DIAGNOSE LEUKÄMIE
Mann anrufen – informieren – zu Hause treffen – Sachen packen – Klinik ist informiert –
Wer holt Gabriel vom Kindergarten? –
Ute anrufen – Moni und Petra fragen –
Was wird Gabriel sagen? –
Marieke packt für 2 Tage – warum für 2 Tage? – Sie denkt es reicht! –
Sie ist oben – wir umarmen uns unten – weinen, halten uns fest –
Wer hält Marieke? - Was wird Gabriel sagen? – Sachen packen – Tränen schlucken – Auto starten – rauf auf die Autobahn –
Wer hält Marieke? – Was wird Gabriel sagen? –
Parkplatz finden – Parke doch irgendwo! – Alles egal
Hauptsache Marieke lebt! – Ein Leben ohne Marieke? - Will ich nicht! – Mein Herz schmerzt –
Wer hält Marieke? – Was wird Gabriel sagen? –
Eine Krankenschwester zeigt uns den Weg ins Labor
„Merken Sie sich den Weg! - Sie werden ihn jetzt immer gehen!“
Warum merken? – Ich will ihn nicht öfter gehen! –
Fingerpieks bei Marieke – er tut mir weh!
Wer hält Marieke? – Was wird Gabriel sagen? –
Ärzte stellen Fragen – Antworten kommen – im Wissen, dass die Diagnose stimmt – Morgen zur Sicherheit Knochenmarkpunktion! – Welche Sicherheit? – Gibt es Hoffnung, dass es keine Leukämie ist? – Keine Alternative! – Diagnose stimmt – auch ohne Knochenmarkpunktion –
Wer hält Marieke? – Was wird Gabriel sagen? –
Station M1, Kinder ohne Haare, ohne Wimpern, ohne Augenbrauen – Das muss ein Irrtum sein! - Ein winziges Zimmer – zwei Betten, zwei Nachtschränke, ein Infusionsständer– mehr Platz ist nicht – unser neues Zuhause – Moni anrufen – Sie holt Gabriel vom Kindergarten und wird Petra informieren -
Wer hält Marieke? – Was wird Gabriel sagen? -
Wer hält Marieke? –
Wer hält Gabriel? –
Wer hält uns? -
Ein Wendepunkt im Leben der kleinen Familie.
Nachdem Gudrun die nötigsten Dinge für den Klinikaufenthalt für sich und ergänzend für Marieke gepackt hat, machen die drei sich auf den Weg nach Kiel.
Der Blutschnelltest, der sogenannte Fingerpieks, ergibt schon wenige Minuten nach der Ankunft in der Kinderklinik die Diagnose Leukämie. Nun sollen sie auf die Station M1, die Onkologie.
Gleich am nächsten Tag folgen eine Lumbalpunktion und die erste Chemospritze in den Wirbelkanal, eine Knochenmarkpunktion, Bluttransfusionen, dreimal täglich Kortisongaben, um die Krebszellen, die Blasten, zu zerstören. Untersuchungen in der Zahn-und HNO-Klinik, Röntgenaufnahmen und eine Kernspintomographie des Kopfes werden veranlasst. Nach einer Woche folgt eine Operation in der Chirurgie. Der Broviac Katheter wird implantiert, damit die Infusionen zukünftig nicht durch eine Braunüle in den Körper fließen müssen, sondern über den Katheter. Ein Schlauch mit Ventil kommt nun eine Handbreit von Mariekes rechtem Schlüsselbein aus dem Körper. Ein Zustand, der Gudruns Hals bei jedem Anblick enger schnürt. Jede Stunde, jeden Tag, jede Woche, jeden Monat, das ganze Jahr. Der Vorteil des Katheters ist, dass der Zugang immer verwendbar ist. Der ständige „Nadelwechsel“ entfällt.
KARUSSELL
Mir wird schwindelig.
Warum steht die Welt nicht still?
Warum ertönen keine Sirenen?
Warum löst keiner Katastrophenalarm aus?
Warum rückt die Feuerwehr nicht aus?
In mir bleibt die Welt stehen?
Nein, sie dreht sich, wie ein Karussell.
Ich habe mich von meinem Alltag verabschiedet.
Mein Herz pocht bis zum Hals.
Ich kann nicht mehr schlucken
Und tue es dennoch öfter als sonst.
Meine Schilddrüse spielt verrückt.
An Tages- und Nachtruhe ist nicht mehr zu denken.
Mein Herz läuft mir fast davon.
Die Welt dreht sich wie ein Karussell.
Mir wird schwindelig.
Gudrun bemerkt nach einigen Tagen im Krankenhaus, dass auch ihr Körper nicht mehr richtig funktioniert. Sie spürt ununterbrochen den Drang, schlucken zu müssen und ahnt, dass mit ihrer Schilddrüse etwas nicht in Ordnung ist. Offensichtlich will sie die Kröte nicht schlucken, die die Ärzte ihr vorgesetzt haben. Ihr Hausarzt bestätigt Gudruns Vermutung. Sie hat plötzlich eine Schilddrüsenüberfunktion, die medikamentös behandelt werden sollte. Gudrun hofft, die Schilddrüse werde wieder normal funktionieren, sobald es ihr gelänge, gut mit der Diagnose „Leukämie“ umzugehen. Sechs Monate später, nachdem ihre Werte monatlich überprüft wurden, sie aber keine Medikamente einnimmt, arbeitet ihr Organ wieder normal. Sie hat die Kröte geschluckt und eine Sorge weniger.
Die ersten Tage in der Klinik vergehen wie in Trance. Die Familie und einige Freunde werden informiert. Babs und Marion besuchen sie in der Klinik, fassungslos aber ganz da. Gudrun bleibt nun immer von Sonntagabend bis Freitagnachmittag bei Marieke im Krankenhaus. Chrischen löst sie an den Wochenenden in der Klinik ab. Dazu bringt er Gabriel mit. Chrischen muss den Fünfjährigen allein vor der M1 auf dem Flur stehen lassen, kommt dann auf die Station, desinfiziert sich die Hände, zieht sich Handschuhe und einen Kittel an und setzt sich einen Mundschutz auf. So betritt er Mariekes Krankenzimmer. Haare, Augen, Stimme und Habitus lassen Marieke ihren Papa erkennen. Nun heißt es für Gudrun schnell Abschied nehmen. Sie begrüßt ihren Mann flüchtig. Informationen tauschen sie später am Telefon aus. Gabriel soll nicht lange warten. Sie verabschiedet sich von Marieke. In Windeseile läuft sie zu ihrem Sohn, der mutterseelenallein wartet, schließt ihn in ihre Arme, kämpft mit ihren Tränen und tritt mit ihm den Heimweg an. Im Auto schmieden Mutter und Sohn Pläne für das Wochenende: Lagerfeuer im Garten, mit Mama allein oder mit Freunden, Wanderungen um den See oder durch den Wald mit Fotoapparaten „bewaffnet“, eine Zugfahrt nach Malente und Gabriels erster Aufenthalt in einer Jugendherberge, gemeinsames Spielen und Backen und Kochen, Ausflüge zu den Großeltern nach Husum und zur Oma nach Mielkendorf, Laternen- und Fackelumzüge mit Gabriels Freunden im Ort oder durch den Wald, eine „Immergeradeausgehenwanderung“ durch den Ort, bei der es darauf ankommt, nicht abzubiegen, (da muss man schon manchmal Fremde fragen, ob man ausnahmsweise deren Garten durchwandern darf, oder mutig über einen Bach springen, über Zäune klettern oder durch Dornenhecken gehen), Schwimmbadbesuche oder Baden im See, Gesellschaftsspiele zu zweit, mit Legos bauen, puzzeln und immer wieder vorlesen stehen auf den Wochenendplänen. Außerdem tauschen beide ihre Wochenerlebnisse aus. Gabriel berichtet vom Kindergarten, von den drei Tagen bei Uti und Onkel Micmac und von den Donnerstagen in Monis und den Freitagen in Petras Familie. In diesen drei Häusern verbringt er ein Jahr lang zuverlässig die Werktage. Alle versuchen, es dem kleinen Jungen so angenehm wie möglich zu machen. Ob Gabriel sich dies immer so wünscht, steht gar nicht zur Debatte. Gabriel spürt, dass es so sein muss, dass seine Eltern ihn nicht fragen können, was er möchte. Ohne zu murren nimmt auch er sein Schicksal an. Nur einmal fragt Gabriel, ob die Eltern ihn denn gar nicht mehr lieb haben, weil sie immer nur klären müssen, wer, wann bei Marieke ist. Was wird diesem Jungen alles zugemutet. Gudrun erklärt ihm, wie schon so häufig, die Situation. Kritiklos ergibt er sich.
Spätestens hier lernt Gabriel, schwierige Situationen tatenlos auszuhalten, vielleicht sogar auszuharren, bis es zu Ende ist. Dieses Muster kennt er aus seinen ersten Lebensmonaten. Ausharren, warten, bis jemand ihn wahrnimmt, ihn versorgt.
Er vermisst seine Schwester sehr, darf sie aber nicht besuchen, weil es Kindern unter zwölf Jahren in Kiel nicht erlaubt ist, die Kinder-Krebsstation zu besuchen. In anderen Städten wird dies familienfreundlicher geregelt. Jahre später auch in Kiel! Gabriel sieht Marieke nur, wenn sie die Kraft hat, ans Klinikfenster zu gehen. Der kleine Bruder steht dann verstört unten auf dem Fußweg und winkt, während sie aus dem dritten Stock zu ihm herunter schaut und mit den Tränen kämpft. In den ersten vier Wochen nach Diagnosestellung sehen sie sich kaum. Marieke ist zu schwach.
Vier Wochen lang verbringt Marieke mit ihrer Mutter in dem winzigen Krankenzimmer, isoliert von der Außenwelt, damit sie nicht mit fremden Keimen in Berührung kommt. Alle, die ihr Zimmer betreten, müssen vorher Schutzmaßnahmen treffen. Durch die Chemo und die vielen anderen Medikamente kann Marieke häufig nur wenig essen: Mundschleimhäute haben sich aufgelöst. Jeder Bissen schmerzt. Phasenweise wiegt sie bei einer Größe von 1,40m 19 Kilogramm, soviel wie ihr sechsjähriger Bruder. Kraftlos, erschöpft wartet sie auf bessere Zeiten auf der Erde oder im Himmel.
Einmal, nachdem sie auch noch eine Diabetes entwickelt hat, sie stündlich einen Fingerpieks machen muss, um ihren Blutzucker zu überprüfen- ja, sie macht es selbstständig,- nachdem sie nun neben der Chemo, auch noch Insulin bekommt, ihre Haare ausgefallen sind, ihre Mund-und Darmschleimhäute sich aufgelöst haben und sie wegen der Diabetes aber der hohen Kortisongaben ihren Appetit nur sehr eingeschränkt stillen kann, sagt Marieke:
„Mama, wie gut, dass es nicht immer so schlimm ist. Manchmal, wenn mir alles zu viel wird, möchte ich mich einfach mit den...