Balance finden
Gefühle sind wie Farben ist der Titel eines Bilderbuchs, in dem ganz unterschiedliche Gefühle von Kindern beschrieben werden. Die Vielfalt der Gefühle wie auch der Umgang mit ihnen wird anhand von Alltagssituationen anschaulich gemacht. Das Besondere an diesem Buch ist jedoch, dass zwei kleine Vögel Kindern und Erwachsenen Hinweise geben, wie Gefühle verstanden und interpretiert werden können.
Auch Trösten können wir nur, wenn wir die Gefühle unseres Gegenübers verstehen und angemessen darauf reagieren. Kinder sind feinfühlig. Wenn ein Kind Empathie von Seiten der Erwachsenen oder von anderen Kindern spürt, wird es von sich aus ganz Persönliches erzählen. Die meisten Kinder sind ehrlich und haben einen uneingeschränkten Zugang zu ihren tiefen Gefühlen. Durch sensibles und nicht bewertendes Miteinander können wir sie stärken und weiter ermutigen. Kindern, denen einfühlsames Verständnis von anderen Kindern und Erwachsenen entgegengebracht wird, finden individuelle Wege aus seelischer Not.
Kinder werden nicht nur von Erwachsenen getröstet, sondern trösten sich auch untereinander. Die nötige Empathie entsteht aus dem Vorbildverhalten der Eltern, ihrem Umgang mit dem Kind, dem Verhalten aller Erwachsenen im Umfeld und ein klein wenig auch aus der Persönlichkeit des Kindes.
Was Kinder fühlen
Trauer, Ohnmacht, Sprachlosigkeit, Ärger, Eifersucht, Versagen, Einsamkeit, Stolz, Glück, Besorgnis, Schmerz, Langeweile, Neid, Freude, Abwehr, Hilflosigkeit, Ablehnung, Angst, Trotz, Verzweiflung, Leichtigkeit, Wut, Enttäuschung, Schuld, Unsicherheit, Minderwertigkeitsgefühl, Scham, Beschämung, Hass, Ekel, Zufriedenheit, Mut, Schüchternheit, Beleidigtsein, Zorn, Ungeduld, Gier, Frieden …
Die noch unkontrollierten, unmittelbaren Gefühle der Kinder machen vielen Erwachsenen Freude, aber manchmal auch Angst. Dazu kommen Zeitdruck, Überforderung und Stress, die kindlichen Gefühlen im Wege stehen. Dann fallen Sätze wie: »Ist doch nicht so schlimm«, »Hör auf mit dem Theater«, »Beruhig dich mal«, »Was sollen denn die Leute denken«. Grundsätzlich wollen Eltern das Beste für ihr Kind, aber manchmal müssen auch sie umlernen. Denn so, wie wir trösten, sind wir meist selbst in der Kindheit getröstet worden. Die eigenen Erfahrungen haben großen Einfluss darauf, wie wir als Eltern, Erzieher, Lehrer oder sonstige Fachleute Kinder trösten. In ihrem Buch Die neue Elternschule schreibt Margot Sundermann: »Viele Erwachsene können mit Stress nicht umgehen, weil ihnen in der Kindheit niemand bei Kummer geholfen hat.«
Erwachsene, die nicht gelernt haben zu trösten, können es aber lernen und ihre eigene Geschichte jederzeit ins Positive wenden. Denn für sein Handeln ist jeder selbst verantwortlich – vor allem als Eltern. Und Veränderung geht immer. Dieses Buch soll Sie bestärken und Ihnen Mut machen, die Gefühle Ihres Kindes zu verstehen.
Wie wir Kinder trösten und die ausgelebten Gefühle akzeptieren, hat auch mit der Grundeinstellung zu ihnen und dem persönlichen Menschenbild zu tun. Wie schwach oder stark darf Ihr Kind sein? Trost braucht die richtige Balance, dem Kind etwas zuzutrauen und es nicht zu schwächen durch zu viel oder unangemessenen Trost und dennoch feinfühlig und begleitend zu sein. Trost ist eine zwischenmenschliche Zuwendung. Er kann durch Blicke, Worte, Gesten und Berührungen gespendet werden. Die schmerzlichen Gefühle des Kindes werden so gelindert; es spürt, dass es nicht alleingelassen ist.
Trösten bedeutet nicht, ständig das Kind vom Schmerz abzulenken oder Medien als Tröster zu Hause einziehen zu lassen. Kinder sind abhängig von der direkten Zuwendung und der Liebe ihrer Bezugspersonen. Sie brauchen diese Liebe wie eine Blume das Wasser. Ohne das Wasser kann die Blume nicht überleben, ohne die Liebe der Eltern verhungert ein Kind emotional. Kinder verleugnen sich eher selbst, als die Liebe der Eltern zu missen. Dann verdrängen sie ihre Gefühle, um die Zuwendung der Eltern nicht zu verlieren.
Wann Kinder Trost brauchen
Bei Überforderungen und Überlastung; bei Müdigkeit und Übermüdung; wenn sie Schmerzen haben; wenn keiner sie versteht; wenn ihre Welt sich verändert; wenn die Welt anders ist, als sie es sich wünschen; wenn sie beschämt und erniedrigt werden; bei Verlusterfahrungen; bei Streit (ohne die Schuldfrage zu klären); wenn Geschwisterkinder oder Eltern eine Behinderung haben oder krank sind …
Wie nun das Trösten im Einzelnen aussehen sollte, hängt ab von der belastenden Situation, dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes. Jede Kultur, Religion oder Familie kennt eigene Trostrituale. Väter und Mütter sind verschieden und haben unterschiedliche Lebensgeschichten, die sie geprägt haben. In diesem Buch sind immer wieder Situationen beschrieben, in denen es um das Trösten, Begleiten und Stärken von Kindern geht. Sie können als Anregungen genutzt werden – Standardsituationen gibt es aber keine!
Trost in jedem Lebensalter
Die Gefühle der Kinder kommen aus dem Bauch heraus, sie sind noch nicht kontrolliert und verschlossen wie bei vielen Erwachsenen. Dadurch haben Kinder eine viel größere Gefühlspalette beim Ausdruck ihres Befindens zur Verfügung.
Die meisten Kinder haben ein gutes Einfühlungsvermögen und dieses bewegt und berührt Kinder sehr. Sie spüren emotional fast alles, was in der Umgebung geschieht, und dazu noch alles, was in ihrer Fantasie geschieht. Positive oder negative Sätze der Erwachsenen prägen das Kind außerordentlich stark.
Kinder brauchen erwachsene Beschützer und einen gegenseitigen Umgang, der von Respekt geprägt ist. Ein Erwachsener muss »erwachsen« handeln, nicht aber das Kind, das weint, schreit, ängstlich schaut oder ausflippt. Es darf Kind sein und hat ein Recht auf Trost und Halt. Drohungen, Strafen, Ausgrenzungen und ständige Ablenkungen sind keine angemessenen Antworten auf seine Gefühle.
Babys
Babys brauchen prompten Trost, da sie noch kein Zeitgefühl haben und ein ungestilltes Bedürfnis gleichsetzen mit Verlust bis hin zu Todesangst. Thomas Harms schreibt: »Werden die Grundbedürfnisse im Wesentlichen erfüllt, behält das Kind ein gutes Selbstsicherheits- und Ganzheitsempfinden.« Babys fühlen sich durch Berührungen und Getragenwerden leicht getröstet. Bei einem Säugling brauchen Eltern keine Angst zu haben, ihn durch Verwöhnung zu verziehen. »Trost ist das eine, genauso wichtig ist aber die Reaktion der Eltern auf das Lachen des Babys, auf sein Lautieren.« Babys brauchen Verlässlichkeit und eine feinfühlige Beantwortung aller Gefühle.
Angemessenes Trösten ist die Grundlage für eine sichere Eltern-Kind-Bindung. Ein Zuviel an Geborgenheit, Schutz und Trost kann es für einen Säugling gar nicht geben. Der Trost eines Babys nach der belastenden Geburtserfahrung ist möglich und dringend notwendig durch das Stillen der Sehnsucht nach Nähe und Liebe, Zartgefühl und Geborgenheit. Gegeben wird dieses Trösten durch leichtes Schaukeln des Babys, Tragen, Berührungen, Massagen, Blickkontakt und das angemessene Beantworten seiner Signale. Mit dem Schreien des Säuglings, erklärt Thomas Harms, ruft das Baby die Eltern heran, damit sie schauen, was los ist, und den Mangel beheben. Das Baby braucht Trost. Durch das Erkennen seiner Lage können Eltern die Not des Babys beheben. Die meisten Eltern spüren intuitiv, wann die Bedürfnisse des Babys gestillt sind.
Kinder
Auch Kleinkinder brauchen sichere Bezugspersonen, um Trost als Unterstützung, Erleichterung und Stärkung zu erleben. Kleinkinder sind nicht durch Erklärungen zu trösten, warum etwas so oder so ist, sondern...