INSULIN:
HELFER ODER BÖSEWICHT?
Der Botenstoff Insulin hat bei der Entstehung von Diabetes die Schlüsselrolle inne. Es wird in der Bauchspeicheldrüse gebildet und spielt eine zentrale Rolle bei der Energieversorgung des Körpers: Insulin schließt die Körperzellen auf, erst dann kann der für alle Stoffwechselprozesse notwendige Treibstoff in Form von im Blut anflutendem Traubenzucker (Glukose) aus der Nahrung aufgenommen werden. So werden alle Zellen versorgt – insbesondere diejenigen, die auch beansprucht werden, etwa die Muskelzellen bei jeder Art Bewegung.
Zur Glukosegewinnung kann der Körper Kohlenhydrate und Eiweiß aus den Mahlzeiten in kleinste Bausteine zerlegen.
Inselzellen (die sogenannten endokrinen Zellen) in der Bauchspeicheldrüse (Pankreas) registrieren den Blutzuckergehalt und produzieren Insulin.
ALLES AUF ZUCKER
Lieblingsbrennstoff der Muskelzellen, die für die gesamte Energiegewinnung und den Energieumsatz zuständig sind, ist Zucker (Kohlenhydrate), er kann am leichtesten genutzt werden. Danach kommen Fettsäuren aus Nahrung und Fettgewebe. Eiweiß brauchen die Muskeln eher als Baustoff. Die Muskulatur trägt also maßgeblich zum stabilen Fett- und Zuckerstoffwechsel bei. Insbesondere Fett kann wesentlich nur in den Muskeln verbrannt werden.
Die gesunde Bauchspeicheldrüse produziert je nach Kohlenhydratgehalt einer Mahlzeit die genau passende Menge Insulin, die benötigt wird, um den Blutzucker auf ein bestimmtes Maß einzuregeln und die Zellen mit Energie zu versorgen. Im Blut flutet immer eine gewisse Glukosemenge zur Grundversorgung der Organe, insbesondere des Gehirns: etwa 60 bis 120 Milligramm pro Deziliter (mg/dl) oder 0,6 bis 1,2 g/l. Nachts setzt die Leber genug Glukose frei, um Unterzuckerung zu vermeiden. In den 5 Litern Blut eines Erwachsenen zirkulieren bei normalen 100 mg/dl also nur 5 Gramm Glukose, bei einem (guten) diabetischen Wert von 200 mg/dl lediglich 10 Gramm. Zu viel Zucker im Blut über viele Jahre hingegen greift die Blutgefäße an.
Nahrungsfette und Zucker lagern sich ein in Leber und Muskelzellen. Überschüsse leitet das Insulin in die Fettzellen (Fettgewebslipose) und blockiert die Fettfreisetzung (hormonsensitive Lipose).
Fatale Kombination: zu viel Zucker und schlappe Muskeln
Warum entwickelt sich nun eine Insulinresistenz und in der Folge eine kompensatorische Überreaktion der Bauchspeicheldrüse? Auslöser ist ein ständiger Nährstoff- und Insulinüberschuss, eng verzahnt mit Bewegungsmangel und dadurch schlappen Muskelzellen. Diese Kombination führt zu einer Überhitzung der Energiekraftwerke in den Muskelzellen (Mitochondrien) und zu oxidativem Zellstress.
info
THERAPIEZIELE
Nach den Leitlinien der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) sind die folgenden Werte erstrebenswert. Jedes Therapieziel muss dabei jedoch individuell angepasst werden!
- Blutzucker nüchtern: 80 – 120 mg/dl
- Blutzucker 2 Stunden nach einer Mahlzeit: < 140 mg/dl (laut Leitlinien der IDF, International Diabetes Federation, und ADA, American Diabetes Association).
- HbA1c: < 6,5 %
- Cholesterin gesamt: < 180 mg/dl
- HDL-Cholesterin: > 40 mg/dl (Männer), > 50 mg/dl (Frauen)
- LDL-Cholesterin: < 100 mg/dl
- Triglyzeride: < 150 mg/dl
- Blutdruck (ohne Proteinurie): < 130/80 mmHg, mit Proteinurie: < 120/75 mmHg
Der erste Schritt in die Insulinresistenz
Wie auf den Abbildungen auf > zu sehen, flutet nach der Magenentleerung über den Zwölffingerdarm Glukose in den hormonaktiven Inselzellen (>) an. Blutzuckerspitzen wie nach einem Stück Kuchen, einem Glas Apfelsaft oder einem Fruchtjoghurt werden mit massiv erhöhter Insulinantwort wieder in Normnähe herunterreguliert, indem die Muskelzellmembranen an bestimmten Andockstellen geöffnet werden. Hier gibt es sogenannte Insulinrezeptoren, die wie Schlösser auf den Schlüssel Insulin reagieren und über den Zellkern GLUTT-4-Transporter (Zuckertransporter) in Gang setzen, die dann die Glukose aus der Blutbahn abholen. Wird nun eine Muskelzelle statt mit 80 bis 100 Milligramm mit 180 Milligramm gefüttert, kommt es zu einer intrazellulären Überernährung an Energie. Normalerweise dient Energie der Bereitstellung der Körpertemperatur von konstant 36 °C über 24 Stunden, ein Leben lang. Erzeugt wird die Wärme in den Mitochondrien (Energiekraftwerke der Zellen) durch Sauerstoffverbrennung der Glukose. Dabei entsteht die für jede körperliche Aktivität notwendige Energiewährung der Zelle, das Adenosintriphosphat (ATP).
Ist man tagsüber nicht oder kaum in Bewegung, sondern arbeitet wie die meisten Menschen heute sitzend, können die Muskeln den Energie- und Wärmeschub nicht verbrauchen. Der Überschuss führt zur erheblichen Überoxidation, bei der aggressive freie Sauerstoffradikale in Massen in den Mitochondrien entstehen, die dann die Membranen und das Erbgut (DNA) in den Mitochondrien zerstören.
Den drohenden Zelltod (Apoptose) vermeidet der Organismus durch eine intelligente Gegenreaktion: Er zieht die Insulinrezeptoren von der Oberfläche der Zellmembran ab. So verringern sich die Überladungen, eine Übererhitzung wird vermieden. Die Zelle wird erhalten trotz Hyperinsulinämie (überhöhter Insulinausschüttung), weil diese sogenannte Rezeptor-down-Regulation zur Unempfindlichkeit für Glukose führt (Impaired Glucose Tolerance, IGT).
Der zweite Schritt: Fettzellenmast
Durch die schützende Insulinresistenz entsteht ein Blutzuckerstau. Der wird gemeldet in die Inselzellen der Bauchspeicheldrüse, die daraufhin noch einmal kompensatorisch die Insulinproduktion weiter erhöhen. So schafft sich der Muskel einen Ausweg aus der Überernährung. Aber wohin damit? Nun kommt neben den Leberzellen (>) ein drittes insulinempfindliches Gewebe ins Spiel: das Fettgewebe. Das weiter im Blut flutende Insulin erreicht dieses Gewebe, das eine hohe Anzahl an Insulinrezeptoren besitzt. Diese schleusen die überschüssige Energie in Form von Fetttröpfchen ein. Die aus der Leber anflutenden Fettsäuren plus Glukose werden in der Fettzelle (Adipozyt) zu Triglyzeridtröpfchen umgewandelt. Diese füllen dann kontinuierlich die Adipozyten, mit Gewichtszunahme an Bauch, Beinen und Po.
Fettzellen waren als Vorratsenergiespeicher für Hungerzeiten Tausende Jahre lang außerordentlich wichtig. Dabei sind sie mit etwa zehn Jahren sehr langlebig angelegt: Bei gleichbleibender Ernährung werden nur rund 10 Prozent von ihnen jährlich erneuert. Hört die Überernährung nicht auf, sorgt das Insulin nicht nur für die Fettspeicherung, sondern regt auch die Neubildung von Tochterzellen, also von frischen Adipozyten, an. Die sind dann in der Lage, wieder die gleiche Fettmenge zu speichern wie ihre Elternzellen. Fettgewebe hat also kaum Grenzen, wir können rund 100 Kilogramm Fett speichern.
Ursprünglich hatte dies biologisch einen Sinn: In Urzeiten mit regelmäßigen Hungerphasen konnte der warmblütige Mensch (und einige Winterschläfer wie Bären oder Igel) nur aufgrund dieser Speicherfähigkeit überleben. Heute, in Zeiten des Wohlstands und Nahrungsüberflusses, bedeutet es jedoch: Man wird dick und dicker – und das Abnehmen wird durch die hohen Insulinspiegel im Blut, die den Fettabbau blockieren, schwer bis unmöglich.
Unglücklicherweise reagiert die Fettzelle trotz ihres Speichereffekts mit der Wiederfreigabe von Fetten besonders aus dem Bauch in die Blutbahn, um Platz zu schaffen für die nächste Mahlzeit. Die nun umherströmenden freien Fettsäuren werden wiederum über Insulinrezeptoren, aber auch insulinunabhängige Aufnahmemechanismen in die Muskelzellen eingebracht. Denn auch die Muskelzellen besitzen Fettspeicher für Langzeitanstrengungen. Bei sitzender Lebensweise kann der Muskel aber weder gespeichertes Glykogen aufbrauchen noch die Fette. Diese haben dazu noch die Eigenschaft, die verbliebenen funktionierenden Insulinrezeptoren aus dem Inneren der Zelle zu blockieren: die Insulinresistenz am intrazellulären Teil des Insulinrezeptors. Der zweite Schritt in die Insulinresistenz durch insulinstimulierte Muskelzellverfettung ist erfolgt.
Das Hormon Insulin schließt die Zelle auf und löst eine Signalkette aus: Transporter werden entsandt, die Zucker (Glukose), Fett und Eiweiß aus der Nahrung in die Zelle einschleusen, wo sie verbrannt beziehungsweise eingebaut werden.
Ist die Nahrung sehr reich an Kohlenhydraten und Eiweiß, steigt der Insulinspiegel an, um die Nährstoffe in die Zellen zu pressen. Durch den raschen Glukoseabfall kommt es zu Heißhunger. Der Energiestoffwechsel ist überhöht. Die Mitochondrien (Kraftwerke der Zellen) »überhitzen« und werden durch aggressive Sauerstoffradikale beschädigt. Davor schützt sich die Zelle dann selbst.
...