Vorwort
Vor nicht allzulanger Zeit glaubten wir Physiker, endlich am Ziel unserer Suche zu sein. Wir standen am Ende eines Wegs. Für uns war das mechanische Universum von glanzvoller Perfektion. Weil die Dinge schon immer so waren, verhalten sie sich eben so, wie sie sich verhalten; und sie werden sich auch zukünftig so verhalten, weil sie nun mal so sind, wie sie sind; usw. Es paßte alles in die hübsche Newton-Maxwellsche-Verpackung. Immer hatte man geeignete mathematische Gleichungen für die Natur der Dinge parat. Ein Symbol auf dem wissenschaftlichen Arbeitspapier und die Bewegung des kleinsten wie größten Objekts in Raum und Zeit entsprachen sich eins zu eins.
Ende des 19. Jahrhunderts meinte A. A. Michelson, daß die Zukunft der Physik dahin ginge, »die bereits erzielten Resultate um ein paar Dezimalstellen zu verbessern«. Fairerweise muß man sagen, daß Michelson glaubte, er würde den berühmten Lord Kelvin zitieren. Denn es war in der Tat Kelvin, der gemeint hatte, im Reich der Physik wäre alles perfekt, bis auf zwei dunkle Wolken, die den Horizont verhingen.
Wie sich zeigte, verdeckten diese zwei Wolken nicht nur die Landschaft Turners und Newtons, sondern verwandelten sie in eine verwirrende abstrakte Vision eines Jackson Pollock aus Tupfen, Klecksen und Wellen. Diese wolkigen Gebilde waren die Vorläufer der mittlerweile ins Rampenlicht getretenen Quantentheorie, die für alles eine Erklärung zu haben schien.
Und nun ziehen am Ende des 20. Jahrhunderts erneut Wolken herauf, die selbst die Welt der Quantenphysik verdunkeln. Das Newtonsche Weltbild hat wie ehedem seine Bewunderer, denn immerhin erklärt es ein ansehnliches Spektrum mechanischer Phänomene, vom Raumschiff bis zum Auto, vom Satelliten bis zum Dosenöffner. So wie sich das abstrakte Bild der Quanten dem Betrachter letztlich darbot, sind es scheinbar zufällige Tupfen (Quanten), die die physikalische Landschaft eines Newton entstehen lassen. Deshalb glauben viele von uns immer noch, daß es eine gewisse objektive mechanische Ordnung gibt, die selbst den Quanten-Tupfen, kurzum allem, zugrunde liegt.
Die Wissenschaft verfährt nach einer fundamentalen Annahme, wie die Dinge sind oder sein müssen, und genau diese stellt Amit Goswami gemeinsam mit Richard E. Reed und Maggie Goswami hier in Frage – nämlich daß »da draußen« eine reale, objektive Wirklichkeit existiert. Die zweifelhaften Wissenschaftspositionen des vorigen Jahrhunderts läuteten zwar eine neue Epoche ein, aber nun scheint sich nicht nur das Ende dieses Säkulums anzukündigen, sondern mit ihm das Ende der Wissenschaft, wie wir sie bislang kennen.
Diese objektive Realität ist von feststofflicher Natur. Sie setzt sich aus Dingen zusammen, die substantielle Eigenschaften besitzen, wie Masse, elektrische Ladung, Impuls, Drehimpuls, Spin, Raumlage und zeitliche Kontinuität, die als Trägheit oder als Energie zum Ausdruck kommen; und dringt man in die mikroskopische Welt ein, stößt man auf Attribute wie Seltsamkeit, Lieblichkeit und Farbigkeit. Und doch kommen immer wieder Unklarheiten auf. Denn trotz allem, was wir über die objektive Welt wissen, mit all ihren Windungen und Umkehrungen von Raum in Zeit und in Materie und mit ihren Schwarzen Wolken, den sogenannten Schwarzen Löchern – immer wieder stehen wir mit unserem hochtourig arbeitenden Verstand vor einem Haufen von Rätseln, Widersprüchlichkeiten und Puzzleteilchen, die einfach nicht zusammenpassen wollen.
Aber wir Physiker sind Dickköpfe und haben Angst, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Wir schäumen unser Gesicht ein und achten sorgfältig darauf, daß wir alle überflüssigen »haarigen Annahmen« mit Occams Rasierer wegschaben. Was sind das für Wolken, die die Konsequenz der abstrakten Kunstform des 20. Jahrhunderts verschleiern? Zusammenfassend kann man in einem Satz sagen: Das Universum scheint ohne einen Betrachter nicht zu existieren.
In gewisser Hinsicht macht das sicherlich Sinn. Schon das Wort »Universum« ist ein menschliches Konstrukt. So mag es einleuchtend klingen, daß das, was wir als »Universum« bezeichnen, mit unserer Fähigkeit zur Wortbildung zusammenhängt. Aber geht diese Beobachtung über eine simple semantische Fragestellung hinaus? Gab es ein Universum, als noch keine Menschen existierten? Es scheint so. Gab es Atome vor der Entdeckung der atomaren Natur der Materie? Der Logik nach mußte es die Naturgesetze ebenso wie die gesetzmäßigen Kräfte, Ursachen usw. schon gegeben haben, als uns Atome und subatomare Teilchen noch nicht bekannt waren.
Doch genau diese Annahmen über die objektive Realität sind durch unser gegenwärtiges Verständnis der Physik in Frage gestellt. Nehmen wir ein einfaches Teilchen, das Elektron. Handelt es sich dabei um ein Materiekörnchen? Davon auszugehen, daß dem so ist und es sich entsprechend verhält, erweist sich eindeutig als falsch. Manchmal scheint es eine Wolke aus unendlich vielen möglichen Elektronen zu sein, welche als einzelnes Teilchen »erscheinen« – allerdings nur dann, wenn wir ein solches tatsächlich beobachten. Andere Male erscheint es wie ein sich wellenförmig ausbreitendes Wolkengebilde, das schneller als Licht sein kann, was Einsteins Auffassung völlig widerspricht, daß Materie nicht schneller als Licht sein kann. Aber Einstein kann beruhigt sein. Denn wenn es sich so bewegt, ist es eigentlich kein Materiestückchen.
Oder nehmen wir das Zusammenspiel zweier Elektronen. Selbst wenn beide Elektronen sehr weit voneinander entfernt sind, führen die auf sie gerichteten Beobachtungen entsprechend der Quantenphysik zu dem Ergebnis, daß es eine bestimmte Verbindung zwischen ihnen geben muß, die es ihnen ermöglicht, miteinander schneller als mit Lichtgeschwindigkeit zu kommunizieren. Doch bevor diese Beobachtungen gemacht wurden, war nicht einmal klar, wie eine solche Verbindung aussieht. Erst als sich ein Beobachter bewußt einschaltete, bekam man ein Bild davon. Und um ein drittes Beispiel anzuführen: Ein Quantensystem, wie es ein Elektron in einem gebundenen physikalischen Zustand darstellt, scheint zwar in einem unbestimmten Zustand zu sein, trotzdem läßt sich die Unbestimmtheit analysieren und in wohlbestimmte Komponenten zergliedern, die sich irgendwie zu der ursprünglichen Unbestimmtheit summieren. Nun schreitet ein Beobachter ein und läßt, indem er das Elektron schlichtweg beobachtet, die Unbestimmtheit zu einem definitiven, aber unvorhersagbaren Einzelzustand werden, gleich einem Alexander dem Großen, der mit einem einzigen Hieb den Gordischen Knoten zerschlug.
Doch damit nicht genug, denn es könnte sein, daß der Schwerthieb erst in der Zukunft niedersaust und entscheidet, welchen Zustand das Elektron in der Gegenwart einnimmt. Schließlich besteht nun sogar die Möglichkeit, daß in der Gegenwart gemachte Beobachtungen mithin unsere Aussagen über die Vergangenheit bedingen.
Demnach stehen wir erneut am Ende eines Wegs. Es gibt zu viele Quanten-Paradoxien, zu viele Experimente, die zeigen, daß die objektive Welt, die wie ein Uhrzeiger voranschreitet und die Zeit durcheilt – eine Welt, die sagt, daß etwas nicht gleichzeitig an zwei oder mehr Orten sein kann und Fernwirkungen, inbesondere auf kürzeste Dauer, nicht möglich sind –, eine Illusion, eine Schimäre unseres Denkens ist.
Dieses Buch könnte eine Antwort darauf geben, was wir statt dessen tun können. Der Autor stellt eine Hypothese auf, die unserer westlichen Denkweise so fremd ist, daß wir sie automatisch als Phantasterei eines östlichen Mystikers abtun möchten. Sie besagt zum einen, daß jede der oben genannten Paradoxien erklärbar und verständlich wird, wenn wir die liebgewonnene Hypothese aufgeben, daß es eine objektive, vom Bewußtsein unabhängige Realität »da draußen« gibt; zum anderen, daß das Universum ein »bewußtes« Universum ist und die physische Welt an sich vom Bewußtsein erzeugt wird.
Das Wort »Bewußtsein« schließt bei Goswami eine etwas tiefere Bedeutung mit ein, als wenn Sie oder ich es gemeinhin gebrauchen. Er versteht Bewußtsein als etwas Transzendentales – außerhalb von Raum und Zeit, auf keinen Ort beschränkt und alles durchdringend. Es ist die einzige Realität. Und dennoch ist es so, daß wir von ihr nur durch den Vorgang, der die materiellen und geistigen Aspekte unserer Beobachtungsprozesse hervorruft, etwas zu sehen bekommen, also allenfalls flüchtig.
Warum ist es für uns so schwierig, dies zu akzeptieren? Oder gehe ich zu weit, wenn ich das so sage? Vielleicht ist jene Hypothese für Sie selbstverständlich. Was mich betrifft, so komme ich mit ihr manchmal ganz gut zurecht. Aber dann stoße ich gegen einen Stuhl und ziehe mir eine Prellung am Bein zu. Schon kehrt jene alte Realität zurück, und ich »sehe« mich getrennt, indem ich die räumliche Position des Stuhls in ziemlich arroganter Weise erst von der meinen trenne und dann so richtig verfluche. Goswami geht dieses Problem vortrefflich an und hat oft amüsante Beispiele parat, um seine...