II Die Organisationsform als „das Zuhause“ für den Führungsalltag
Es gibt unterschiedliche Arten, wie ein Unternehmen aufgebaut sein kann, und jedes Unternehmen muss sich für eine Organisationsform entscheiden. Aus der jeweiligen Organisationform ergibt sich automatisch eine Aufbau- und Ablauforganisation. Die jeweilige Aufbau- und Ablauforganisation bildet für Sie als Führungskraft eine der Rahmenbedingungen für Ihren Führungsalltag und hat somit Auswirkungen auf Ihr Führungshandeln. Wie kam es zu den heute existierenden Organisationsformen, und was bedeuten sie für Ihren Führungsalltag?
Organisationsformen wurden im vergangenen Jahrhundert relevant, da die Unternehmen gewachsen sind. Vor über 100 Jahren gab es nur wenige große Unternehmen. Durch die gelebte Marktwirtschaft erhielt die Form der Organisation Bedeutung. Unternehmen begannen Produkte zu entwickeln und zum Beispiel Automobile oder Maschinen zu bauen. Um die Erzeugnisse in einer großen Anzahl auf dem Markt verfügbar zu machen, benötigten die Unternehmen Menschen – in manchen Fällen sehr viele Menschen. Der Taylorismus war zu dieser Zeit ein gefragter Ansatz. Frederick W. Taylor gestaltete die Arbeit kleinteilig und standardisierte sie in hohem Maße. Das führte unter anderem zu der bekannten Arbeitsform der Fließbandarbeit. Diese verfolgte das Ziel, große Mengen von Produkten in einer gleichen Qualität herzustellen, und schaffte somit Multiplizierbarkeit bei der Herstellung der Waren. Die Aufgabe der Menschen bestand darin, bestimmte Tätigkeiten mechanisch und genauso auszuführen, wie es ihnen vorgegeben wurde. Diese Form der Arbeit wäre heute undenkbar. Menschen sind keine Maschinen. Menschen müssen einen Sinn in ihrem Tun sehen und wollen sich in den meisten Fällen in die Geschäftsprozesse, also in die Arbeitsabläufe, einbringen.
Aus dieser Entwicklung für den Aufbau von Unternehmen ist als erstes die Linienorganisation entstanden. Eine Vielzahl von Menschen musste koordiniert werden. Seit den siebziger Jahren nahm die globale Tätigkeit der Unternehmen stark zu und die Matrixorganisation gewann an Bedeutung. Ihr Ziel bestand darin, die Größe des Unternehmens weiterhin steuern zu können. Sowohl die Menge der Menschen als auch die Wertschöpfungsschritte mussten koordiniert werden.
Heute sind vielfach die Linienorganisation und die Matrixorganisation bei mittelständischen und großen Unternehmen anzutreffen. Die Komplexität eines Unternehmens lässt sich heute jedoch nur noch begrenzt abbilden. Märkte und Erwartungen sind in den einzelnen Ländern zu unterschiedlich. Zudem ergibt sich aus der Marktsicht von heute, dass es nur noch um folgende Dreier-Verkettung geht. Der Kunde hat einen Bedarf oder der Bedarf wird geweckt, das Unternehmen erstellt ein Produkt oder bietet eine Dienstleistung an, und der gleiche Kunde ist wieder der Abnehmer des Produktes oder der Dienstleistung.
Die unternehmerisch sinnvolle Antwort auf diese Dreier-Verkettung ist die Organisationsform der Geschäftsprozessorganisation. In der Reinform ist die Geschäftsprozessorganisation kaum vorzufinden, da Unternehmen von Menschen gebildet werden. Ein Wandel von einer anderen Organisationsform zu einer Geschäftsprozessorganisation würde unter anderem bedeuten, bestehende Hierarchien zu ändern bis hin zur nahezu kompletten Auflösung der Hierarchie. Dies würde wiederum Machtverlust bedeuten. Eine vollständig gelebte Organisationsform mit dem sinnvollen Ansatz der Geschäftsprozessorganisation inklusive einer Lösung für die heutigen Hierarchien und Machtverhältnisse haben wir in der Praxis noch nicht beobachtet. Die Konzepte dafür existieren jedoch bereits.
Die meisten Unternehmen leben heute eine Mischform aus einer Funktionsorganisation (wie in der Linien- und Matrixorganisation vorhanden) und einer Geschäftsprozessorganisation. Wie lange die Organisationsformen von heute, bei der ein Großteil der Menschen physisch im Unternehmen arbeitet, in Zukunft noch Bestand haben wird, wird sich zeigen. Es gibt selbstverständlich bereits heute virtuelle Organisationen. Rein virtuelle Organisationen sind bisher jedoch nur bei kleinen Unternehmen vorzufinden. Der Großteil der Unternehmen hat die Mehrzahl der Beschäftigten an festen Standorten. Ob sich das jemals komplett ändern wird, wird die Zukunft zeigen. Jedoch führen einige von Ihnen sicherlich bereits virtuelle Teams. Das bedeutet, dass sich Ihre Mitarbeiter nicht alle mit Ihnen physisch an einem Standort befinden, sondern sich auf mehrere Standorte weltweit verteilen. Unabhängig in welcher Organisationsform Sie „leben“, sie ist vorhanden und bildet für Sie eine Rahmenbedingung für Ihre Führung.
Im Folgenden betrachten wir die vier angesprochen Organisationformen Linien-, Matrix-, Geschäftsprozessorganisation und virtuelle Organisation hinsichtlich der Frage, was die Organisationsform für Sie in Ihrem Führungsalltag ermöglicht und was sie nicht bieten kann.
Führen in der Linienorganisation
Die klassische Linienorganisation lebt von einer klaren Regelung der Unterstellungsverhältnisse und Verteilung der Weisungsbefugnisse sowie der eindeutigen Abgrenzung der Kompetenzbereiche. Die Instanzenwege sind in der Regel lang und umständlich. Das Gesamtsystem ist relativ träge, und eine gewisse Starrheit ist im System vorhanden. Die Belastung der Zwischeninstanzen ist groß und wird größer, je mehr Hierarchieebenen vorhanden und je vielfältiger und komplexer die Aufgaben der nachgeordneten Stelleninhaber sind. Zwischeninstanzen fühlen sich oftmals ihrem direkten Vorgesetzten ausgeliefert, und die Mitarbeiter erscheinen unflexibel, da sie die Zusammenhänge nicht sehen. Die Mitarbeiter sehen zuerst nur ihre eigene Stelle oder Linie, nur ihr Team und ihren Arbeitsplatz. Die Verantwortung trägt immer der nächsthöhere Mitarbeiter, und somit ist der Mitarbeiter „nur“ zur Aufgabenerfüllung anwesend. Die Handlungsspielräume der Führungskräfte und Mitarbeiter sind eingeschränkt.
Abbildung 5: Die Linienorganisation
Das klingt erst einmal eher frustrierend als erfreulich. Jedoch können Sie als Führungskraft rahmenkonform handeln und gleichzeitig bleiben Ihnen in Ihrem Führungsalltag Räume, Verantwortungen zu delegieren und damit die Motivation und „Arbeitsfreude“ zu erhöhen. Die Linienorganisation hat auch Vorteile. Sie können relativ einfach klare Strukturen aufbauen, Zuordnungen geben und Schnittstellen klären. Die Berichtswege sind überschaubar und die Kommunikation läuft über vorgegebene Wege. In der Literatur herrscht vielfach die Meinung vor, dass sich viele Menschen genau in dieser Organisationsform sehr wohlfühlen. Unsere Praxiserfahrung zeigt jedoch etwas anderes.
Führen in der Matrixorganisation
Die Matrixorganisation entstand durch die Produktvarianten und die Diversifikation sowie die Internationalisierung und Globalisierung unserer Geschäftswelt. Die Matrixorganisation ist durch weniger Starrheit als die Linienorganisation gekennzeichnet, jedoch gibt es auch hier im täglichen Miteinander Reibungspunkte.
Die meisten Schwierigkeiten bestehen bei der Matrixorganisation aus Unklarheiten an den Schnittstellen. Die gleiche Arbeit wird nicht selten von zwei oder mehreren Mitarbeitern angegangen. Der Abstimmungsaufwand ist sehr hoch und die Verantwortungszurechnung ist häufig schwierig. Oftmals hat ein Mitarbeiter einen Fachvorgesetzten und einen Produkt- oder Länderverantwortlichen. Das heißt, der Mitarbeiter hat zwei oder mehr Vorgesetzte, und oft stellt sich die Frage, nach wessen Anweisungen der Mitarbeiter seine Arbeit ausführt. Weisungsbefugt sind in der Regel beide und das bringt Mitarbeiter oft in ein Dilemma. Wenn sich die Anweisungen oder Aussagen der beiden Vorgesetzten widersprechen, wird sich der Mitarbeiter eher nach dem richten, der objektiv oder subjektiv mehr Einfluss hat. Das führt nicht selten zu einem Machtkampf zwischen den beiden Führungskräften und endet oftmals in einer Verunsicherung aller Mitarbeiter.
Abbildung 6: Die Matrixorganisation
Was können Sie in Ihrem Führungsalltag tun, um die beschriebene Situation für Ihre Mitarbeiter und für sich selbst zu erleichtern? Eine Möglichkeit ist die Verbesserung der Zusammenarbeit mit den anderen Führungskräften. Jedoch ist hier wohl an erster Stelle die Machtfrage, im besten Fall für alle Beteiligten, zufriedenstellend zu klären. Weiter ist es möglich, „Letztentscheidungsinstanzen“ zu bilden. Das könnte jedoch die Einbindung oder die Bildung einer weiteren Führungsebene bedeuten. In der Praxis helfen am besten klare Prioritätensetzungen sowie die Bereitschaft, in angemessener Häufigkeit miteinander zu kommunizieren.
Führen in der Geschäftsprozessorganisation
Die Geschäftsprozessorganisation ist die Organisationsform, die aus der Logik der Marktwirtschaft „die Antwort“ auf die Frage nach einer sinnvollen Organisationsform ist. Gleichzeitig ist es schwierig, eine bestehende Organisation in eine Geschäftsprozessorganisation zu verändern, da sie ein Umdenken für alle bestehenden Funktionen und Tätigkeiten im Unternehmen erfordert. Von der Ablauf- über die Aufbauorganisation bis hin zu Führungs-, Macht- und Zusammenarbeitsfragen wird alles nach den Prozessen ausgerichtet. Hierfür ist das grundlegende Verständnis aller Mitarbeiter und Führungskräfte notwendig. Alle Mitarbeiter müssen die Zusammenhänge verstehen und sich darin wiederfinden. Ein prozessorientiertes Denken wird zum Alltag, und die Aufbauorganisation folgt der Ablauforganisation. Führungskräfte und Mitarbeiter müssen sich von der klassischen Organisationsform distanzieren und sich auf Prozesse,...