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E-Book

Von Rettern und Rebellen

Ein Blick hinter die Kulissen unserer Demokratie

AutorChristian Raap, Klaus-Peter Willsch
VerlagFinanzBuch Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783862487660
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Ein Polit-Krimi - verstörend und empörend zugleich! Der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Peter Willsch packt schonungslos aus: Die Bundesregierung war seit Beginn der Eurokrise nicht nur vollkommen planlos, sondern hat auch gegenüber dem Bundestag gezielt Informationen zurückgehalten. Staunend schaute sie zu, wie die Mittelmeerstaaten den Währungsraum zur Transferunion umbauten. Und auch die Opposition versagte völlig. Doch Willsch stellte sich entschlossen gegen den kollektiven Rechtsbruch und die Plünderung Deutschlands durch die Schuldenstaaten Europas. Er verstieß damit jedoch gegen ein ungeschriebenes Gesetz: Folge deiner Führung! Klaus-Peter Willsch zeigt mit Informationen, die der Öffentlichkeit bisher nicht zugänglich waren, die zentralen Probleme auf: die Machtlosigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung, mangelnder ökonomischer Sachverstand im Bundestag und die mal subtile, mal rigorose Machtsicherung der Führung. Willsch scheut nicht davor zurück, Ross und Reiter zu nennen. Und doch ist Von Rettern und Rebellen kein Blick zurück im Zorn eines Polit-Veteranen. Willsch ist als Abgeordneter immer noch Teil des politischen Karussells. Ein spannender und beängstigender Einblick in die Herzkammer unserer Demokratie.

Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) ist Diplom-Volkswirt, seit 1998 Mitglied des Deutschen Bundestags und war von 1994 bis 1998 Bürgermeister der Gemeinde Schlangenbad. Er ist evangelisch, verheiratet und hat drei Söhne und zwei Töchter. Er lebt in Hohenstein im Rheingau-Taunus. Bundesweit bekannt wurde er durch sein Abstimmungsverhalten anlässlich der Euro-Rettungspolitik. Bereits 2010 lehnte er als eines von fünf Mitgliedern der Koalition das erste Griechenlandpaket sowie den temporären Euro-Rettungsschirm EFSF ab. Bereits im November 2011 legte er mit seinem Thesenpapier 'Euro 2.0' eine Alternative zur vermeintlich alternativlosen Euro-Rettungspolitik vor. Im Mai 2012 schmiedete er mit dem Verband der Familienunternehmer, dem Bund der Steuerzahler und dem Bündnis Bürgerwille gemeinsam mit neun weiteren Abgeordneten von CDU/CSU und FDP die 'Allianz gegen den ESM'. Trotz persönlichem Rekordergebnis bei der Bundestagswahl 2013 wurde er von der Fraktionsführung aus dem Haushaltsausschuss entfernt und wirkt seitdem im Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Ein unbequemer Mahner gegen die Politik der Schuldenvergemeinschaftung in der Eurozone ist er gleichwohl geblieben. Christian Raap ist Historiker, seit 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter von Klaus-Peter Willsch MdB und seit 2014 sein Büroleiter. Er ist verheiratet und hat eine Tochter. Er lebt in Berlin.

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Leseprobe

Der Rettungsschirm steht – Bundespräsident Köhler geht


Wenige Stunden nach dem Bundestag befasste sich zur Mittagszeit bereits der Bundesrat mit dem Gesetz zur Griechenland-Hilfe. Der Bundesrat hatte sein Votum zur Griechenland-Hilfe noch nicht abgegeben, als Schäuble die Sitzung eilig verlassen musste, um an mehreren kurzfristig einberufenen Telefonkonferenzen teilzunehmen, die teilweise bis zu zweieinhalb Stunden dauerten. Die Finanzmärkte ließen sich nicht so einfach beruhigen, wie man uns glauben machen wollte. Die Risikoaufschläge für irische, portugiesische und spanische Staatsanleihen stiegen weiter. Die europäischen Banken belauerten sich und stellten sich gegenseitig kein Kapital mehr zur Verfügung. Der Albtraum ging jetzt erst richtig los. In den Gesprächen zwischen Vertretern des Financial Stability Board (FSB) sowie den G7-Finanzministern und -Notenbankgouverneuren wurde ein »entschlossenes, rasches und massives Handeln« beschlossen.74 Auch der IWF mischte wieder mit. Neben Schäuble nahmen von deutscher Seite noch Weber und Sanio an der entscheidenden Telefonkonferenz teil.

Im Anschluss warnte Schäuble Merkel vor einem bevorstehenden Flächenbrand in Europa. Gleichzeitig stimmte der Finanzminister seine Kanzlerin schon einmal darauf ein, dass das für den Abend anberaumte Treffen der Staats- und Regierungschefs der Eurozone mit Vertretern der Europäischen Kommission und dem EZB-Präsidenten Trichet eine außergewöhnlich schwierige Sitzung werden würde. Der Beginn musste sogar nach hinten verschoben werden, weil der Beratungsbedarf auf allen Seiten außerordentlich groß war.

Sarkozy nutzte die zusätzliche Zeit und zog alle Register. Bereits im Vorfeld hatte er sich mit Vertretern aus Italien, Spanien und Portugal abgesprochen, damit auch diese über verschiedenste Kanäle die Angst vor einem Zusammenbruch der Eurozone schürten. Während der Beratungen machte er massiv Druck auf die EZB, um die Zentralbank zu einem groß angelegten Kaufprogramm für Staatsanleihen von Schuldenstaaten auf dem Sekundärmarkt zu bewegen. Die festgeschriebene Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank war dem Franzosen vollkommen gleichgültig. Merkel wurde geradezu überrollt. Bereits bei den Verhandlungen über den Bailout Griechenlands soll Sarkozy laut einem spanischen Regierungsvertreter Merkel mit einem Austritt Frankreichs aus der Eurozone und dem Ende der deutsch-französischen Achse gedroht haben, wenn Deutschland nicht zahle. Am Ende kam es zur Machtprobe. Merkel reiste schmallippig ab, während sich der französische Präsident in einem Fahnenspalier als Retter Europas gerierte und der Öffentlichkeit strahlend seine Verhandlungserfolge präsentierte. Bis zur Eröffnung der Börse am Montagmorgen in Asien sollte den Finanzmärkten bewiesen werden, dass die Zahlungsunfähigkeit eines Euro-Mitgliedstaates ausgeschlossen war. Die EU-Kommission sollte einen entsprechenden Vorschlag vorlegen, über den ein Sonder-ECOFIN bis Sonntagnacht entscheiden musste.

Tragischerweise konnte Schäuble an dieser entscheidenden Sitzung nicht teilnehmen. Schäuble, der von mehreren Krankenhausaufenthalten gebeutelt war, hatte ein Medikament nicht vertragen. Auf dem Weg zum Sitzungsort musste der Minister notgedrungen in ein Krankenhaus. Die Ärzte rieten ihm dringend davon ab, seinen Terminkalender durchzuziehen, und verordneten ihm einige Tage Ruhe. Die Vertretung musste Innenminister Thomas de Maizière zusammen mit Finanzstaatssekretär Asmussen übernehmen, da Merkel zeitgleich anlässlich des 65. Jahrestages des »Tag des Sieges« der Roten Armee über Hitler-Deutschland in Moskau weilte.

Während unsere Bundeskanzlerin auf dem Roten Platz mehr als 150 gepanzerte Fahrzeuge, Raketen- und Artillerie-Systeme betrachten durfte, hatte de Maizière der Koalition aus Schuldenstaaten und deren größten Gläubigern wenig entgegenzusetzen. Unterstützung erhielt die Bundesregierung in den Verhandlungen nur von den Niederlanden und Finnland sowie eingeschränkt von Österreich. Selbst der maltesische Finanzminister machte sich in einzelnen Punkten für die deutsche Position stark. Die Verhandlungen wurden jedoch klar vom deutsch-französischen Gegensatz dominiert. Immer wieder musste die Sitzung unterbrochen werden, weil die Verhandlungsführer mit ihren jeweiligen Regierungszentralen Rücksprache halten mussten. Zu einer gemeinsamen Position zu kommen, schien fast unmöglich. Bis Deutschland einknickte.

Die deutsche Verhandlungsdelegation war mangelhaft vorbereitet und wurde von der Tischvorlage der EU-Kommission regelrecht überfahren, klagte mir damals vertraulich ein Mitarbeiter aus dem Bundesfinanzministerium. Er bezeichnete die Ereignisse als »europapolitische[n] Schnitzer des Jahrzehnts«. Später sagte ein damaliges Regierungsmitglied zu mir: »Merkel war in Moskau, Schäuble im Krankenhaus und der de Maizière hat sich über den Tisch ziehen lassen.«

De Maizière ließ sich auf einen 750 Milliarden Euro schweren Euro-Rettungsschirm ein. Dieser bestand aus drei Elementen: EFSM, EFSF und IWF. Jetzt waren die Hilfen, für die es noch gar keinen konkreten Adressaten gab, nicht mehr freiwillig und bilateral, sondern gemeinschaftlich und verpflichtend. Die alten Scheinargumente hatten übers Wochenende ausgedient. Drei entschlossene Franzosen in Schlüsselpositionen – Trichet, Strauss-Kahn und Sarkozy – hatten im Handstreich die Stabilitätsarchitektur der Währungsunion hinweggefegt.

Die Abkürzung EFSM steht für Europäischer Finanzstabilisierungsmechanismus, der mit 60 Milliarden Euro aus EU-Eigenmitteln gefüllt werden sollte. Die Eigenmittelobergrenze beträgt 1,23 Prozent des Bruttonationaleinkommens der Europäischen Union. Der EFSM hatte für die Euro-Retter den Vorteil, dass die Gelder sofort abgerufen werden konnten. Er wurde in Form einer Verordnung am Sonntag beschlossen und war daher unmittelbar geltendes Recht. Der EFSM stützte sich auf Artikel 122 Absatz 2 AEUV, dort heißt es:

»Ist ein Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht, so kann der Rat auf Vorschlag der Kommission beschließen, dem betreffenden Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren.«

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union war unpräzise. Die Formulierung »außergewöhnliche Ereignisse« entpuppte sich als willkommener Türöffner für die Schuldenvergemeinschaftung. Das Budgetrecht ist das Königsrecht eines jeden Parlaments. Das hatten auch schon Wilhelm II. und sein Kanzler Bernhard von Bülow schmerzlich erfahren müssen. Bülow sah sich gezwungen, den Reichstag aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben, weil Zentrum und SPD einen Nachtragshaushalt zum Kolonialetat abgelehnt hatten. Das war im Jahr 1906. Von »Hottentottenwahlen« war man in der Europäischen Union im 21. Jahrhundert aber weit entfernt. Viele Jahre lang hatten einige Staaten ex­trem über ihre Verhältnisse gelebt. Die Schuldenhaushalte, mit parlamentarischen Mehrheiten frei gewählter Parlamente beschlossen, wurden nun als finanzpolitischer Kometeneinschlag dargestellt.

Als Ergänzung zum EFSM wurde ein 440 Milliarden schweres Special Purpose Vehicle (SPV) ins Leben gerufen. Diese privatrechtliche Zweckgesellschaft mit Sitz in Luxemburg erhielt später den Namen European Financial Stability Facility (EFSF). Die EFSF sollte in Form von Darlehen und Kreditlinien Euro-Schuldenstaaten vor dem Bankrott bewahren. Für die dafür notwendigen Mittel mussten die Euro-Mitgliedstaaten garantieren. Deutschland war gemäß des EZB-Schlüssels mit 28 Prozent, also mit 123 Milliarden Euro an der EFSF beteiligt. Nach drei Jahren sollte die Zweckgesellschaft wieder aufgelöst werden. Schon damals gab es auf Mitarbeiterebene im Finanzministerium starke Zweifel an der zeitlichen Befristung. »Erfahrungsgemäß haben solche Einrichtungen ein sehr zähes Leben und suchen sich Zusatzaufgaben und bekommen sie dann auch«, hieß es in einem Non Paper eines couragierten Beamten.

Der Beitrag des IWF am Rettungsschirm sollte sich auf mindestens die Hälfte des Programmvolumens der Europäer belaufen. Das machte einen IWF-Anteil in Höhe von bis zu 250 Milliarden Euro.

Mit Spanien und Portugal wurden auf dem EU-Gipfel auch bereits die nächsten Rettungskandidaten namentlich benannt. Beide Staaten sicherten zu, in den nächsten beiden Jahren zusätzliche Konsolidierungsmaßnahmen zu ergreifen, wurden aber dennoch auf die Beobachtungsliste der EU-Kommission gesetzt. Portugals Finanzminister zeigte sich bei den Gesprächen deutlich einsichtiger als seine Kollegin aus Spanien. Die spanische Finanzministerin soll sich sogar geweigert haben, eine entsprechende Erklärung zu unterschreiben, wenn dort konkrete Zahlen zur Konsolidierung des spanischen Haushaltes auftauchen sollten.

Am 9. Mai 2010 beschloss der EZB-Rat, im Rahmen eines Securities Markets Programme (SMP) Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt aufzukaufen – gegen den auch öffentlich bekundeten Widerstand des deutschen Bundesbankpräsidenten Weber.75 Bereits in der Vorwoche hatte die EZB die Bonitätsanforderungen für Refinanzierungsgeschäfte bei Staatsanleihen von Griechenland, Irland und Portugal ausgesetzt.

Diese Entwicklung traf die Abgeordneten des Deutschen Bundestags völlig unerwartet. Nicht nur ich war geschockt, was de Maizière am 10. Mai 2010 über ein Special Purpose Vehicle im Morgenmagazin berichtete. Von den Telefonkonferenzen und den Sondersitzungen erfuhren wir erst im Nachhinein. Barthle beklagte sich im...

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