Und wenn dann hinzukommt, dass ein Volksstamm wie in einer Glaskugel lebt, abgeschnitten von anderen Kulturen, ohne Anregungen von außen, so wird
die Rückwärtstendenz verstärkt.
aus: „Dschungelkind“ (Sabine Kuegler)
Einige der vorgestellten Argumentationsversuche der Gegnerinnen und Gegner des Bildungsplans haben gezeigt, dass die ablehnenden Haltungen nicht nur von objektiven Befürchtungen und tiefgründigem Differenzieren geprägt sind: In bestimmten Fällen ist eher die Ablehnung der darstellenden Präsenz von nichtheterosexuellen Lebensweisen der eigentliche Hintergrund. Weithergeholte Verdächtigungen und Vorurteile mischen sich dann in Argumentationen, die sachlich klingen sollen, es aber nicht immer sind: Diese Form der Diskriminierung tritt als Homophobie und Transphobie gegen homo- und transsexuelle Menschen auf. Sie ist eines der umfassender und längerfristig problematischen Themen, die das Zusammenleben in der heutigen Gesellschaft bestimmen. In diesem Abschnitt sollen überblicksweise folgende Inhalte beleuchtet und miteinander in Verbindung gesetzt werden:
Was bedeuten Homo- und Transphobie in der Konsequenz? Wie sehen Verhaltensweisen und Regelungen aus, die Homo- und Transphobie überwinden?
Welche konkreten Hinweise auf diese Sozialphobien gibt es in der heutigen (deutschen) Gesellschaft?
Welche erfolgreichen Wege zur Überwindung von Homo- und Transphobie haben sich bewährt? Was können wir lernen, wenn wir diese Überwindung bewusst als eine Aufgabe der Inklusion von Minderheiten wahrnehmen?
Bei der Antwortfindung sollen Aspekte verschiedener Akteurinnen und Akteure und Ebenen des gesellschaftlichen Zusammenlebens zusammengetragen werden.
Die Begriffe der Homo- und Transphobie lassen sich als Ablehnung der Gleichwertigkeit nichtheterosexueller Liebe umschreiben. Vielleicht trifft dieser Ausdruck besser den Kern der nicht unumstrittenen Begriffe: Schließlich meint eine Phobie eine irrationale, ja krankhafte Angst vor etwas, unter deren Einfluss ein Mensch auch zu äußerst ungewöhnlichen Handlungen neigt. Einige Akteurinnen und Akteure, die (namentlich) Homosexualität ablehnen, möchten sich dabei nicht unter dem Begriff der Homophoben subsummieren lassen. Es ist dennoch möglich, den Begriff als angebracht anzusehen – nicht nur, weil er seit Längerem bereits als ein gängiger Begriff der Soziologie gilt: Grund ist auch, dass das kennzeichnende Merkmal einer Phobie, die irrationale Angst bzw. Ablehnung, hier durchaus greift: Objektiv gesamtgesellschaftlich fällt die Identifikation von Gründen der Ablehnung von nichtheterosexuellen Lebens- und Liebesweisen schwer.
Wenn eine Person einen Umstand nicht akzeptiert, fühlt sie sich im Kehrschluss von ihm bedroht oder eingeschränkt. Die Identifikation solcher bedrohlichen, einschränkenden Auswirkungen von Nichtheterosexualität führt jedoch kaum zu Ergebnissen: Kein heterosexueller Mann verlässt seine Frau, weil er wegen der gesellschaftlichen Sichtbarkeit von Homosexualität lieber mit einem Mann zusammenleben möchte. Ehen werden nicht geschieden, weil auch Homosexuelle Lebensbünde eingehen können. Kinder werden ihren leiblichen Eltern nicht entrissen, weil auch gleichgeschlechtliche Paare Kinder zeugen und adoptieren können. Über die diskriminierende, unmündige Energie, die in der Gleichsetzung von nichtheterosexuellen Liebesbeziehungen mit Pädophilie ruht, muss gar nicht debattiert werden: Es ist zu erkennen, dass die pauschale Ablehnung nichtheterosexueller Beziehungen auf zumeist irrationalen und somit überwindbaren Beweggründen basiert. Der Phobie-Begriff wird daher auch im Folgenden im Kontext von Homo- und Transphobie weiterverwandt.
Mittlerweile gibt es einige Zusammenstellungen praxisnaher Ideen davon, was Homo- und Transphobie konkret bedeuten: In einem Flyer der Bundeszentrale für politische Bildung werden sie als Feindlichkeit gegenüber Nichtheterosexuellen gesehen, die letztlich Angst vor Fremdheit und Anderssein als Ganzes schüren. Abwertende Witze und Sprüche sind genauso Ausdruck dieser Phobien wie verneinende Haltungen gegenüber einer Person, die sich outet.[62]
Man kann noch einen Schritt weitergehen und den oft genutzten Begriff der Toleranz entlarven, so wie das auch die konservative Journalistin Birgit Kelle in einer Sendung von Sandra Maischberger tat: Bestimmte Dinge – wie Homosexualität – müsse sie zwar hinnehmen (Toleranz), aber dennoch längst nicht gut finden (Akzeptanz).[63] Mit diesem sehr kurz gegriffenen Verständnis von Akzeptanz zeigt sie, worin sie scheinbar ein Problem sieht: Sobald man Nichtheterosexualität nicht mehr als etwas Besonderes, Normabweichendes, Unangenehmes darstellt, sondern als etwas Gewöhnliches und zur Heterosexualität Gleichwertiges, ist das Verständnis vorüber. Mit anderen Worten ist der Kampf von Birgit Kelle und vielen anderen darauf abgestellt, Homosexualität nicht gut finden zu müssen[64]. Hiermit nimmt sie sich jedoch das Recht heraus, pauschale Bewertungen und Einstufungen in schlechtere und bessere Menschen vorzunehmen. Es leuchtet daher nicht ganz ein, welchen sinnstiftenden Beitrag diese Pauschalisierung leisten sollte.
Toleranz, dieses Dulden dessen, was man eigentlich ablehnt, kann daher nicht die zentrale Forderung einer wertschätzenden Haltung in Politik und Gesellschaft sein. Gegenseitige Unterstützung durch friedvolle Akzeptanz ist dagegen ein Zeichen des sozialen Zusammenhalts, der nicht durch natürliche Dinge wie Sexualität (und ihre Vielfalt) in Frage gestellt werden darf.
Im Umkehrschluss kommt die Frage auf, wie viel Toleranz und Akzeptanz es gegenüber denen geben darf, die andere Menschen aufgrund von Pauschalisierungen nicht akzeptieren wollen. Diese Menschen erzeugen hierdurch Hemmnisse in einem friedvollen und produktiven Miteinander: Akzeptieren wir in unserer Gesellschaft rassistische Personen, die gegen Ausländerinnen und Ausländer, Menschen mit einem Migrationshintergrund oder Nichtheterosexuelle aufwiegeln? Akzeptieren wir, dass sie dabei oft noch nicht einmal fähig sind, sachliche und prüfbare Argumente für ihre Vorbehalte aufzubringen? Wie viel Raum wollen wir Menschenfeindlichkeit überlassen? Hierbei sind auch Medien sowie ihre Repräsentatorinnen und Repräsentatoren in die Pflicht zu nehmen. Medien gehen oftmals einen Weg, der die gleichberechtigte Anerkennung verschiedener Lebensweisen nicht bedingungslos und harmonisierend fördert, sondern ein gefährliches Verständnis für Menschenfeindlichkeit erzeugen kann. Dazu genügt es schon, zu Diskussionsrunden in Talkshows ungeeignete Kandidatinnen und Kandidaten einzuladen. Dies meint Personen, die mit ihrer Haltung nicht zu einer sachlichen Betrachtung des Themas führen, sondern Ressentiments eher verfestigen. So etwas geschieht etwa, wenn sie eine unbegründbare Ablehnung zu einer vertretbaren Meinung stilisieren.
Prekär daran ist, was passiert, wenn wir heutzutage nach den vielen Schritten, die die Emanzipation Nichtheterosexueller vollführt hat, tatsächlich noch tolerieren wollen, wenn pauschalisiert gegen Homo-, Transsexualität usw. gehetzt wird: Wir bagatellisieren damit Gewalt und Leid, das Menschen in der Vergangenheit zugefügt wurde oder ihnen heute noch zugefügt wird. Wir bagatellisieren damit zum Beispiel die Inhaftierung vieler Homosexueller auf Grundlage des ehemaligen §175 StGB in beiden deutschen Staaten. Wir tun damit so, als gäbe es eine nachvollziehbare Argumentationsbasis, wenn der Staat Gambia im Jahr 2014 sogar die angedrohte Kürzung der Entwicklungshilfen in Kauf nahm, um am Ziel der Verfolgung „satanischer“ Homosexueller weiter festzuhalten.[65] Wir zeigen damit sogar Nachvollziehbarkeit für die Beweggründe von körperlichen Bedrohungen wie z.B. den brutalen Mord an einem jungen schwulen Mann in Wolgograd im Mai 2013[66]. Dabei ist er nicht der einzige, der sein Leben ließ, weil er es so leben wollte, wie er war.
Auch in Deutschland gibt es nach wie vor Potential für körperliche und psychische Bedrohungen, denen Nichtheterosexuelle ausgesetzt sein können. Wahrscheinlich sind die meisten derer, die Nichtheterosexualität nicht gutheißen, wahrscheinlich auch nicht zur Vollführung solcher Taten gewillt. Dennoch zeigen sie durch ihre Haltung zumindest eine inhaltliche Nachvollziehbarkeit für deren auslösenden Beweggrund. Jede Form der Phobie Nichtheterosexuellen gegenüber ist somit eine Verharmlosung der psychischen und physischen Gewalt, die Menschen zugefügt wird: Menschen, die anders sind, als es eigenen, teils beliebig und zufällig entwickelten Wertvorstellungen entspricht. Dass eine solche Ablehnung also wirklich das Maß einer mündigen und freiheitlichen Menschheit sein darf, gilt klar zu verneinen. Jedes freiheitliche, friedvolle Persönlichkeitsmerkmal, über das ein Mensch verfügt, birgt sonst schließlich das Potential, Basis einer Diskriminierung und Kriminalisierung zu werden.