„Jeder Tod hat sein Gelächter“
Ein gar nicht so abseitiges Thema
„Haben Sie schon einmal gemeint, dass Sie sterben, und was ist Ihnen dabei eingefallen :
a) was Sie hinterlassen ?
b) die Weltlage ?
c) eine Landschaft ?
d) dass alles eitel war ?
e) was ohne Sie nicht zustande kommen wird ?
f) die Unordnung in den Schubladen ?“
Diese Fragen stammen aus einem ganzen Fragenkatalog, den der Schweizer Schriftsteller Max Frisch einmal formuliert hat. Der Tod ist ein dankbarer Gegenstand für jeden Autor ; überaus umfangreich ist die Literatur dazu. Dichter und Denker, Philosophen und Theologen, Soziologen und Psychologen haben darüber geschrieben. Das Thema ist unerschöpflich und bietet allen etwas. Und doch können wir nur festhalten, was wir Lebende vom Tod meinen, wie wir ihn uns vorstellen. Denn was der Tod wirklich ist – woher könnten wir das wissen ?
Sprichwörter sind die Weisheit der Völker, sagt man, und Sprichwörter zum Themenkreis Tod gibt es reichlich. Hier ein paar Kostproben :
Arm ist, wer den Tod wünscht, aber ärmer, wer ihn fürchtet.
Der Tod macht mit allem Feierabend.
Der Tod macht alles gleich, er frisst Arm und Reich.
Des einen Tod, des andern Brot.
Der Tod kommt ungeladen.
Der Tod hat keinen Kalender.
Der Tod und die Kirche geben nichts zurück.
Heutzutage nimmt man’s eher humorig und plappert leichtfertig Sinnsprüche wie diesen daher: „Nichts ist umsonst, nur der Tod – und selbst der kostet das Leben.“ Oder, Werbeslogans parodierend: „Wer früher stirbt, ist länger tot …“ Mitunter finden wir etwas so lustig, dass wir sagen: „Ich lach mich tot !“ Aber: Der Tod ist nicht lustig !
Fragt Tom, den Pfleger im Landeskrankenhaus. Er war im Advent allein mit acht geistig behinderten Menschen unterwegs auf dem Weihnachtsmarkt ; für solche Exkursionen steht nicht mehr Personal zur Verfügung. Einer von den Heimbewohnern schlang einen Hefe-Weckmann so gierig in sich hinein, dass er daran erstickte. Fragt Horst, den Arzt. Er hat sich für das Leben einer Patientin eingesetzt, aber er vermochte sie nicht zu retten. Fragt Frau Löffler, deren Mann sich ohne Vorankündigung das Leben nahm. Fragt Herrn Becker, der am Krankenbett seiner geliebten Erika aushielt, bis sie endlich von ihrem Krebsleiden erlöst wurde.
Nein, der Tod ist nicht lustig. Und deswegen machen wir uns über ihn lustig. Deswegen verhöhnen wir seine Macht. Wir relativieren seine Gewalt, indem wir spielerisch mit ihm umgehen. Ein harmloses Beispiel: Unter Publizisten heißt es, in einem angesehenen Frankfurter Verlag zu veröffentlichen sei „eine Beerdigung erster Klasse“. Will sagen: Der Verlagsname auf dem Cover macht sich gut, die Feuilletons jauchzen, die Kritik verstummt – aber wer sein Buch verkauft sehen will, der sollte sich anderswohin wenden. Oder nehmen wir einen Aphorismus über die ehemalige Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland: „Bonn ist halb so groß wie der Zentralfriedhof von Chicago, aber doppelt so tot.“
Tod und Humor – sind diese beiden nicht Gegensätze ? Ist es taktlos, die beiden Themen in einem Atemzug zu nennen ? Aber was kann man tun, wenn sich die beiden so magisch anzuziehen scheinen ? Vielleicht muss man lachen, um nicht am Weinen zu ersticken. Ist nicht das Lachen ein Überlebenselixier ? Wie schnell kann doch eine an sich traurige Situation „kippen“.
Manches ist skurril, darüber mag man grinsen. Manches ist heiter. Und manchmal hilft nur noch Zynismus, Sarkasmus gar. Aber es gibt auch Grenzen ; die meisten davon sind selbst gezogen. Die Grenze des guten Geschmacks verläuft dort, wo die Würde anderer verletzt wird. Ein Spaß auf Kosten eines Menschen, der sich in misslicher Lage befindet, mag gerade noch angehen, nach dem Motto: „Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.“ Aber ein Freibrief für Häme kann trotzdem nicht ausgestellt werden.
Tod und Humor – eigentlich bedürfen beide Begriffe einer genauen Definition. Aber wie definiert man „Tod“ ? Als Versagen aller Körperfunktionen ? Ist der Tod nicht mehr als das ? Doch was können wir mehr von ihm wissen ? Schon Epikur meinte: „Der Tod geht uns Lebende nichts an. Wenn wir leben, sind wir nicht tot, und wenn wir tot sind, leben wir nicht.“
Und Humor ? Mit „Humor“ meinen wir eine Haltung heiterer Gelassenheit, eine fröhliche Wesensart, die die Dinge leichtnimmt – selbst den Tod. Ja, gerade der Tod hat mit dem Humor zu tun, er ist sein Ernstfall. Denn wie die Traurigkeit zu Tränen rührt, kann uns auch das Lachen weinen machen. Weinen und Lachen, diese Gefühle aus der Tiefe unserer Seele sind Geschwister.
Unser Wort Humor leitet sich ab von dem lateinischen Begriff für „Feuchtigkeit, Flüssigkeit“. Die antike Lehre von den Körpersäften vertrat die Ansicht, dass das Verhältnis von Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle für das Temperament eines Menschen bestimmend sei. Daraus leitet sich auch die bis heute gebräuchliche Unterscheidung der vier Temperaments-Typen „sanguinisch“, „phlegmatisch“, „cholerisch“ und „melancholisch“ ab. Humor wäre dann diejenige ausgewogene Körpersaftmischung, welche gute Laune gewährleistet.
Letztlich gilt, was der Schriftsteller und Kabarettist Egon Friedell anmerkte: „Was Humor ist, das hat wohl noch niemand zu erklären vermocht: und ich glaube, schon der bloße Versuch, diesen Begriff näher bestimmen zu wollen, ist ein Beweis von Humorlosigkeit, weshalb ja auch hauptsächlich Universitätsprofessoren sich mit dieser Aufgabe beschäftigt haben.“ Und an anderer Stelle schrieb er: „Heiterkeit setzt immer einen gewissen Grad von Intimität voraus: Nur was uns vertraut ist, was wir genau kennen, kann uns humoristisch stimmen, im Grunde lachen wir eigentlich immer nur über uns selber, über unsere eigenen komischen Möglichkeiten.“
Was uns, wie Sterblichkeit und Tod, so ängstigt, dass wir es tabuisieren, fasziniert zugleich auch, wie alles Tabuisierte. Und wenn wir dem Tod mit Humor begegnen, dann vielleicht deshalb, um ihm durch das Lachen scheinbar etwas von seiner Macht zu nehmen. Lachen ist menschlich, und der Witz hat eine Ventilfunktion. Schon die spanische Nonne Teresa von Avila meinte, das bisschen Witz und Humor, das in uns stecke, müssten wir herauslassen. Und der französische Pantomime Marcel Marceau verdeutlichte, wie verbindend das Lachen sei: Es gebe kein deutsches, französisches, italienisches oder russisches Lachen, sondern nur das Lachen des Menschen. – Nur des Menschen ? Vielleicht verbindet das Lachen sogar Himmel und Erde. Der englische Schriftsteller Chesterton schrieb: „Gott hat Humor. Sonst hätte er nicht den Menschen erschaffen !“
Wer über Humor verfügt, ist den Anforderungen des Lebens in der Regel besser gewachsen. Der Friedhofsgärtner beispielsweise, der mir grinsend erzählte: „Ich musste fünf Kränze für eine Beerdigung machen, mit Schleifen. Auf der Grußschleife wollten alle den Text ‚Ruhe sanft‘ haben. Das fand ich gut, erspart mir ’ne Menge Arbeit, weil die ja alle einzeln mit Goldfolie geprägt werden. Und – wie ich die fünfte fertig hab’, lese ich, was ich gedruckt habe: ‚Ruhe saft‘ !“
Groß ist die Zahl der Anekdoten zum Thema, der „Dönekes“, wie man im Rheinland sagt: Erlebnisse, die man – nicht ohne rankende Ausschmückungen – in fröhlicher Runde zum Besten gibt. Bestatter und Pfarrer haben schon von Berufs wegen reichhaltige Erfahrung mit dem Tod und meistens auch ein entsprechendes Repertoire an Geschichten: „Da ist mir mal was passiert … !“ Und dann entwickeln sich die Storys weiter – was einem anderen passierte, deklariert man als selbst erfahren, nach oftmaligem Berichten können Dichtung und Wahrheit nicht mehr auseinandergehalten werden. Was soll’s, wenn die Stückchen munden ?
Die Anekdote erzählt Erlebtes oder Erfahrenes, auch Erfundenes, das sich ereignet haben könnte. Der Witz als knappe Beschreibung eines Geschehens oder einer Situation, als Spiel mit der Bedeutung von Wörtern und Sätzen oder auch als bildhafte Darstellung erheitert uns durch „Sinn im Unsinn“, durch Verbindung von nicht Zusammenpassendem, durch eine überraschende Wendung, durch die ironische Distanz zum menschlichen Schicksal.
Die Kulturhistorikerin Salcia Landmann erklärt die psychologischen Hintergründe, die den Witz zum Witz machen, und beruft sich dabei vor allem auf Sigmund Freud. In dessen Methode der Traumanalyse erkennt auch Landmann den Schlüssel zum Verständnis des Witzes: „Witze, die sich mit der geistigen Entlastung durch kindliche Unlogik begnügen, nennt Freud ‚harmlose Witze‘. Witze jedoch, die mit dieser eigentümlichen Technik verbotene und verdrängte Tendenzen ans Tageslicht reißen, nennt Freud ‚tendenziöse Witze‘. Und er unterscheidet bei ihnen vier Varianten: 1. Die obszönen Witze. Sie ersetzen die nackte Zote, die in guter Gesellschaft nicht...