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E-Book

Kirche verstehen

AutorEberhard Hauschildt, Uta Pohl-Patalong
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783641191108
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Praktische Orientierung für Ehrenamtliche in der Kirchenleitung
Was wird aus der Kirche? Gerade vor Ort in Dörfern und Städten ist dies heute eine häufig debattierte Frage: Wenn Gemeinden zusammengelegt, Gotteshäuser verkauft, gewohnte Dinge in Frage gestellt werden. Mehr als 130.000 Menschen, die im Ehrenamt kirchenleitend tätig sind, sollen dann Antworten geben. Für diese Menschen ist dieses Buch geschrieben. Es erschließt kompakt und verständlich, woher Kirche kommt, worin sie gründet, wie sie funktioniert, wie verschieden Kirche in ihrer Geschichte schon war und was darum alles noch möglich ist. Ein Buch voller Ermutigungen, die Handlungsspielräume der Gegenwart zu erkennen und zu nutzen.

Uta Pohl-Patalong, Dr. theol., geboren 1965, ist Professorin für Praktische Theologie an der Uni Kiel. Sie beschäftigt sich intensiv mit Zukunftsfragen der Kirche und ist eine viel gefragte Referentin zu diesem Thema in kirchlichen und wissenschaftlichen Kontexten.

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Leseprobe

Kapitel 1

Einleitung: Was ist Kirche?

Erste Eindrücke

Was ist »Kirche«? Wer Kindern diese Frage stellt und ihnen dann noch einen Stift und Papier in die Hand drückt, wird wahrscheinlich schnell eine Antwort bekommen. Ruckzuck entsteht das markante große Gebäude mit dem hohen Dach und vor allem mit dem Kirchturm. Und wenn man weiter fragen würde, was denn das für ein Gebäude ist, dann würden sie vielleicht sagen: »Da wohnt Gott« oder »da wohnt die Pfarrerin«.

Im Jahr 2012 wurde eine umfangreiche Befragung unter evangelischen Kirchenmitgliedern und Konfessionslosen durchgeführt. Zu Beginn stellte man die Frage: »Was fällt Ihnen ein, wenn Sie ›evangelische Kirche‹ hören?« In 39 % der Fälle fiel den Kirchenmitgliedern der Gottesdienst ein, und meistens tauchten dabei bestimmte Gottesdienste vor ihren Augen auf: Taufe, Trauung, Bestattung, Weihnachten, Ostern. Zu 29 % fiel ihnen sonstige religiöse Praxis ein: Glauben, Religion, Beten etwa lauteten dann die Antworten. 10 % nannten als erstes so etwas wie »Gemeinschaft« und »Zusammenhalt«. Einigermaßen erstaunlich ist: Nur 6 % fiel zuerst das Kirchengebäude ein, nur 4 % nannten sofort Pfarrer und Pfarrerinnen. Zu ergänzen bleibt noch: Einige dachten nicht an Kirche allgemein, sondern an die »evangelische« Kirche, also eine Kirche, die sich unterscheidet – von der katholischen Kirche. 12 % nannten als erstes solche Unterschiede oder erwähnten den Namen Martin Luthers. Von Nicht-Kirchenmitgliedern, den sogenannten Konfessionslosen, wurde übrigens zu 35 % als erstes Kirchenkritisches genannt. Bei den Kirchenmitgliedern hatten das nur 6 % getan. 14 % der Konfessionslosen fiel die Kirchensteuer ein. Aber auch bei 7 % von ihnen wurden zuerst Taufe, Trauung oder Bestattung genannt.

Was ist Kirche für die Menschen? So sehr natürlich Gebäude und Personen eine wichtige Rolle spielen, mehr noch verbinden die Kirchenmitglieder offensichtlich ihre Kirche mit einem bestimmten Geschehen, ganz besonders mit dem Gottesdienst.

Der Begriff »Kirche«

Das Wort Kirche, das die ersten Christen aufgriffen, war ein ziemliches Allerweltswort der griechischen Sprache. Ekklesia – das klang damals in den Ohren der griechisch-sprechenden Christen so ähnlich wie heute im Deutschen die Worte »Gemeinde« und »Gemeinschaft«: Es konnte eine – wir würden heute sagen – kommunale Gemeinde meinen oder eine religiöse Gemeinde. Es konnte eine Gemeinschaft der Anwesenden vor Ort sein oder auch die Gemeinschaft aller überhaupt, die irgendwie dazugehören. Für diejenigen, die sich in der griechischen Ausgabe der Hebräischen Bibel auskannten (die die Christen dann später das »Alte Testament« nannten), hatte dieses Wort ekklesia/Gemeinde eine bestimmte religiöse Färbung. Es klang für sie wie die Versammlung des Gottesvolkes Israel auf der Wanderung durch die Wüste im Sinai, wenn Mose zu ihnen sprach.

Dass die Kirche das Volk Gottes ist, das übernahmen die Christen auch für sich. Und sie setzten hinzu: Die Gemeinde lebt »in Christus« (z.B. Galaterbrief 3,28; 5,6; Römerbrief 6,10f.; 12,5), sie ist »Leib Christi« (u.a. 1. Korintherbrief 12,12-26; 10,17; Epheserbrief 4,12). Die Kirche ist Leib Christi so, dass die Menschen mit ihren jeweiligen Gaben der Verschiedenheit der Körperteile und Organe eines Leibes entsprechen (1. Korintherbrief 12), und so bilden sie eine Einheit mit Christus als Haupt (Epheserbrief 4,12-14; Kolosserbrief 1,18). Kirche ist da, wo der auferstandene Christus gegenwärtig ist.

Man sieht: Von Anfang an war es vielschichtig, was das Wort Kirche meint: etwas ganz Lokales und etwas ganz Globales, etwas, das unter der Leitung Christi steht und was durch viele Menschen in je ihrer Eigenart zu dem wird, wofür Christus steht. Das deutsche Wort »Kirche« übrigens stammt vom griechischen Wort »kyriaké« und bedeutet: »Haus des Herrn«. Mit dem Herrn, dem Kyrios, ist dabei Christus gemeint.

Eine Definition aus der Reformationszeit

Zur Zeit der Reformation gab es im Jahr 1530 ein bemerkenswertes Treffen. Da kamen Vertreter der katholischen Seite und derer, die eine Reform der Kirche wollten (Fürsten einiger Gebiete und Stadträte einiger unabhängiger Städte) in Augsburg zum Reichstag zusammen, vor Kaiser Karl V. und den deutschen Kurfürsten. Versucht wurde, ob nicht doch eine Verständigung möglich sei. Die Protestanten legten unter der Leitung von Philipp Melanchthon eine Erklärung vor. Sie formulierte in 28 Artikeln, wie ihr evangelisches Verständnis des Christli­chen war.

In dieser Augsburger Konfession liefert der Artikel 7 eine Definition von Kirche. Was an ihr zuerst ins Auge springt, ist die Kürze. Kirche ist demnach »Zusammenkommen der Gläubigen (die lateinische Fassung sagt: der Heiligen), bei dem recht gelehrt und die Sakramente dargereicht werden«. Diese Knappheit der Definition ist gewollt. Zur Erläuterung heißt es nämlich direkt im nächsten Satz: »Genug« ist das zur Einheit der Kirche: Übereinstimmung über die Lehre und die Darreichung der Sakramente. Nicht nötig sei die Übereinstimmung bei Traditionen, Riten und Zeremonien, diese seien ja menschengemacht.

Nun kann man natürlich nicht so leicht auseinanderdividieren, wo es noch um das richtige Reden und Praktizieren in Übereinstimmung mit der Bibel und wo es schon um die Pluralitäten menschlicher Traditionen und Ausdrucksweisen geht. Aber das Prinzip ist deutlich benannt: Der zentrale Unterschied zwischen Kirche und Nicht-Kirche war für die Protestanten damals sehr klar und eindeutig: Kirche ist Gottesdienst, liturgischer Gottesdienst wie der am Sonntag (von da aus dann auch der »Gottesdienst« in der alltäglichen Lebensführung, vgl. Römerbrief 12,1). Kulturelle und zeitlich bedingte Vielfalt ist kein grundsätzliches Problem.

Kennzeichen von Kirche – um die zu benennen, dafür reichte die knappe Definition nicht aus. In den folgenden Jahrzehnten wurden damals dafür von den Evangelischen mehrfach Listen aufgestellt, einander ähnliche, aber auch immer mit ein paar Unterschieden. Manche Nennungen blieben über die folgenden Jahrhunderte sehr beständig, andere erwiesen sich offensichtlich auch als zeitbedingt. In der Reformationszeit wurde typischerweise genannt: Taufe, Abendmahl, Ämter, Gebet, aber auch Kreuz, Ehrung der Obrigkeit, Ehestand und – evangelische Kirche! – Fasten.

Geglaubte Kirche

Die Protestanten damals wussten sich zusammen mit der Kirche, aus der sie herkamen und die dann zur römisch-katholischen Kirche wurde, auf einer gemeinsamen Basis: der Kirche der ersten Jahrhunderte. Zu diesen Gemeinsamkeiten gehörte auch das sogenannte Apostolische Glaubensbekenntnis. Es geht in seinen frühesten Formulierungen bis auf das 2. Jahrhundert zurück. In fast jedem evangelischen Gottesdienst in Deutschland wird es gesprochen. Nach dem Bekenntnis zu Gott dem Vater und dem Schöpfer im ersten Artikel und dem Bekenntnis zu Jesus Christus im zweiten Artikel enthält es einen dritten Artikel. Der beginnt mit den Worten: »Ich glaube an den Heiligen Geist, die heilige katholische Kirche, Gemeinschaft der Heiligen.« (Das aus dem Griechischen übernommene Wort »katholisch« übrigens meint hier »weltumspannend«. Da es in der evangelischen Kirche anstößig klingt, als ob die römisch-katholische Konfession gemeint sei, hat die protestantische Fassung das Wort »katholisch« durch das neutrale »christlich« ersetzt.) Im Glaubensbekenntnis kommt die Kirche vor; nicht einfach als eine beschriebene empirische Kirche, sondern darüber hinaus als geglaubte Kirche: »Ich glaube an die Kirche«. Genauer: Der dritte Artikel des Glaubensbekenntnisses ist ein Bekenntnis dazu, dass Gott nicht nur als Vater/Schöpfer und als Christus, der Erlöser, sondern auch als »Heiliger Geist« da ist. Gegenüber diesem Bekenntnis zur Trinität, zur Dreifaltigkeit Gottes, stellt der Glaube an »die Kirche« nicht noch einmal etwas Weiteres dar; er wird nicht als ein vierter Artikel präsentiert. Sondern der Glaube an die Kirche ist verstanden als eine Auslegung des Glaubens an den Heiligen Geist. Damit ist nicht gesagt, dass die Kirche und »Heiliger Geist« das Gleiche seien. Man kann das daran sehen, dass die Aufzählung noch weitergeht: »Gemeinschaft der Heiligen, Vergebung der Sünden, Auferstehung von den Toten und das ewige Leben.« Aber doch ist damit gesagt: Zur Gegenwart Gottes, wie sie sich auch als »Heiliger Geist« vorstellen lässt, gehört »die Kirche« zentral mit dazu.

Wozu das Buch?

So klar und so einfach, wie eben ausgeführt, lässt sich sagen, was Kirche ist: Bei der Kirche geht es um ein Geschehen, ganz besonders um den Gottesdienst, es geht um die Anwesenheit Gottes – in Christus und durch den Heiligen Geist. Die christliche Tradition, auch die der evangelischen Kirche, gibt ein solches Verständnis von Kirche vor. Man kann es zur Kenntnis nehmen: Kirche ist so definiert.

Aber wenn das Buch, das Sie in der Hand haben, damit aufhören würde, wären Sie als Leserinnen und Leser dann doch enttäuscht. Zu Recht. Denn die Fragen hören mit Definitionen nicht auf. Jede Definition reizt zu neuen Fragen. Zum Beispiel: Wenn Kirche das Zusammenkommen zum Gottesdienst ist, was geht denn von diesem Gottesdienst am Sonntag aus in den Alltag weiter? Es ist mit der fast 500 Jahre alten Definition auch nicht gesagt, was denn der Gottesdienst im Sonntag und im Alltag...

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