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Theistische Evolution nach Denis Alexander und nach BioLogos
Reinhard Junker
In der akademischen Theologie gilt die Frage nach der Vereinbarkeit von Schöpfung und Evolution als geklärt. In Stellungnahmen der Großkirchen, in Schulbüchern und in Unterrichtsmaterial für Lehrer ist es Standard, dass eine Abstammung des Menschen aus dem Tierreich und eine allgemeine Evolution der Lebewesen den Inhalten des christlichen Glaubens nicht widersprächen; Gott habe sich in der Schöpfung der Evolution bedient (theistische Evolution). Dabei wird gewöhnlich aus einer historisch-kritischen Perspektive argumentiert, die biblischen Schilderungen der Anfänge offenbarten ein veraltetes Weltbild, das man abstreifen müsse, um zu den eigentlichen theologischen Aussagen zu gelangen.
Nachdem es um das Thema „Schöpfung und Evolution“ aus theologischer Sicht eher ruhig geworden war, erschienen in den letzten Jahren vermehrt Bücher und Internetbeiträge zu dieser Frage, und zwar von konservativ gesonnenen Christen. Auch von evangelikalen Autoren wird dabei Evolution als mit der christlichen Schöpfungs- und Heilslehre vereinbar dargestellt und – angesichts der vermeintlichen Beweislast für Evolution – dafür geworben, dass Christen die Evolutionsanschauung mit der Abstammung des Menschen von tierischen Vorfahren akzeptieren sollten. Es gebe gute Möglichkeiten, die Bibel mit der Evolutionslehre zu versöhnen. Zwei dieser Entwürfe werden in diesem Artikel vorgestellt und kritisch untersucht.
1. Der Entwurf von D. Alexander
In seinem Buch „Creation or Evolution? Do we have to choose?“ entwirft Denis Alexander (2008) ein ungewohntes Szenario einer theistischen Evolution. Er akzeptiert zwar eine allgemeine natürliche Evolution der Lebewesen, auch eine Evolution des Menschen aus dem Tierreich, aber beim Menschen macht er eine gewisse Einschränkung. Hier habe Gott eingegriffen, indem er ein Paar von neolithischen Farmern ausgewählt habe, die dadurch zu den ersten Menschen wurden, von denen der Paradiesbericht (Gen 2,4-3,24) berichtet. Menschen im anatomischen Sinne (Homo sapiens) habe es aber schon vorher gegeben, diese hätten auch bereits eine Art von Gottesglauben gehabt, aber durch die Wahl Gottes sei dieses eine Paar zum sogenannten „Homo divinus“ geworden, mit dem Gott seine besondere Geschichte begonnen habe. Diesem historischen Paar habe Gott seine Offenbarung gegeben, wodurch die beiden verstanden hätten, was es heißt, „zum Bilde Gottes“ geschaffen zu sein (vgl. Reeves 2009, 48). Aber auch die schon zuvor und die anderen damals bereits existierenden Menschen seien zum Bilde Gottes geschaffen gewesen, ihnen sei diese Tatsache aber nicht offenbart worden (S. 236f., 243).
Das ausgewählte erste Paar habe gesündigt, indem es Gottes offenbartem Willen gegenüber ungehorsam war. Das habe den geistlichen Tod zur Folge gehabt, das heißt die Beziehung zwischen Gott und Mensch sei zerbrochen. Der unter den Millionen damals lebenden Homines sapientes als erster „Homo divinus“ auserwählte Adam sei als eine Art Bundesvertreter („federal headship“) der Menschheit eingesetzt worden (S. 255, 265, 267), so dass mit dem Fall Adams die ganze Menschheit fiel (S. 255).
Der Sündenfall ist demnach ein rein geistliches Ereignis, d. h. er hatte nur Folgen für die Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Die ersten als „Homo divinus“ bezeichneten Menschen schlugen die angebotene Freundschaft mit Gott aus und rebellierten gegen Gott. Durch den Fall „verloren“ die Menschen sozusagen etwas, das sie nie hatten, bzw. erhielten das nicht, was sie hätten haben können.1
2. Die Begründung des Modells von Alexander
Alexander vertritt die Auffassung, dass eine evolutionäre Entstehung des Menschen und aller anderen Lebewesen durch (weitgehend) natürliche Prozesse mit dem biblischen Zeugnis von Gott als Schöpfer kompatibel und sogar aufgrund der biblischen Texte vielleicht sogar naheliegend sei. Die Bibel lehre des Weiteren nicht, dass der physische Tod durch die Sünde des Menschen in die Schöpfung kam, auch der Mensch musste schon immer sterben. Und das erste Menschenpaar, von dem die Bibel berichtet, waren nicht die anatomisch ersten Menschen, sondern unter bereits Millionen damals existierenden Menschen von Gott auserwählte Menschen („Homo divinus“), die einen besonderen Auftrag erhalten haben. Wie begründet Alexander diese Sicht aus der Heiligen Schrift?2
Gott als Schöpfer
2.1 Gottes beständiges Wirken
In den ersten beiden Kapiteln („What do we mean by Creation?“ und „The Biblical Doctrine of Creation“) bereitet Alexander seine Sicht von Genesis 1-3 und vom Verhältnis dieser Texte zur Evolutionslehre vor. Er betont, dass mit „Schöpfung“ in der Bibel nicht nur die Schöpfung am Anfang gemeint sei, sondern dass von Gott als Schöpfer auch bei Vorgängen gesprochen werde, die kein besonderes Eingreifen Gottes voraussetzen. Ein Großteil der Ausführungen Alexanders befasst sich dementsprechend gar nicht mit der Frage des Ursprungs des Universums, sondern mit Gottes beständigem Wirken in der Schöpfung, in der wir heute leben, also mit der Lehre vom gegenwärtigen erhaltenden Wirken Gottes (providentia Dei).3
Dafür, dass die Heilige Schrift Gottes beständiges Wirken in der Schöpfung bezeugt, gibt es ohne Zweifel viele biblische Belege (z. B. Ps 104,29f.; Amos 4,13; Mt 5,45; Mt 6,26.30; Apg 14,15-17). Doch damit ist nichts darüber gesagt, wie Gott die Schöpfung hervorgebracht hat. Unter der Überschrift „Die drei Zeitformen der Schöpfung“ bringt Alexander nur wenige allgemeine Aussagen über die vergangene Schöpfung. Auch in einem späteren Kapitel, in dem er auf die ersten Kapitel der Genesis eingeht, geht er ähnlich vor.4 Indem Alexander die providentia Dei betont und als einen Aspekt von „Schöpfung“ bezeichnet und zugleich die biblischen Aussagen über die anfängliche Schöpfung nur stiefmütterlich behandelt, stimmt er die Leser darauf ein, das evolutionäre Geschehen als Gottes beständige Schöpfung zu interpretieren.
Bewertung des Arguments. Alexander verwischt durch seinen Gebrauch des Wortes „Schöpfung“ den Unterschied zwischen der Erschaffung und der Erhaltung der Schöpfung. Er subsumiert letztlich „Schöpfung“ unter „Erhaltung“ und löst die ursprüngliche Schöpfung als eigenständige Kategorie weitgehend auf. Der Mensch ist demnach nicht am Anfang geschaffen worden, sondern am Ende als Resultat des beständigen Wirkens Gottes durch ungerichtete evolutionäre Prozesse.5
Diese Vermischung ist nicht sachgemäß, denn die ursprüngliche Schöpfung ist vollendet (Gen 2,3; Hebr 4,3c); es wird an vielen Stellen in der Heiligen Schrift von der Erschaffung als einem vergangenen Geschehen gesprochen (Ex 20,11; Kol 1,16). Jesus selbst erinnert die Pharisäer daran, dass Gott den Menschen am Anfang geschaffen habe (Mt 19,4). Sowohl im Alten als auch im Neuen Testament unterscheidet die Bibel klar zwischen Gottes anfänglicher Erschaffung und seiner nachfolgenden Erhaltung (vgl. Lennox 2011, 170).
Die Frage, wie die neutestamentlichen Autoren „Schöpfung“ verstehen, wird von Alexander nicht behandelt (vgl. dazu außer den bereits genannten Stellen z. B. Apg 17,26; 1Tim 2,13f.; 1Kor 11,8f., 2Kor 11,3; Hebr 11,3).6 Das ist ein schwerwiegender Mangel.
Darüber hinaus fehlt ein wichtiger Aspekt des biblischen Schöpfungszeugnisses in Alexanders Ausführungen: Das zeichenhafte schöpferische Handeln Jesu, z. B. bei augenblicklichen Heilungen von Kranken oder bei der Auferweckung von Toten. Schöpfung geschieht durch Jesu Machtwort und nicht durch einen von ihm irgendwie begleiteten Naturprozess. Auch und gerade das Handeln Jesu verbietet es, „Schöpfung“ unter „Erhaltung“ zu subsumieren. Die Zeichen, die Jesus tat, sollten zwar primär Jesus als Gott ausweisen. Indirekt ergibt sich aus ihnen aber auch die Funktion, Schöpfung zu veranschaulichen. Auch die Auferstehung Jesu, die den Anfang der neuen Schöpfung darstellt, macht deutlich, was „Schöpfung“ im Sinne der Bibel bedeutet (vgl. dazu auch Abschnitt 3.5).
Alexander versucht aus einem evolutionären Verständnis der Schöpfung theologisch Kapital zu schlagen: Ein durch Evolution schaffender Gott sei der Schöpfung näher als einer, der am Anfang alles geschaffen habe (vgl. Abschnitt 2.4). Er zitiert dazu Aubrey Moore: „The problem with too much emphasis on natural theology, claimed Moore, was that it tended to generate a concept of a distant God who sets the laws in motion and then retreated from creation, rather than the personal God of the Bible who is completely involved (‚immanent’) in all its aspects“ (S. 172). Aber gerade weil Gott, den die Bibel als Schöpfer bezeugt, ein persönlicher Gott ist, steht er der Schöpfung gegenüber und ist mit ihr verbunden, jedoch ihr nicht immanent. Für die Lehre der providentia Dei (Erhaltung der Schöpfung) braucht es kein evolutionäres Weltbild, und eine fertige Schöpfung am Anfang beinhaltet nicht, dass Gott nach der Erschaffung nicht mehr mit der Schöpfung verbunden ist – das ist eine zwar haufig gemachte, aber unbegründete Unterstellung.
2.2 Die Verwendung des Begriffs bārā’ (erschaffen) bei der Beschreibung natürlicher Vorgänge
Das Schöpfungshandeln Gottes wird im Alten...