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E-Book

Teflon, Post-it und Viagra

Große Entdeckungen durch kleine Zufälle

AutorMartin Schneider
VerlagWiley-VCH
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl229 Seiten
ISBN9783527663033
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR


Martin Schneider, 1960 in Hildesheim geboren, studierte Philisophie, Biologie und Germanistik in Aachen, Wien und Münster. Statt ins Lehramt drängt es ihn nach dem Examen im Jahre 1988 in den Wissenschaftsjournalismus, unterstützt durch ein Stipendium der Robert-Bosch-Stiftung. Nach zwei Jahren Tätigkeit in der Pressestelle der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Bonn arbeitete er als freier Wissenschaftsjournalist für verschiedene Zeitungen, Zeischriften und Fernsehsender, zunächst schwerpunktmäßig für den Norddeutschen Rundfunk in Hamburg. 1995 wechselte er in die Wissenschaftsredaktion des Süddeutschen Rundfunks in Mannheim. Die Fusion von SDR und SWF führte ihn nach Baden-Baden, wo er heute die Fernseh.Wissenschaftsredaktion des Südwestdeutschen (SWR) Rundfunkts leitet. Seine Filme wuren mehrfach ausgezeichnet, u. a. mit dem Achema-Fernsehpreis und dem Deutschen Wirtschaftsfilmpreis.

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Leseprobe

Einleitung


Inspiration, Transpiration und der vorbereitete Geist


Der amerikanische Chemiker Roy Plunkett hätte sich verärgert mit der Zwangspause abfinden können, die eine vermeintlich leere Gasflasche seinen Experimenten bescherte. Ebenso wäre es verständlich gewesen, hätte Alexander Fleming seine verschimmelten Bakterienkulturen einfach in den Müll geworfen, als er aus dem Urlaub zurück ins Labor kam. Dass sich beide näher mit dem vermeintlichen Missgeschick beschäftigten, bescherte der Menschheit so nützliche Dinge wie Teflon und Penicillin.

Plunkett und Fleming sind keine Einzelfälle. Seit grauer Vorzeit begleiten Anekdoten von Zufällen die Geschichte der Entdeckungen. Schon die Ägypter sollen das Bier zufällig dadurch erfunden haben, dass einige Brotreste in einen Wasserkrug fielen und dort vergoren, Archimedes bescherte bekanntlich eine überlaufende Wanne sein Heureka-Erlebnis und Newton brachte ein fallender Apfel auf sein Gravitationsgesetz. Die Spur des Zufalls zieht sich bis in unsere Zeit: Die Mikrowelle in der Küche, so wird berichtet, verdanken wir einem Techniker, dem vor einem Radargerät ein Schokoriegel schmolz und den Velcro-Klettverschluss einem Schweizer Erfinder, dem nach einer Wanderung hartnäckige Kletten an der Kleidung hafteten. Als erster Eindruck drängt sich auf: In der vermeintlich so rationalen Welt von Wissenschaft und Forschung scheint nicht immer alles nach Plan zu laufen.

Aber wie groß ist die Rolle des Zufalls in der Forschung tatsächlich – und wie groß ist der Anteil des Entdeckers, dem er zustößt? Will man es nicht bei dem oberflächlichen Eindruck belassen, Glück spiele in der Wissenschaft eine mindestens ebenso große Rolle wie Verstand, muss man näher hinschauen und die vielen Geschichten über Zufälle zunächst einmal grob „vorsortieren“. Wie nämlich schon die obigen Beispiele erahnen lassen, sind sie von recht unterschiedlicher Qualität. Da gibt es zum einen die „wissenschaftlichen Mythen“ à la Archimedes oder Newton: kaum überprüfbare, ausgeschmückte Berichte des Augenblicks, in dem jemand einen Einfall hat, angeregt durch irgendetwas in seiner Umgebung. Wo solche Einfälle herkommen, mag ein interessantes Feld der Psychologie sein; als außergewöhnlich allerdings kann man das „Haben von Einfällen“ schwerlich bezeichnen. In jedem kreativen Gewerbe, und bis zum Beweis des Gegenteils ist auch die Wissenschaft ein solches, sind ungewöhnliche Einfälle an der Tagesordnung. Die Liste ausgeschmückter Berichte solcher Einfälle ließe sich daher auch beliebig verlängern: James Watt beobachtet einen pfeifenden Wasserkessel und erfindet daraufhin die Dampfmaschine, August Kekulé bringt der Traum von einer sich in den Schwanz beißenden Schlange auf die ringförmige Struktur des Benzols, und John Dunlop bekommt die Grundidee zur Erfindung des Luftreifens durch einen Gartenschlauch. Ein Beweis dafür, dass in der Forschung das „Gesetz des Zufalls“ herrsche, sind derartige wissenschaftliche Mythen nicht.

Neben derartigen Legenden aber gibt es eine Fülle von Berichten über Zufälle in der Forschung, die sich nicht auf vom Baum fallende Äpfel oder überlaufende Badewannen reduzieren lassen. Auffallend viele große, oftmals nobelpreisgekrönte Entdeckungen waren nicht Ergebnis eines streng geplanten Forschungsprogramms; kleine Laborunfälle oder das unvorhersehbare Zusammentreffen zweier Ereignisse hatten die entscheidenden Weichen gestellt, unscheinbare „Dreckeffekte“ im Experiment, von aufmerksamen Forschern bemerkt, den richtigen Weg gewiesen.

Auch wenn Letztere dabei höchst selten nackt durch die Straßen ihrer Universitätsstadt liefen und „Heureka“ riefen, scheinen derartige Vorfälle ein wichtiges Element des wissenschaftlichen Fortschritts darzustellen; in verschiedenen Variationen nämlich treten sie quer durch die Wissenschaftsgeschichte immer wieder auf, wie schon ein grober Überblick zeigt.

Da findet man zunächst die Forscher, die nach einer bestimmten Sache lange vergeblich suchten, bis sich der Zufall einmischte und ihren Bemühungen den letzten „Kick“ gab. Charles Goodyear etwa war regelrecht besessen davon, Gummi anwendungstauglich zu machen; nach jahrelangem Experimentieren brauchte es aber doch eine glückliche Fügung, die ihn die Vulkanisation entdecken ließ. Louis Daguerre verfolgte über ein Jahrzehnt lang die Idee, Abbildüngen der Welt erstellen zu können, ehe ihm letztlich ein zerbrochenes Thermometer bei der Erfindung der Fotografie half. Und auch Alexander Fleming suchte nach einer bakterientötenden Substanz, auf die ihn dann erst eine zufällig ins Labor gewehte Pilzspore brachte.

Andere Forscher machten zufällig epochale Entdeckungen, obwohl sie nach ganz etwas anderem suchten. DuPont-Mitarbeiter Roy Plunkett etwa sollte eigentlich ein neues Kältemittel für Kühlschränke entwickeln und entdeckte Teflon, William Perkin suchte nach der Möglichkeit, Chinin künstlich herzustellen und erfand den ersten künstlichen Farbstoff, Mauvein, und Johann Friedrich Böttgers Versuche, Gold zu machen, führten auf verschlungenen Wegen zum Porzellan.

Und dann sind da noch die Grundlagenforscher, die eigentlich nach gar keiner konkreten Anwendung suchen, aber dennoch zufällig eine wichtige Entdeckung machen. Wilhelm Conrad Röntgen zum Beispiel wollte gar nichts „entdecken“ – als theoretischen Physiker interessierte ihn ein eigentümliches Leuchten, das bei einer bestimmten Art von Strahlung auftrat; und Karl Ziegler, der mit einem neuen Herstellungsverfahren für Polyethylen das Kunststoffzeitalter einläutete, hat stets „ganz frei gearbeitet, um die Erkenntnisse der Chemie zu mehren“, wie er betonte. Er wollte einfach bestimmte Vorgänge bei der Katalyse besser verstehen.

Wichtiger als die Unterschiede dieser verschiedenen Zufalls-Spielarten in der Forschung aber sind ihre Gemeinsamkeiten, und die ziehen sich wie ein roter Faden durch die einzelnen Kapitel dieses Buches. So wird etwa schnell deutlich werden, dass es sich nie um wirklich „blinde Zufälle“ handelt. Der Wissenschaftsbetrieb ist alles andere als eine große Lotterie, in der mal der eine, mal der andere das große Los zieht. Keinem der vom Zufall beglückten Forscher ist seine Entdeckung einfach in den Schoß gefallen, in den er seine Hände in Erwartung einer glücklichen Fügung schon lange zuvor gelegt hatte. „Der Zufall begünstigt nur einen vorbereiteten Geist“, bringt es der französische Chemiker Louis Pasteur auf den Punkt, und die Geschichten in diesem Buch werden zeigen, was das im Einzelnen bedeutet. Ähnlich wie das biblisch-sprichwörtliche Samenkorn auf fruchtbaren Boden fallen muss, um zu keimen, braucht der Zufall Rahmenbedingungen, um zu einer Entdeckung zu werden. Sicher nicht zufällig waren die Wissenschaftler, denen das Glück hold war, in aller Regel Experten auf ihrem Gebiet, besessene Arbeiter, mit täglichen Arbeitszeiten, bei denen eigentlich die Berufsgenossenschaft hätte einschreiten müssen. Sie haben mühsam, durch oft jahrelange Arbeit, den Boden bereitet, auf dem der Zufall erst zur Entdeckung gedeihen konnte. Das Wort vom „Glück des Tüchtigen“ scheint selten so angebracht wie hier. Nur wer sein Gebiet in- und auswendig kennt, kann zum Beispiel eine Unregelmäßigkeit im Versuchsablauf überhaupt als solche erkennen, die den Keim für eine völlig neue Sicht der Dinge in sich bergen kann.

Die Aufmerksamkeit vermeintlich unwichtigen Nebensächlichkeiten gegenüber ist ein weiterer verbindender Charakterzug der Forscher, die eine „Begegnung der zufälligen Art“ hatten. „Entdeckung bedeutet zu sehen, was jeder gesehen hat, aber zu denken, was noch keiner gedacht hat“, definierte Medizin-Nobelpreisträger Albert Szent-Gyorgyi, womit er ein allgemeineres Wort des Physikers Georg Christoph Lichtenberg präzisierte: „Die Neigung der Menschen, kleine Dinge für wichtig zu halten, hat sehr viel Großes hervorgebracht.“

Zu einem wachen Geist und einer unbändigen Neugier, ohne die im Forschungsbetrieb ohnehin niemand weit kommt, muss aber noch etwas kommen, um aus einem glücklichen Zufall eine Entdeckung werden zu lassen. Um im biblisch-agrarischen Bild zu bleiben: Der gut vorbereitete Boden und der Samen, der zu keimen beginnt, sind nur der Anfang. Die zarten Keimlinge brauchen jede Menge Hege und Pflege, damit aus ihnen eine widerstandsfähige, fruchttragende Pflanze werden kann. „Entdeckung ist ein Prozent Inspiration und 99 Prozent Transpiration“, besagt ein geflügeltes Wort. Glück und Zufall sind in der Regel nur an dem einen Prozent „Inspiration“ beteiligt. Jede Menge mühsame, oft wenig kreative Arbeit ist nötig, um die Idee „umzusetzen“, zur Anwendungs“reife“ zu bringen. Auch wenn dies den Beruf des Wissenschaftlers für manchen angehenden Gelehrten, der sich ein...

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