USA – Der Ursprung des Craft Beer
Als 1920 in den USA die Prohibition, also das Verbot, Alkohol herzustellen, zu vertreiben und zu verkaufen, verhängt wurde, gab es 1179 Brauereien im Land. Nachdem das Verbot 1932 wieder aufgehoben wurde, wuchs die Zahl der Brauereien aufgrund einer Vielzahl von Neugründungen bis 1935 immerhin wieder auf 703 an. Danach ging es eigentlich nur noch steil bergab.
Während die Brauereien in den nächsten 45 Jahren immer weniger wurden, stieg der Bierkonsum stetig an. Im Jahr 1978 waren noch 89 Brauereien übrig, im Besitz von weniger als 50 Braukonzernen. Fortschritte in der Kühltechnik und der Ausbau der Bundesstraßen ermöglichte es den großen Brauereien, ihr Bier überallhin zu bringen. Durch ihre Größe waren sie in der Lage, Rohstoffe wesentlich günstiger einzukaufen als ihre lokalen Konkurrenten. Mit groß angelegten Werbekampagnen trieben sie ihren Bierabsatz nach oben. Dem Kunden wurde suggeriert, dass es keinen Sinn mache, das lokale Bier zu trinken, wenn es doch auch ein Bier gab, das man überall im Land trinken konnte, das überall die gleiche Qualität und den gleichen Geschmack hatte und das dazu noch billiger war. Die großen Brauereien gewannen die Überhand und dominieren seitdem den Markt.
Aber nicht alle Amerikaner wollten sich mit dem Lagerbier zufriedengeben, sie begannen Anfang der achtziger Jahre zu Hause ihr eigenes Bier zu brauen. Damals schauten sie nach Europa und entwickelten ihre Biere auf Grundlage traditioneller europäischer Bierstile.
Fritz Maytag stieg einige Jahre zuvor gleich eine Nummer größer ein. Nach seinem Stanford-Abschluss kaufte er 1964 Anchor Brewing & Co. in San Francisco, als die Brauerei pleitezugehen drohte.
Auch Ken Grossman und Charlie Papazian hatten genug von der Einheitsplörre und begannen, zu Hause ihr eigenes Bier zu brauen. Sie fingen an, in ihren Garagen mit Malz- und Hopfensorten zu experimentieren, und brauten charakterstarke Biere in kleinen Auflagen. Das war möglich geworden, nachdem Jimmy Carter 1979 das Heimbrauen legalisiert hatte.
Charlie Papazian ist heute der unbestrittene Godfather des Homebrewing. Er hat sich mit zahlreichen Standardwerken zum Heimbrauen einen Namen gemacht, hat das größte Craft-Beer-Festival und den größten Brauereiverband des Landes gegründet und auch noch den international renommierten «World Beer Cup» ins Leben gerufen.
Ken ist heute Besitzer der zweitgrößten US-amerikanischen Craft Brewery, der Sierra Nevada Brewing Co., und das Vorbild vieler junger Brauer. Ich hatte das Glück, während meiner Zeit in den USA mit ihm zusammenzuarbeiten, und auch mich hat er nachhaltig beeindruckt. Und das nicht nur, weil er exzellente Biere auf höchstem Niveau braut. Sondern auch wegen der Art, wie er mit seinen Mitarbeitern, Kunden, den natürlichen Ressourcen und der Umwelt umgeht. Ken denkt immer einen Schritt voraus. Er ist ein konzentrierter Zuhörer, ein messerscharfer Analytiker und ein phantastischer Visionär. Er wollte von Beginn an besondere Biere brauen, aber genauso lag ihm die Umwelt am Herzen. Ihm war bewusst, dass der Ressourcenverbrauch bei der Bierherstellung sehr hoch ist, und so setzte er von Beginn an auf eine nachhaltige Produktion. Je größer seine Brauerei wurde, desto mehr investierte er in ressourcensparende Technologie. Heute besitzt Ken die mit Abstand umweltfreundlichste Brauerei. So werden beispielsweise mit einer der größten Solaranlagen des Landes und einer brauereieigenen Wasserstoffbrennzelle 60 Prozent der benötigten Energie direkt auf dem eigenen Gelände generiert, und in der brauereieigenen Kompostieranlage wird der organische Müll aus der Brauerei und dem Restaurant zu 100 Prozent kompostiert. Der Kompost wird für die eigenen Malz- und Hopfenplantagen und im Garten des Restaurants genutzt.
Aber zurück zu den Anfängen. Im Jahr 1990 war die Zahl der Brauereien bereits deutlich angewachsen, und ein Ende war nicht in Sicht. Eher das Gegenteil war der Fall. Gab es 1990 noch 284 sogenannte «Microbreweries», also Brauereien, die weniger als 16500 Hektoliter brauten, waren es nur zehn Jahre später bereits 1700. Knapp zwei Drittel davon waren Gasthausbrauereien oder so klein, dass sie nur für ein einziges Restaurant brauten. Es entstanden Biere, die es in den USA so vorher noch nicht gab, sie sahen anders aus, rochen anders und schmeckten anders als das, was die amerikanischen Biertrinker jahrelang gewohnt waren.
Aber nicht nur ihre Biere waren anders. Auch die Einstellung zum Produkt unterschied sich grundlegend. Während es bei den Großen immer nur um Wachstum und Profit ging, waren die kleinen Brauer Enthusiasten, die nichts anders im Kopf hatten, als einfach nur gutes Bier zu brauen. Die mit ihren Biere polarisierten. «Als ich begann, mein Bier zu verkaufen, haben es 90 Prozent gehasst. Aber die 10 Prozent, die es liebten, waren verrückt danach», erzählte Ken einmal. Für ihn war das eine wunderbare Motivation weiterzumachen. Seine Brauerei war eine von denen, die relativ zügig aus der «Micro»-Größe herauswuchsen. Mit «Craft» tauchte ein neuer Begriff auf, er definierte fortan Brauereien, die unabhängig von Konzernen in kleinen Mengen und auf traditionelle Weise charakterstarke Biere brauten.
Der Kreativität der Brauer waren keine Grenzen gesetzt, und diejenigen unter ihnen, die in der Welt schon ein wenig herumgekommen waren – Flugreisen waren für die breitere Masse bezahlbarer geworden –, kamen mit spannenden Bierstilen im Gepäck zurück in die USA. Einer von ihnen war der US-amerikanische Heimbrauer Jeff Lebesch. Er machte sich Anfang der neunziger Jahre auf den Weg nach Europa und durchquerte Belgien mit dem Fahrrad. Anschließend kehrte er mit jeder Menge spannender Rezepte und einigen Zutaten im Gepäck zurück nach Fort Collins, Colorado, und gründete zusammen mit seiner Frau Kim Jordan die New Belgium Brewing Company. In Erinnerung an die Fahrradtour bekam das erste Bier den Namen Fat Tire. Die Verbundenheit zu Belgien besteht bis heute. Immer wieder fahren Mitarbeiter der Brauerei dorthin und lassen sich von der jahrhundertealten Brautradition der Mönche inspirieren.
Die Brauer der jungen Szene lernten in einer beeindruckenden Geschwindigkeit. Begonnen hatten sie als Autodidakten, die sich das Brauen am eigenen Kochtopf selbst beibrachten. Der nächste Schritt war eine kleine Brauanlage, häufig selbstgebaut, nicht selten in einer Garage untergebracht. Dabei gelang es ihnen, ihr Wissen und ihre Technologie und damit die Qualität der Biere kontinuierlich zu verbessern. Aber damit allein war es noch nicht getan. Schließlich mussten auch die Konsumenten noch von den neuen Bieren überzeugt werden. Es gab einige neue Brauer, die mit ihrem Auftreten in der Öffentlichkeit nicht nur den eigenen Bieren, sondern der ganzen Szene gutgetan haben.
Garrett Oliver ist so einer. Er ist noch immer viel unterwegs und begeistert äußerst charmant die Teilnehmer seiner Verkostungen für spannende Biere. Garrett hat schon einige Fachbücher geschrieben und gehört zu den Köpfen, die die Szene in der Öffentlichkeit repräsentieren. Er ist der Brauer der Brooklyn Brewery, die der Journalist Steve Hindy in den achtziger Jahren gründete. Zu dem Zeitpunkt schien die Idee, eine Brauerei zu eröffnen, genauso verrückt, wie in einen so heruntergekommenen Stadtteil wie Williamsburg/Brooklyn zu investieren.
Heute brummt die Brauerei, Williamsburg gehört zu den angesagtesten Stadtteilen New Yorks, und Craft Beer ist flächendeckend in den USA angekommen. In jedem 24-Stunden-Shop gibt es eine Auswahl an kreativen Bieren, im Supermarkt sowieso, in Bars, Kneipen und Restaurants gehört eine Bierauswahl inzwischen genauso dazu wie eine Weinkarte. Und es gibt jede Menge bierverrückte Konsumenten, die für ein gutes Bier einiges in Kauf nehmen. Mein Job brachte mich einmal zur Brauerei Hill Farmstead. Ich brauchte drei Stunden, um von Boston nach Greensboro Bend, dem Standort der Brauerei, zu fahren. Die nächste nennenswerte Stadt war rund eine Stunde entfernt. Aber als ich auf den Hof der Brauerei fuhr, sah ich dort eine Gruppe von Leuten stehen. Sie warteten auf die Öffnung des Bottle Shop. «Das ist noch gar nichts», war die Antwort des Brauers, Shaun Hill, als ich meine Verwunderung zum Ausdruck brachte, «am Wochenende warten hier gerne einmal 100 Leute geduldig, um in den Shop zu kommen.»
Vermehrt versuchen nun auch die Großen im Craft-Beer-Markt mitzumischen. Bereits 1995 brachte der Brauriese MillerCoors Blue Moon auf den Markt und bewarb es als Craft Beer. Eine Tatsache, die einem Verbraucher gar nicht gefiel. Er fühlte sich getäuscht und klagte. Seine Argumentation: Er habe das Bier viele Male gekauft, immer in der Annahme, es sei Craft Beer, so wie es auch auf dem Etikett steht und beworben wird. Also, nach der Definition der amerikanischen Brewers Association, ein charakterstarkes Bier, das in kleinen Mengen auf traditionelle Weise von einer konzernunabhängigen Brauerei gebraut wird. Tatsächlich wird Blue Moon in den Industriebrauereien von MillerCoors gebraut. Das Urteil des Prozesses steht noch aus.
Im Januar 2015 ging ein Aufschrei durch die Craft-Beer-Szene, als der internationale Braukonzern Anheuser Busch InBev (AB InBev) mit Elysian Brewing die vierte Craft Brewery in vier Jahren übernahm. Beide Seiten versicherten, dass in der Brauerei alles so bleiben würde, wie es ist. Ob das tatsächlich der Fall ist, bleibt abzuwarten. Kunden waren entsetzt und kehrten der Brauerei mit dem Argument...