»Das gute Beispiel ist nicht eine Möglichkeit,
andere Menschen zu beeinflussen, es ist die einzige.«
Albert Schweitzer
Im letzten Kapitel hast du bereits die erste Geschichte eines 4-Stunden-Startups kennengelernt. Die Jungs von DeinBus haben es geschafft, aus einer vermeintlich verrückten Idee eine ganz neue Branche entstehen zu lassen. Doch selbst ihre Erfolgsgeschichte hat viele Schattierungen, und es ist mir wichtig, dir ein realistisches Bild von den Möglichkeiten eines 4-Stunden-Startups zu vermitteln. Authentische Geschichten zeigen, dass es tatsächlich möglich ist, sein eigenes Ding nebenher zu machen, und dass dies nicht nur eine kühne Behauptung ist. Auf der anderen Seite sind Geschichten, die das Leben schreibt, die beste Möglichkeit, die bunte Vielfalt der 4-Stunden-Startups zu illustrieren.
Dabei ist jede Geschichte anders: Manche sind bewusst als einmalige Aktionen angelegt, andere entstehen durch eine zufällige Begegnung, wiederum andere sind der Testlauf zu einer großen Geschäftsidee. Dem Buch, das wir durch Crowdfunding finanzierten und aus dem später unser eigenes 4-Stunden-Startup wurde, gaben wir in Anlehnung an eine Geschichte darin den Titel Palmen in Castrop-Rauxel. Denn selbst das ist möglich: als Hauptschüler und Maurer durch ein 4-Stunden-Startup zu Europas größtem Händler für mediterrane Pflanzen und Palmen zu werden – mitten im Ruhrgebiet! Die Geschichten in diesem Kapitel sollen dir zeigen, was möglich ist. Vor allem aber sollen sie dir Mut und Lust machen, es endlich selbst zu probieren.
Startup-Thinking: Dir werden in diesem Buch an verschiedenen Stellen diese Boxen begegnen. Sie enthalten praktische Tipps oder besondere Infos, manchmal dienen sie auch dazu, dich auf einen besonders wichtigen Punkt aufmerksam zu machen.
Vom Nebenprojekt zum großen Deal
»Kannst du nicht mal eben?« Diese Frage kennen nicht nur Steuerberater und Handwerker, sondern auch Thomas »Tom« Bachem hört sie häufig von seinen Freunden. Tom macht »was mit Internet«, und tatsächlich kennt er sich nicht nur gut, sondern hervorragend aus: Im Jahr 2006 gründete er zusammen mit Ibrahim »Ibo« Evsan das Videoportal Sevenload, welches als »deutsche Antwort auf YouTube« gefeiert wurde.
Thomas war damals noch ein Teenager, doch im Internetgeschäft bereits ein alter Hase: Schon seit Jahren programmierte er zusammen mit Freunden Webseiten für kleine Geschäfte. Er machte alles, von A wie Apotheke bis Z wie Zoogeschäft. Mit dem Internetboom um die Jahrtausendwende entwickelte sich eine eigene Homepage langsam zum Muss. Doch so wichtig sie wurde, so war die Technik dahinter für viele ein Buch mit sieben Siegeln. Und so kamen auch Thomas und Ibrahim zusammen. Der eine neunzehn und Programmierer, der andere neunundzwanzig und auf der Suche nach jemandem, mit dem er seine Idee – diese Idee mit dem Potenzial, richtig groß zu werden – umsetzen konnte.
Nur wenige Monate, nachdem in Kalifornien drei ehemalige Paypal-Mitarbeiter YouTube gegründet hatten, startete 2005 im sommerlichen Köln die Arbeit an einer Videoplattform. Ein Jahr später kaufte Google für einen bis dahin nie dagewesenen Rekordpreis von umgerechnet 1,3 Milliarden Euro YouTube, und es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Sevenload zum begehrten Kandidaten würde. 2010 war es so weit: Der Medienkonzern Burda übernahm die Mehrheit am Unternehmen, im gleichen Jahr zählte die Wirtschaftswoche Tom und Ibo zu den zehn prominentesten deutschen Gründern.
Ja, Thomas kannte sich im Internet hervorragend aus. Doch auch er musste passen, als im Frühjahr 2011 eine Freundin mit großen Augen und noch größeren Erwartungen vor ihm saß. Ein Online-Tool, mit dem man einfach und unkompliziert Lebensläufe formatieren und als PDF abspeichern konnte? Das kannte selbst Tom nicht. Er selbst hatte in seinem Leben noch keinen einzigen Lebenslauf verschicken müssen, doch die Freundin, die ihm diese Frage stellte, war offenbar nicht die Einzige, die dieses Problem hatte. Schon häufiger hatte er Freunde und Bekannte über dieses Problem lamentieren hören – doch dieses Mal war seine Neugierde endgültig geweckt.
Thomas googelte und recherchierte, doch was er fand, sah entweder aus wie »Grütze« oder war viel zu kompliziert – das konnte er besser. Und so begann ganz unspektakulär das kleine Nebenprojekt »Lebenslauf-Editor«. Thomas hatte weder die Absicht, damit Geld zu verdienen, noch zeitlichen Druck. Einen schönen Editor zu bauen war zwar nicht ganz leicht, aber für einen Crack wie ihn wiederum nicht allzu schwer. Dabei hatte Thomas übrigens nicht Informatik studiert, wie man vielleicht erwarten würde, sondern BWL. Es war genau die richtige Art Herausforderung, um in seiner Freizeit ein bisschen herumzuspielen und sich weiterzuentwickeln. Für ihn ist Softwareentwicklung eine Leidenschaft, die investierten Stunden betrachtet er nicht als Arbeit, sondern als waschechtes Hobby. Und so dauerte es ein paar Monate, bis er mit diesem Nebenherprojekt fertig war und der Editor mangels anderer guter Alternativen unter der Internetadresse Lebenslauf.cc online ging. Wenige Monate später wusste Thomas, dass er einen Nerv getroffen hatte.
Ganz am Anfang hatte er nur seinen Freunden und Bekannten von dem kleinen Tool erzählt, vielleicht auch mal was bei Facebook gepostet, aber mehr sicher nicht. Doch Lebenslauf.cc sprach sich offensichtlich herum, die Besucherzahlen stiegen und stiegen – weit über seinen eigenen Bekanntenkreis hinaus. »Wenn die Seite wirklich so nützlich ist, könnte man dann damit nicht auch ein bisschen was verdienen?«, fragte er sich irgendwann. Nach einigen Tests zeigte sich, dass 5,99 Euro ein fairer Preis war, bei dem genügend Nutzer bereit waren, für den Service zu bezahlen: nicht zu billig, nicht zu teuer, sondern genau richtig. Thomas’ Nebenprojekt funktionierte, er kaufte die deutlich attraktivere Internetadresse Lebenslauf.com zu einem recht günstigen Preis und machte sein kleines Projekt endgültig zum 4-Stunden-Startup. Denn einmal eingerichtet war die Seite praktisch ein Selbstläufer: ein Selbstläufer, der einen fünfstelligen Umsatz generierte – pro Monat!
Doch Thomas wollte kein 4-Stunden-Startup. Der Erfolg motivierte ihn, mehr daraus zu machen. Durch seine bisherigen unternehmerischen Projekte – er hatte nach Sevenload noch eine Webagentur und ein Spiele-Startup gegründet – kannte er viele Akteure aus der Internetszene. Als ihn eines Tages der Chef einer bekannten Karriereplattform zum Mittagessen einlud, war dies für Thomas nichts Ungewöhnliches. Dass es dabei um eine mögliche Partnerschaft gehen könnte, änderte daran auch nichts. »Mal schauen, was passiert«, dachte er sich.
Damit, dass ihm zum Nachtisch vorgeschlagen wurde, sein Projekt Lebenslauf.com zu verkaufen, hatte Thomas allerdings nicht gerechnet. Alter Hase hin oder her: Die Frage, was er dafür haben wolle, erwischte ihn vollkommen unvorbereitet. Seine Antwort entsprang daher keinem kühlen Kalkül, sondern kam direkt aus dem Bauch heraus: 400 000 Euro. Allerdings, so schob er nach, müsste er sich in Ruhe mal ausrechnen, ob das ein realistischer Preis sei, man solle es daher bitte nur als Größenordnung verstehen.
Als Thomas nach dem Essen zu Hause angekommen war, hatte sich ein Gefühl eingestellt: Er, der begeisterte Pokerspieler, könnte eigentlich ein bisschen höher pokern. Denn er hatte nichts zu verlieren, sondern konnte eigentlich nur gewinnen. Es galt, den aus der Hüfte geschossenen Preis möglichst plausibel für viel zu niedrig zu erklären. Keine leichte Aufgabe, aber nicht unlösbar. Soundso viele zahlende Kunden heute, deren Zahl ordentlich auf die Zukunft hochgerechnet, das ergab – einen Bluff? Vielleicht ein bisschen. Aber es war einer, den man wagen kann, wenn man gute Karten auf der Hand hat. Und die hatte er mittlerweile, selbst wenn er anfangs ohne konkrete Absichten gestartet war. Die Zahl, die Thomas daraufhin nannte, war fast doppelt so hoch. Doch der Chef der Karriereplattform ließ sich nicht abschrecken und sah für sich tatsächlich einen entsprechend hohen Gegenwert, über den Rest würde man sich schon einig werden. Es schien, als habe alles bestens funktioniert.
Dass der Euphorie Wochen und Monate der Ernüchterung folgen würden, war für Thomas zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar. Zwar war das Interesse zu Beginn enorm, doch der Kaufprozess war zäh und zog sich immer weiter in die Länge. Die Euphorie verflog auf beiden Seiten, bis sich allmählich abzeichnete: Der Deal würde so wohl nicht zustande kommen. Allerdings hatte Thomas noch einen weiteren Trumpf im Ärmel. Immerhin gab es nicht nur diese eine Karriereplattform, sondern noch weitere Unternehmen, die einen großen Nutzen für sich aus Thomas’ Projekt ziehen konnten. Über sein Netzwerk kannte er Ansprechpartner in diesen Firmen und hatte sie parallel zu den Verhandlungen bereits kontaktiert. So wie das Karrierenetzwerk Xing, das ebenfalls großes Interesse zeigte.
Das gleiche Spiel begann von vorne: Euphorie am Anfang, gefolgt von monatelangem Hin und Her – ausgiebige Verhandlungen gehören eben dazu. Der Grund diesmal: Xing wollte Lebenslauf.com kostenlos zugänglich machen. Die einzige Bedingung für die Nutzer: Sie müssten ein Xing-Profil registrieren beziehungsweise bereits dort angemeldet sein. Für jede Registrierung würde...