I. Dresden gerät auf die Zielliste
Conjunctio rerum omnium – Mit der Zerstörung Dresdens sind weit auseinanderliegende Aspekte verbunden.
Luftkriegsplanung – Strategie und Taktik
Den strategischen Luftkrieg haben Groehler11 und, ohne ideologische Wertungen, Boog12 dargestellt. Qualität und Quantität der Luftstreitkräfte im Zweiten Weltkrieg waren Resultat industrieller, technologischer und wissenschaftlicher Leistungskraft der großen Industrienationen, vergleichbar den heutigen Atommächten. Lange vor Kriegsanfang legten die späteren Kriegsgegner fest, wie diese Streitkräfte eingesetzt werden sollten – strategisch, im Sinne von Giulio Douhets13 Auffassung vom totalen Bombenkrieg und dem Führungswillen, das Äußerste an Mord, Brand und Kulturvernichtung zu befehlen und durchzusetzen, oder taktisch, zur Unterstützung des Heeres und der Marine. Diese Entscheidung bestimmte die Grundtypen der Luftflotten: schwere viermotorige Langstreckenbomber der Westalliierten, mittlere und Sturzkampfbomber bei der deutschen Luftwaffe.
Der Luftkrieg war ein komplexer, dynamischer Prozeß, mit wechselndem Vorsprung auf dieser oder jener Seite.14 Gegen völkerrechtliche Bedenken bot sich den Westalliierten die Generalklausel des Kriegsrechts – „necessities of war“ – an.
Die Luftwaffe
Die deutsche Luftkriegsdoktrin legte fest: Kampf gegen die feindliche Luftmacht, Heeresunterstützung und Zerstörung des Nachschubes von den Produktionszentren bis zur Front. „Unbeabsichtigte Nebenwirkungen lassen sich bei den Angriffen nicht vermeiden.“15 Die Erfahrungen der Legion Condor im spanischen Bürgerkrieg richteten die deutsche Luftkriegsdoktrin auf die Unterstützung der kämpfenden Truppe.
Die RAF hielt sich bis in den Frühsommer 1940 zurück. Man erwartete einen deutschen Angriff auf zivile Ziele, sei er nun beabsichtigt oder nicht. „Wir dürfen nicht die ersten sein, welche die Handschuhe ausziehen“, schrieb Stabschef Air-Marshal Sir Cyril L. Newall am 27. November 1938. Die Führung der deutschen Luftwaffe lehnte „Angriffe auf die Zivilbevölkerung grundsätzlich“ ab, es sei denn, es handele sich um „Vergeltungsmaßnahmen“.16 1957 schreibt Sir Basil Collier in der offiziellen Geschichte der Luftverteidigung Englands:
Obwohl in dem von der Luftwaffe Anfang September (1940) gefaßten Plan auch Angriffe gegen die Zivilbevölkerung in größeren Städten erwähnt werden, weisen die eingehenden Feststellungen, die über diese Angriffe im Herbst und Winter 1940/41 getroffen wurden, nicht darauf hin, daß ein unterschiedsloser Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung beabsichtigt war. Zielpunkte waren zumeist Fabriken und Hafenanlagen, desweiteren die City von London und das Regierungsviertel um Whitehall.17
Das waren nach damaliger Auffassung legitime Ziele. Darstellungen, die Luftwaffe habe mit Terrorangriffen auf Guernica, Warschau, Rotterdam und Coventry den angelsächsischen Luftkrieg gegen deutsche Städte provoziert, sind Legenden und widerlegt.18 Dagegen waren die Luftangriffe der RAF bis zur Invasion 1944 die einzige Möglichkeit der Westalliierten, Deutschland nachhaltig zu treffen.19
Die RAF begann die Angriffe auf deutsche Städte am 15./16. Mai 1940. Die deutschen Angriffe auf England setzten nach dem Frankreichfeldzug am 13. August 1940 ein. Großbritannien hatte das Friedensangebot Hitlers abgelehnt.20 Am 14. September 1940, zehn Tage, nachdem er öffentlich das „Ausradieren“ englischer Städte angekündigt hatte21, erklärte Hitler gegenüber dem Generalstabschef der Luftwaffe: „… der Angriff auf kriegswichtige Teile ist immer das Wichtigste, weil er Werte zerstört, die nicht zu ersetzen sind. Solange man noch ein kriegswichtiges Ziel hat, muß man auf diesem bleiben.“ Er befahl Luftangriffe auf London gegen kriegs- und lebenswichtige Ziele.22
Die Royal Air Force (RAF)
Der deutsche Luftangriff auf Rotterdam am 14. Mai 1940, der wegen ungenügender Verständigung mit den anfliegenden deutschen Bombern nur zum Teil abgebrochen werden konnte,23 diente schließlich als Vorwand, „die Handschuhe auszuziehen“.24 1944 rechtfertigte J. M. Spaight, Unterstaatssekretär im Luftfahrtministerium, den britischen Bombenkrieg:
Wir boten unsere Städte der Vergeltung dar. Deutschland sollte britische Städte bombardieren, um Roosevelt den Kriegseintritt innenpolitisch zu ermöglichen. Wir begannen Ziele im feindlichen Hinterland zu bombardieren, bevor die Deutschen anfingen, Ziele im britischen Hinterland zu bombardieren.25
Mit der Entwicklung geeigneter Navigationsgeräte zur Auffindung von Städten bei Nacht und Bewölkung im Laufe des Jahres 1941 wies Charles Portal in einer Direktive vom 15. Februar 1942 darauf hin, „daß die dicht bebauten Wohngegenden die Zielpunkte seien und nicht etwa Hafenanlagen oder Flugzeugfabriken“.26
Das Flächenbombardement, der unterschiedslose Bombenkrieg gegen die Zivilbevölkerung, begann – Opfer unter Kriegsgefangenen und ausländischen Arbeitskräften, französischen Zivilisten sowie „Kollateralschäden“ in der neutralen Schweiz wurden in Kauf genommen – und sollte kurz vor Ende des Krieges in Europa mit der Zerstörung Dresdens seinen Höhepunkt erreichen. Dresden war eine jener alten, historischen deutschen Städte, die „mehr einem Feuerzeug glichen, denn als menschliche Behausung gebaut sind“.27
In seinen Memoiren schrieb Luftmarschall Harris 1947, die Deutschen hätten im Bombenkrieg gegen England ihre Chance nicht wahrgenommen, englische Städte durch Brandbomben zu zerstören.28
Die amerikanische Luftwaffe (USAAF)
Harry Hopkins war von Roosevelt 1935 an die Spitze der Works Progress Administration gestellt worden und setzte im Rahmen des New Deal Milliarden Dollar um, damit 20 Millionen verarmter Amerikaner durch dieses Programm Unterstützung oder Arbeit finden konnten. Um diese Mittel zum Erhalt und Ausbau von Anlagen der Armee und militärisch wichtigen Vorhaben einzusetzen, unterstützte das Kriegsministerium mit Roosevelts Zustimmung Hopkins durch den Obersten Francis C. Harrington als Chefingenieur. In der „Hommage“ Sherwoods, „Roosevelt und Hopkins“, ist zu lesen: „Hopkins hatte mindestens bis zur Münchner Krisis 1938 keine Ahnung, daß er daran beteiligt war, das Land für den Krieg vorzubereiten und instand zu setzen.“29 So konnten die ersten Kriegsvorbereitungen der öffentlichen Kritik des American First Committee entzogen werden, welches unter Mitwirkung Charles Lindberghs30 der interventionistischen Politik Roosevelts Widerstand entgegensetzte.
Die Aufrüstung der amerikanischen Heeresluftstreitkräfte war im ersten Halbjahr 1941 um 250 % gesteigert worden. Dabei lag der Schwerpunkt auf der Standardisierung der Bauteile und der Flugzeugmuster. Die Planer nutzten die Erkenntnisse der Royal Air Force (RAF) auf taktischem und technischem Gebiet.
Um die Öffentlichkeit in Amerika auf den Kriegseintritt der USA vorzubereiten, setzte die Presse phantastische Bedrohungsvorstellungen in die Welt: Deutschland werde von englischen und französischen Kolonialgebieten in Westafrika über Südamerika amerikanische Ziele an der Ostküste mit Bombern angreifen. Angesichts der Möglichkeiten der deutschen Luftwaffe, die kaum den Südteil der britischen Insel nachhaltig angreifen konnte, war dies eine haltlose Vorstellung. Dabei ging es um die Rechtfertigung einer gewaltigen Rüstung, welche die USA auf die Teilnahme am Krieg vorbereiten sollte. In diesem Zusammenhang schrieb der englische Generalmajor J. F. C. Fuller bereits 1936: Das Geld sei „das Bindeglied zwischen Demokratie und Bolschewismus – zwischen oligarchischen und staatskapitalistischen Nationen. Da Deutschland außerhalb dieses goldenen Ringes steht, ist es verdächtig. Deutschland beginnt bereits mehr mit den Begriffen der Arbeit zu operieren, als mit den Begriffen des Geldes. Führt Deutschland ein vernünftiges Finanzsystem ein, in welchem kein Geld aufgekauft werden kann, dann wird die Goldblase platzen und die Grundlagen des Staatskapitalismus brechen zusammen. Es muß um jeden Preis daran gehindert werden. Daher die fieberhaften Vorbereitungen zu seiner Vernichtung“.31
Nach der Münchner Konferenz im Oktober 1938 ordnete Roosevelt an, die Planungsgrundlagen für den Aufbau strategischer Luftstreitkräfte zu entwerfen. Danach konnten die amerikanischen und, um das Neutralitätsgesetz zu umgehen, die kanadischen Produktionskapazitäten ausgebaut werden oder über eine kanadische Gesellschaft die Abwicklung von Exporten nach Frankreich und England erfolgen.32...