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E-Book

Christus in der Kunst

AutorErnest Renan
VerlagParkstone-International
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl381 Seiten
ISBN9781783106837
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis11,95 EUR
Seit der Geburt des Christentums sind Künstler fasziniert von Christus. Sein Abbild erscheint auf Fresken in Katakomben aus der Römerzeit, auf Buntglasscheiben in gotischen Kirchen sowie in verschiedenen Darstellungen in der heutigen Pop- Kultur. Der biblische Erlöser ist keine statische, körperlose Gottheit: Christi Geburt, sein ungewöhnliches Leben und sein dramatischer Tod machen ihn zu einem interessanten Motiv für religiöse und säkulare Künstler. Ob sie die Geistlichkeit des Leibhaftigen oder die menschlichen Charakteristika eines Mannes aus Fleisch und Blut zeigen, künstlerische Darstellungen Christi sind die umstrittensten, bewegendsten oder inspirierendsten Beispiele religiöser Kunst. Dieses reich illustrierte Buch erforscht verschiedene christliche Darstellungen, von Cimabues Krippenszenen über die Kreuzigungsdarstellungen Fra Angelicos bis hin zu den provozierenden Porträts Dalís und Andre Serranos. Der Autor Joseph Lewis French führt den Leser durch die ikonischen Darstellungen Christi in der Kunst. Zart oder graphisch, klassisch oder bizarr verdeutlichen diese Messiasbilder die verschiedenen Rollen des Gottessohns im sozialen Bereich wie auch im persönlichen Leben der Künstler.

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Leseprobe

Matthias Grünewald, Die Auferstehung
(Detail des Isenheimer Altars), 1512-1516.

Musée dUnterlinden, Colmar.

 

 

Daher stammen auch so viele kleine, genauer bestimmende Züge, die wie Scholien, wie erklärende Randbemerkungen, eines Bearbeiters aussehen, etwa in der Art: „Es war sechs Uhr“; „es war Nacht“; „dieser Mann hieß Malchus“; „sie hatten ein Feuer angemacht, denn es war kalt“; „der Rock war ohne Naht“ und eine ganze Reihe mehr. Darum schließlich die Unordnung in der Abfolge, aber auch die Unregelmäßigkeiten im Erzählstrang und die zusammenhanglosen ersten Kapitel. All dies sind dann rätselhafte Merkmale, wenn man annimmt, dass das Evangelium nur eine theologische These ohne historischen Wert ist; dagegen werden sie aber durchaus verständlich, sobald man der Tradition gemäß darin Erinnerungen eines alternden Mannes sieht, die mal von wunderbarer Frische sind, mal aber auch seltsame Irrtümer enthalten.

Eine wesentliche Unterscheidung muss man jedoch in diesem Evangelium Johannes machen. Der eine Teil zeigt uns einen Umriss des Lebens Jesu, der beträchtlich von dem der Synoptiker abweicht. Der andere Teil dagegen legt Jesus Reden in den Mund, die in Stil, Ton, Haltung und Doktrinen nichts mit den von den Synoptikern mitgeteilten Logia gemeinsam haben. Hinsichtlich dieses zweiten Teils ist der Unterschied so groß, dass man sich für eine Variante entscheiden muss: Wenn Jesus gesprochen hat, wie es Matthäus beschreibt, dann kann er nicht geredet haben, wie Johannes behauptet. Zwischen diesen beiden Autoritäten hat noch kein Kritiker geschwankt und wird nie einer schwanken.

Unendlich weit entfernt von dem einfachen, desinteressierten, förmlichen Ton der Synoptiker zeigt das Evangelium Johannes unablässig die Bestrebungen des Apologisten, die Hintergedanken des Sektierers und die Absicht, eine These zu beweisen und Gegner zu überzeugen. Nicht durch anspruchsvolle, schwerfällige, schlecht geschriebene, in moralischer Beziehung wenig sagende Tiraden hat Jesus sein göttliches Werk begründet. Selbst wenn Papias uns nicht mitgeteilt hat, dass Matthäus die Worte Jesu in der Originalsprache geschrieben hat, so würden die Natürlichkeit, die unausgesprochene Wahrheit und der unvergleichliche Reiz, den die synoptischen Reden ausstrahlen, deutlich genug darauf verweisen. Aber auch deren durchaus hebräische Wendungen, die Analogien, die sie mit den Zitaten der jüdischen, aus der gleichen Zeit stammenden Gelehrten aufweisen sowie ihre vollständige Übereinstimmung mit der Natur Galiläas - alle diese Merkmale würden, wenn man sie mit der obskuren Gnosis, der gewundenen Metaphysik, der Lehren und Gruppierungen vor allem im 2. und 3. nachchristlichen Jahrhundert, von der die Reden bei Johannes völlig durchdrungen sind, vergleicht, deutlich genug sprechen.

Damit soll nicht gesagt sein, dass in den Reden bei Johannes nicht bewundernswerte Züge und Lichtblicke vorkämen, die wirklich von Jesu herrühren. Aber der mystische Ton dieser Reden entspricht überhaupt nicht der Beredsamkeit Jesu, wie man sie sich nach den Synoptikern vorstellen muss. Ein neuer Zeitgeist ist darüber hinweggeweht; die Gnosis hat bereits begonnen; die galiläische Ära des Reiches Gottes ist zu Ende; die Hoffnung von der nahe bevorstehenden Rückkehr des Gesalbten ist in weite Ferne gerückt, man tritt schon in die Unerquicklichkeit der Metaphysik, in die Finsternis des abstrakten Dogmas ein. Jesus´ geistliche Gedanken finden sich hier nicht wieder, und sollte der Sohn des Zebedäus diese Stellen wirklich geschrieben haben, so hatte er beim Schreiben gewiss den See Genezareth und die mitreißenden Gespräche vergessen, die er einst an dessen Ufern gehört hatte.

Ein Umstand übrigens beweist deutlich, dass die vom vierten Evangelium mitgeteilten Reden keine historischen Dokumente, sondern Schriftstücke mit der Bestimmung sind, gewisse, dem Erzähler am Herzen liegende Doktrinen mit der Autorität Jesu zu umhüllen; darauf ist der Umstand ihrer vollständigen Übereinstimmung mit dem intellektuellen Zustand Kleinasiens zu der Zeit, als sie geschrieben wurden, zurückzuführen.

Kleinasien war damals der Schauplatz einer seltsamen Bewegung synkretistischer Philosophie. Der Gnostizismus stand nicht mehr am Anfang, sondern war bereits in vollem Gange, und Johannes scheint daran beteiligt gewesen zu sein. Es ist durchaus möglich, dass sich nach den Krisen der Jahre 68 (Datum der Apokalypse) und 70 (Zerstörung Jerusalems) der alte Apostel mit seiner agilen und feurigen Seele, enttäuscht über den Glauben an eine bevorstehende Erscheinung des Menschensohnes in den Wolken, sich zu einigen ihn umgebende Ideen hingezogen gefühlt hat, die sich ganz gut mit gewissen christlichen Doktrinen verschmelzen ließen. Dadurch, dass er diese neuen Ideen Jesus angedichtet hat, ist er nur einem sehr natürlichen Weg gefolgt. Unsere Erinnerungen ändern sich ebenso wie alles Übrige; auch das Ideal einer Person, die wir gekannt haben, wandelt sich mit uns selbst. Jesus als eine Inkarnation der Wahrheit betrachtend, konnte Johannes nicht umhin, ihm das zuzuschreiben, was er jetzt als Wahrheit betrachtete.

Um alles zu erzählen, muss gesagt werden, dass wahrscheinlich auch Johannes selbst nicht einmal viel Anteil daran hatte, dass diese Änderungen viel eher um ihn herum als durch ihn vorgenommen wurden. Man könnte versucht sein, zu glauben, dass von seinen Schülern wertvolle Notizen des Apostels in einem von dem ursprünglichen evangelischen Geist sehr unterschiedlichen Sinn benutzt worden sind. In der Tat wurden einige Partien des vierten Evangeliums erst nachher hinzugefügt; so etwa das ganze 21. Kapitel, bei dem sich der Verfasser möglicherweise vorgenommen hat, dem Apostel Petrus nach dessen Tod eine Huldigung zu widmen, um den Einwänden zu begegnen, die man nach Johannes eigenem Tod machen würde oder vielleicht sogar schon machte (siehe Kapitel 21, Vers 21-23). Mehrere andere Stellen tragen Spuren von Streichungen oder Korrekturen.

Es ist unmöglich, aus dieser zeitlichen Distanz den Schlüssel zu diesen eigenartigen Problemen zu finden, und zweifellos wären noch manch andere Überraschungen aufgetreten, wenn man in die Geheimnisse der mysteriösen Schule von Ephesus hätte eindringen können, die sich mehr als einmal auf dunklen Wegen getummelt zu haben scheint. Aber die eine wichtige, die folgende Erfahrung wurde doch gemacht: Jeder, der ein Leben Jesu schreiben wollte, ohne eine feste Ansicht über den relativen Wert der Evangelien zu haben und sich einzig von dem Gefühlston des Gegenstands leiten ließ, würde in den meisten Fällen dahin kommen, die Erzählung des Johannes derjenigen der Synoptiker vorzuziehen. Besonders die letzten Monate des Lebens Jesu sind nur aus Johannes heraus zu verstehen; eine ganze Reihe der bei den Synoptikern unverständlichen Darstellungen in der Leidensgeschichte haben in der Erzählung des vierten Evangeliums das Gepräge der Möglichkeit, der Glaubwürdigkeit.

Ganz im Gegensatz dazu kann jedermann versuchen, ein einen Sinn ergebendes Leben Jesu zu beschreiben und dabei die Reden zu berücksichtigen, die Jesu von Johannes in den Mund gelegt werden. Die Art und Weise, sich predigend zu zeigen und dabei stets auf sich hinzuweisen, diese immerwährende Beweisführung, diese Inszenierungen ohne Unbefangenheit, die langen Betrachtungen nach jedem Wunder, die steifen, linkischen Reden, deren Ton häufig falsch und unausgewogen ist, dies alles würde ein Mann von Unterscheidungsvermögen nicht neben den köstlichen Sentenzen der Synoptiker dulden. Es sind diese offenbar künstliche Machwerke, die uns die Predigten Jesu darstellen sollen, so wie die Dialoge Platons (428/427 v. Chr. bis 348/347 v. Chr.) die Unterredungen des Sokrates (469 v. Chr. bis 399 v. Chr.) wiedergeben. Es sind gewissermaßen die Variationen eines Musikers, der über ein vorgegebenes Thema improvisiert. Das Thema kann nicht ohne Authentizität sein, aber in der Ausführung lässt die Fantasie des Virtuosen ihm freien Spielraum. Man fühlt das gestellte Verfahren, die Absichtlichkeit der Rhetorik, die Unebenheiten heraus.

Ferner muss hervorgehoben werden, dass sich die Ausdrucksweise Jesu in den besagten Schriften nicht wiederfindet. Der Ausdruck ‘Reich Gottes’, der dem Herrn so geläufig war, kommt nur ein einziges Mal vor. Dagegen hat der Stil der durch das vierte Evangelium Jesu in den Mund gelegten Reden eine überraschende Gleichartigkeit mit dem der Episteln des heiligen Johannes; man merkt deutlich, dass der Verfasser beim Schreiben nicht seinen Erinnerungen, sondern dem ziemlich gleichförmigen eigenen Gedankengang gefolgt ist. Dabei tut sich eine ganz neue mystische Sprache auf, von der die Synoptiker keine Ahnung hatten: ‘Licht’, ‘Welt’, ‘Leben’, ‘Wahrheit’ oder auch ‘Finsternis’. Wenn Jesus jemals in diesem Stil gesprochen hätte, der nichts Hebräisches, nichts Jüdisches, nichts Talmudisches an sich hatte - wie wäre es möglich, dass auch nur einer seiner Zuhörer dies Geheimnis so gut bewahrt haben sollte?

Die Literaturgeschichte bietet übrigens ein anderes, viel zur Erklärung beitragendes Beispiel, das eine Analogie zur beschriebenen historischen Erscheinung darstellt. Sokrates, der gleich Jesus nichts Schriftliches hinterlassen hat, ist, wenn man vom Prozess gegen ihn absieht, vor allem durch zwei seiner Schüler bekannt: Platon und Xenophon (um 426 v. Chr. bis 355 v. Chr.), von denen der eine durch seine klare, durchsichtige, unpersönliche Darstellungsart an die Synoptiker, der andere...

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