1.
Es geschah in den Jahren, als ich noch zu klein war, um vom Leben eine andere Vorstellung zu haben als die, den ganzen Tag auf den Straßen herumzutoben und vom frühen Morgen bis zum späten Abend durch die Gemeinde zu laufen und die Gegend unsicher zu machen. Und so verging die Zeit sehr schnell, ein Tag nach dem anderen, Woche um Woche, schließlich flogen Monate und Jahre dahin. So unbemerkt und schnell vergingen auch die Jahreszeiten, die uns Kindern sehr viel Freude bereiteten, jede von der Natur mit der ihr eigenen Schönheit bedacht. Der Frühling war für uns Kinder von sehr großer Bedeutung, denn die Tage wurden länger und die Nächte kürzer, und so konnten wir länger draußen spielen. Die Sonnenstrahlen wurden von Tag zu Tag wärmer, und der Winter verabschiedete sich allmählich, Schnee und Eis und deren unheimlichen Zauber mitnehmend. Die Natur ging im Frühling mit ihrer Schönheit sehr verschwenderisch um. Der Boden eroberte von Tag zu Tag seine zauberhafte Schönheit zurück. Die Flüsse schwollen an unter einem strahlend blauen Himmel, und wir Kinder beobachteten das zauberhafte Aufblühen der Natur mit großem Erstaunen und in stiller Andacht. Die ersten Anzeichen des Frühlings, Zeit der Hoffnung und des neuen Lebens, wurden immer sichtbarer, und auch den Blumengeruch nahm man immer häufiger wahr. Überall sprossen Schneeglöckchen und blaue Veilchen aus der Erde, und wir Kinder sammelten sie mit großer Freude und steckten sie in ein Wasserglas, damit sie länger hielten. Weil sie eine so schöne blaue Farbe hatten, wurden sie von unseren Müttern bei der Färbung von Ostereiern eingesetzt.
Die Tage wurden wärmer, die Nächte milder, und so begann für die Bauern nach der Winterpause eine Zeit fieberhafter Geschäftigkeit im Garten und draußen auf dem Feld, vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Soweit das Auge reichte, konnte man Bauern sehen, die ihren Boden bewirtschafteten, und ihr Pflug wurde von Pferden, Ochsen, Büffeln oder Kühen gezogen. Einer war fleißiger als der andere, als befänden sie sich im Wettstreit miteinander, als wollte einer dem anderen zeigen, wie man all diese Arbeit am besten bewältigen und wie man sich in der Landwirtschaft eine günstige Wetterlage zunutze machen konnte.
Am späten Abend kehrten die fleißigen Bauern dann nach einem langen Arbeitstag müde, aber zufrieden mit allem, was sie erledigt hatten, heim. Als es wärmer wurde, begannen sie mit den ersten Frühlingsanpflanzungen. Nach einem sehr strengen und langen Winter erwachte die Landschaft zu neuem Leben. Die Wiesen wurden von einem zarten Grün überzogen, die Bäume schlugen aus, und wohin das Auge reichte, sah man die ganze Blütenpracht, von den Blumen und den Obstbäumen bis zu der Akazie und den Ahornbäumen. Fast jedes Haus im Michelsdorf zierte ein kleiner Blumengarten mit herrlich bunten Blumen, was unserem Dorf einen zauberhaften Anblick verlieh. Der wunderbare Blumengeruch, der uns überall begleitete, konnte sich ungehindert entfalten, denn zu jener Zeit gab es noch keine Autos oder Industriegebiete in der Nähe, die die Luft verschmutzt hätten. Die Blumen waren uns Siebenbürgern auch aus einem anderen Grund von alters her wichtig. Fast jeden Sonntag nahmen unsere Mütter auf dem Weg zur Kirche Blumen mit und legten sie unseren Verstorbenen auf den Friedhof ans Grab.
Uns Kindern dagegen war der Ernst des Lebens noch fremd, und so verging für uns die Zeit wie im Flug, wobei unsere Gedanken stets ums Spielen kreisten. Wir organisierten verschiedene Spiele, von früh bis spät, wie zum Beispiel: Ball- und Versteckspiele in der Scheune, in den umherliegenden Häusern und überall, wo es möglich war, sowie das sogenannte Pferdespiel. Dazu nahmen wir ein langes Seil, zogen es über die Schulter eines oder zweier Spielkameraden, während ein anderes Kind von hinten das Seil wie die Zügel der Pferde hielt und die Richtung vorgab, wohin es auf den Straßen der Gemeinde zu laufen hatte. Oft wurde es dunkel, und wir hatten noch immer nicht die Absicht, nach Hause zu gehen, weil wir es vor lauter Spielen schlichtweg vergaßen. Das bereitete unseren Eltern jedoch großen Kummer, wussten sie doch nicht, wo wir denn so lange blieben und ob uns etwas passiert war. Dann gingen sie auf die Straße, um uns zu suchen, erkundigten sich bei den Nachbarn, ob sie uns denn nicht gesehen hätten, da wir noch nicht zurückgekehrt seien. Als wir schließlich eintrafen, waren sie nicht nur traurig, sondern auch wütend genug, um uns eine Lehre zu erteilen. Mein Vater verabreichte mir mit dem Riemen, auf dem er sein Rasiermesser schleifte, eine solche Tracht Prügel, dass mir davon schwindlig wurde. Das war vielmals auch das Abendessen, mit dem ich ins Bett ging.
Und so verging die wunderbare Kindheit, mit guten und schlechten Erlebnissen. Ich wuchs heran und musste nach und nach auf die Spielzeiten verzichten, um mich für neue Zeiten des Lebens vorzubereiten. Denn auch für mich war die Zeit gekommen, meine Eltern bei ihrer Arbeit nach meinen Kräften zu unterstützen. Denn auf einem Bauernhof gab es genügend zu tun, auch für uns Kinder. Mit der Zeit wurde ich mit Hilfe meiner Eltern immer geschickter, so dass ich ihnen immer mehr eine Hilfe war. Mein Vater pflegte jedem von uns, dessen Arbeitsmoral schwächelte, ein Sprichwort vorzubeten: „Wer nicht arbeitet, darf auch nicht essen“. Wenn ich keine Lust auf Arbeit hatte, musste ich stets daran denken.
Mit oder ohne Spaß war die Zeit gekommen, mich dem integrierenden Prozess des Arbeitens zu stellen, und so hatte ich jeden Tag neue Aufgaben und Herausforderungen zu bestehen. Die Tage vergingen einer nach dem anderen, und die Vorbereitung fürs Leben wurde immer ernster. Es war für mich, dessen Gedanken stets beim Spielen waren, nicht einfach, meine Spielkameraden draußen toben zu hören, zumal sie mich immer aufforderten, mitzukommen. Doch ich musste zuerst meine Aufgaben erledigen und konnte ihnen nur Gesellschaft leisten, wenn noch Zeit übrigblieb. Aber die Zeit wurde immer knapper, weil die Aufgaben von Tag zu Tag mehr wurden. Jeden Morgen, bevor sich meine Eltern zur Arbeit aufmachten, überließen sie mir die Hauswirtschaft, und mein Vater erklärte mir, was ich an dem Tag zu erledigen hatte. Denn Kühe, Schweine, Gänse und Hühner mussten gefüttert werden, und das mit großer Pünktlichkeit. Täglich um zehn Uhr musste ich den Rindern und Schweinen zum Fressen bringen, grünes Futter wie Gras oder Klee. Am Mittag gab ich den Schweinen Mais und den Küken in Wasser aufgeweichtes Mehl. Nachmittags um vier wiederholte ich diesen Vorgang. Am Abend und in der Früh übernahmen meine Eltern das Füttern. Am Abend wurde ich von meinem Vater gefragt, ob ich seine Anweisungen befolgt hätte. Das war aber nicht immer der Fall, denn es gab auch Tage, an denen ich einiges vergaß. Wenn das, was ich vergessen hatte, wichtig war, prügelte er mich mit dem Riemen, damit es mir beim nächsten Mal nicht wieder entfiel.
Das waren gute und schlechte Zeiten, an die ich mich gewöhnen musste. Der Sommer mit seinen langen heißen Tagen und seinem Sonnenschein unter einem schönen blauen Himmel rückte heran. Die Sommernächte waren immer sehr kurz, kaum blieben vier bis fünf Stunden Schlaf übrig, um für den nächsten Arbeitstag Kraft zu tanken. Denn wohin man auch blickte, sah man die wunderbare grün-gelbe Landschaft, die viel Arbeit bot, denn die erste Ernte stand vor der Tür. Getreide (Weizen, Gerste), Gemüse (Zwiebeln, Gurken, Tomaten, Paprika) und Obst (Zwetschgen, Kirschen, Aprikosen und vieles mehr) mussten eingelagert werden. Ich wurde mit einer besonderen Aufgabe bedacht: Vom frühen Morgen bis zum späten Abend musste ich in der heißen Sonnenglut zwei- bis dreimal am Tag kühles und frisches Wasser aus dem Brunnen holen. Zwischendurch half ich meinen Eltern bei der Arbeit, von zehn Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags.
Mein Arbeitstag begann aber in aller Frühe, als es anfing zu dämmern. Ich wurde aus dem besten Schlaf geweckt, um mit den Kühen hinauszugehen und sie zu füttern bis um neun oder zehn Uhr, und nachmittags wieder ab 16 Uhr, bis es dunkel wurde. Oft war es so finster, dass ich die Kühe kaum sehen konnte. Dann folgte ich ihrem Glockenklang und ließ mich in der Dunkelheit nach Hause führen. Hier ging es gleich mit dem Melken los, und während ich mich wusch, wurde das Essen aufgewärmt. Ich verschlang hastig ein paar Brocken, denn ich konnte es kaum erwarten, ins Bett zu kommen, so müde war ich. Denn ich fiel sehr spät ins Bett und hatte stets den Eindruck, dass ich nicht mal richtig eingeschlafen war, da man mich schon weckte. Dann gab meine Mutter mir zwei Stück Brot in die Hand, geschmiert mit Schweinefett, und sagte zu mir: „Beeile dich, die Kühe sind schon unterwegs, und dein Vater wartet auf dich.“ Auf der Weide legte ich mir eine wärmende Unterlage auf das nasse Gras und legte mich schlafen, in der Absicht, nicht länger als ein paar Minuten auszuruhen, um die Kühe nicht aus den Augen zu verlieren. Aber vielmals geschah es, dass ich mehr als eine Stunde im Land der Träume...