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E-Book

Kohlenstaub und Lustfluchten

Aus dem Leben eines Saarländers

AutorGünter Diesel
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl204 Seiten
ISBN9783739283739
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis5,49 EUR
Der im Krieg geborene Saarländer Günter Diesel erzählt in amüsanter Weise Geschichten aus dem Leben eines Heranwachsenden. Geschichten von Bomben, Hunger und Bubenstreichen. Vom Zoff mit dem Vater, von Lehrjahren, Liebschaften usw. Er berichtet von sich als Objekt religiöser Rekrutierungskämpfe. Wer wird wie er schon dreimal getauft? Erheiternd sind die Geständnisse seiner Neugierde am Geschlechtsspezifische des weiblichen Körpers sowie seinen ungelenken Annäherungen an die Frauen. So, die Pleite mit der Italienerin Marina. Spannend sind Berichte über Schlachten zwischen Dorf und Dorf oder denen aus der 'Owwàgass' gegen die aus der 'Unnàgass'. Einige seiner Erlebnisse sind saarlandtypisch, zum Beispiel, dass man als 'Saarfranzose' eine Außenseiterstellung in Deutschland einnimmt. Ja, es fehlt auch nicht sein Kommentar zur Existenz des Saarlandes.

Günter Diesel ist Saarländer, Diplomingenieur, arbeitete als Architekt und wurde später Leiter des Umweltamtes von Saarbrücken. Heute widmet er sich ganz der Malerei und dem Schreiben. Er schrieb über seine Jugend als 'Saarfranzose', über Erlebtes als Umweltschützer und schreibt Kurzgeschichten und Gedichte in seiner saarländischen Muttersprache sowie in Hochdeutsch. Diesel war schon als Kind begabt im Zeichnen und Malen, wovon er auch in seinen Büchern gebrauch macht. Die Eindrücke, die er von seinen Reisen in die Welt mitbringt, hält er im Öl- und Acrylgemälden fest. Er präsentiert die Bilder und macht Bücher-Lesungen in einem Kunstverein, in dem er auch im Vorstand ist.

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Leseprobe

3 Bombentage


1944 häuften sich die Tage, an denen amerikanische Bomber über Sinnerthal flogen. Nur zwei Kilometer entfernt befand sich nämlich ein Ziel von strategischer Bedeutung, die Eisen-Hütte von Neunkirchen.

Klara, ihre Schwägerinnen, meine Kusinen und ich mussten sich immer häufiger im Luftschutzbunker in Sicherheit bringen.

Weihnachten feierten wir bei Oma und Opa – evangelisch – in Sinnerthal. Ich erinnere mich noch an das viele Lametta, die silbrigen Vögel und die bunten Äpfel aus Glas am Weihnachtsbaum.

Opa, Enkel und Oma, Sinnerthal, Weihnachten 1944

In Bildstock war mein Opa Peter alleine, als er die Nachricht erhielt, dass sein Sohn, mein katholischer Patenonkel Johannes, von den Russen überm Schwarzen Meer abgeschossen worden war. Am zweiten Weihnachtstag fuhren Klara und ich mit der Eisenbahn zu meinem Opa nach Bildstock, um dort katholische Weihnachten zu feiern. Dass wir nach Bildstock fuhren – katholisch hin, evangelisch her – hatte Gott auf jeden Fall gut eingefädelt. Denn wären wir in Sinnerthal geblieben, wären wir tot gewesen!

Am zweiten Weihnachtstag 1944 fiel eine Bombe auf Diesels „Neubau“, in dessen Dachgeschoss ich mit meiner Mutter wohnte. Das Haus stürzte bis auf die Grundmauern zu einem großen Steinhaufen zusammen.

Wären wir also nicht zu Opa Peter nach Bildstock gefahren, wäre von Klara und mir nichts mehr übrig geblieben.

Tante Jättschen, die mit den Töchtern Rosel und Ruth im Erdgeschoß des Neubaus wohnten, hatte auch Glück.

Sie feierten mit Lina, aus dem: „Geschäftshaus“ nebenan, und deren Tochter Thea im Bunker Weihnachten.

Das benachbarte Geschäftshaus wurde bei dem Luftangriff kaum beschädigt. Dort lag meine Oma Marie krank zu Bett. Opa Karl saß wohl an dem Feiertag neben ihr am Bett. Beide konnten, wegen Omas Kranksein, nicht wie alle anderen in den Luftschutzbunker flüchten. Der Explosionsdruck der Bombe war so heftig, dass Karl 10 Meter weit zum Fenster hinaus in den Garten flog. Marie muss wohl sofort tot gewesen sein. Opa Karl kam schwer verletzt ins Krankenhaus und starb einen Tag später. Klara und ich hatten überlebt, aber unsere Wohnung war zerstört. „Total fliegergeschädigt“ nannte man das. Ohne irgendein Möbelstück, ohne weitere Kleidung, Hausrat, Papiere usw. – natürlich auch ohne Holzflieger – standen wir jetzt wieder in Bildstock. Aber wir fanden hier ja ein uns vertrautes Zuhause wieder.

Mein Opa Peter freute sich bestimmt darüber, dass er jetzt mit Klara noch mal eine Frau im Haushalt hatte. Ganz alleine war Peter nach Lines Tod aber nicht, denn im ehemaligen Schafstall hatte er doch 1900 seine Werkstatt eingerichtet und jetzt führte sein Sohn Karl dort die Schreinerei weiter. Schreinermeister Karl wohnte auch im Ort. Seine Frau Maria kümmerte sich, vor Klaras Rückkehr in ihr Elternhaus, um ihren Schwiegervater Peter.

In Bildstock wurde ich noch einmal ein Opa-Liebling. Ich trug zwar seinen Namen nicht weiter, aber er bekam meine Fleischration.

Auch kleine Kinder bekamen im Krieg auf Lebensmittel-Marken eine Portion Fleisch pro Woche. Das Fleisch schien jedoch Suppenfleisch von alten Kühen zu sein.

Es war zäh und langfaserig. Ich wollte es nicht essen, weil es mir immer zwischen den Zähnen hängen blieb. Also bekam es mein Opa Peter. Er freute sich über die zusätzliche Portion. Bei ihm verfing sich das zähe Zeug nicht zwischen den Zähnen. Wie auch, denn ich erinnere mich daran, dass unter seinem rot-gelben Schnurrbart nur noch hie und da ein Zahn zu sehen war.

Wie er aber das Fleisch runter bekommen hatte, blieb mir schleierhaft. Jedenfalls bedankte sich mein Opa immer sonntags bei mir, wenn die Bildstocker in die Kirche strömten. Dann nahm er mich bei der Hand und ging mit mir ins Wirtshaus Wagner. Er setzte mich auf seinen Schoß und bestellte einen Krug Bier. Bevor er seinen Schnurrbart in den Bierschaum tauchte, durfte ich einen Schluck aus dem Krug nehmen.

Das war vielleicht ein lieber Opa!

Die fromme Line war ja nicht mehr da, und für Opa Peter hatten nun die Gebetbücher Henkel.

Klara, mit Günter, Opa und Karl Sattler vorm Haus

Dem Sattler Peter war es wohl auch egal, welcher Religionsgemeinschaft man mich momentan zuordnete. Doch seine Tochter Klara plagten Gewissensbisse.

Der Pfarrer teilte meiner Mutter mit, weil sie einen evangelischen Mann geheiratet hätte und dazu noch Mutter eines evangelisch umgetauften Kindes sei, dürfte sie nicht mehr an der heiligen Kommunion teilnehmen. Da schaltete Klara auf beleidigt. Sie trennte sich zwar nicht ganz von ihrem Glauben, ging aber auf Distanz zu den Papstvertretern.

Ihr Vater Peter wurde krank und lag wie ein schwerer Baum im Bett. Im Bett nebenan lag sein Enkel Günter. Wir beide hatten Lungenentzündung. Hatte Mangelernährung unsere Abwehrkräfte geschwächt? Proteine waren in dem zähen Rindfleisch oder den kargen Kohl- und Kartoffelsuppen dieser Tage ja kaum enthalten.

Anfang 1945 fielen auch Bomben auf Bildstock. Sie waren Fehlwürfe, denn eigentlich sollten sie das nahe gelegene Eisenwerk in Neunkirchen treffen. Opa und ich waren ja krank und Klara konnte nicht mit uns in den Luftschutzbunker laufen. Klara ging mit mir in die Schreinerwerkstatt und wir suchten Schutz im Späne-Haufen unter dem dicken gusseisernen Tisch der Hobelmaschine.

Als Klara das dem alten Schreinermeister erzählte, schimpfte er mit ihr. Er machte ihr klar, dass wir beide tot wären, wenn nur ein Stein auf die Platte fiele. Dann bräche die schwere, gusseiserne Platte un-weigerlich ab und würde auf uns fallen. Darauf hin ging Klara mit mir in den alten Kellerteil des Hauses auf der Berg- und Straßenseite. Hier, zwischen den dicken Bruchsteinmauern, fühlte sie sich sicher. Sie machte mir ein Bett in einer Zinkwanne. Dann stellte sie zwei Stühle gegeneinander auf, legte zwei Bretter darüber und machte sich ihr Bett darauf.

Durch die schmalen, unter der Decke liegenden Kellerfenster zur Straße hin konnte ich am Nachthimmel helle Blitze beobachten. Es donnerte auch laut. Dann gab es einen ohrenbetäubenden Knall und ein Blitz tauchte das Innere unseres Kellerraums in ein helles Licht. Das Schulhaus auf der anderen Straßenseite war von einer Bombe getroffen worden. Das große Haus war in seiner Mitte breit aufgerissen worden und sein hölzernes Treppenhaus brannte lichterloh. Zwei Personen, die dort im Dachgeschoß wohnten, starben bei der Explosion. Es geschah nur wenige Meter gegenüber unseres „bombensicheren“ Schutzkellers. Mensch, was hatten Klara, ich – und mein Opa – wieder für ein Glück gehabt!

Nach Tagen aufopfernder Krankenpflege durch Klara meinte Doktor Ziehmann: „Der Kleine kommt durch, aber der alte Herr schafft es nicht mehr.“ Opa Peter starb 1945, wenige Tage vor seinem 72. Geburtstag, neben mir im Bett, aber nicht an Lungenentzündung, sondern an einer Embolie infolge einer Thrombose. Mir blieb die Lungenentzündung. Doktor Ziehmann sagte zu Klara: „Der Junge muss aus dem Bett heraus, sonst wird er zu faul zum Atmen.“ Eine Gemeindeschwester gab Klara den Tipp wie sie mich wieder zum Durchatmen bringen konnte. Klara stellte mich in der Küche nackt in die schon erwähnte Zinkwanne und übergoss mich, ohne Vorwarnung, mit einem Kübel voll eiskaltem Wasser. Da habe ich dann aber voll durchgeatmet!

Die böse Schwester wollte dass meine Mutter das dreimal mit mir machte. Klara stellte die Wanne noch zweimal in die Küche. Jedes Mal stockte mir der Atem. Und nur unter größter Mühe gelang es meiner Mutter, mir wieder einen kalten Guss zu verpassen.

Das half zwar die Lungenentzündung zu besiegen, doch war ich so schwach auf den Beinen, dass ich danach wieder laufen lernen musste.

Als ich wieder einigermaßen gut zu Fuß war, entschloss sich Klara, bei Fliegeralarm mit mir in den Luftschutz-Bunker zu laufen. Im Hausberg von Bildstock, dem Hoferkopf, befand sich ein verzweigtes Stollensystem, das zu Luftschutzbunkern ausgebaut war. Man konnte durch mehrere Zugänge in die Stollen gelangen. Der nächstliegende Zugang befand sich in unserer Straße, nur 200 m weit von unserem Haus entfernt.

Ein nächtlicher Bombenalarm brannte sich besonders tief in mein Gedächtnis ein. Die Sirenen heulten. Klara packte eine Wolldecke, ein paar Papiere und sonstige Sachen sowie einen Milchkessel, und wir stürmten aus dem Haus. Der Milchkessel diente zum Suppefassen, denn in den mit Bänken und Holztischen ausgestatteten Stollen wurden die Schutzsuchenden mit Suppe und Brot versorgt. Klara gab mir den Milchkessel in die eine Hand und fasste mich an der anderen. Dann rannte sie, mich hinter sich her ziehend, über das nieselregennasse Kopfsteinpflaster. Der Mond schien fahl hinter Wolkenschleiern hervor, und das Kopfsteinpflaster glänzte. Nach den Sirenen war es relativ still. Man hörte nur noch unsere Schritte auf dem Pflaster und das gleichmäßige Brummen der Bomber oben am Nachthimmel. Die Bomber entließen wieder ihre an Fallschirmen niederschwebenden Leuchtkörper. Die Bombenwerfer wollten ja sehen, was da unten los war. Es...

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