Sie sind hier
E-Book

Quentin Tarantino Unchained

Die blutige Wahrheit

AutorMichael Scholten
Verlagriva Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl200 Seiten
ISBN9783864139482
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Reservoir Dogs, Pulp Fiction, Jackie Brown, Kill Bill, Death Proof, Inglourious Basterds und Django Unchained: Mit nur sieben Filmen verpasste Quentin Tarantino dem US-amerikanischen Popcorn-Kino einen Adrenalinstoß wie kein zweiter Filmemacher. Hollywoods wüstes Wunderkind schuf sein eigenes Genre, das auf einem unwiderstehlichen Mix aus Filmzitaten, blutiger Gewalt und einzigartigen Dialogen basiert. Die erste deutschsprachige Biografie über den ultimativen Kino-Popstar zeichnet den unkonventionellen Weg eines Problemschülers und Videothekars zum Kultregisseur und zweifachen Oscar-Gewinner nach. Gönner und Neider aus Hollywood kommen ebenso zu Wort wie die deutschen und österreichischen Schauspieler, mit denen Quentin Tarantino in Brandenburg und Sachsen sein Meisterwerk Inglourious Basterds drehte, denn Deutschland fühlt sich der Ausnahmeregisseur ganz besonders verbunden.

Michael Scholten, Jahrgang 1971, ist freier Autor und Filmjournalist. Seit 25 Jahren pendelt er zwischen Europa, USA und Asien, wo er begeistert Kinoklassiker und aktuelle Filmtrends aufsaugt.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe



Kapitel 1
Abbott and Costello Meet Frankenstein


Es geschah 1995, nur ein Jahr nachdem Quentin Tarantino mit Pulp Fiction das westliche Kino revolutioniert hatte. Hollywoods neues Wunderkind saß in einem Coffeeshop am Santa Monica Boulevard. Er kam oft hierher, um zu frühstücken. Auch alte Schauspieler, deren letzte Erfolge viele Jahre zurücklagen, schätzten das Lokal. Sie unterhielten sich am Tresen und an den Tischen über ruhmreichere Zeiten. Tarantinos Blick war auf seinen Teller gerichtet, als sich ihm ein Mann näherte. Der Mann war elegant gekleidet, Mitte 50 und lief direkt auf Tarantinos Tisch zu. »Darf ich mich setzen?«, fragte er. Tarantino sagte »Nein«. Er schaute nur kurz auf, vermied jeden Augenkontakt und bewegte seine rechte Hand, als wolle er eine lästige Fliege verscheuchen.

Wortlos verließ der Mann den Coffeeshop. Es war Tony ­Tarantino, Quentin Tarantinos Vater, den er seit 1965 nicht mehr gesehen hatte. Damals war Quentin zwei Jahre alt, seine Mutter Connie war 18. »Ich wusste immer, dass mir dieser Kerl irgendwann über den Weg laufen würde«, erzählte Quentin Tarantino einige Jahre später dem Radiomoderator Howard Stern, »doch außer ›Danke für das Sperma‹ hätte ich ihm nichts sagen können. Er bedeutete mir nichts. Ich wusste 30 Jahre lang nicht einmal, ob er überhaupt noch lebte.«1

Der Zeitpunkt, zu dem Tony Tarantino die Nähe seines Sohnes suchte, war denkbar schlecht gewählt. Als gefeierter Regisseur von Reservoir Dogs und Pulp Fiction war Quentin Tarantino zum Rockstar der Kinowelt aufgestiegen. Es wäre ihm ein Leichtes gewesen, der gescheiterten Schauspielkarriere seines glücklosen Vaters Schwung zu verleihen. Er hätte ihm lediglich eine Rolle in einem seiner nächsten Filme geben müssen. Doch warum hätte er das tun sollen? Wo war Tony Tarantino in den letzten 30 Jahren gewesen, als sein Sohn in der Schule scheiterte, für wenig Geld erst in einem Pornokino, dann in einer Videothek jobbte und keines seiner Drehbücher verkaufen konnte?

Doch Tony Tarantino wusste die neue Prominenz seines Sohnes auch ohne dessen Hilfe auszubeuten. Er ließ sich vom Magazin Premiere interviewen und im schwarzen Anzug fotografieren, während er im coolen Stil von Reservoir Dogs eine Pistole in die Kamera hielt. Diese Boulevardgeschichte ist der Grund, warum Quentin Tarantino den Premiere-Redakteuren bis heute kein Interview gibt. Allzu gern wurde Tony Tarantino auch Mitglied der »Silver Foxes«. Das von dem Produzenten David Krieff gegründete Unternehmen vereint die Eltern mehrerer Hollywood-Größen, darunter Al Pacinos Vater Sal Pacino, Patrick Swayzes Mutter Patsy Swayze, Cindy Crawfords Mutter Jenny Crawford und eben Tony Tarantino, vor der Kamera, um Fitnessanleitungen für die ältere Generation und Trashfilme zur Unterhaltung unters Volk zu bringen. Dank der fett gedruckten Familiennamen Pacino und Tarantino auf den Hüllen verkaufen sich die Direct-to-Video-Filmchen recht ordentlich. Quentin Tarantino, der in seinem Leben fast jeden Film gesehen hat, boykottiert die »Silver Foxes«-Werke seines Vaters konsequent: »Ich will ihn nicht sehen, ich will ihn nicht hören.«2

Das Aussehen hat Quentin Tarantino von seiner Mutter Connie geerbt, die Liebe zum Film dürfte ihm sein leiblicher Vater in die Wiege gelegt haben. Tony Tarantino, geboren 1940 im New Yorker Stadtteil Queens und aufgewachsen in Brooklyn, kam als Zwölfjähriger mit seinen italienischstämmigen Eltern Elizabeth und Dominic James Tarantino nach Los Angeles. 1960 begann er am Pasadena Playhouse ein Schauspielstudium. Schon sein Vater Dominic hatte in den frühen 1930er-Jahren kleine Rollen in Western gespielt. Parallel zum Schauspielstudium tingelte Tony Tarantino als Gitarrist und Sänger durch die Nachtklubs von Los Angeles und South Bay. Er machte einen Pilotenschein, war ein versierter Schütze mit Pfeil und Bogen, Handfeuerwaffen und Gewehren und erwarb einen schwarzen Gürtel in Kung-­Fu und Karate. Dass der 21 Jahre alte Draufgänger im Sommer 1962 die 15 Jahre junge Schwesternschülerin Connie McHugh schwängerte, hatte nichts mit bewusster Familienplanung zu tun, sondern war ungewollte Folge des Vergnügens. Connie, deren Stammbaum irische Einwanderer und Cherokee-Indianer aufweist, kam aus schwierigen Verhältnissen. Geboren am 3. September 1946 in Tennessee, wuchs sie bei ihren Adoptiveltern Elizabeth und Ellis Shaffer in Ohio auf.

Am 27. März 1963 kam Quentin Jerome Tarantino in Knoxville, Tennessee, zur Welt. Seine Mutter Connie liebte nicht nur Elvis Presley, sondern auch die Cowboys aus der Fernsehserie Gunsmoke (Rauchende Colts), vor allem den jungen Quint Asper, der von Burt Reynolds gespielt wurde. Sie gab ihrem Sohn einen Namen, der wie Quint klingen sollte: Quentin. »Ich wollte, dass der Junge einen Namen hat, der groß genug ist, um eine ganze Leinwand zu füllen«, sagt Connie Tarantino.3

Zwei Jahre nach der Geburt des Sohnes reichte Tony Tarantino die Scheidung ein. Die kleine Familie zerbrach. Connie Tarantino zog mit Quentin nach Torrance, ein auf dem Reißbrett entworfenes, von trostlosen Ölraffinerien und Bohrtürmen umgebenes Industrie- und Wohngebiet im Südwesten von Los Angeles. Die alleinerziehende Mutter heiratete Curtis Zastoupil, einen Musiker mit tschechischen Wurzeln. Er wurde in den folgenden acht Jahren, in denen die Ehe hielt, für Quentin zur Vaterfigur. Die Familie hatte nicht viel Geld. Zu den wenigen Freizeitaktivitäten, die sie sich leisten konnte, gehörten Kinobesuche. Quentin kam mit, weil erstens kein Babysitter zur Verfügung stand und sich zweitens kein Kinobetreiber ernsthaft darüber Gedanken machte, inwiefern Sex und Gewalt auf der Leinwand die Entwicklung eines Kindes nachhaltig beeinflussen könnten.

Die großen bunten Bilder brannten sich in die Erinnerung des Jungen ein, auch die riesigen Filmplakate und die in Großbuchstaben geschriebenen Namen der Schauspieler zogen ihn magisch an. Wenn er mit seinem Stiefvater ins Kino ging, sagte Curtis Zastoupil Sätze wie »Siehst du diesen Typen? Der hat in der Originalversion von Swiss Family Robinson (Die Insel der Verlorenen) mitgespielt. Nicht in der Disney-Version, die wir kürzlich gesehen haben, sondern im Original von 1940. Da war er der Vater.«4 Quentin dachte, dass jeder Erwachsene ein Filmexperte sei. Deshalb wollte auch er alle Details wissen. Er verinnerlichte alles, was er durch Kinobesuche, Fernsehen und Zeitschriften über Filme erfahren konnte. »In der Schule war ich total schlecht, ich konnte kaum richtig schreiben, konnte mir nichts merken. Aber ich wusste genau, wer in welchem Film mitspielte, wer Regie führte und wie die Handlung aufgebaut war«5, erzählt Tarantino. Sport, Skateboards, Surfen und all die anderen Dinge, die kalifornische Jungs in seinem Alter interessierten, ließen ihn kalt. Sein Tunnelblick war auf Filme und Fernsehserien gerichtet. Die Szene in Pulp Fiction, in der Butch als kleiner Junge ganz allein vor einem klobigen Fernseher sitzt, schrieb Quentin autobiografisch. Er sah Bonanza, Bugs Bunny, The Muppet Show, Speed Racer, Kung Fu und The Three Stooges, aber auch Universal-Horrorklassiker wie Frankenstein und Dracula sowie die deutschen Edgar-Wallace-Filme Der Bucklige von Soho und Die toten Augen von London, die nachmittags von den lokalen Fernsehsendern in Los Angeles ausgestrahlt wurden. Am prägendsten erwies sich jedoch die 1948 gedrehte Horrorkomödie Abbott and Costello Meet Frankenstein (Abbott und Costello treffen Frankenstein): »Mir gefiel, dass zwei völlig verschiedene Genres miteinander verbunden wurden. Die Szenen mit Bud Abbott und Lou Costello waren lustig, aber sobald das Monster auftrat, bekam ich es mit der Angst zu tun. Dracula will Costello das Gehirn herausoperieren und es Frankensteins Monster einsetzen lassen. Und dann wirft das Monster die Krankenschwester aus dem Fenster. Sie ist wirklich tot!«6

Mit fünf Jahren wollte Quentin Tarantino Schauspieler werden. Wenn er in seiner Fantasie bildstarke Szenarien entwickelte, sah er sich selbst als Filmstar. »Ich weiß noch, dass meine Mutter anderen erzählte: ›Wenn Quentin groß ist, wird er Regisseur.‹ Ich wusste aber nicht genau, was ein Regisseur macht. Mit fünf Jahren sieht man nur die Schauspieler auf der Leinwand und will so sein wie sie.«7 Als er in die Schule kam und mühsam Schreiben lernte, verfasste er zum Muttertag eine Kurzgeschichte, die sehr dramatisch mit Connie Tarantinos Tod endete. Der Sohn entschuldigte sich wortreich: »Du bleibst für mich die beste Mama der Welt, aber so, wie die Geschichte verläuft, musstest du am Ende einfach sterben.«8 Stets war die erdachte Handlung für ihn wichtiger als das wahre Leben. Als seine Mutter ihm verbieten wollte, beim Spielen mit G.I. Joe-Actionfiguren zu fluchen, entgegnete er: »Das bin ich nicht. Die Figuren sagen solche Sachen.«9 Er wollte so cool sein wie Charles Bronson und die anderen harten Männer, die er aus Filmen kannte, die an Erwachsene gerichtet waren. Als er elf Jahre alt war, sah Quentin eine Doppelvorführung von Deliverance (Beim Sterben ist jeder der Erste, 1972) und Sam Peckinpahs Spätwestern The Wild Bunch (The Wild Bunch – Sie kannten kein Gesetz, 1969).

Kurz zuvor hatte Curtis Zastoupil...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Biografie - Autobiografie

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Klartext.

E-Book Klartext.
Für Deutschland Format: ePUB/PDF

Streitbarer Querulant, umstrittener Politiker, Nervensäge, wandelndes Medienereignis - all das und mehr ist Jürgen Möllemann. Nach langem Schweigen redet das Enfant terrible der deutschen Politik zum…

Sigmund Freud

E-Book Sigmund Freud
Format: PDF

Wer war Sigmund Freud wirklich? Wie war der Mann, der in seiner Ordination in der Wiener Berggasse der Seele des Menschen auf die Spur kam? Und welche Rolle spielte dabei die weltberühmte Couch…

Sigmund Freud

E-Book Sigmund Freud
Format: PDF

Wer war Sigmund Freud wirklich? Wie war der Mann, der in seiner Ordination in der Wiener Berggasse der Seele des Menschen auf die Spur kam? Und welche Rolle spielte dabei die weltberühmte Couch…

Sigmund Freud

E-Book Sigmund Freud
Format: PDF

Wer war Sigmund Freud wirklich? Wie war der Mann, der in seiner Ordination in der Wiener Berggasse der Seele des Menschen auf die Spur kam? Und welche Rolle spielte dabei die weltberühmte Couch…

Weitere Zeitschriften

Atalanta

Atalanta

Atalanta ist die Zeitschrift der Deutschen Forschungszentrale für Schmetterlingswanderung. Im Atalanta-Magazin werden Themen behandelt wie Wanderfalterforschung, Systematik, Taxonomie und Ökologie. ...

Berufsstart Gehalt

Berufsstart Gehalt

»Berufsstart Gehalt« erscheint jährlich zum Sommersemester im Mai mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren und ermöglicht Unternehmen sich bei Studenten und Absolventen mit einer ...

Burgen und Schlösser

Burgen und Schlösser

aktuelle Berichte zum Thema Burgen, Schlösser, Wehrbauten, Forschungsergebnisse zur Bau- und Kunstgeschichte, Denkmalpflege und Denkmalschutz Seit ihrer Gründung 1899 gibt die Deutsche ...

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler

Der Steuerzahler ist das monatliche Wirtschafts- und Mitgliedermagazin des Bundes der Steuerzahler und erreicht mit fast 230.000 Abonnenten einen weitesten Leserkreis von 1 ...

VideoMarkt

VideoMarkt

VideoMarkt – besser unterhalten. VideoMarkt deckt die gesamte Videobranche ab: Videoverkauf, Videoverleih und digitale Distribution. Das komplette Serviceangebot von VideoMarkt unterstützt die ...

Euro am Sonntag

Euro am Sonntag

Deutschlands aktuelleste Finanz-Wochenzeitung Jede Woche neu bietet €uro am Sonntag Antworten auf die wichtigsten Fragen zu den Themen Geldanlage und Vermögensaufbau. Auch komplexe Sachverhalte ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...

F- 40

F- 40

Die Flugzeuge der Bundeswehr, Die F-40 Reihe behandelt das eingesetzte Fluggerät der Bundeswehr seit dem Aufbau von Luftwaffe, Heer und Marine. Jede Ausgabe befasst sich mit der genaue Entwicklungs- ...