Die vielen Knöpfe, Rädchen, Programmautomatiken und Einstellungsmöglichkeiten an einer modernen Kamera können gerade den blutigen Anfänger schnell verunsichern. Auf den nächsten Seiten möchte ich dir die Angst vor deiner Kamera nehmen. Du wirst sehr schnell sehen, dass alles halb so wild ist.
Damit du deine Kamera von vornherein richtig kennenlernst, will ich zu Beginn auf Automatikeinstellungen verzichten. Schnell wirst du sehen, dass es gar nicht so schwer ist, im manuellen Modus mit einer Kamera zu arbeiten, denn von Anbeginn der Fotografie bis heute hat sich im Wesentlichen nichts verändert. Der Unterschied ist eigentlich nur, dass du eine Speicherkarte einlegst und den richtigen ISO-Wert, also die elektrische Verstärkung des Bildsensors, an der Kamera einstellst, anstatt einen Film einzulegen.
Wichtig ist das Zusammenspiel von Zeit, Blende und ISO. Es sind also erst einmal nur drei Dinge, die du an einer Kamera einstellen musst. Egal ob es eine alte analoge Kamera aus Opas Zeiten oder eine moderne digitale Spiegelreflex- oder Systemkamera ist.
Stelle deine Kamera also auf „M“. Das ist bei den meisten Kameras die Bezeichnung für den „manuellen Modus“. Nun finde heraus, wo du die Zeit (Verschlusszeit), die Blende und den ISO-Wert an deiner Kamera einstellen kannst.
EIN BLICK IN DIE BEDIENUNGSANLEITUNG
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Wenn du nicht sofort herausfinden kannst, wo sich an deiner Kamera der manuelle Modus einstellen lässt, schaue in die Bedienungsanleitung deiner Kamera. Dort wirst du mit Sicherheit schnell herausfinden, wie man den Modus an deiner Kamera einstellen kann und über welche Knöpfchen oder Rädchen sich Verschlusszeit, Blende und ISO einstellen lassen.
Eine moderne Kamera verfügt in der Regel über ein Display, über das sich alle Einstellungen vornehmen lassen.
Bei älteren analogen Kameras sind diese Einstellungen noch mechanisch direkt am Objektiv und am Kameragehäuse vorzunehmen.
Während man sich früher vor dem Fotografieren für den richtigen Film entscheiden musste, kann man den ISO-Wert heute zwischen jedem Auslösen jederzeit verändern.
Altes Filmmaterial mit unterschiedlichen ISO-Werten.
Menü der Digitalkamera mit ISO-Werten von 100 bis 6400.
Der ISO-Wert beschrieb ursprünglich die Empfindlichkeit des Filmmaterials. Bei Sonnenschein legte man einen 100-ISO-Film ein, bei leicht bedecktem Himmel einen 200-ISO-Film und für Innenaufnahmen bei Tageslicht einen 400- oder 800-ISO-Film. Für extrem schlechte Lichtverhältnisse gab es sogar 1600- und 3200-ISO-Filme, die man im Labor bei der Filmentwicklung sogar noch auf 6400 ISO oder mehr pushen konnte. Je höher der ISO-Wert, umso empfindlicher war ein Film und umso weniger Licht brauchte man. Allerdings wurde die Auflösung (das Korn) auch immer gröber.
Bei einer digitalen Kamera musst du zwar keinen Film mehr wechseln, die Entscheidung für einen ISO-Wert fällt allerdings nicht weg. Auch bei einer digitalen Kamera richtet sich der ISO-Wert nach den vorhandenen Lichtbedingungen. Je sonniger oder heller es ist, umso niedriger kannst du ihn an deinem Fotoapparat einstellen. Hast du nur wenig Licht zur Verfügung, musst du den Wert anpassen und einen höheren Wert einstellen.
TIPP
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Je heller, umso niedriger der ISO-Wert. Je dunkler, umso höher sollte er sein.
Leider ist es so, dass die Qualität unter einem hohen ISO-Wert sehr leidet. Ähnlich wie früher das Korn immer gröber wurde, bekommt heute das Bild ein sogenanntes „digitales Rauschen“. Wenn du dieses Rauschen vermeiden möchte, solltest du also immer schauen, dass du einen möglichst niedrigen ISO-Wert an deiner Kamera einstellst. Ich persönlich finde dieses digitale Rauschen manchmal sehr schön und setze es bewusst als Stilmittel ein.
Bildausschnitt bei 100 ISO.
Bildausschnitt bei 12800 ISO.
Um einen für dich passenden ISO-Wert zu finden, musst du also abwägen, ob du unter schlechten Lichtbedingungen ein digitales Rauschen in Kauf nimmst oder lieber mit einer künstlichen Lichtquelle arbeiten möchtest, um das fehlende Licht auszugleichen.
Auf die Arbeit mit unterschiedlichen Lichtquellen gehe ich in einem späteren Kapitel noch genauer ein.
Mit der Blende (die mit ƒ angegeben wird) stellst du die Größe der Öffnung des Objektivs ein. Je niedriger die Blende ist, umso mehr Licht fällt in die Kamera. Je höher die Blende ist, umso weniger Licht fällt in die Kamera. Über die Verschlusszeit kannst du steuern, wie lange du wie viel Licht in die Kamera fallen lässt. Um ein Foto zu belichten, braucht es eine bestimmte Menge Licht. Kommt zu wenig Licht in die Kamera, ist das Foto zu dunkel. Kommt zu viel Licht in die Kamera, ist es zu hell.
! OFFENE UND GESCHLOSSENE BLENDE
Das Zusammenspiel von Verschlusszeit und Blende ist also entscheidend dafür, ob ein Foto über- oder unterbelichtet ist. Bei einer sehr offenen Blende fällt in sehr wenig Zeit viel Licht in die Kamera. Bei einer nahezu geschlossenen Blende braucht es sehr viel mehr Zeit, bis die Kamera genügend Licht hat.
Je nachdem was für ein Objektiv du verwendest, stehen dir unterschiedliche Blendeneinstellungen zur Verfügung. Bei dem abgebildeten Beispiel ist ein 40-mm-Objektiv mit einem Spielraum von ƒ2,8 bis ƒ22 im Einsatz.
Je nach Objektiv lassen sich folgende Blenden einstellen:
ƒ1,2 (offene Blende) ƒ1,4 ƒ1,8 ƒ2 ƒ2,8 ƒ3,5 ƒ4 ƒ5,6 ƒ8 ƒ11 ƒ16 ƒ22 (nahezu geschlossene Blende)
Die meisten Zoomobjektive beginnen erst mit einer Blende ƒ3,5 oder ƒ5,6. Objektive mit einer festen Brennweite (Festbrennweiten) beginnen schon bei ƒ2,8 oder sogar ƒ1,2.
Warum also nicht einfach grundsätzlich die Blende sehr weit öffnen, um so schnell wie möglich genügend Licht in die Kamera zu bekommen? Das hat einen sehr guten Grund. Denn durch die Blende hast du sehr großen Einfluss auf die Gestaltung des Fotos. Mit der Wahl der Blende kannst du die Tiefenschärfe verändern. Mit der Tiefenschärfe wird beschrieben, wie viel in welcher Entfernung von der Kamera scharf ist. Das bedeutet, dass du darüber entscheiden kannst, wie viel auf einem Foto scharf oder unscharf ist.
Am einfachsten lässt sich das in zwei Beispielen veranschaulichen.
Mit einer offenen Blende bekommst du wenig Tiefenschärfe in das Foto. Die Schärfe liegt in diesem Beispiel auf den Augen des Models. Vordergrund und Hintergrund sind unscharf. Durch eine offene Blende lässt sich also der Fokus des Betrachters auf etwas Bestimmtes richten. Das Foto zwingt den Betrachter zu einer subjektiven Wahrnehmung. Dadurch kannst du den Blick steuern und gezielt auf ein Detail lenken.
Fotografiert mit offener Blende (ƒ2). Der Schärfebereich ist sehr gering.
Fotografiert mit einer nahezu geschlossenen Blende (ƒ22). Fast alles ist scharf.
Mit der geschlosseneren Blende bekommst du sehr viel Tiefenschärfe in das Bild. Die Schärfe ist zwar auch hier auf den Augen des Models, allerdings sind Vordergrund und Hintergrund fast genauso scharf. Das Foto lässt für den Betrachter eine viel objektivere Wahrnehmung zu.
Mit der Wahl einer möglichst offenen Blende kann ich also den Blick des Betrachters auf Details oder Dinge im Bild lenken. Bei einem Porträt sind das in der Regel die Augen des Models. Gerade bei einem Aktfoto finde ich es sehr spannend, mit dem Verlagern der Schärfe zu spielen. In ein und derselben Pose kann ein Foto aus dem exakt gleichen Blickwinkel so eine sehr unterschiedliche Wirkung bekommen.
Fotografiert mit offener Blende (ƒ2). Der Schärfebereich ist sehr gering und lenkt den Blick des Betrachters automatisch auf den scharf eingestellten Bereich des Bildes. Die Schärfe ist hier auf den Augen eingestellt.
Die Einstellungen hier sind gleich. Die Schärfe ist hier jedoch auf die Brust eingestellt.
Hier ist die Schärfe auf das Becken eingestellt.
Und noch eine Variante: Die Schärfe ist hier auf dem Kachelofen im Hintergrund eingestellt.
Das gleiche Foto habe ich auch noch mal mit einer sehr viel geschlosseneren Blende fotografiert, um dir zu zeigen, wie sich das auf die Fotos auswirkt.
Fotografiert mit nahezu geschlossener...