II WARUM MEDIENARBEIT IM EIGENEN HAUS BEGINNEN MUSS
„Ich glaube, dass die meisten Menschen besser gekannt werden, als sie sich selber kennen.“
Georg Christoph Lichtenberg (1741 – 1799)
Überblick
Die Notwendigkeit, zunächst das eigenen Haus auszukundschaften,
Mittel und Methoden der Recherche kennen lernen, die für das Zusammentragen von Informationen jeder Art nützlich sind,
Zahllose Sachverhalte und Themen entdecken, für die sich die Medien interessieren sollen,
Empfehlung: Medienarbeit strategisch planen, klare Ziele formulieren, Zielgruppen deutlich werden lassen und die professionellen Mittler auf dem Weg zu ihnen besser kennen lernen: die Journalisten
1 Recherche ist das A und O
Blinder Aktionismus ist selten empfehlenswert – in der Medienarbeit überhaupt nicht. Vor dem ersten Telefonat mit einer Redaktion und vor der ersten Presseaussendung sollte eine detaillierte Recherche stehen. Ihr Gegenstand ist die eigene Institution, der Arbeitgeber, über den die Medien berichten sollen.
Für Mitarbeiter in PR-Agenturen ergibt sich diese Rechercheaufgabe naturgemäß bei jedem neuen Kunden. Für Neulinge in einer Pressestelle ist es daher unerlässlich, das eigene Unternehmen (die Institution) detailliert kennen zu lernen. Hilfreich ist es in jedem Fall, zunächst alle zur Verfügung stehenden Dokumente, Publikationen, Organigramme, Prospekte und Broschüren aufmerksam zu lesen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Darüber hinaus ist es ratsam, auch die strukturelle und hierarchische Einbindung des eigenen Arbeitsplatzes „Pressestelle“ genau zu definieren.
Informationen sind für PR Leute, was Juristen eine Holschuld nennen: Es bleibt eine zentrale Aufgabe für PR-Leute, sich kontinuierlich Informationen selbst zu besorgen, die möglicherweise tauglich für die Medien wären. Das Material wird eine Fülle von Ansatzpunkten für die künftige Medienarbeit bieten. Die Informationen über das Unternehmen, seine Mitarbeiter, die wirtschaftlichen Daten, Produkte und Leistungen, das Umfeld, den Markt etc. führen fast automatisch zu Themen für Informationsangebote an die Medien.
Voraussetzung ist allerdings, dass diese fast „kriminalistische“ Arbeit beharrlich, ehrlich und selbstkritisch erfolgt. Diesen Rat bekommen auch Journalisten in der Ausbildung, wenn sie eine Recherche angehen sollten. So erleben angehende PR-Mitarbeiter selbst, was neugierige und erfahrene Journalisten stutzig machen würde. Manche Information kommt nur zäh und lückenhaft daher, manches Faktum entpuppt sich als Phantasie. Sind die erhaltenen Informationen widersprüchlich oder bleiben sie nebelhaft, lohnen sich kritische Fragen:
Die Pressesprecherin eines Konzerns im Umbruch stand vor unerwarteten Aufgaben: Die vom Vorstand verabschiedete neue Struktur verknüpfte Unternehmensteile, Standorte und Mitarbeiter in völlig neuer Weise. Das neue Organigramm konnte allenfalls eine Ahnung vermitteln, wer zu den zahlreichen Neuerungen kompetent Informationen liefern konnte. Erst nach und nach wurden die Themen und Sachverhalte bekannt, von denen die Öffentlichkeit erfahren sollte. Und ebenso unklar blieb zunächst, dass der Konzernumbau an einem Ort vermutlich für öffentlichen Ärger – und damit für ungewolltes Medieninteresse – sorgen würde: Der neuen Struktur sollten zahlreiche Arbeitsplätze zum Opfer fallen, und das in einer ohnehin strukturschwachen Region. Rechtzeitig erkannt, konnte die Sprecherin dem Vorstand den drohenden Imageverlust signalisieren und geeignete Argumente für die zu erwartende öffentliche Diskussion entwickeln.
Recherchieren wie ein Journalist
Die Informationsgesellschaft führt zu einem rasanten Datenumschlag rund um den Globus. Es ist eine paradoxe Situation eingetreten: Niemals war eine solche Fülle an Informationen für den einzelnen verfügbar – und nie zuvor konnte er sich weniger sicher sein, über die richtigen zu verfügen. Das Wissen, das seinem Besitzer Vorteile verschaffen kann, ist unter einem gewaltigen Berg von Datenschrott und Informationsmüll verborgen.
Die Recherche – das Sammeln und Überprüfen von Informationen – ist das A und O journalistischer Arbeit. Schon weil sie Gegenstand einer journalistischen Recherche werden können, sollten auch Öffentlichkeitsarbeiter etwas von diesem Handwerk verstehen. Dabei geht es weniger um Tricks und Kniffe am Rande des Erlaubten, als vielmehr um die richtige Einschätzung der Situation. Journalisten „ermitteln“ nicht, sie stellen legitime Fragen im Auftrag einer interessierten Öffentlichkeit. Andererseits hat jeder Mensch, jedes Unternehmen und jede Organisation das Recht, zu große Neugier mit dem Hinweis auf rechtliche oder moralische Grenzen zu stoppen.
Recherche ist heute weitgehend die Aufgabe, die Spreu vom Weizen zu trennen. Der verdeckt recherchierende Journalist aus Kolportageromanen älteren Datums, der unter Lebensgefahr das große Komplott aufdeckt, ist eine hoffnungslos altmodische Vorstellung. Der zeitgenössische Rechercheur arbeitet in einem Dienstleistungsberuf und schafft seine Arbeit mit Internetanschluss, Satellitenantenne, Telefon und guten Kontakten zu vielen Menschen. In PR- und Werbeagenturen, von professionellen Trendbeobachtern, durch Mitarbeiter von Verbänden und Komitees wird heute mehr Rechercheaufwand betrieben als von Journalisten.
Grundsätzliches und Tipps für eine gründliche Recherche
Der Vorwurf, einen Sachverhalt nicht ausreichend recherchiert zu haben, kann den Job kosten. Recherchieren im PR-Auftrag heißt, die Faktenplattform für eine Analyse zu errichten, auf der wiederum alle Lösungsansätze beruhen. Wer unzureichend oder gar falsch informiert ist, kann nicht die richtigen Schlüsse ziehen. Das kann teuer werden.
Eine gründliche Recherche beginnt mit der Eingrenzung des Themas. Das hilft, um sich nicht in einem Dickicht von Informationen zu verlaufen. Dennoch kann – insbesondere wenn das Thema ganz fremd erscheint – eine ungerichtete Vorrecherche sinnvoll sein, um sich einen Überblick über die Komplexität des Themas zu verschaffen. Ziel sollte dabei sein, einen neuen und originellen Ansatz zu finden, um von dort aus zum eigentlichen Thema vorzustoßen. Die Vorrecherche hilft abzuschätzen, wie kompliziert die eigentliche Wissenssammlung werden wird.
Ein Rechercheplan kann helfen, die Arbeit sinnvoll zu organisieren: Wer weiß mehr, wo findet man, wie erreicht man kompetente Auskunftgeber, wer kann ersatzweise etwas sagen, wer kann die Informationen bestätigen, wer könnte womöglich widersprechen? Die meisten Recherchen entstehen unter Zeitdruck, also muss der Rechercheplan den Zeitaufwand für einzelne Schritte enthalten und gegebenenfalls erkennen lassen, was man streichen muss. Wenn Vor-Ort-Recherchen notwendig werden (zum Beispiel in einem Zweigwerk), sind Reisezeiten zu kalkulieren und logistische Fragen zu klären wie Unterkunft oder Fahr- und Flugpläne zu studieren. An welcher Stelle man zu fragen beginnt und wie man sich von A zu B zu C durchfragt, ist eine strategische Entscheidung. Schließlich sollte der Rechercheplan erkennen lassen, wie teuer die Erkundung wird – dann muss man den Aufwand möglicherweise verringern.
Grundsätzlich steht die Reihenfolge einzelner Rechercheschritte allerdings fest:
Vorrecherche – eigenen Wissensstand überprüfen
Basisrecherche – Literatur-, Archiv- und Datenbankrecherchen, Auswertung von Statistiken und Umfragen
Überprüfungsrecherche/Expertenrecherche – Fragen an Sachverständige
Zusatzrecherche – Fragen an Ämter, Pressestellen, Entscheider
Gegenrecherche – Fragen an Betroffene
Konfrontation – Rückfragen bei Ämtern, Pressestellen, Entscheidern; Gegenüberstellung mit Ergebnissen der Gegenrecherche
So wird der Rechercheur von Stufe zu Stufe informierter und wird aus den verschiedenen Befragungsrunden tragfähige Schlüsse ziehen können. Wohlgemerkt: so arbeiten Journalisten, wenn sie ihre professionellen Recherchen machen. Jedem Öffentlichkeitsarbeiter sei geraten, seinen eigenen Arbeitgeber auf die gleiche Weise zu erkunden.
Wichtigstes Recherche-Instrument ist das Telefon
Der Vorteil der Basisrecherche in Archiven, Bibliotheken und Datenbanken besteht darin, dass man Gesprächspartnern bereits brauchbar informiert gegenübertritt und gezielt die richtigen Fragen stellen kann. Das spart nicht nur Zeit – es erlaubt auch ein Urteil darüber, ob jemand glaubwürdige Aussagen macht. Wenn man beim Telefongespräch mit einer Unternehmensabteilung die entscheidenden Fragen nicht stellen kann, weil das notwenige Vorwissen fehlt, bekommt man im Zweifel nur soviel zu wissen, wie die Mitarbeiter dort preisgeben möchten – das muss nicht die ganze Wahrheit sein. Es ist in vielen Unternehmen, Verbänden wie Institutionen noch keineswegs üblich, dass die PR-Abteilung immer alles erfährt.
Widersprüchliche Aussagen kann man nach der Ping-Pong-Methode zu klären versuchen: Man konfrontiert Gesprächspartner A mit der Aussage von B; den ruft man dann erneut an und erbittet eine Stellungnahme...