Was macht uns glücklich?
Wenn man die Menschen fragte, würden sie sich wohl alle ein gutes bzw. glückliches Leben wünschen. Derzeit haben wir, zumindest in Deutschland, relativ gute äußere Bedingungen, um glücklich zu sein. Überraschenderweise sind aber gerade wir nicht besonders glücklich. Im Gegenteil: Depressionen nehmen seit den sechziger Jahren stetig zu und treten in immer jüngerem Lebensalter auf. Der durchschnittliche Beginn hat sich vom 30. Lebensjahr auf das ca. 15. Lebensjahr vorverlagert. Die Anzahl der Suizidversuche im Teenageralter hat sich in dieser Zeit vervierfacht.
Vor allem auf diese letztgenannten 40 Prozent bezieht sich dieses Buch. Betrachtet man das Glückserleben genauer, kann man laut Markus Pawelzik (unter Bezug auf Martin Seligman) zufolge drei Bereiche unterscheiden, die insgesamt zum guten Lebensgefühl beitragen (siehe Abb. 1.):
1. Kurze Momente des Glücks bzw. des lustvoll-freudigen Erlebens stellen ein Element der Lebenszufriedenheit dar. Das sind genau die Momente, die uns die Werbung verkaufen will. Dieses Erleben steht oft in Verbindung mit intensiven Körperprozessen oder starken Sinneswahrnehmungen, also Kulturgenüssen, Reiseeindrücken, Festen oder anderen besonderen Aktivitäten, lustvoll erlebten Körperbetätigungen oder Ähnlichem. Diese »Gipfelerlebnisse« halten jedoch nur kurz an und die Erlebensintensität ist rasch wieder vorbei. Danach bleibt nicht selten ein Gefühl von Leere, das nach einer intensiveren Wiederholung des Erlebnisses ruft. Dies kann zu Suchttendenzen führen.
Die Fähigkeit zu diesem körperlichen Glückserleben ist stark verbunden mit der Art und Weise, wie das sogenannte »Belohnungszentrum« in der Tiefe unseres Gehirns arbeitet. Durch die Stimulation dieser Nervenzellen lässt sich elektrisch, mechanisch oder chemisch ein Lustgefühl auslösen. An dieser Stelle setzt auch die chemische Drogenwirkung an. Das grundlegende Funktionsniveau dieser Struktur bzw. ihre Reaktionsbereitschaft auf äußere Reize ist stark konstitutionell angelegt. Sie ist die körperliche Grundlage dessen, was uns als schwermütige Menschen oder »Ulknudeln« begegnet.
2. Unter diesen Gipfelerlebnissen liegt eine Ebene von grundlegender positiver Stimmung. Diese hängt weniger von äußeren Situationen als von der inneren Einstellung ab. Hiermit ist zum Beispiel die Tendenz gemeint, mit der wir auf andere Menschen oder Aufgaben zugehen, zum Beispiel mit einer gewissen Offenheit bzw. Grundsympathie. Diese Stimmungsebene ist stark von den früheren Erlebnissen in der Biografie abhängig und kann als Urvertrauen oder positives Grundgefühl beschrieben werden. Hier finden auch gelernte Lebensregeln, Selbsteinschätzungen bzw. Selbstbewertungen Eingang, zum Beispiel: »Das ist jetzt zwar dumm gelaufen, aber das werde ich schon noch hinbekommen!« Erich Fromm hat in seinem Buch Die Kunst des Liebens ausführlich beschrieben, dass Liebe keine Frage des richtigen Objektes, sondern der richtigen Einstellung zu den anderen Menschen ist. Eine Grundhaltung von Offenheit, Interesse am anderen, die Fähigkeit zu staunen und sich auf Neues einzulassen prägt diese Stimmungsebene. Stimmungen sind allerdings nicht völlig stabil, sondern unterliegen gewissen Schwankungen. Hier spielen auch Körperprozesse hinein (z. B. hormonelle Schwankungen).
3. Die dritte Ebene – und das ist die sicher derzeit in der Öffentlichkeit am wenigsten beachtete – ist die der grundlegenden Werte und Tugenden. Werte und Tugenden sind gedanklich vermittelt und stellen gewissermaßen den festen, tragenden Untergrund unserer Lebenseinstellung dar. Sie bleiben auch in Zeiten körperlicher Krisen oder sozialer Erschütterungen stabil, d. h. sie sind unabhängig von kurzfristigen äußeren Einflüssen. Gerade dadurch entwickeln sie ihre Tragekraft. Werte und Tugenden sind kulturell vermittelt und haben nichts mehr mit unseren persönlichen Körperprozessen zu tun. Sie stellen den Bezug zu unserer Umwelt her und machen uns erst zu sozialen Wesen. Diese Einbindung in die sozialen Strukturen ist ein wichtiges Element für langfristige Lebenszufriedenheit und Glück.
Wir befinden uns also in einem Spannungsfeld von intensivem, momentanem Selbsterleben auf der einen und überdauerndem tragendem Weltbezug auf der anderen Seite. In diesem Spannungsfeld – bzw. in einer guten Mischung dieser beiden Pole – entstehen Glück und Lebenszufriedenheit.
Krisen hindern uns vorübergehend daran, unser Leben so zu leben, wie wir es spontan wollen. Das heißt, sie »kränken« uns und können zu Krankheiten führen. Andererseits sind Krisen eine Chance, uns zu besinnen und darüber nachzudenken, was wir eigentlich im Leben erreichen wollen. Ebenso erinnert uns der Gedanke an den Tod daran, dass unser Leben begrenzt ist. Ein interessantes (und bekanntes) Gedankenspiel zu diesem Thema ist: »Wie würdest du dein Leben gestalten, wenn du wüsstest, dass du nur noch ein oder zwei Jahre zu leben hättest?!« Diese Frage hilft uns, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Aus dieser Perspektive können Krisen zu einem Aufwach- oder Besinnungspunkt im Alltagstrott werden, damit wir unserem Leben neue Impulse geben und aktiv für eine bessere Lebensqualität sorgen können.
Freiheit und Verantwortung
Im Gegensatz zum Tier ist die Lebensentwicklung des Menschen letztlich nicht vorgezeichnet: Das Tier kann im Rahmen seiner angelegten Möglichkeiten ausreifen, sich aber nicht darüber hinaus entwickeln. Im Gegensatz dazu ist das Leben des Menschen nur zum Teil durch Erbanlagen und Umweltbedingungen vorgegeben. Daneben ist der Mensch auch freigelassen und kann ganz neue Impulse in seinem Leben verwirklichen, die im Sinne einer individuellen Entwicklung über das Vorgegebene weit hinausgehen können.
Entwicklung zur Gesundheit
Freiheit bedeutet nicht nur die Wahlmöglichkeiten des Individuums. Wenn der Mensch in seiner Entwicklung zumindest teilweise frei ist, so heißt das, dass er auch von außen beeinflussbar ist (z. B. durch Werbung oder Erziehung). In gewisser Weise sind die Tiere durch ihre Anlagen und Instinkte geschützt, während der Mensch verführbar ist und auf Abwege geraten kann. So können Einseitigkeiten in der Lebensführung Keime zu Krankheiten werden. Wir haben zum Beispiel den Sinn für die Qualität von Nahrungsmitteln, einen natürlichen Lebensrhythmus oder soziale Instinkte verloren. Im Gegensatz zum Tier ist im Menschen die Möglichkeit zur Erkrankung (insbesondere zur seelischen) bereits in seiner Konstitution angelegt. Im Altertum bestand ein ausgeprägteres Bewusstsein dafür als heute, dass seine geistigen Erkenntnismöglichkeiten den Menschen aus dem Schutz und der Sicherheit der Natur herausführen. In der Bibel ist dieser Zusammenhang in der Vertreibung aus dem Paradies sinnbildlich beschrieben, nachdem der Mensch vom Baum der Erkenntnis gegessen hatte.
Es war in alten Zeiten,
da lebte in der Eingeweihten Seelen
kraftvoll der Gedanke,
dass krank von Natur aus
ein jeglicher Mensch sei.
Und Erziehen ward angesehen
gleich dem Heilprozess,
der dem Kinde mit dem Reifen
die Gesundheit zugleich erbrachte
für des Lebens vollendetes Menschsein.
Dieser Gedanke ist zugegebenermaßen ungewohnt und erklärungsbedürftig: Eine gesunde Lebensführung ist eine Gratwanderung bzw. verlangt eine Balance zwischen verschiedenen Extremen, die sich jeweils kurzfristig angenehm anfühlen mögen, aber als anhaltende Einseitigkeiten in Krankheitszustände führen. Eine gute Erziehung soll uns auf diesen Lebensweg vorbereiten. Wir wissen aber alle, wie wenig Raum einer »Erziehung zum gesunden (hygienischen) Leben« eingeräumt wird. Hygiene meinte in früherer Zeit eine umfassende Erziehung zur körperlichen, seelischen und geistigen Gesundheit. Heute ist der Begriff zum »Händewaschen vor dem Essen« degeneriert.
Mit der »Einführung des Subjektes in die Forschung« nach dem Zweiten Weltkrieg durch Victor von Weizsäcker gibt es wieder Konzepte, diese Einseitigkeit aufzulösen. Ausgehend von der Frage, warum bei vergleichbarer Belastung manche Menschen erkranken und andere nicht, wurde in den letzten Jahrzehnten der Einfluss des einzelnen Menschen auf den Krankheitsverlauf wieder deutlicher. Denn bereits die nahe liegende Frage, warum sich nicht alle Menschen in einem Bus anstecken, lässt ahnen, dass Faktoren im einzelnen Menschen wesentlich mitentscheiden, ob es zu einer Erkrankung kommt oder nicht. Die neueren Ergebnisse der Traumaforschung bestätigen dies: Ob ein Ereignis zu einer Traumatisierung führt oder nicht, hängt vor allem davon ab, über welche Konstitution und welche Bewältigungskräfte, sogenannte Ressourcen, der betroffene Mensch verfügt.
- mindestens durchschnittliche Intelligenz
- flexibles, annäherungsorientiertes, extravertiertes Temperament
- positives Selbstwertgefühl
- soziale Unterstützung, sicheres...