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Politische Ökonomie

Neue Schnittstellendynamik zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik

AutorBirger Priddat
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2009
Seitenanzahl224 Seiten
ISBN9783531913506
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis40,00 EUR
'Politische Ökonomie' ist ein Interferenzthema: wie die Wirtschaft von der Politik moduliert wird, und umgekehrt: wie die Politik selber den Themen der Wirtschaft anheimfällt. Das fällt bei Fragen der 'Gerechtigkeit' ebenso ins Gewicht wie bei Fragen der 'öffentlichen Güter', die sui generis politische Güter sind; und bei den Gewerkschaften ebenso wie bei der wohlfahrtspolitischen Umwandlung von Subvention in Investition, dem vagen Reformprogramm. Zugleich ist der Terminus 'Politische Ökonomie' ein Code für soziale Aspekte der Wirtschaft, die in der économie pure nicht betrachtet werden: für die neuen Transformationsgüter, für die Relation von Wirtschaft und Kunst etc.
Transformationsgüter sind jene, die nicht einfach konsumiert werden können, sondern einen eigenen Beitrag: eine Mitarbeit fordern bzw. einen so verwandeln, dass man selber das Produkt wird. Dass die Kunst der Wirtschaft Modelle und Impulse geben kann, ist mehr als nur eine Metapher. Auch hier interferieren Dimensionen der Gesellschaft, die die Wissenschaftsgewohnheiten auseinanderhalten.


Prof. Dr. Birger P. Priddat hat den Lehrstuhl für Politische Ökonomie im Studium Fundamentale der Universität Witten/Herdecke inne.

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Leseprobe
"5 Gerechtigkeit als Komplexität (S. 53-54)

5.1 Gerechtigkeit als Maß

Gerechtigkeit ist sui generis auf soziale Zusammenhänge bezogen: In ihrer jeweiligen institutionellen Form weist sie die angemessenen Anteile an Rechten, Einkommen, Vermögen und Bildung zu und entscheidet somit über die Verteilung von Chancen und Teilhabe in einer Gesellschaft. Soziale Gerechtigkeit setzt voraus, dass es etwas Gemeinschaftliches gibt, an dem jeder Anteil hat. Gesellschaft wird hier folglich als ein Kooperationszusammenhang im gegenseitigen Interesse der Bürger verstanden. Um den Kooperationszusammenhang legitim und funktionsfähig – also wohlgeordnet – zu machen, werden Grundfestlegungen über die Zuordnung von Rechten, die Gewährleistung von Handlungsmöglichkeiten und die Verteilung bestimmter Güter (in einem allgemeinen Sinn) benötigt (Rawls 2001/2003: 24ff.).

Die institutionelle Festlegung der jeweiligen Anteile provoziert eine Reihe von Fragen: Welches Maß gilt? Wonach ist der Anteil zu bemessen? Gleiche Anteile sind eine Besonderheit, normativ sind sie jedoch der Ausgangspunkt: Gleichheit ist der Nullpunkt der Messung von Gerechtigkeit, Ungleichheit dagegen ist rechtfertigungsbedürftig (Koller 2006: 125). In Demokratien entstehen Bilder solcher Gleichheit oder gleicher Anspruchsberechtigung. Gleichheit und Gleichbehandlung sind demokratische Idealmaße, de facto sind die Anteile ungleich und Politik ist ein ständiger Prozess der Angleichung und der Rechtfertigung von Unterschieden.

Schon die Tatsache, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bedeutet, Ungleiches ungleich zu behandeln, verweist auf die Komplexität der Gerechtigkeitsproblematik. Soziale Gerechtigkeit beinhaltet Dimensionen des Rechts, der Politik und der Ökonomie. Grundlegend ist die Zustimmungsfähigkeit einer institutionellen Grundstruktur, in deren Hintergrund Gerechtigkeitsprinzipien im Sinne von Rechten, Handlungsmöglichkeiten und Verteilung operieren (Rawls 2001/2003: 95ff.). Diese gewährleisten die nachhaltige Funktionsfähigkeit und Produktivität der institutionellen Grundstruktur und des durch sie stabilisierten gesellschaftlichen Kooperationszusammenhangs. Die grundlegenden Unterscheidungen zur Gerechtigkeit werden bei Aristoteles gelegt:

„Die Gerechtigkeit als Prinzip der Gemeinschaft existiert dort noch nicht, wo man sich damit beschäftigt, nur zu verhindern, dass die Individuen, die miteinander leben, sich nicht gegenseitig Unrecht zufügen, und damit, die Waage der Gewinne und Verluste wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Sie beginnt erst dort, wo es darum geht, was die Bürger gemeinsam besitzen und dort, wo man sich um die Weise kümmert, in welcher die Formen der Ausübung und der Kontrolle der Ausübung dieser gemeinsamen Macht verteilt sind"" (Rancière 2002: 17).

Die Gerechtigkeit „tut nämlich, was einem anderen zuträglich ist"", und nicht nur einem selbst nutzt (Aristoteles 1978: 156). Deshalb ist sie die höchste, weil vollkommenste Tugend (Aristoteles 1978: 155). „So nennen wir"", lesen wir bei Aristoteles, „denn in einem Sinne gerecht, was in der staatlichen Gemeinschaft die Glückseligkeit und deren Teile hervorbringt und bewahrt"" (Aristoteles 1978: 155). In der Politik erläutert Aristoteles, was er in der Ethik anspricht: Da der Staat notwendig aus Vielen und Verschiedenen besteht, „bewahrt die ausgleichende Gerechtigkeit den Staat"" (Aristoteles 1973: 70).

Der durch Gerechtigkeit erreichte Ausgleich ist eine Ordnung, was umgekehrt heißt, dass nicht jede Gerechtigkeit für die Politik taugt. Aristoteles unterscheidet im 5. Buch der Nikomachischen Ethik zwischen zwei Formen der Gerechtigkeit: zwischen der arithmetischen bzw. ausgleichenden kommutativen (Tausch-)Gerechtigkeit, die den Warentausch und die gerichtlichen Strafen beherrscht, und der geometrischen bzw. austeilenden distributiven (Verteilungs-) Gerechtigkeit, die die Harmonie in der Gemeinschaft herstellt, „wo die Anteile der gemeinsamen Sache von jedem Teil der Gemeinschaft zu dem Anteil besessen wird, den sie zum Gemeinwohl beitragen"" (Ranciere 2002: 18, Aristoteles 1978: Kap. 5)."
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis5
1 Einleitung8
2 Öffentliche Güter als politische Güter9
3 Eine Variante der Theorie öffentlicher Güter: Poolgüter31
4 Ordnungspolitik38
5 Gerechtigkeit als Komplexität49
6 Medien, Politik, Ökonomie70
7 Gewerkschaften, Solidarität und Innovation95
8 Transformationsgüter109
9 Open Source als Produktion von Transformationsgütern128
10 Netzwerkkapitalismus140
11 Demographische Modulationen162
12 Investition statt Subvention. Neues Vokabular zur Sozialreform191
Literaturverzeichnis204

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