Male brach ich im Mai auf. Die erste Tour begann ich an der Quelle und fuhr bis nach Wien. Im Jahr darauf startete ich in Wien und radelte bis zur Donaumündung. Das hatte den Vorteil, dass ich beide Male im Frühling unterwegs war, wenn die Natur sich zu beleben beginnt, Blumen blühen und Vögel mich mit ihrem Gesang erfreuen. Vor allem aber erreichte ich das Delta bereits Ende Juni, bevor die extrem heißen Sommermonate begannen, die das Reisen erschweren.
In Deutschland und Österreich stellte ich das Rad öfter für ein paar Tage in einer Herberge ab und wanderte in landschaftlich reizvoller Umgebung abseits der Donau, um dann an den Ausgangspunkt zurückzukehren. Hin und wieder übernachtete ich im Zelt, zum Beispiel im Quellgebiet, in der Schwäbischen Alb, an der Schlögener Schlinge und in der Wachau. In den östlichen Donauländern verzichtete ich auf diese Art der Übernachtung, hatte aber für den Notfall, der nicht eintrat, ein Zelt dabei.
Ab Budapest spürte ich mehr und mehr einen unwiderstehlichen Sog, die Dynamik des Vorankommens setzte ein und zog mich mit sich. Jeden Morgen brannte ich darauf, meine Radtour entlang des Flusses fortzusetzen. Für Erkundungen in Nationalparks, wie dem Gemencer Wald oder im Naturschutzgebiet Kopački rit, nahm ich mir allerdings einen oder mehrere Tage Zeit, um der Natur näherzukommen und Tiere zu beobachten.
Für mein Empfinden war die Fahrradstrecke vom Schwarzwald bis nach Ungarn oft zu gut ausgebaut und beschildert. Ab Budapest gab es dann nur noch selten autofreie Dammwege. Meistens waren es Straßen, die ich mir auf dem Rad mit dem üblichen Verkehr teilen musste. Trotz der Gefahr durch rasante Autofahrer gefiel mir die Route ab Budapest weitaus besser als der bequeme und sichere Abschnitt davor, denn sie bietet mehr Herausforderungen, nicht nur in der Wegführung, sondern auch bei der Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten und bei der Kommunikation mit der Bevölkerung in den verschiedenen Landessprachen.
Belohnt wurde ich für die Anstrengungen mit landschaftlicher Schönheit. Ungestörte Natur jedoch gibt es entlang der Donau nicht in dem Maße, wie ich sie mir gewünscht hätte, und schon gar keine vom Menschen unbeeinflusste Wildnis. Im dicht besiedelten Donauraum kann es sie nicht geben, ebenso wenig im Delta, wo rund 15 000 Menschen auf 25 Dörfer verteilt leben. Trotzdem kann man sich an einer reichen Pflanzen- und Tierwelt erfreuen, vor allem in Bulgarien.
Das bulgarische Donauufer war für mich neben dem Delta einer der absoluten Höhepunkte der gesamten Reise. In den Dörfern bekam ich eine Ahnung, wie Menschen früher in und mit der Natur in harmonischem Zusammenspiel gelebt haben. Nicht nur landschaftlich, auch kulturell fand ich die Route durch Bulgarien reizvoller als die Strecke am gegenüberliegenden, flachen rumänischen Ufer. Die bulgarische Donauseite verlangte mir aber wegen der vielen schönen Berge einiges an Kraft und Kondition ab.
Acht der zehn an der Donau gelegenen Länder habe ich durchquert. Zwei habe ich ausgelassen, nämlich Moldawien und die Ukraine, denn beide Länder berühren nur auf wenigen Kilometern die Donau. Während der Reise bekam ich immer mehr ein Gefühl dafür, wo die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Völkern liegen. Von Tag zu Tag entdeckte ich Neues, doch nicht nur Gegenwärtiges, sondern auch, was sich in vergangenen Jahrhunderten abgespielt hat. Wer sich auf die Donau einlässt, erlebt europäische Geschichte auf anschauliche Weise.
Bei den Kapitelüberschriften zu den einzelnen Donauländern gebe ich die Flusskilometer an, damit eine gewisse Vorstellung von den Entfernungen entsteht. Da jedoch mitunter zwei Länder auf einem Donauabschnitt jeweils ein Ufer beanspruchen, ist die Summe der von mir angegebenen Kilometer höher, als es der eigentlichen Länge der Donau entspräche. Die Fahrradkilometer werden bei jedem anders sein, je nachdem, welche Wegvariante man wählt und zu welchen abseits gelegenen Sehenswürdigkeiten man von der Hauptroute abweicht.
Gewundert habe ich mich, dass selten Transportschiffe auf der Donau unterwegs waren. Kreuzfahrtschiffe sieht man noch am häufigsten. Dabei wurde die Donau begradigt, kanalisiert und ihrer ursprünglichen Natur beraubt, weil der Warentransport ungeheuer wichtig und ökologisch sinnvoll...