2. Alte Kirche und Konstantinische Wende
Die Zeit des frühen Christentums bzw. der Urkirche (bis zur Konstantinischen Wende) ist in der Kirchengeschichtsschreibung seit dem Spätmittelalter, vor allem dann aber im Protestantismus, idealisiert worden, insbesondere angesichts ihrer egalitär anmutenden Sozialstruktur und ihrer vermeintlichen theologischen Geschlossenheit. Während die Idealisierung des Protestantismus vornehmlich herausstellt, dass das Mittelalter ein Bruck gegenüber der Alten Kirche markierte, wird im Katholizismus eher die Kontinuität der christlichen Tradition von Beginn an betont. Neutraler könnte man von der frühen Christenheit als „Kirche im Säuglingszustand“ (Josefine Laffin) sprechen: Die junge Kirche ist noch von ihrer Mutter, dem Judentum, abhängig. Sie hat Anlagen und Potenziale, die erst entwickelt werden müssen. Welchen Weg die Kirche dabei einschlagen wird, ist noch weitgehend offen. Säugling ist sie auch in institutioneller Hinsicht, denn erst mit Ausbildung der katholischen Normen (Schrift, Credo, Monepiskopat) festigt sich ihre Struktur. In diesem Kapitel geht es darum,
– die theologischen Grundprobleme der Epoche zu erkennen und das frühe Christentum und die Kirche des 4. Jahrhunderts als plurales Gemeinschaftswesen zu verstehen.
– die Entwicklung des Christentums als Folge der inneren Differenzierung und Auseinandersetzung mit äußeren Faktoren (Philosophie, Politik des Imperium Romanum, zeitgenössische Religionen) zu sehen.
– die Bedeutung der Frühzeit der Kirche für die gesamte Entwicklung einschätzen zu können und die Idealisierung der Alten Kirche kritisch einzuschätzen.
– die Herausforderungen in der Vergangenheit auf gegenwärtige Problemstellungen hin zu bedenken, z. B. das Problem, eine Balance zwischen Einheit und Vielgestaltigkeit zu finden oder das Christentum wieder als Minderheitsreligion in enger Wechselbeziehung zur Umwelt zu deuten. Der in der alten Kirche konstitutive Zusammenhang von Glaube und Leben kann als bleibende Herausforderung christlicher Existenz gelten.
Die hier behandelte Epoche umfasst zwei unterschiedliche Phasen, zum einen die ersten drei Jahrhunderte als die „Alte Kirche“ im engeren Sinne, zum anderen die Epoche der so genannten Konstantinischen Wende und die nachkonstantinische Ära bis zur Etablierung der (katholischen) Reichskirche.
2.1 Die Zeit der „Alten Kirche“
Die Wandmalerei befindet sich in den Krypten der Lucina, Grabkammer Y, und stammt vermutlich vom Ende des 2. Jahrhunderts.
Hier taucht das Motiv des Fisches auf, der einen Weidenkorb auf dem Rücken trägt. Dieser ist gefüllt mit Brotlaiben und einem Glas Rotwein. Nach der Deutung Baruffas werden Brot und Wein zu ΙΧΘΥΣ, d. h. zu Leib und Blut Christi, der so ewiges Leben verheißt.37
Das Bild kann zugleich als Symbol für das Grundmotiv der Gemeinschaft der frühen Christen gelten, die nicht nur die Eucharistie teilten, sondern auch für die Existenzsicherung der Gemeindeglieder, die nicht für sich selbst sorgen konnten, eintraten.
2.1.1 Gottesverhältnis
Das Christentum als Erlösungsreligion versprach den Gläubigen ewiges Leben, das seinen Grund in der Auferstehung Jesu Christi hat. Dazu war es erforderlich, sich zu Jesus Christus als dem „Kyrios“ zu bekennen und sich taufen zu lassen, was faktisch einer grundlegenden Änderung des bisherigen Lebens gleichkam.
Für das junge Christentum stellte die Herkunft vom Judentum ein Problem dar, insbesondere, nachdem es sich von einer jüdischen Sekte zu einer eigenständigen, auch von außen erkennbaren Religion entwickelt hatte. Zwar grenzte sich das Christentum, wie schon die neutestamentlichen Schriften zeigen, von jüdischen Ritualen ab, hielt aber – trotz der Rolle Jesu Christi – mehrheitlich am Gott des Alten Testaments fest, indem man ihn weiterhin als den Schöpfer der Welt bekannte und die Person Jesu von Nazareth mit diesem Gott verband. Der Zusammenhang zwischen dem Gott des Alten Bundes und der Offenbarung des Neuen Bundes in Jesus Christus konnte in verschiedenen Denkmodellen zum Ausdruck gebracht werden. Eine grundlegende Idee war, das AT als Verheißung, das NT als Erfüllung zu verstehen, ein Denkmodell, das in unseren Gottesdiensten bis heute Nachhall findet. Das christliche Gottesbild verbindet Exklusivismus (nur in Jesus Christus hat man das neue Leben) und Universalismus (das Heil wird allen Menschen angeboten).
Da das Christentum vom Judentum den monotheistischen Gottesglauben übernommen hatte, wurde es im Laufe der Zeit für das Christentum notwendig zu klären, wie man sich das Verhältnis zwischen Gott (Vater), dem Sohn Jesus Christus und dem Heiligen Geist vorzustellen habe.
„Vorgefertigte Lösungen, auf die man hätte zurückgreifen können, gab es nicht, sie mussten erst mühsam errungen werden durch die Auseinandersetzung mit den eigenen (biblischen) Traditionen und der Zuhilfenahme von Verstehensmodellen, die die Umwelt des Christentums für metaphysische Fragen bereithielt. Dass es dabei zur Konkurrenz divergierender Entwürfe und immer wieder zu erbittertem theologischem Streit kam, ist nur aus der Perspektive einer längst etablierten und selbstverständlich gewordenen Trinitätslehre erstaunlich.“38
Versucht man, das Problem auf seine elementaren Strukturen zurückzuführen, so kann man zwei Denkmodelle unterscheiden, die sich jeweils wieder in unterschiedliche Spielarten ausdifferenziert haben. Das eine – einfachere – Modell ist der so genannte Monarchianismus. Die Vertreter dieser Position, namentlich zu erwähnen sind beispielsweise Sabellius und Praxeas, halten an der Einzigartigkeit des einen Gottes in der Weise fest, dass sie sagen konnten, dass der Gott des AT in Jesus Christus als Mensch erschienen ist, der uns aufgrund seines Leidens erlöst hat. Da in den meisten Konzepten der Sohn Jesus Christus als eine Erscheinungsweise Gottes dargestellt wurde, nennt man diese Position auch Modalismus.
Das andere Denkmodell macht Anleihen bei der platonischen Philosophie, indem zwischen dem transzendenten (jenseitigen) Gott und seinem Logos Jesus Christus, der den Willen Gottes in die Heilsgeschichte vermittelt, unterschieden wird. Der erste bedeutende Vertreter dieser Position war Justin, die Position wird Logoschristologie genannt. Dieser Denkansatz war wesentlich komplexer, vor allem aber in gebildeten Kreisen anschlussfähiger wegen der Nähe zu philosophischer Denktradition. Allerdings warf dieser Ansatz andere Probleme auf, da er die gleiche Terminologie wie gnostisch geprägte Theologen verwandte. Der Theologe Tertullian legte einen weiter entwickelten Entwurf vor, der trinitätstheologisch zwischen Gott Vater – Sohn – Heiligem Geist unterscheidet, die Einheit jedoch gewahrt wissen will, indem er von einer gestuften Ordnung Gottes ausgeht. Die Vorstellung von drei Personen in Gott taucht erstmals bei Origenes auf, der von so genannten Hypostasen sprach, deren Einheit vor allem im Willen verankert war. Sein Verdienst war der weiterführende Gedanke, dass Jesus Christus zwar Logos ist, aber als solcher gleich ewig mit Gott, d. h. faktisch ganz Gott.
Vor allem im 3. Jahrhundert rangen die Christen um das Gottesverständnis; die Frage beschäftigte nicht nur die intellektuellen Theologen, sondern jede Christin und jeden Christen, da an der Beantwortung der Frage letztlich die Wirksamkeit des Erlösungswerkes Jesu Christi für die Menschheit hing.
Somit zeigt sich auch in dieser theologischen Auseinandersetzung der Grundzug des christlichen Gottesbildes und der Beziehung zwischen Gott und Mensch, die man vielleicht als radikal im Wortsinn bezeichnen kann. Die endgültige Offenbarung in Jesus Christus erfordert radikale Umkehr des Menschen und nötigt zur Entwicklung einer grundlegenden Theologie, die das Heilsgeschehen zu fassen vermag.
2.1.2 Binnenverhältnis
Die frühen christlichen Gemeinden entfalteten von Beginn an ein spezifisches Selbstverständnis, das sich aus dem Bewusstsein speiste, dass mit der Auferweckung Jesu Christi eine neue Zeit angebrochen war, die es entsprechend der damit verbundenen Hoffnungen zu (er)füllen galt, nämlich durch Verkündigung und Mission sowie praktische Nachfolge (Diakonie). Von Kirche im Singular kann in dieser Frühzeit noch nicht gesprochen werden, wenn man darunter eine dogmatisch fixierte Institution versteht. Vielmehr ist das frühe Christentum durch eine große Pluralität gekennzeichnet, z. B. in Hinblick auf Liturgie, Mahlfeier und Bekenntnisformeln. Diese vor allem regional begrenzten pluralen Lebensformen des Christlichen erfuhren bis zum Ende des 3. Jahrhunderts Konzentrationsprozesse, die deshalb möglich waren, da es bei aller Pluralität eine theologische Mitte gab...