Yes we can
Paradoxien der Führung und ihre Auflösung durch Repräsentation
Gedanken über Führung von Jürgen Schulz
Das berühmte Frontispiz von Thomas Hobbes staatstheoretischer Schrift Leviathan illustriert Führung als ein Verhältnis von Herrscher und Untertanen. Im Detail des Kompositkörpers erkennt man die inkorporierten Untertanen, die dem Haupt des übermächtigen Souveräns zugewandt sind. Herrscherkörper und Untertanen bilden gemeinsam eine Korporation. Der König ist also gleichzeitig das Volk – „Rex est populus“.
Aus heutiger Sicht mag diese absolutistische Vorstellung von Führung befremdlich wirken, obwohl der Wahlspruch des amerikanischen Präsidenten Barack Obama, „Yes we can“, so gedeutet werden könnte. Bemerkenswert ist, wie durch ein sinnlich wahrnehmbares Bild ein komplexer staatsrechtlicher Zusammenhang sichtbar gemacht wird. Dagegen tun sich viele Unternehmen aktuell schwer damit, eine Bedeutungsrelation zu erzeugen, um Abstraktes und Ideelles zu vermitteln. Gerade der in der Diskussion um Leadership häufig geäußerte Anspruch des Visionären setzt aber diese Fähigkeit voraus, will man sich nicht dem gern zitierten Diktum des Altbundeskanzlers Helmut Schmidt beugen: „Wer Visionen hat, sollte lieber gleich zum Arzt gehen!“
Mein Eindruck ist, dass wir in einer durch Rationalität und Funktionalität geprägten Diskussion über Führung und Management Paradoxien übersehen, wie die gleichzeitige Notwendigkeit und Unmöglichkeit der Repräsentation von Führung. Die Unmöglichkeit der Führung beginnt damit, dass den Führungskräften und Mitarbeitern häufig gar nicht mehr bewusst ist, was das Unternehmen repräsentiert oder repräsentieren soll. Welche Führungskraft vermag es noch, eindrücklich darzustellen, was der Welt fehlen würde, wenn es das Unternehmen oder den Organisationsbereich, den sie vertritt, morgen nicht mehr gäbe?
Da es hierbei um Vermittlungsprobleme geht, bei denen deduktive Argumentationen immer wieder an Grenzen stoßen, erscheint die Repräsentation als ein Modus der Kommunikation, der über die Faszination im Erleben des Adressaten eine Gewissheit induziert, unverzichtbar.
Führung – begrenzt rational
Auf den ersten Blick ist Wirtschaft eine rationale Angelegenheit, die sich durch die Verhältnisse von Angebot und Nachfrage, Input und Output, Einnahmen und Ausgaben bzw. Gewinn und Verlust regelt und dadurch berechenbar erscheint. Jedenfalls neigen Wirtschaftswissenschaftler dazu, den wissenschaftlichen Anspruch vornehmlich durch mathematisches Kalkül oder zumindest Zahlen zu belegen.
Ein wesentliches Prinzip ist dabei das Rationalitätsprinzip. Danach wird dem Menschen die Eigenschaft unterstellt, Entscheidungen durch Abwägen, Messen und Vergleichen alternativer Optionen so treffen zu können, dass ein optimales Ergebnis dabei herauskommt. Solche Entscheidungen, die zu messbar guten Ergebnissen führen, gelten als ökonomisch rational. Gleichzeitig wird aber der Mensch als psycho-physisches Subjekt und Störenfried des Rationalitätsprinzips in einer Als-ob-Konstruktion quasi aus dem Paradies vertrieben und damit aus den weiteren wissenschaftlichen Betrachtungen ausgeschlossen. Auch wenn also immer noch von einer Rationalität der Entscheidung gesprochen wird, weiß man auf der anderen Seite auch, dass sich der Mensch faktisch weder in der Rolle des Konsumenten noch in der Rolle des Managers wie ein Homo oeconomicus verhält. Mehr noch muss man sich nach der globalen Krise an den Finanzmärkten sogar die paradoxe Frage der Letztbegründung gefallen lassen, ob Wirtschaft überhaupt wirtschaftlich ist.
Hervorzuheben ist auch die Entscheidungsparadoxie, mit anderen Worten die gleichzeitige Notwendigkeit und Unmöglichkeit des Entscheidens. Entscheidungen sind nämlich konsequent gedacht nur dann notwendig, wenn sie eigentlich unmöglich sind, denn jeder zwangsläufige Entscheidungsverlauf, den zum Beispiel die Managementlehren vorgeben, muss im Grunde gar nicht entschieden werden, weil er längst vorbestimmt ist. Echte Entscheidungen stehen im Angesicht einer ungewissen Zukunft, wenn die Unmöglichkeit darin besteht, dass die üblichen Entscheidungsverfahren der Betriebeswirtschaftslehre zu keinen Lösungen führen und Entscheidungen trotzdem irgendwie getroffen werden müssen.
In einem anderen Zusammenhang hat Clausewitz auf zwei wesentliche Aspekte von Entscheidungsprozessen aufmerksam gemacht – den Genius der Urteilskraft und die Friktion (heute im Zusammenhang der Organisationskommunikation auch als Issue bezeichnet) – und damit bereits auf die begrenzte Rationalität in der Entscheidungsfindung hingewiesen: „Man scheint mit der Wahl immer noch nicht entschieden zu sein und nicht recht zu wissen, aus welchen Gründen entschieden werden soll, so einfach die Sache auch ist.“
Besonders in Krisen erhöht sich dieses Entscheidungsproblem für die handelnden Akteure. Doch obwohl solche Ausnahmezustände Organisationen lähmen, bezeichnen sie dennoch keine endgültigen Zustände. Es müssen für die betroffene Organisation noch Handlungsmöglichkeiten existieren, auch wenn diese eine ungewohnte Herausforderung darstellen, für die es meist noch keine Programme und Routinen in Form von etablierten Verfahren gibt. Für den „Krisenmanager“ ergeben sich dabei Entscheidungsfreiräume, die in Bürokratien, wo Entscheidungen ja sonst entpersonalisiert werden, nicht möglich sind.
Allerdings erwartet die Öffentlichkeit in Krisen auch solche Entscheidungen, so dass die Freiräume zur Entscheidungsfindung meist erst durch den massiven öffentlichen Erwartungsdruck entstehen. Im Krisenfall erwartet die Öffentlichkeit personale Entscheidungen und reagiert mit Empörung, wenn weiter bürokratisch (nicht) entschieden wird. Die Folge ist nicht nur für den Krisenfall, dass Organisationsleistungen zunehmend auf Persönlichkeiten, die somit als Führungskräfte eine Organisation als Ganzes repräsentieren, zugerechnet werden. Gerade durch den zunehmenden Zweifel an der Rationalität von ökonomischen Entscheidungen gewinnen Personen in der Wirtschaft an Bedeutung. Führungskräfte stehen zum Zweck der nichtrationalen Plausibilisierung im Mittelpunkt des Interesses, und in der Außenkommunikation geben die Massenmedien den anonymen Organisationsgebilden ein Gesicht, und an diesem Gesicht hängt ein ganzer Mensch als zurechenbarer Entscheidungsträger.
Who can – Führungskörper
In Bezug auf eine juristische Streitfrage des Hochabsolutismus beschreibt Kantorowicz „die zwei Körper des Königs“. Eine kurze Textpassage verdeutlicht den Zusammenhang, der uns auch schon eingangs am Beispiel des Frontispiz von Thomas Hobbes Leviathan beschäftigte: „Der König hat zwei Kapazitäten, denn er hat zwei Körper, von denen der eine ein natürlicher Körper ist, der aus natürlichen Gliedern wie bei jedem anderen Menschen besteht, und in diesem Körper unterliegt er den Leidenschaften und dem Tod wie andere Menschen: der andere ist ein politischer Körper, dessen Glieder seine Untertanen sind, und er zusammen mit seinen Untertanen bilden eine Korporation.“ Diese Unterscheidung lässt sich leicht auf Unternehmen übertragen: Kapitalgesellschaften sind juristische Personen, die rechtserheblich tätig werden können. Hinter den Organen einer Aktiengesellschaft, zum Beispiel dem Vorstand, fungieren selbstverständlich natürliche Personen. Nur am Rande sei erwähnt, dass in den Rechtswissenschaften die Frage seit langem strittig ist, ob die juristische Person mit einer natürlichen Person gleichzusetzen ist oder nur ein Konstrukt und damit ein rein fiktiver Zurechnungspunkt.
Führungskräften in der Wirtschaft muss man unterstellen, dass sie im Gegensatz zu Politikern kein funktionales Interesse haben, im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen. Das Konstrukt der juristischen Person in Kapitalgesellschaften hat nicht nur den Vorteil, die Haftung zu beschränken. Es bietet dem Unternehmer auch die Möglichkeit, im wahrsten Sinne des Wortes im Schatten der juristischen Person zu agieren. Um diesen Schatten aufzuhellen und um bedeutsamer zu erscheinen, verfiel man auf die Idee, natürliche Personen durch die Konstrukte der Marken- und Unternehmenspersönlichkeit zu ersetzen. Dabei werden einem Wirtschaftsgut oder einer Organisation menschliche Eigenschaften zugeschrieben. In der Regel wird dieser Anthropomorphismus eingesetzt, um zum Beispiel die abstrakte Identität einer Organisation mit Leben zu füllen.
Kritisch gewendet kommt Joel Bakan zu dem Ergebnis, dass sich die meisten Konzerne, verstanden als juristische Personen, nach den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation wie klinische Psychopathen verhalten. Bei Marken- hat der Anthropomorphismus die Funktion, die ursprünglich persönliche Vertrauensbeziehung zwischen natürlichen Personen, Kaufmann und Kunde bzw. Mitarbeiter und Chef etc. zu ersetzen. Da im Zeitalter der Massenproduktion die Beziehung zwischen Kunde und Unternehmer unmöglich geworden ist, treten so an die Stelle natürlicher Personen sogenannte Markenpersönlichkeiten. An fiktiven personifizierten Markenrepräsentationen wie Dittmeyer, Dr. Best oder Uncle Ben’s ist dieser Übergang von natürlichen zu imaginären Persönlichkeiten noch deutlich erkennbar.
Darüber hinaus ist die Markenpersönlichkeit eine plausible Metapher der Werbewirtschaft. Denn nach Meinung vieler Marketingexperten menschelt es: „Die Übereinstimmung von menschlichen und Marken-Persönlichkeiten können bis zu einer Personifizierung der Marken mit realen oder virtuellen Persönlichkeiten führen.“ Würde man diese Position ernst nehmen, müsste man sich mit Joel Bakan nicht nur um die Unternehmens-, sondern auch um die meisten Markenpersönlichkeiten und ihre...