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Theologie, kirchliches Lehramt und öffentliche Meinung

Die Münchener Gelehrtenversammlung von 1863 und ihre Folgen

VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl196 Seiten
ISBN9783170289505
FormatePUB/PDF
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis35,99 EUR
Die 1863 von dem Kirchenhistoriker Ignaz von Döllinger initiierte Münchener Versammlung katholischer Gelehrter stand ganz im Zeichen der wachsenden Kluft zwischen kirchlichem Lehramt und deutscher Universitätstheologie. In seiner programmatischen Eröffnungsrede 'Über Vergangenheit und Gegenwart der katholischen Theologie' brachte Döllinger das Anliegen dieser Zusammenkunft auf den Punkt: Vor dem Hintergrund der kulturellen und kirchlichen Situation der Zeit seien das Wesen, die Aufgabe und die Methoden der Theologie neu zu bestimmen, die Theologie sei in den laufenden Prozessen der Moderne sowohl innerkirchlich als auch gesellschaftlich zu verorten. Die Beiträge des vorliegenden Bandes gehen den bis heute aktuellen Themen der damaligen Versammlung nach. Sie fokussieren an ausgewählten Beispielen Wirkungen und Zuständigkeiten von Theologie und kirchlichem Lehramt, erhellen so deren gegenseitiges Spannungsverhältnis und fragen vor dem Hintergrund der historischen Entwicklung nach der heutigen Relevanz der damaligen Gelehrtenversammlung.

Prof. Dr. Franz Xaver Bischof lehrt Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Prof. Dr. Georg Essen lehrt Dogmatik und Dogmengeschichte an der Ruhr-Universität Bochum.

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Leseprobe

Einführung


2013 jährte sich zum hundertfünfzigsten Mal die Versammlung katholischer Gelehrten, die vom 28. September bis 1. Oktober 1863 in der Benediktinerabtei St. Bonifaz in München stattfand, und die – wie sich zeigen sollte – die einzige dieser Art bleiben sollte. Der Kirchenhistoriker Ignaz von Döllinger (1799–1890) und der Bibelwissenschaftler Bonifaz Haneberg OSB (1816–1876), beide Professoren an der Universität München, sowie der Freiburger Kirchenhistoriker Johann Baptist Alzog (1808–1878) hatten die „Vertreter der katholischen Wissenschaft, geistlichen und weltlichen Standes aus allen Gebieten des Wissens, welche mit der Religion und Theologie in irgend welcher Wechselverbindung stehen“,1 dazu eingeladen. Sie reagierten damit auf die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts virulent gewordene Polarisierung unter den deutschsprachigen katholischen Theologen, das damit verbundene Denunziantentum im eigenen Lande, das sich bereitwilliger Zuträger erfreute, und die sich massiv häufende kirchliche Maßregelung katholischer Wissenschaftler. Auf einer gemeinsamen Zusammenkunft wollte man zur Deeskalation beitragen, die Differenzen auf dem Feld der theologischen Wissenschaft bereinigen, aktuelle Fragen in Kirche und Gesellschaft beraten und durch eine bessere Organisation des Zeitschriftenwesens die Vermittlung theologischen Wissens in den öffentlichen Raum hinein voranbringen.

Vierundachtzig katholische Gelehrte verschiedener Disziplinen aus dem deutschen Sprachraum, überwiegend Theologen und Philosophen, folgten der Einladung. In Anbetracht der widrigen Umstände, die es im Voraus gegen dieses „Schutz- und Trutzbündnis der deutschen Theologen“2 zu überwinden galt, bestätigte schon die Zahl der Teilnehmer die Notwendigkeit der Versammlung. Anwesend waren nahezu alle, die in Frage kamen – mit Ausnahme nur der Tübinger Professoren und der Innsbrucker Jesuiten, die der Versammlung aus unterschiedlichen Gründen geschlossen fernblieben –, und mit ihnen die wichtigsten theologischen Richtungen, die damals an den theologischen Universitätsfakultäten und bischöflichen Priesterseminarien vertreten wurden.

Nach einem gemeinsamen Heilig-Geist-Hochamt, dem der Münchener Erzbischof Gregor von Scherr (1856–1877) vorstand, eröffnete Haneberg in seiner Eigenschaft als Abt von St. Bonifaz und Gastgeber die Versammlung im Kapitelsaal der Abtei, dem heutigen vorderen Bibliothekssaal. Er verlas die Professio fidei Tridentina, der die übrigen stehend und schweigend ihre Zustimmung gaben – ein Zeugnis kirchlicher Gesinnung, das auf einer wissenschaftlichen Versammlung verwunderlich sei, wie der Kommentator der Augsburger Allgemeinen Zeitung spitz kommentierte3, das aber einer Auflage des Münchener Nuntius geschuldet war, der bemängelte, dass die Versammlung „ohne Mitwirkung der kirchlichen Autorität“4 einberufen worden war. In einer klug abgewogenen Begrüßungsrede machte Haneberg die Teilnehmer sodann mit den unterschiedlichen Stimmungen und Wünschen vertraut und verlas die zustimmenden Grußadressen der Bischöfe Blum (Limburg), Dinkel (Augsburg), Greith (St. Gallen), Feigerle (St. Pölten), von Vicari (Freiburg im Breisgau) und Weis (Speyer). Auf Hanebergs Antrag hin wurde Döllinger durch Akklamation zum Präsidenten der Versammlung gewählt. Dieser berief seinerseits die Miteinladenden Alzog und Haneberg sowie die Kirchenhistoriker Floß (Bonn) und Reinkens (Breslau), in der Nachmittagssitzung zusätzlich den Moraltheologen Moufang (Mainz) und den Kanonisten Schulte (Prag) zu Mitgliedern des Tagungskomitees, das mit der Leitung der Geschäfte betraut war.

Den fulminanten Auftakt der Konferenz bildete Döllingers Rede über Vergangenheit und Gegenwart der katholischen Theologie, gehalten in der Eröffnungssitzung vom 28. September 1863. Sie markiert einen Höhepunkt in der Biographie Döllingers und war eine Frucht der wissenschaftlich produktivsten Phase seines Lebens. Darin suchte Döllinger die Aufgabe der katholischen Theologie in ihrer Zeit und die Stellung des Theologen in Kirche und Gesellschaft neu zu bestimmen – eine Aufgabe, die nichts von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Er stellte keine Glaubenslehre in Frage, forderte aber eine freie, an den Methoden moderner Wissenschaft orientierte und vom Lehramt der Kirche unbehinderte theologische Forschung. Die Rede provozierte heftige Gegenreaktion seitens der neuscholastischen Theologen, doch gelang es dank angestrengter Vermittlung, die Versammlung zusammenzuhalten und zu einem wenn auch mühsam erreichten versöhnlichen Abschluss zu bringen.5

150 Jahre nach der Münchener Gelehrtenversammlung erinnerte die Wissenschaftliche Tagung Theologie – Lehramt – Öffentliche Meinung, die am 16. September 2013 an historischer Stätte in der Abtei St. Bonifaz mit einer Lesung von Döllingers Theologierede durch den Schauspieler Ansgar Wilk begann und an den folgenden zwei Tagen in der Katholischen Akademie in Bayern fortgesetzt wurde, an das damalige Ereignis. Sie thematisierte zugleich deren Folgen für die weitere theologische Wissenschaft. Ein erster Block von Beiträgen fokussierte Döllingers berühmte Theologierede und die römische Reaktion im Breve Tuas libenter, das erstmals kirchenamtlich mit dem kirchlichen Lehramt operierte, der Neuscholastik den absoluten Vorrang in der katholischen Theologie einräumte und jedem pluralistischen Ansatz in der theologischen Wissenschaft eine scharfe Absage erteilte. Ein zweiter Block thematisierte aus der Perspektive der systematischen Theologie und unter Aufgreifen wichtiger Positionsbezüge von Döllingers Theologierede die Geschichte als Strukturelement moderner Theologie, die Frage von Theologie und öffentlicher Meinung heute und die Ökumene als theologische Aufgabe. Ein dritter Block widmete sich der historischen Entwicklung nach 1863. Zur Sprache kamen die katholische Kirchengeschichtsschreibung zwischen 1870 und 1914 sowie das Verhältnis von Lehramt und katholischer Theologie, wie sie 1931 durch die Konstitution Pius’ XI. (1922–1939) festgeschrieben wurde. Der abschließende Beitrag untersucht die Frage der Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramts und zeigt die bleibende Aktualität des Themas aus heutiger kanonistischer Perspektive.

Die Herausgeber übergeben hiermit den Ertrag dieser bewusst interdisziplinär angelegten Tagung mit dem vorliegenden Band der Öffentlichkeit. Sie sind der Auffassung, dass sich das naturgemäß spannungsreiche Verhältnis von wissenschaftlicher Theologie und kirchlichem Lehramt jeder Theologengeneration neu stellt und wollen zur Reflexion hierüber anregen. Ausgangspunkt aller Beiträge ist Döllingers Theologierede von 1863. Um dem Leser, der Leserin die Möglichkeit zu bieten, parallel zu den Textbeiträgen auf sie zuzugreifen, wird sie diesem Band in unverändertem Nachdruck vorangestellt.

Die Herausgeber haben vielfach zu danken: Zunächst der Autorin und den Autoren für die Bereitschaft, an dieser Tagung mitzuwirken, und die sorgfältige Bereitstellung ihrer Texte für die Drucklegung, Prof. Dr. Claus Arnold, Mainz, der die Tagung mit angeregt und konzipiert hat, dem Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, und seinem Lektor Jürgen Schneider für die gewohnt professionelle Betreuung sowie der Pfarrer-Elz-Stiftung für den willkommenen Druckkostenzuschuss. Ein herzlicher Dank gebührt schließlich Dipl.-Theol. Sebastian Appolt, wissenschaftliche Hilfskraft, und Theresa Sommermann, studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Kirchengeschichte des Mittelalters und der Neuzeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München, für die redaktionelle Mitarbeit.

München, Bochum, im März 2015

Franz Xaver Bischof
Georg Essen

1     Einladungsschreiben, München/Freiburg, 4./12. August 1863, in: Verhandlungen der Versammlung katholischer Gelehrten in München vom 28. September bis 1. Oktober 1863, hg. von Pius Gams, Regensburg 1863, 5–8.

2     So die Befürchtung des Mainzer Dogmatikers Johann Baptist Heinrich (1616–1819). Vgl. Heinrich an Döllinger, Mainz, 6. September 1862. BSB Döllingeriana II.

3     [Jakob Frohschammer], Die Versammlung katholischer Gelehrten in München, in: Allgemeine Zeitung, 12. Oktober 1863, Nr. 285, 4713f., hier 4714.

4     Nuntius Gonella an Kardinalstaatssekretär Antonelli, München, 21. August 1863. ASV Segr. Stato 1864 Rubr. 254 Fasc. 1.

5     Zu Einberufung und Verlauf der Gelehrtenversammlung: Franz Xaver Bischof, Theologie und Geschichte. Ignaz von Döllinger (1799–1890)...

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