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Über sich selbst und sein Werk
Gebt mir’s! Gebt mir mein Reiterstandbild! Zögert nicht länger!
Sonst fresse ich euch auf – und ich habe bewiesen, daß ich’s kann.
Ihr kennt meine Taten. Brauchen die andern Kerle Reiterstandbilder? Gestern erst stopfte ich das (zäh sakrale) Fleisch der Kaiserin Tun-Teeh von Topfnachtien in ihr eignes Gedärm und verspeiste es als Mettwurst: warum also länger warten? Soll ich auch noch den Professor Witzlamopski-Torfgemüll (als Vomitiv) schlingen? Ich habe genug gegessen, bin satt. Setzt mir jetzt ein Reiterstandbild! Eiserne Mynonas will ich; und schämen solltet ihr euch, daß ich euch erst mahnen muß.
Ich verlange ein Reiterstandbild (1916; GS 7, 273). Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff (1848-1931), klass. Philologe.
In meiner Jugend wünschte ich mir sehnlichst mein Reiterstandbild. Ich lechzte nach einer Gedenktafel an der Hintertür wenigstens meines Geburtshäuschens. Ich wollte den Pariser Platz in einen Mynonaplatz umgetauft haben. Wie kindisch finde ich heute alle diese Wünsche, die mir jeder Reichspräsident von Herzen gern erfüllen möchte.
Mein hundertster Geburtstag (1928; GS 18)
Mit Magenfreuden, liebste Anna, warte lieber bis zum Mai, wo alle Welt meinen Geburtstag so feierlich begeht; gegen ein Denkmal bei Lebzeiten werde ich protestiren: Wer weiß, wie schön ich noch werde? – an Anna & Salomon Samuel, 12.3.1902
Das Buch? – Ich schwör’s Ihnen: gedruckter Mundgeruch! Die Leser Fliegen im Spinnennetz des Buches
Fermenta Mynonae (GS 16, 511)
Jeder Autor hat sein Lexikon, sein Wortmaterial. Kennt man das, braucht man ihn nicht mehr zu lesen.
Tgb 71, Feb. 1937
Die Türschelle klang, und nach einer kleinen Weile trat ein eigenartiges Pärchen herein: eine junge Dame, der man die künstlich übersteigerte Schöngeistigkeit im Verein mit gewaltsam entbürgerlichter Erotik auf den ersten Blick anmerkte, zur Seite eines älteren Mannes, an dem eine perückenhaft anmutende Frisur aus grauem Haar auffiel. Sein langes, schmales, bartloses Gesicht war von spitz hervorspringender Nase profiliert. Auf seinen eckigen Zügen von ins Korrekte strebender Häßlichkeit lag ein sich selber beständig Lügen strafender Ernst oder eine sich selber wieder ausstreichende Heiterkeit. Da seine Widersprüche sich mehr noch zu nichts aufhoben als gegenseitig befruchteten, wirkte er bizarr und banal. Trotzdem schien er ein Interesse zu erregen, dessen Übertriebenheit er selbst störend empfand. [...] Diese beiden waren der leidlich bekannte Humorist Friedrich Salomon (der sich daneben als Philosophen einschätzte) und seine Schülerin, wenn man so sagen darf, Hetta Dünneke.
Graue Magie, Kap. 4 (GS 14, 159)
Es ist schon eine sehr verhexte, verrenkte, verzurrte Seligkeit, in der wir leben. Und Du weißt ja, liebste Tochter, daß sich dieser allgemeine Fluch bis in die tiefste Liebe eindrängen kann. Glücklicher Weise ist das Glück zwar zu mißhandeln, aber nicht zu beseitigen; und unseres erst recht nicht, meine geliebte Lise! Wir bleiben verbunden und mehr als jemals! – Ich glaube, daß ich das ganze Verhängnis des Lebens als Gedanken in mir habe: so deutlich & unmißverständlich, daß ich in diesem Punkte gar kein „Mensch“ mehr bin; ich bin die Natur selber, wenn ich denke. Das Erlebnis mag Mancher gefühlt oder angeschaut haben: aber noch Niemand hat es vernünftig gedacht! Aber dafür weiß ich auch nichts als dies, und bin in allem Anderen dumm.
an Marie Luise, 1.8.1911, sechs Wochen vor der Heirat
Was ein Kolibri ist, werden so ziemlich alle gebildeten, ungebildeten und halbgebildeten Vernunftbesitzer wissen: ein schönes Vögelchen mit einem sehr langen graziösen Schwanz, der beim Fluge wie ein gefiederter bunter Blitz durch die Luft sirrt. (Hä, wie gemein ist diese gezierte Ausdrucksweise!) Aber wirklich, der Kolibri ist ein so allerliebst niedliches Tierchen, von der Natur so konfitürenmäßig entzückend ausersonnen, daß alle Literatur ihm einfach übel nachhinkt – nein, die Literatur ist kein Kolibri; sie ist weit, weit eher eine Verbalinjurie, an der ganzen lieben Welt begangen.
Der Schutzmannshelm als Mausefalle (1912; GS 7, 175)
Man ließ die Klosetts intensiv auskultieren; es kamen aber daraus nur einige halbverfaulte Embryos, ein Sonnenschirm, ein außerordentlich genauer Festungsplan von Spandau, gutgetippte Majestätsbeleidigungen, ein Porträt der Kaiserin, vier zerbrochene Klemmer, Mynonas gesammelte Werke, eine Büste des Theosophen St. und ein gefälschter Tausendmarkschein zum Vorschein. Man hat nie etwas aufklären können. Der Philosoph Fressoir sprach sich in einem Artikel des Tageblattes ziemlich geistvoll über Massenhalluzinationen aus; er machte stelzbeinige Folgerungen auf „Passantenwahnsinn vor Warenhäusern“. Ist es nicht schade, daß an den alleraufgeklärtesten Sachen immer noch ein unauflösbares Rätsel zurückbleibt?
Die Bank der Spötter (1919; GS 4, 211). Fressoir = Max Dessoir (1867-1947), Philosoph, Psychologe, Kunsthistoriker. Der Theosoph ist Rudolf Steiner.
Sie kennen ja, da Sie gebildet genug sind, um Mynona zu lesen, die Tragödie der Narzisse. Eigentlich ist es die Tragödie der Selbsterkennung. Aber nicht immer, wenn man in den Spiegel blickt, erfreut man sich sehnsüchtig gierig der eigenen Schönheit.
Der umgekehrte Narziß (1918; GS 7, 352)
Ein Autor ist ja im Grunde nichts als der Detektiv seiner selbst.
Graue Magie, Kap. 2 (GS 14, 110)
Was mich und mein Buch anbelangt, so komme ich mir vor wie ein alter Inder oder Mystiker (etwa Eckehart), der (gleich Whitman oder Emerson) im modernsten Amerika aufwacht.
an Ernst Marcus, 11.10.1918. Das Buch: Schöpferische Indifferenz
Prof. Friedlaender hat einen ungeheuren Zulauf; er hat ein Maskenverleihinstitut, welches nicht bloße Kostüme, sondern Haut und Haar, Knochen und Muskeln zur Verkleidung anfertigt.
Der operierte Goj. Ein Gegenstück zu Panizzas operiertem Jud (1922; GS 7, 606)
Was nutzt mir also die Produktivität, wenn ich mit ihr isoliert bleibe? Gewiß wirkt sie vervollkommnend auf mich selber ein. Aber ich will doch auch Andre teilnehmen lassen, und daraus erklärt sich meine Briefschreiberei. Das ist aber doch nicht das Richtige. Das ist nur schwacher Ersatz für ein ordentliches Buch, das von einem ordentlichen Verleger beueut würde. Der ist aber auf Erden für mich nichtzu haben.
an Ida Lublinski, 18.7.1934
Dieses Jahr wird meine Schriftstellerei vierzig Jahre alt. Meine erste Veröffentlichung (über Schopenhauer) las mein Vater noch. Damals war ich Hyperpessimist im Sinne Schopenhauers und lachte, über allen Fortschritt, in Grabestönen. Mein Vater wies mich dem gegenüber auf Kant als den allein echten Philosophen hin. Vier Jahre später lernte ich Marcus kennen.
an Anna Samuel, 12.2.1936
Diese meine eigene philosophische Produktivität ist vierzig Jahre lang mit der Formel Polarität beschäftigt gewesen. Fixiert hatte ich sie schließlich, noch bevor ich Kantmarcusianer geworden war, in meiner „Schöpferischen Indifferenz“. Lese ich diese jetzt wieder, so erlebe ich etwas Erstaunliches: – das ist meine heutige, aber kritiklos extravagant hervorgesprudelte, krankhaft hypertrophierte Wahrheit. [...] Ich bin der größte Affe seit Darwin ...
an Doris Hahn, 29.3.1935
Zwar hatte ich mich schon im ,Frieden’ auf meine „Indifferenz“ besonnen; aber erst unter dem Drucke dieser Not gelang es mir, meine eigene Entdeckung mit der Kantischen in richtige Verbindung zu bringen und sie dadurch erst zu einem ewigen Funde zu machen. Allerdings erfordert es das Abtun aller Eitelkeit, um dieses literarische Begräbnis bei Lebzeiten, das mir die ,Moderne’ zudenkt, frohgemut auszuhalten. Es ist aber nicht zu bezweifeln, daß eine Zeit, die sich solchen Autor entgehen läßt, beklagenswerter ist als dieser selbst [...]
an Ida Lublinski, 18.2.1937
Ich habe eigentlich nichts getan als einen Gedanken verbessert. Aber es ist der zentrale Gedanke des Menschenlebens. [...] Nehmen wir an, es schriebe Jemand mit weißer Tinte die einzige Wahrheit auf ebenso weißes Papier: – und doch kann man nicht anders. Wenn das Allerselbstverständlichste zugleich das Allerwunderbarste ist; so ist es fast unmöglich, das zu wissen. Wie soll man es merken? Dennoch ist seit 1781 das Mittel gefunden, diese Schrift lesbar zu machen; und es ist mir gelungen, das Allerwichtigste, bisher immer noch Unlesbare ebenfalls zu unterscheiden.
an Anna Samuel, 2.2.1936
Es handelt sich drum, die Welt zu bessern, nicht zu „verändern“ – Konfusion von Theorie mit Praxis. – Meine Aufgabe ist Apriori, Form, Metaphysik.
Tgb 30, Mai 1935
ICH bin, durch Schriftstellerei: Lebenssteller.
Tgb 39, Sept. 1935
Meine Lehre ist nicht...