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Ludwig Hirsch: I lieg am Ruckn - Erinnerungen

AutorAndy Zahradnik, Cornelia Köndgen, Johnny Bertl
VerlagVerlag Carl Ueberreuter
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783800079414
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis7,99 EUR
Ludwig Hirsch war Schauspieler, Poet und Liedermacher. Unaufdringlich nah, aber ungemein präsent hat er seine Texte in den Köpfen der Zuhörer verankert. Seine Lieder haben auch nach Jahrzehnten nichts von ihrer Intensität verloren. Dieses Buch versammelt Biografisches, Szenen und Situationen aus der Karriere und dem Leben von Ludwig Hirsch. Es zeigt das Bild eines außergewöhnlichen Künstlers und zurückgezogen lebenden, sensiblen Menschen, der mit seinen Liedern wie 'I lieg am Ruckn' oder 'Komm großer schwarzer Vogel' Ende der 70er-Jahre wie ein Wintersturm über Österreich kam. Zu Wort kommen unter anderem Cornelia Köndgen, die Ehefrau und Schauspielerin, Moritz, der Sohn, Ludwig Hirschs langjähriger Bühnenpartner und bester Freund, Johnny Bertl, der Entdecker und Manager, Karl Scheibmaier und zahlreiche weitere Weggefährten.

Andy Zahradnik, geboren 1958, ist seit 1973 in der Musikbranche tätig, arbeitet heute auch als Autor und Musikjournalist. Cornelia Köndgen, geboren 1953, ist Schauspielerin und Autorin. Sie war seit 1977 mit dem verstorbenen Liedermacher Ludwig Hirsch verheiratet. Der Ehe entstammt ein Sohn. 2013 erschien ihr Buch 'Mit einem kleinen Schuss ins Rot'. Johnny Bertl, Gitarrist, Komponist und Plattenproduzent, er begleitete Ludwig Hirsch 36 Jahre hindurch auf der Gitarre und trat mit dem Publikumsliebling in mehr als 4000 Konzerten auf.

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Leseprobe

Bitte Einsteigen oder Was singt der da?


Oma pfüdigott, mach’s drüben besser, mach keine Knödeln für die Engerln, sei so gut! Tu nicht die Heiligen sekkiern, tu nicht den Opa denunziern; und gehst zum Herrgott auf Besuch – ein guter Tip: Omama, nimm’s Mutterkreuz net mit!

Es ging steil die Stufen hinunter, direkt in den Bauch des Wiener Konzerthauses. Ein langer Gang führte zu den links und rechts liegenden Aufnahmeräumen. Neonlichter und Lampen tauchten den Ort in eigentümliches, leicht gelbliches Licht. Viel Braun an den Wänden und viel vergilbte Farbe. Der Ort trug die Patina, wie sie Orte, in denen viele Jahre lang die immer gleichen oder sehr ähnlichen Aufgaben erledigt werden, tragen. Seit 1946, der Krieg war kaum ein Jahr vorbei, wurde hier, im Keller des Konzerthauses, wieder Musik aufgenommen. Auf der Straße, da kletterten die Menschen noch über den Bombenschutt, während unten Schlager gesungen wurden.

Gerhard »Moshe« Mendelson, der legendäre Musikproduzent, Besitzer eines Plattenlabels, Entdecker der Stars, er produzierte hier viele Schlager, gründete 1946 die Austrophon Schallplatten Studio Ges.m.b.H und machte Wien zum Schlagernabel. Peter Kraus nahm in den 50er-Jahren seine großen Hits in den im Keller gelegenen Studioräumen ebenso auf wie Peter Alexander und viele andere Stars ihrer Zeit. Das Austrophon-Studio war in Österreich für Jahrzehnte die erste Adresse, wenn es um Plattenaufnahmen ging, und Mendelson versorgte von Wien aus die Wirtschaftswunder-Zeit mit ihrem Soundtrack.

Die schalldichten Wände des Austrophon hatten in all den Jahren so einiges zu hören bekommen, doch das, was im Jahr 1978 auf den beiden »Studer« 16-Spur-Maschinen aufgenommen wurde, war in seiner Art sehr anders.

Der Mann, dessen Lieder sich auf seiner ersten Langspielplatte wiederfinden sollten und der eben im Studio A mit den Aufnahmen zugange war, legte damals im »Austrophon« den Grundstein zu seiner außergewöhnlichen Karriere. Der Poet, Schauspieler, Texter und Komponist Ludwig Hirsch – er war genauso alt wie das Studio, in dem die Aufnahmen stattfanden. Ein Zufall, aber diese ersten Tage seiner Karriere, hier im bunkerartigen Studio, im Bauch des berühmten und legendenumwobenen Hauses, welches seit jeher unterschiedlichste Arten von Musik lebt wie keine andere Spielstätte Wiens, sie werden die ersten Tage des Musikerlebens von Ludwig Hirsch sein.

Die Adresse Lothringerstraße 20 im dritten Wiener Gemeindebezirk, sie wird im Leben des Ludwig Hirsch eine große Rolle spielen. Im Konzerthaus fing es an. In »meinem Konzerthaus«, wie er immer wieder sagte. Im Keller gab es das Konzerthaus-Theater. Dort stand er oft auf der Bühne, in den 70er-Jahren. Mit den anderen jungen Wilden, die noch nicht in die Traditionsbetriebe durften. Da unten, da konnten sie sich austoben. Oben, im Mozart-Saal, stellte er später seine Lieder zum ersten Mal im großen Stil dem Publikum vor. Wieder unten, im Keller, wurden sie professionell eingefangen, konserviert, um später zur Vervielfältigung freigegeben zu werden.

Und im Konzerthaus fand auch alles sein Ende. »VIELLEICHT zum letzten Mal live« hieß das Programm, das am Muttertag 2011 von Ludwig Hirsch und seinen Musikern Johnny Bertl, Andi Steirer und Manfred Schweng gespielt wurde.

Dreiunddreißig Jahre bevor es zur traurigen Gewissheit wurde, dass das Wort VIELLEICHT im Tourneetitels einem SICHER weichen musste, arbeiteten in den eher spartanisch eingerichteten Regie- und Aufnahmeräumen des Austrophon-Studios B der Techniker Gregor Hornacek und der Produzent Robert Opratko an Liedern, die einige Monate später als die »Dunkelgrauen« wie ein Herbststurm über das Land kommen sollten. In den mit dem gelblichen Kunstlicht gefluteten Räumen mit den schallschluckenden und mit zahlreichen kleinen Löchern versehenen Holzpaneelen an den Wänden, in denen sich der Geruch von Tausenden Zigaretten der vergangenen Jahrzehnte gesammelt hatte, erzählte Ludwig Hirsch seine Geschichten vom bladen Buam, dem netten Herrn Haslinger, dem Zwerg oder auch die vom Dorftrottel. Hirsch verpackte seine Figuren in schöne, einfache Melodien, Robert Opratko versah sie mit Streichern und anderen Arrangements, die einen lieblichen Kontrast zu den morbiden, teils brutalen, zynischen Texten bildeten. Mit seiner wunderbaren sonoren Stimme schickte er, der Hirsch, uns Hörer dann auf eine Art Geisterbahnfahrt durch seine »Dunkelgrauen Lieder«. Mit der »Oma« tauchten wir ein ins Grau. Das war noch irgendwie lustig. Bei »I lieg am Ruckn« wurde es das erste Mal richtig dunkel. Und traurig. Man spürte die salzigen Tränen förmlich, wie sie auf den frisch aufgeworfenen Grabhügel fallen, und wahrscheinlich hat dieses Lied auch nicht wenige Menschen dazu bewogen, testamentarisch eine Einäscherung zu verfügen, wenn es irgendwann so weit sein sollte. Nur nicht da unten liegen und auf die Würmer warten müssen. Überhaupt, die Strophe mit dem sich in der Erde herumschlängelnden Getier, sie hat mit Sicherheit seit dem Jahr 1978 so manche Beerdigung in den Köpfen der Trauergemeinde begleitet. Man will gar nicht wissen, wie oft dieses Lied als stiller Gast, im Hirn, in den Gedanken mit bei Begräbnissen war und noch lange sein wird. Gestern, heute, morgen und auch übermorgen. »I lieg am Ruckn« ist so zeitlos wie das Sterben. Der Soundtrack fürs Kopfkino. Wienerischer kann es gar nicht sein.

Was is’n des, des komische Krabbeln bei die Zehen da vorn?
Jessas Maria, der erste Wurm!
Du liegst da und kannst di net rühren, die Würmer krallen dir ins
Hirn und sie dinieren.

Umdrehen musste man die Platten damals noch. Schwarze Langspielplatten. 30 Zentimeter im Durchmesser. Lange Zeit uninteressant, und seit drei Jahren fahren so viele wieder drauf ab, auf dieses pechschwarze Vinyl. Für die Musik des Ludwig Hirsch war es ohnehin immer der bessere, viel authentischere Schallträger als diese kleinen Silberscheiben.

Bei den »Dunkelgrauen Liedern« war es, wie wenn du deine schwarze Platte nimmst. Du setzt die Nadel in die Rille. Und los geht die Fahrt, wie in der Geisterbahn im Wiener Prater. Nach der Hälfte bist du im ersten Stock der Bahn angelangt, dort wirst du kurz vom Tageslicht geblendet, bis dann der kleine Wagen wieder mit dir in die Tiefe rumpelt. Das letzte Lied auf der Platte heißt »Happy End«. Es ist wie im Film. Ohne Happy End gehst du traurig aus dem Kino. Hier rattert der Wagen mit diesem Lied in die Zielgerade, und erst wenn sich die Nadel hebt, entlässt dich der Herr Hirsch wieder aus seiner in deine Welt.

1978 war ich 20 Jahre alt und musikalisch geprägt und sozialisiert von Wolfgang Ambros, Georg Danzer und all jenen anderen österreichischen Musikerinnen und Musikern, die sich dem Dialekt zugewandt hatten. Endlich was für uns, in unserer Sprache geschrieben und gesungen. Zum Mitsingen, Weinen, Lieben, Austoben und Abstürzen. Erst das, was damals schon als »Austropop« tituliert wurde, machte meine persönliche Pop- und Rockwelt komplett.

1978 war ich bereits seit fünf Jahren in der Musikwirtschaft tätig und innerhalb der Branche kannten sich alle gut. Etwas Besseres kann einem passionierten Plattensammler eigentlich nicht passieren. In der Kantine im Funkhaus war immer einer der Promoter-Kollegen zu finden und wir tauschten immer wieder Platten aus. Im Funkhaus in der Wiener Argentinierstraße, im letzten Stock, direkt unter dem Dach, saß damals der Sender Ö3. Noch ohne dem Zusatz »Hitradio« im Namen. Im Stockwerk darunter waren Radio Wien, der Kinderfunk und Radio Niederösterreich untergebracht.

Ins Funkhaus wurden von allen Firmen jede Woche Tonnen von neu erschienenen Platten geschleppt. Mit der Hoffnung auf Radioplay texteten die Promoter die Redakteure und DJs zu und nicht jede Platte fand einen Abnehmer. Bevorzugte Transportmittel zum Plattenschleppen waren Plastiksackerln mit den Logos der Firmen. Polydor, Ariola, Musica oder WEA, die spätere Warner. EMI nicht zu vergessen. Meine Sackerln waren in knalligem Orange. CBS – The Family Of Music stand drauf und in so einem Sackerl verschwand damals die Platte von Ludwig Hirsch. Die mit den »Dunkelgrauen Liedern«. Der Kollege von Polydor hatte sie mir mit den Worten gegeben: »Das musst du dir anhören … Sowas hast du noch nie gehört.« Ich hab die Platte genommen und im Gegenzug etwas anderes über den Tisch geschoben. Keine Ahnung, was ich damals für Hirsch eingetauscht habe, aber ich war in Sachen Hirsch nicht gänzlich unbeleckt. »Ah, das ist doch dieser Schauspieler …«, sagte ich, dankte und drehte das Plattencover um. Und was stand da? War da doch tatsächlich ein Lied mit dem Titel »Spuck den Schnuller aus« drauf. Ich lachte und las laut vor. Der Kollege von Polydor sagte nur: »Anhören und ich sag dir nochmal: Sowas hast du noch nie gehört!«

Daheim senkte sich dann die Nadel und es war wie beschrieben: Bitte einsteigen zur Geisterbahnfahrt. Bei der »Omama« hab ich noch geschmunzelt und an meine Oma gedacht. Die war...

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