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Innsbruck abseits der Pfade

Eine etwas andere Reise durch die Stadt mit dem Goldenen Dachl

AutorBernd Schuchter
VerlagBraumüller Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783991001430
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
In Innsbruck abseits der Pfade entdecken wir die Stadt in den Alpen als Verkehrsknotenpunkt seit dem Mittelalter, als Ort der kurzen Wege, als Eldorado für Radfahrer, als Schauplatz von Kunstskandalen, Kleinherzigkeit und Heldentaten; wir lernen Einwohner kennen, die so gar nichts mit dem Klischee der skifahrenden, in den Bergen wandernden, gesunden, kernigen Tiroler zu tun haben, als die sie bereits Heinrich Heine in seinen Reisebildern beschrieben hat. Obwohl jeder sechste Skitourist weltweit in Tirol Urlaub macht, gibt es in Innsbruck und Umgebung einen ruralen Unterbau, der weder den Fremdenverkehr noch die Mitterer'sche Piefke-Saga repräsentiert.

Bernd Schuchter, 1977 in Innsbruck geboren, Studium der Germanistik, Geschichte und Philosophie an der Universität Innsbruck, seit 2006 Verleger des Limbus Verlages, lebt mit seiner Familie in Innsbruck. Preis­träger beim Prosapreis Brixen?/?Hall, Arbeits­stipendium des bmukk und Preis der Landeshauptstadt Innsbruck für künstlerisches Schaffen. Zuletzt erschienen die Erzählung Jene Dinge sowie die Romane Link und Lerke und Föhntage (Braumüller 2013).

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Leseprobe

Ich jedenfalls wähle weder den Weg zum Aussichtspavillon noch zu den Papageien. Ich gehe den Hauptweg entlang (natürlich könnte ich auch hier zum Alpenzoo gelangen …) und erreiche nach noch einer Kehre die dritte idyllische Holzbrücke, die sich über einen Bach samt verwunschenem Wald in der kleinen Schlucht erstreckt. Dieser Weg führt zum beschriebenen Judenbühel. Auf halber Höhe befand sich tatsächlich bis Ende des 19. Jahrhunderts der jüdische Friedhof von Innsbruck, in den 1860er-Jahren fand die letzte Beerdigung statt. Der Friedhof war damals außerhalb von Innsbruck gelegen, da dieses Gebiet zur eigenständigen Gemeinde Mühlau gehörte. Ein Friedhof ist hier seit dem Ende des 15. Jahrhunderts, spätestens Anfang des 16. Jahrhunderts nachweisbar, wie diverse Urkunden belegen, die es der jüdischen Gemeinde von Innsbruck gestatteten, an diesem Ort ihre Toten zu begraben. Die Geschichte der jüdischen Gemeinde in Innsbruck ist wie in so vielen Städten äußerst wechselvoll, wie die zahlreichen historischen Studien der letzten Jahre, etwa von den Historikern Horst Schreiber oder Thomas Albrich, zeigen. Das jüdische Leben in Tirol, insbesondere zur Zeit des Nationalsozialismus, wurde aber auch literarisch be- und verarbeitet, vor allem der Innsbrucker Lyriker und Romancier Christoph W. Bauer versucht mit Büchern wie Graubart Boulevard oder Die zweite Fremde die Erinnerungskultur in Innsbruck und Tirol am Leben zu erhalten.

Ich erreiche den Bereich des ehemaligen jüdischen Friedhofs, dessen genaue Bemessungen und Ausmaße im Rahmen eines archäologisch-historischen Forschungsprojekts nach 2000 untersucht wurden; im Gedenken an den einstigen Friedhof wurde eine Gedenkskulptur installiert, entlang der früheren Umfassungsmauer des Friedhofs wurden Metallplatten mit eingestanzten Davidsternen aufgestellt, ebenso eine Gedenk- und Hinweistafel. Diese Erinnerungskultur ist Ausdruck einer modernen Wertschätzung für die kleine jüdische Gemeinde, die es heute noch in Innsbruck gibt. In der Zeit des Nationalsozialismus tat sich Innsbruck als ausgesprochen willfähriger Partner der Hitler-Ideologie hervor: Die Reichskristallnacht im November 1938, als im ganzen Deutschen Reich jüdische Geschäfte zerstört und geplündert und zahlreiche jüdische Mitbürger erniedrigt, geschlagen und ermordet wurden, war in Innsbruck besonders grausam und brutal, unter anderem wurde der Kaufmann Richard Graubart, der mit seiner Familie in der zentral gelegenen Museumstraße ein angesehenes Schuhgeschäft besaß, in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 von einem Rollkommando der SS ermordet – siehe C. W. Bauers Roman Graubart Boulevard.

Die gefrästen Davidsterne als Zitat der Leerstelle, die das vertriebene, ehemalige jüdische Leben in Innsbruck hinterlassen hat.

Der jüdische Friedhof auf dem Judenbühel wurde aber aus ganz anderen Gründen aufgegeben. Zwar gab es immer wieder Grabschändungen, tatsächlich aber war das Gelände zu abgelegen und vor allem im Winter bei Schnee schwer zu erreichen. Bei der Errichtung des neuen allgemeinen Westfriedhofs, der heute zentral in der Nähe des Krankenhauses im Stadtteil Wilten liegt, wurde dort auch ein israelitischer Teil mitgeplant – bis heute befindet sich der jüdische Friedhof Innsbrucks im Westen der Stadt. Nachdem die Gräber schließlich überführt worden waren, wurde der Friedhof am Judenbühel 1880 geschliffen und die alten Umfassungsmauern eingeebnet.

Folgt man dem Pfad bis auf das Plateau des Judenbühels, stößt man auf ein beliebtes Ausflugsziel für die Jungeltern Innsbrucks, ein Waldspielplatz mit einer großen Wiesenfläche und Bänken am Rand, auf denen man einen guten Blick über ganz Innsbruck bis weit in den Süden am Bergisel vorbei und bis auf die markante Spitze der Serles hat.

Ich verlasse den Spielplatz und den Judenbühel und sehe die nahe Mittelstation der neuen Hungerburgbahn, die geradezu futuristisch wirkt hier im lichten Mischwald, wende mich wieder nicht Richtung Alpenzoo, sondern biege rechts ab auf den Schillerweg, einen schönen, ganz leicht bergan führenden Spazierweg, der sich an den Berg schmiegt bis nach Mühlau. Man folgt dem breiten Waldweg und staunt alle paar Meter über die Gabe der Tiroler Architekten, auf klitzekleinen Baugründen (zu horrenden Quadratmeterpreisen) in extremer Hanglage Einfamilienhäuser planen zu können, besonders bei einem bestimmten Haus, das über etwa zwanzig Quadratmeter Grundfläche verfügt, sich dafür aber wie ein Turm vier Stockwerke in die Höhe schraubt.

Als Würfel und mit wenig Raum in die Höhe: Die Innsbrucker Architekten wissen den Platz zu nutzen.

Der Schillerweg als grüne Lunge für die Einheimischen

Vom Schillerweg zweigen alle paar Meter Wege in den Wald ab, die entweder steil hinauf Richtung Hungerburg oder steil hinunter ins Tal führen. Verirren kann man sich in diesen Wäldern nicht wirklich, und es lohnt sich, den einen oder anderen Weg einfach blind auszuprobieren. Ich bleibe auf dem Schillerweg und grüße die mir entgegenkommenden Wanderer und Spaziergänger, denn in Tirol gilt: Hat man die Stadt hinter sich gelassen, befindet man sich auf dem Berg. Und in den Bergen wird gegrüßt, da sind auch alle per Du.

Eben möchte ich meinen imaginären Hut lüften, als zwei, drei Mountainbiker an mir vorbeirasen, in voller Montur, mit allerlei Gliedmaßen- und Gelenksschützern, Helm und grimmigem Blick brettern sie an mir vorbei. In Tirol und damit auch in Innsbruck ist der Sport heutzutage ebenso heilig wie in früheren Zeiten die Jungfrau Maria, und wenn man im Winter in jeder freien Minute Skifahren geht, so müssen in den übrigen Jahreszeiten andere Sportarten herhalten, der Sommertourismus hat in Tirol sozusagen noch Wachstumspotenzial. Die rasanten Biker, die mich halsbrecherisch passiert haben, fahren geradewegs den Berg herunter, und zwar von einer der bekannten Downhillstrecken, die von der Hungerburg ins Tal führen.

Helm und Montur sind auf der Downhillstrecke zu empfehlen.

Am Ende des Schillerwegs komme ich bei den ersten Häusern von Mühlau aus dem Wald heraus. Rechter Hand sehe ich eine große, umzäunte Wiese mit Solarzellen und dahinter einen schnörkellosen Nutzbau, der zwischen 1942 und 1953 entstanden ist: das Wasserwerk Mühlau.

Innsbruck ist wie kaum eine andere Stadt bekannt für die Qualität seines Leitungswassers. Der Mühlauer Graben, der das Wasserwerk Mühlau speist und ganz Innsbruck versorgt, deckt allein mehrfach den Bedarf der Stadt. Die Quelle schüttet im Winter 750 Liter in der Sekunde und im Sommer gar 2000 Liter pro Sekunde aus, die sich im Kraftwerk in großen Becken sammeln. Ein Besuch des Wasserwerks ist nach Voranmeldung möglich und man bekommt (wie fast jeder Innsbrucker Volksschüler) ein beeindruckendes Schauspiel geboten. Die großen Bassins fassen bis zu 35.000 Kubikmeter Wasser in aller Klarheit, Reinheit und Schönheit, in sich spiegelnden Mustern und Farben.

In Innsbruck und Umgebung schätzt man das Wasser, das überaus reich an Mineralien ist und den Konsum von konventionellem Mineralwasser überflüssig macht, vor allem auch, weil es jahraus, jahrein kühl aus der Leitung kommt – die Temperatur der Mühlauer Quelle beträgt konstant 4,5 Grad Celsius.

Das Wasserwerk Mühlau samt Solaranlagen

Dass dieses Wasser keine Selbstverständlichkeit ist, ist heute weder Einheimischen noch Touristen bewusst. Innsbruck verfügte bis zur Eingemeindung der umliegenden wasserreichen Ortschaften über keine eigene Quelle. Schon ab dem 16. Jahrhundert wurde Wasser aus Mühlau nach Innsbruck geleitet, ab dem späten 19. Jahrhundert erstmals in Hochdruckleitungen. Aber Innsbruck wuchs beständig, und damit auch der Wasserbedarf. Spätestens mit dem Zuzug von zahlreichen Südtiroler Familien und der großen Umsiedlung im Rahmen der sogenannten Option 1939 im Zuge des Hitler-Mussolini-Abkommens war Innsbruck in Sachen Wasser an seine Grenzen gelangt. So wurde 1942 eine erweiterte Erschließung des Mühlauer Grabens ebenso beschlossen wie der Neubau des bis heute bestehenden Wasserwerks. Die Bauarbeiten zogen sich über Jahre hin und konnten schließlich – auch mithilfe von Geldern aus dem US-amerikanischen Marshallplan, an den ein Schild an der Fassade erinnert – im Jahr 1953 beendet werden, am 13. Mai desselben Jahres wurde das Kraftwerk eingeweiht. Eine Besonderheit stellt der enorme Wasserdruck dar, mit dem das Wasser aus dem Berg kommt. Durch diesen hohen Druck können Innsbrucks Hochhäuser – etwa im Olympischen Dorf oder im Stadtteil Reichenau – bis ins oberste Stockwerk ohne elektrische Pumpen mit Wasser versorgt werden. Ein den Bergen geschuldetes, einmaliges Phänomen!

Tipps


Wasserwerk Innsbruck

Schillerweg 5, 6020...

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