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Inka Government

Eine Elite verwaltet ihre Welt

AutorAlbert Stähli
VerlagFrankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783956010019
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis13,99 EUR
Sicher führen, auch in Zeiten des Umbruchs: Was Staat und Wirtschaft von den Inka lernen können. Pisa-Studie, Finanzkrise, Fachkräftemangel - Diese Begriffe bestimmen nicht nur das defizitäre Bild unserer Gesellschaft, sondern lassen gleichzeitig die Frage nach Verantwortung und einer starken, qualifizierten Führung laut werden. Dass der Blick in diesen unsicheren Zeiten auf die längst versunkene Hochkultur der Inka fällt, mag auf den ersten Blick vielleicht verwundern. Sicher ist jedoch, dass ihre herausragenden Leistungen in Agrar-, Kultur- und Herrschaftstechniken einen Lebens- und Führungsstil ermöglichten, der stets das Wohl der Gemeinschaft gewährleisten konnte. Bereits mit dem ersten Band Maya Management lieferte Albert Stähli wichtige Aspekte für die laufende Bildungsdebatte. Und auch in diesem Buch steht das Thema Elite und Elitenförderung erneut zur Diskussion. Ganzheitliches Denken, Innovationsfreudigkeit und Sensibilität für schwache Signale sollen, am Beispiel des Viervölkerstaats der Inka, wichtige und vor allem neue Impulse für die laufende Bildungs- und Weiterbildungsdebatte liefern. Lesen Sie warum ein Defizit im Feld der sozialen Kompetenzen ein Ausschlusskriterium für die wirklichen Führungseliten von heute sein muss, weshalb Hierarchie gesellschaftlichen Nutzen stiften kann und weshalb Führungskräfte nur dann gut sind, wenn sie ihre Verantwortung für die Gesellschaft ernst nehmen.

Albert Stähli ist Dr. rer.soz.oec. und Gründer der Graduate School of Business Administration (GSBA) in Zürich und Horgen am Zürichsee. Als anerkannter Experte für Management-Andragogik und passionierter Weltentdecker interessieren ihn ganz besonders die Bildungskulturen in den untergegangenen Sonnenkönigreichen.

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Leseprobe

KAPITEL 1

Lügen für Papst und König

Warum die Geschichte der Inka umgeschrieben werden muss

Wir schreiben das Jahr 1532. Zum zweiten Mal geht der spanische Seefahrer Francisco Pizarro mit knapp zwei Hundertschaften sturmerprobter Männer an der südamerikanischen Pazifikküste an Land. Doch anders als bei seinem ersten Besuch sieben Jahre zuvor will er diesmal bleiben und das Land entdecken. Noch wissen Pizarro und seine Männer nicht, dass sie das Reich der Inka betreten – den größten Staat des Kontinents. Seit zweihundert Jahren herrschen die Nachfahren der Sonne, so ihr ethnisches Selbstverständnis, über weite Teile des heutigen Ecuador, Peru, Chile und Bolivien. Mit dem Auftritt der streng religiös inspirierten Europäer erstrahlt die am Rand der bekannten Welt gelegene Bühne erstmals im Licht der Weltgeschichte.

In den darauffolgenden Jahren werden Tausende Ehre und Schätze suchende Abenteuerer, vom katholischen, dem „einzig rechten“ Glauben beseelte Priester und nach literarischem Ruhm heischende Chronisten in das gewaltige Land zwischen Amazonasgebiet und Pazifik strömen. In zahllosen Schriften und Zeichnungen berichten sie den Menschen in der Alten Welt von Göttern, Gräueln und dem gewaltigen Goldvorrat des indigenen Volkes. Doch schon ein halbes Menschenleben nach dem Tode des letzten Inka-Herrschers ist das einst große Volk nahezu ausgelöscht. Mit ihm in die Vergessenheit sinken eine zuoberst auf das Wohlergehen der Menschen setzende Naturreligion, großartige administrative und politische Leistungen, ein – obgleich kosmologisch hergeleiteter – pragmatischer Gesellschaftsaufbau, die weltweit fortschrittlichste Agrikultur der damaligen Zeit und ein überraschend intelligentes Organisationsmodell für kleine und große menschliche Ansiedlungen.

Abbildung 1: Francisco Pizarro, Gemälde von Amable Paul Coutan

Wer waren die inka wirklich?

Ohne Geld und nennenswerten Handel zu kennen, haben die Inka über Jahrhunderte hinweg ein blühendes, wirtschaftliches System aufgebaut und erhalten. Und dennoch: Die zeitgenössischen Berichte der Spanier über das Regime der Inka-Herrscher schäumen vor Kritik und enthalten zahlreiche Widersprüche. Manche Autoren sprechen von Despotie und Tyrannei, andere von einem theokratischen Sozialismus oder gar einem kommunistischen Staatswesen, wobei in Wirklichkeit das eine das andere nicht ausschließen würde. Auf keinen Fall darf man die Stellung des von seinen Untertanen als göttlich erachteten obersten Inka mit der eines modernen Diktators vergleichen, ebenso wenig, wie man die moralischen Begriffe der Inka durch die Brille der Gegenwart bewerten darf. Jede Epoche hat ihr eigenes Moralverständnis. Um die Geschichte korrekt und gerecht wiederzugeben, müssen daher alle Beschreibungen und Kommentare aus vergangenen Zeiten in deren jeweiligen politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kontext eingeordnet werden.

Das freilich tun die aus Europa kommenden Chronisten nicht. Als in der Mitte des 16. Jahrhunderts die Abgesandten des spanischen Herrschers Philipps II., Sohn der Katholischen Könige Ferdinand und Isabella, auf ihrer Suche nach Gold an der südamerikanischen Pazifikküste landen, treffen stolze Spanier auf nicht minder stolze Angehörige des Inka-Volks. Die einen halten sich für Apostel des rechten Glaubens, die anderen für direkte Nachfahren der Sonne – ein gewaltiges Konfliktpotential zeichnet sich ab. Allerdings wird der zu erwartende „Clash of Cultures“ von der spanischen Übermacht im Keim erstickt. Und so versuchen sich die spanischen Berichterstatter schon bald nach der Eroberung des Landes darin zu übertrumpfen, die Anschauungen, Sitten und Bräuche des Inka-Volkes anzuprangern und verächtlich zu machen – nicht zuletzt deshalb, um ihre teils barbarischen Handlungen gegenüber ihren Zeitgenossen in der Alten Welt zu rechtfertigen.

Nahezu ein halbes Jahrtausend lang prägt die enge Sichtweise der Conquistadores das Bild vom Inka-Volk als blutrünstig, einfältig, obrigkeitsgläubig und in jeder Beziehung der Alten Welt unterlegen. „Westerners – both past and present – disregarded, rejected, and misinterpreted information that did not conform to their own cultural paradigms.“ (Ramírez, S.E., 2005, S. 59) Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts entdecken mehr und mehr kritische Wissenschaftler für sich und die Welt die Aufgabe, die Kultur der Inka aus einer anderen, einer objektiveren Perspektive zu betrachten. „Precisely for their monopoly position on first impressions of the peoples of the New World, scholars have become concerned with judging the effectiveness of Spanish cultural filters through which the native world was seen.“ (Ramírez, S.E., 2005, S. 13)

Insofern sind ihre Chroniken mit größter Vorsicht zu genießen. Die Spanier betrachten das Reich, das sie erobert haben, unter dem Aspekt der maximalen Ausbeutung, vor allem der Edelmetalle Gold und Silber, bei gleichzeitiger Christianisierung der Bevölkerung zum Heil der eigenen Seele. Selbst da, wo Berichte von Inka-Abstämmigen selbst verfasst wurden, verfolgen sie immer einen Zweck und zielen auf das Wohlwollen der ihnen überlegen scheinenden Adressaten. Und die Eroberer förderten das Unterlegenheitsgefühl der Indios (heute heißt es politisch korrekt: Indigenas) noch, indem sie ihre gesellschaftspolitischen Leistungen nicht würdigten.

„Obwohl die Spanier eng mit Angehörigen der inkaischen Elite und anderen Einheimischen zusammenlebten, befanden sie sich zunächst am Rand einer Welt, die ihrer gewohnten Kultur sehr fremd war, und beobachteten von dort als Augenzeugen die Ordnung, die die Inka aufgebaut hatten. Zunächst schrieben sie einfach ihre Beobachtungen auf; sie waren beispielsweise besonders von den monumentalen Bauten der Inka beeindruckt. Was wir über die Inka erfahren können, ist in solchen Berichten zu finden, aber viele wichtige Aspekte andiner Kultur wurden kaum wahrgenommen oder übersehen.“ (Julien, C. 2007, S. 11) Dies gilt in besonderem Maße für die Verwaltung und Organisation des Inka-Staates. Um hier Einblick und Überblick zu bekommen, hätten sich die Spanier auf die ihnen fremde Kultur einlassen und sie von innen heraus studieren müssen, anstatt sie blindlings zu zerstören und anschließend über die Trümmer den Stab zu brechen.

Die spanischen Chronisten orientieren sich bei ihren landeskundlichen Beschreibungen an den Mythen und Legenden, aus denen die Inka ihre Herkunft ableiten. Sie streichen die fantastischen Elemente und filtern so scheinbar die historischen Tatsachen aus den Berichten heraus. Damit folgen sie dem in der morgendämmernden Neuzeit verbreiteten Paradigma, wonach alle menschlichen Gesellschaften ähnliche Entwicklungsstufen durchlaufen haben. Die Inka zählen in ihren Augen zu den primitiven Kulturen. Entsprechend gehen die Schreiber davon aus, dass sich ihr Geschichtsbewusstsein aus Mythen zusammensetzt und nicht aus historischen Tatsachen. Der heute bekannten tatsächlichen historischen Entwicklung der Inka und ihrer Kulturleistungen konnten sie damit natürlich nicht gerecht werden.

Begriffe und Begriffsklärung

Die teils beabsichtigte, teils unbewusste Fälschung der Geschichte beginnt schon bei der Namensgebung. In den Chroniken der Eroberer bezeichnet der Begriff „Inka“ in der Regel die Nachkommen der an der Westküste Südamerikas entdeckten Völker. Historisch ist das falsch. „Inka“ nach ihrem eigenen Verständnis sind zum einen die Angehörigen des ursprünglich am Titicacasee beheimateten Volkes, die im späteren, deutlich größeren Reich zur Herrscherklasse aufsteigen, zum anderen der Anführer dieser Aristokratenklasse, wenn man will: der Monarch. Das Wort „Inka“ bezeichnet also gleichzeitig eine Volkszugehörigkeit, eine gesellschaftliche (Führungs-)Funktion und die Zugehörigkeit zu einer Elite. Echte Söhne der Sonne waren in dem großen Inka-Reich nur wenige Menschen, und diese Position musste ständig aufs Neue erobert, verteidigt und durch die Zurschaustellung von Reichtum und Ansehen gefestigt werden.

Ich verwende den Begriff „Inka“ deshalb sowohl für das ursprüngliche Volk, für die herrschende Elite in dem Land, das von den Inka selbst Tawantinsuyu („Reich der vier Weltgegenden“) genannt wird, und für den jeweiligen als gottgleich betrachteten Anführer der Inka.

Die Berichte der Chronisten

Auf der Grundlage der während der Conquista entstandenen Schriften bildet sich die offizielle Geschichtsschreibung heraus. In Dokumenten festgehalten sind Herkunft und Genealogie der Inka-Fürsten, ihre Kämpfe und Eroberungen, die Zeugnisse ihrer Macht und ihr Untergang nach Ankunft und kurzem Siegeszug der weißen Männer aus Europa. „Die Spanier haben dem ihnen Erzählten vermutlich eine chronologische Ordnung gegeben, das heißt, sie haben die inkaische in eine den Spaniern geläufige Form übertragen“, vermutet die Historikerin Catherine Julien (Julien, C. 2007, S. 12f) zu Recht. „Wenn beispielsweise die Spanier ihre Informationen von den Bewahrern der Lebensgeschichten einzelner Herrscher gesammelt haben, dann ist die historische Abfolge der Inka-Herrscher, die sich in den meisten Geschichtswerken findet, möglicherweise die Folge einer Interpretation der Quellenangaben, da eine chronologische Abfolge wie in der spanischen Geschichtsschreibung eingeführt wurde. Die Abfolge der Herrscher wäre dann eine Hispanisierung der ursprünglichen inkaischen Überlieferung“.

Wesentliche Grundlage der offiziellen Geschichtsdarstellung sind die Werke der Chronisten Juan de Bentanzos, Felipe Huaman Poma de Ayala und Garcilaso de la Vega.

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