Liebe braucht Zeit
Nicht immer geht sie so tief wie bei Mozart
Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Auch nicht auf den zweiten. Und heute sieht es so aus, als würde der Zungenkuss nie enden. Man kann der heute Verliebten vielleicht vorwerfen, dass sie so lange gebraucht hat, ihre Liebe zu entdecken. Nicht, dass sie liebt.
Liebe braucht Zeit. Manchmal wächst sie erst nach einundfünfzig Jahren. Bei Salzburg jedenfalls war das so. Als Joannes Chrysostomus Wolfgangus Theophilus, das Jahrhunderttalent, anklopfte, um über die Rolle als Kuriosum hinaus einen ertragreicheren Boden für seine Existenz zu bekommen, wies man ihm die Tür. Wahrscheinlich hatten sich feiste Adelige und Soutanenträger schon genug belustigt am Außergewöhnlichen. Das nicht Alltägliche an ihm stand ja außer Zweifel, aber mehr? Vielleicht war sein Vater ein Vorläufer der überehrgeizigen Eislaufmütter von heute, deren Überzeugung vom Talent des Sprösslings mehr nervt als nützt. Jedenfalls, man schickte ihn weg.
Die kalte Schulter war die von Erzbischof Graf Colloredo, der meinte, es würde reichen, Mozart als Hoforganisten angestellt zu haben. Das Können des Exzentrikers war offenbar zu exzentrisch. Der war selbstbewusst und hungrig genug, gerade fünfundzwanzig Jahre alt, noch nicht verheiratet, packte die Kisten und – ging ins Ausland. Nach Wien, wo schon seine Constanze wohnte. Dort machte er Karriere, wurde gefeiert. Zehn Jahre später war er tot. Noch immer umstritten, aber weltberühmt. Und trotzdem im Armengrab. Schnell vergessen. Sein Glanz damals war ähnlich dem eines Zirkuskünstlers von heute: bewundert, bestaunt, aber nicht behalten in den Herzen. Aus und vorbei.
Doch einundfünfzig Jahre nach seinem Tod setzte man ihm in seiner Geburtsstadt ein Denkmal. Ein erstes.
Heute stolpert man an jedem Winkel der Altstadt über den Genius loci. Mozartplatz, Mozarteum, Mozarts Geburtshaus in der Getreidegasse, Mozarts Wohnhaus am Makartplatz, Haus für Mozart im Festspielbezirk, Café Mozart, Mozart-Denkmal am Ursulinenplatz. Unter Musikern kursiert der Satz, man könne Salzburg nur noch mit mozartkugelsicherer Weste betreten.
Immerhin aber ist sein Genie in Tausenden, schnell hingeworfenen Notenpünktchen erhalten, in witzig-deftigen Briefen. Und in Hunderten Forschungsarbeiten. Mozart lebt also, zumindest der Kult um ihn.
Jahrzehnte nach seinem Ableben erst war die Idee erstanden, ihn in Salzburg auf ein Podest zu stellen. Ein Verein wurde gegründet, Comité nannte man das damals. Das liberale Bürgertum musste erst Überzeugungsarbeit leisten, Stadt und Kirche wehrten sich noch, ehe man den damaligen Michaelerplatz dafür auserkor. Die drei Meter große Statue, ein Entwurf von Ludwig von Schwanthaler, wurde in München gegossen, war aus Bronze und innen hohl. Von EU-Binnenmarkt und offenen Grenzen war man damals noch meilenweit entfernt, naheliegend war somit, den Hohlraum zum Schmuggeln von Tabakwaren zu nützen. Typisch für Mozart, könnte man sagen, schon wieder ein Skandal. Aber die Liebe der Stadt zu ihrem Sohn war von da an nicht mehr zu bremsen.
Anderen verdienten Menschen mit Salzburgbezug wurde nicht ganz so viel der überschwänglichen Ehre zuteil.
Ein gewisser Philippus Theophrastus Aureolus Bombastus von Hohenheim, besser bekannt als Paracelsus, ist 1541 in Salzburg gestorben, wirklich gewohnt hatte der Ruhelose dort nur zwei Mal, jeweils eher kurz, unter vielen Stationen zwischen der Schweiz und Kärnten. Sein Grabmal am Sebastiansfriedhof wurde erst zweihundert Jahre nach seinem Tod errichtet. Der universalgelehrte Arzt, Alchemist, Philosoph und Astrologe ist aber immerhin Namensgeber der ersten Medizinischen Privatuniversität Österreichs, die 2002 in Salzburg gegründet wurde. Die medizinisch-praktische Ausbildung dort erfolgt unter anderem in der Christian-Doppler-Klinik im Stadtteil Lehen.
Die vormals als Irrenhaus bezeichnete Nervenklinik verweist immerhin auf einen gebürtigen Salzburger. 1803 wurde der Mathematiker und Physiker Christian Doppler am Makartplatz geboren, wo man zu seinem hundertsten Geburtstag eine Gedenktafel anbrachte. Auch ein Forschungslabor und ein Gymnasium direkt an der Salzach tragen seinen Namen (schließlich kennt fast jeder den nach ihm benannten akustischen Effekt zumindest dem Namen nach), und ein Krater auf dem Mond. Aber der ist weit weg. Eine Besonderheit verbindet Doppler aber sogar mit Mozart. Auch sein Grab – auf dem Friedhof San Michele in Venedig – ist bis heute nicht genau lokalisiert.
Generell macht Salzburg (wie ganz Österreich) beim Andenken an seine Berühmtheiten wenig Unterschied, ob diese hier geboren oder gestorben sind. Oder nur kurz da waren. Hauptsache, sie waren berühmt. Wie etwa Alexander von Humboldt. Der gute Mann, auch wieder ein Universalgelehrter, war ein echter Berliner. Als Naturforscher bereiste er fast die ganze Welt, Salzburg war natürlich dabei. Konstantinopel zwar nicht, trotzdem soll er 1804 geschrieben haben: »Die Gegenden von Salzburg, Neapel und Konstantinopel halte ich für die schönsten der Erde.« Für Salzburg reichten das und ein mehrmonatiger Aufenthalt in der Schanzlgasse 14 für die Anbringung einer Tafel, die Benennung einer Straße, eines Studentenheims, eines Restaurants und einer bei Selbstmördern beliebten Aussichtsplattform auf dem Mönchsberg.
Die Schönheit der Stadt faszinierte auch andere. Zu allen Zeiten. Von Peter Handke, der fast zehn Jahre auf der Richterhöhe, ganz oben auf dem Mönchsberg, lebte, erzählt man sich, dass er einmal eine Tracht Prügel bezogen hat, von grölenden Touristen, die er zuvor vergeblich aufgefordert hatte, sich in der ehrwürdigen Stadt Salzburg doch mit etwas Ehrfurcht zu bewegen.
Mangelnde Ehrfurcht wird freilich nicht immer gegrölt. Manchmal wehrt sie sich schriftgewaltig dagegen, dass die kommerzialisierte Symbiose zwischen einem Komponisten und seiner Geburtsstadt jede andere Beziehung zudeckt. Das wirkt nachhaltiger, denn ein schriftlich Beschimpfter tut sich schwer mit der Liebe. Thomas Bernhard wusste das, nahm in Kauf, dass die von ihm so heftig kritisierte, ja beschimpfte Stadt ihn bis heute nicht wirklich mag. Auch wenn man ihn dort aufführt. Allenfalls zitiert man ihn mit zugehaltener Nase, um sich zu vergewissern, dass er ja doch im Unrecht war. Schonungslos-brutal legte er seinen Finger in die Wunde der Geschäftemacherei und der Oberflächlichkeit. Seine Autobiografie liest sich streckenweise wie eine Abrechnung. »Alles in dieser Stadt ist gegen das Schöpferische. Und wird auch das Gegenteil immer mehr und mit immer größerer Vehemenz behauptet, die Heuchelei ist ihr Fundament, und ihre größte Leidenschaft ist die Geistlosigkeit, und wo sich Phantasie auch nur zeigt, wird sie ausgerottet.«
Als junger Journalist beim regionalen Demokratischen Volksblatt schrieb er neben Gerichtsreportagen noch Hymnen auf das friedliebende Völkchen und sein vielfältiges Brauchtum, auf die Landschaft und die Schönheit der Stadt. Carl Zuckmayer, der vor dem Krieg nahe Salzburg wie »im Paradiese« gelebt hat, hatte ihn 1952 dem sozialistischen Parteiblatt empfohlen.
Irgendwann wurde Bernhard vom Paulus zum Saulus. Da er aber letztlich alles, was ihm in Österreich sauer aufstieß, messerscharf zerlegte, relativiert man seine Schläge auf Salzburg gerne. Bernhard, der ohnedies immer Grantige, der Alleskritisierer. Einmal nannte er die Stadt wegen ihrer engen Kleinbürgermentalität ein »Todesmuseum«. Am meisten brachte ihn die halbherzige Abgrenzung von den braunen Resten, die bewusst-schlampige Aufarbeitung der Nazizeit in Rage. Da bot Salzburg in der Tat Angriffsflächen.
Mit entsprechender Konsequenz hätte Bernhard auch auf einen seiner literarischen »Vorfahren«, auf Hermann Bahr und dessen Deutschtümelei, einprügeln können. Der 1863 in Linz geborene Dichter hat als Jugendlicher vier Jahre in Salzburg verbracht. In einer autobiografischen Skizze schrieb er später: »Mit vierzehn Jahren kam ich nach Salzburg. Dort ist meine Großmutter geboren, auf der Hohenveste Salzburg ist mein Urgroßvater Büchsenmacher gewesen. Da gingen mir die Augen über beim Anblick dieser Stadt. Festes, deutsches Wesen von der bayrischen Art hat hier einen südlichen Sonnenglanz, und wenn der Wind aus den Tauern kommt, ahnt man das geliebte Land Italien, davon liegt ein Hauch auf allen Dächern und Türmen, hier hat die deutsche Sehnsucht alles beisammen.«
Stefan Zweig hat Hermann Bahr einmal als »geistigen Raufbold, der sich für alles Werdende und Kommende wütend herumprügelt« bezeichnet. Zweig hatte das wohl auf Hermann Bahrs Eintreten für die neuen Kunstrichtungen gemünzt, den Impressionismus in der Malerei, die ornamentbefreite Architektur, die Philosophie Nietzsches. Die Verehrung des »deutschen Wesens« war damals guter Ton, fatal wurde sie später.
Anders als bei Thomas Bernhard eckt das Andenken an Stefan Zweig in Salzburg nirgendwo an. Von der Linzergasse aus und über die Imbergstiege führt der steile Weg hinauf zum Paschinger Schlössl, in die Nachbarschaft des...