Natürlich können und dürfen Sie gleich loslegen und ins Training einsteigen, um möglichst bald erste Erfolge zu sehen. Aber Sie erinnern sich – man ändert leichter etwas, wenn man weiß, wie es funktioniert. Deshalb möchte ich Ihnen in diesem Kapitel erklären, wie Ihre wunderbare Wirbelsäule samt ihrem Halteapparat aufgebaut ist, wie sie funktioniert und welche Nährstoffe sie braucht, um all ihre Aufgaben optimal zu erfüllen und Ihnen ein Leben lang eine starke, schmerzfreie Stütze zu sein.
In diesem ersten Kapitel möchte ich verdeutlichen, welche Rolle die Wirbelsäule im Gesamtgefüge Ihres Körpers spielt, ihren Aufbau und ihre Funktionsweise erklären und warum starke Muskeln darum herum so wichtig sind.
Ich will nicht sagen, dass der Aufbau des Körpers einfach ist, aber man könnte, wenn man wollte. Sie kennen bestimmt die berühmte Zeichnung von Leonardo da Vinci, der vitruvianische Mensch, Ihnen vielleicht besser bekannt als die Symmetriestudie des Körpers. Anhand derer verdeutlicht Leonardo, dass der gesamte Aufbau unseres Körpers symmetrisch und harmonisch ist und sich alles im Einklang befindet. Dieses Bild sagt viel über uns und unseren Körper aus. Sehen Sie den Körper als eine ausgewogene Einheit an, die bei der Geburt in völligem Einklang mit sich ist. Alle Muskeln, Sehnen, Bänder und Gelenke befinden sich von Anfang an in absoluter Harmonie und Symmetrie. Doch das bleibt leider nicht lange so. Durch Fehlbelastungen, Überlastungen und Nichtbelastungen verändert sich unser Körper im Lauf der Zeit.
Der menschliche Körper ist darauf ausgelegt, dass wir ausgeglichen sind. In jeglicher Hinsicht. Sie merken schnell, wenn dem nicht so ist. Sie kennen das Gefühl, wenn in Ihrem Körper irgendwas nicht stimmt. Ganz gleich, ob es sich um eine Magenverstimmung oder ein verknackstes Knie handelt. Sie merken, dass es Sie belastet, körperlich und mental. So verhält es sich auch mit Ihrer Wirbelsäule: Sie merken, bewusst oder unbewusst, dass etwas nicht stimmt. Das hat Auswirkungen auf Ihr ganzes Tun und Handeln. Genau das ist dann der Anfang eines Teufelskreislaufs. Dieses Buch ist nicht nur dafür gedacht, wenn es zu spät ist, sondern richtet sich auch an diejenigen, die erst gar nicht in diesen Teufelskreislauf geraten möchten.
Ich möchte nun versuchen, Ihnen die Zusammenhänge zwischen Körper, Geist und Seele näherzubringen, ohne esoterisch und philosophisch zu werden. Erst wenn man die Zusammenhänge verstanden hat, kann man Dinge einfacher und schneller ändern. Sie werden beim Lesen des Buches feststellen, dass es keinen Sinn macht, nur die Symptome zu bekämpfen. Lernen Sie mit mir zusammen die Zusammenhänge Ihres Körpers, Ihres Rückens und Ihrer Wirbelsäule kennen. Sie werden sehen, Ihr Alltag wird sich verändern. Sie werden anders gehen, sitzen, laufen, schlafen und wahrscheinlich auch denken. Es ist ein tolles Gefühl zu wissen, wie etwas funktioniert, und sich selbst helfen zu können, wenn es mal zwackt oder klemmt.
Ich habe nicht umsonst Leonardo da Vinci angeführt, um Ihnen bewusst zu machen, dass Sie Ihren Körper als Ganzes sehen sollen. Wir können nicht einfach nur die Wirbelsäule rausgreifen und sagen: „So sieht sie aus, so funktioniert sie und hier ist sie kaputt!” Es ist eher so, dass die Wirbelsäule unser Körperzentrum darstellt, das von allem darum herum abhängt. Stellen Sie sich vor, Sie sind in einem Unternehmen der wichtigste Mensch, alle zerren an Ihnen und Sie müssen sich nach allen Seiten biegen und beugen – und das auch noch mit Verantwortung und Gewicht um den Hals. Genau das erwarten wir von der Wirbelsäule. Sie soll sich biegen und beugen, und das unter größter Last, und wir erwarten, dass sie das alles ohne Murren mitmacht. Aber das ist nicht so einfach.
An unserem Rumpf hängen Arme und Beine, die jeweils immense Auswirkungen auf die Wirbelsäule haben. Die Beine stehen auf Füßen, die ebenfalls einen wesentlichen Teil zur Gesundheit der Wirbelsäule beitragen. Und an den Armen hängen die Hände, die uns täglich Dienste leisten. So könnte ich stundenlang fortfahren und Ihnen zeigen, was dabei die Wirbelsäule alles belastet oder verformt. Aber dazu kommen wir später noch bei den Übungen.
Da Vinci stellte mit seiner Symmetrie-Studie über den Menschen fest, dass alles im Gleichgewicht und ausgeglichen ist. Das bedeutet für uns und für unseren Plan, dass dieser auch ausgeglichen sein muss. Wenn wir nicht symmetrisch trainieren und uns nicht ausgeglichen belasten, erzeugen wir wieder Ungleichheiten im Körper, die wiederum zu anderen Beschwerden, Verschiebungen führen könnten. Schmerzen, Verspannungen, Blockaden oder auch Dysbalancen entstehen nicht einfach so. In den meisten Fällen sind sie das Ergebnis eines langen Prozesses, den wir aber so gar nicht wahrnehmen.
„Der vitruvianische Mensch” von Leonardo da Vinci entstand um 1490 und verdeutlicht den harmonischen und symmetrischen Aufbau unseres Körpers.
Wie entsteht ein Ungleichgewicht?
In den Augen der Betroffenen ist es meist so, dass man morgens aufgewacht ist und auf einmal war er da. Der Schmerz. Oder man hat sich falsch gebückt oder bewegt und auf einmal gab es einen stechenden Schmerz. Wir gehen immer davon aus, dass Rückenschmerzen Akutschmerzen sind, die durch einen „Unfall” oder ein Ereignis auftreten. Dem ist aber nicht so. Das Ereignis ist nur noch der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt und dann der Auslöser für die Schmerzen ist. Wir wollen dann nicht wahrhaben, dass wir uns schon die ganze Zeit zu wenig bewegt haben. Dass wir schon die ganze Zeit die Muskeln vernachlässigt haben. Dass wir schon lange keine Dehnübungen mehr gemacht haben – und eigentlich stellen wir fest, dass wir seit der Schule nicht mehr wirklich sportlich aktiv waren. Aber der Rückenschmerz kommt natürlich von der eben gemachten Bewegung … Ich hoffe, Sie nehmen mir das jetzt nicht übel, aber so sieht es in den meisten Fällen leider aus. Die wenigsten Menschen erleiden einen Bandscheibenvorfall, weil sie aktiv waren, sie erleiden ihn, weil sie die Wirbelsäule und deren Einflussfaktoren als gottgegeben hingenommen und schlicht und einfach vernachlässigt haben.
Ich habe eine erste Aufgabe für Sie! Ich garantiere Ihnen, es geht Ihnen ein Licht auf. Nein, Sie müssen jetzt nicht aufstehen, Sie müssen sich auch nicht bewegen. Fragen Sie sich bitte einfach kurz: „Wann habe ich das letzte Mal meine Bauchmuskeln trainiert?” – Ganz ehrlich, bitte! Ich rede jetzt nicht von drei Sit-ups zwischendurch. Nein, ich rede von 15 bis 20 Minuten effektivem Bauchtraining ohne Hanteln, ohne Hilfsmittel, nur Sie und Ihr Bauch, im Liegen, Stehen oder Sitzen!
Wenn Ihre Antwort „Diese Woche!” lautet und Sie das jede Woche machen, dann ist das perfekt und wirklich respektabel. Dann weiß ich aber auch, dass Sie zu denen gehören, die wenig oder gar keine Rückenprobleme haben. Wenn Sie nun anfangen müssen nachzudenken und das Denken länger als drei Sekunden dauert, dann kennen wir beide schon die Antwort. Es ist auf jeden Fall schon lange her und Ihr Rücken plagt Sie schon mal ab und zu.
Jetzt fragen Sie sich bestimmt: „Was hat das Bauchtraining mit meiner Wirbelsäule zu tun?” Das kann ich verstehen und ich kann Ihnen sagen, das fragt sich jeder, den ich in meiner täglichen Praxis wegen Rückenschmerzen behandle. Daran erkenne ich sofort, ob dem Betroffenen die Zusammenhänge seines Körpers bewusst sind. In der Regel ist dem nicht so. Dazu kommen wir später noch.
Was möchte ich Ihnen klarmachen? Ich möchte Ihnen damit nicht zeigen, dass Sie Ihre Bauchmuskeln trainieren sollen, das sollen Sie wohl auch, aber mir geht es hier um etwas anderes: Wir vergessen unseren Körper in unserem Tun und Handeln über den ganzen Tag. Tagein, tagaus. Wir nehmen ihn einfach als funktionierende Maschine hin. So lange, wie er uns nicht mit Schmerzen ärgert, sehen wir es nicht ein, etwas für ihn zu tun und ihn zu pflegen. Sei es körperlich oder mental. Noch viel schlimmer ist, dass wir die Warnsignale des Körpers abtun und denken, das geht auch wieder weg.
Wir sind Meister im Verdrängen, wir können prima Schmerzen ignorieren, solange sie noch auszuhalten sind. Und wissen Sie, warum? Weil das Aushalten des Schmerzes einfacher und angenehmer zu sein scheint, als uns zu bewegen und dazu aufzuraffen, etwas für uns zu tun. Ist schon irre, oder was meinen Sie dazu? Wir nehmen Schmerzen so lange in Kauf, wie wir sie aushalten und solange wir nicht daran sterben. Drohen uns Tod oder extrem starke Schmerzen, dann erst ändern wir diese Haltung. Dann kommt der Punkt: „Ich muss mal was für meinen Rücken tun!” Es ist traurig, aber wahr. Ich kann Ihnen sagen, dass 80 Prozent aller Rückenschmerzen vermieden werden könnten, wenn die Betroffenen regelmäßig etwas für sich und ihren Körper tun würden....