3. Im Nationalsozialismus: Ein rasanter Aufstieg
Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 ging für Willvonseder in akademischer und beruflicher Hinsicht mit großen Veränderungen einher.
Nachdem er bereits kurz nach dem „Anschluss“, im Mai 1938, einen Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP gestellt hatte, blieb er bis zum 31. Dezember 1940 Parteianwärter. Ab dem 1. Jänner 1941 war er offiziell Mitglied der NSDAP mit der Mitgliedsnummer 8.466.122.69 Bereits ein Jahr zuvor, am 30. Jänner 1939, war er Mitglied der SS geworden (Mitgliedsnummer 314.000). Als Untersturmführer wurde er in den Persönlichen Stab des Reichsführers-SS gestellt. Mit 30. Jänner 1941 befördert, war Willvonseder bis Kriegsende SS-Obersturmführer.70 Als Vertrauensmann des Reichsgeschäftsführers der Forschungs- und Lehrgemeinschaft Das Ahnenerbe SS-Standartenführer Wolfram Sievers war er in der Folge in das Ausgrabungswesen der SS involviert (siehe Kapitel 3.9). Dabei war er unter anderem im Protektorat Böhmen und Mähren tätig.71 Sievers hatte er auch die Aufnahme in die SS und insbesondere die Einstellung als SS-Untersturmführer (entsprechend seiner wissenschaftlichen Stellung) zu verdanken. So schrieb dieser in einem Ansuchen um die Aufnahme Willvonseders unter anderem: „Wir gewinnen in Willvonseder einen Mitarbeiter, der die Interessen des Reichsführers-SS und des ‚Ahnenerbes‘ auf dem Gebiet der Vorgeschichte der Ostmark wie kein zweiter zu vertreten mag.“72 Am selben Tag kontaktierte er auch Willvonseder, den er seltsamerweise als „Lieben Parteigenossen“ titulierte, obwohl dieser zu diesem Zeitpunkt weder Mitglied der SS noch der NSDAP war: „Lieber Parteigenosse Willvonseder! […] Ihren Antrag auf Aufnahme in die SS habe ich heute befürwortend weitergegeben.“73 Auch in mehreren anderen Schreiben aus dem Herbst 1938 grüßte Sievers Willvonseder als „Lieber Kamerad“74, eine Anrede, die Sievers eigentlich nur für Mitglieder der SS verwendete. Ein weiterer Hinweis darauf, dass Willvonseder bereits vor seinem Beitritt zur SS gut im Ahnenerbe vernetzt war, ist folgendes Schreiben von Sievers, in dem dieser andeutete, dass Willvonseder schon vor 1939 für das Ahnenerbe aktiv war:
Lieber Kamerad Willvonseder! Der Reichsführer-SS hat Sie mit Wirkung vom 30. Januar zum SS-Untersturmführer befördert. […] Ich beglückwünsche Sie herzlich und freue mich, dass Sie nun als Kamerad im schwarzen Rock weiter und tatkräftig wie bisher an den schönen großen Aufgaben, die uns der Reichsführer-SS stellt, mitwirken.75
Willvonseder machte in den folgenden Monaten auch in Wien Karriere: Ab dem 22. September 1939 war er kommissarischer Leiter der Abteilung für Vor- und Frühgeschichte des Instituts für Denkmalpflege in Wien, seit dem 1. April 1940 sogar Leiter der Nachfolgeabteilung (Abteilung für Bodenaltertümer). 1941 wurde er zum Gaupfleger der Bodenaltertümer in den Reichsgauen Niederdonau und Wien ernannt (siehe Kapitel 3.6). Von 1937 bis 1945 war er Mitherausgeber und Schriftleiter der Wiener Prähistorischen Zeitschrift. Darüber hinaus fungierte er als Schriftleiter der Fundberichte aus Österreich und der Materialien zur Urgeschichte Österreichs (bzw. Ostmark).76 Zumindest im Falle der Zeitschrift Materialien zur Urgeschichte Österreichs erhielt er die Schriftleitung auf Grund seiner Beziehungen zum Ahnenerbe. Dessen „Ahnenerbe-Stiftung Verlag“ hatte mit Heft Nummer 7 den Druck der nun Materialien zur Urgeschichte der Ostmark genannten Zeitschrift übernommen. In diesem Band erschien auch prompt Willvonseders Arbeit über die Urgeschichte des Kreises Wels77. Die Schriftleitung der Reihe hatte Willvonseder auf sein Drängen ebenfalls erhalten.78 Dem bisherigen Schriftleiter wurde in einer kurzen Nachricht folgendes mitgeteilt:
Wie Sie vielleicht schon unterrichtet sein dürften, hat der Ahnenerbe-Stiftung Verlag die Materialien zur Urgeschichte der Ostmark übernommen. Da Sie jetzt in Leipzig tätig sind und dadurch die Verbindung mit der Ostmark nicht mehr in dem Masse wie früher haben, haben wir es für notwendig erachtet, die Schriftleitung der Materialien zur Urgeschichte der Ostmark in die Hände von Dr. Willvonseder zu legen.79
Auf Druck des Ahnenerbes wurde Willvonseder im Juni 1939 auch zum Vereinsleiter der Wiener Prähistorischen Gesellschaft bestellt. Willvonseder schien diese Bestellung selbst unangenehm gewesen zu sein, da Menghin dadurch übergangen wurde (Teile des Sicherheitsdienstes des Reichsführers-SS (SD) in Wien standen einer Bestellung Menghins auf Grund dessen CV-Vergangenheit negativ gegenüber) und wandte sich daher an Walther Wüst (mehr zu Wüst in Kapitel 3.5), damit dieser Menghin zum Vereinsleiter ernennen würde.80 Darüber hinaus wurde er Mitglied der 1938 gegründeten Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung (später Arbeitsgemeinschaft für Raumforschung der Wiener Hochschulen), deren Hauptaufgabe die Erforschung Südosteuropas war (siehe Kapitel 3.8).81 Ab 1939 saß er zusätzlich im Ausschussrat der Anthropologischen Gesellschaft in Wien.82 1944 wurde er Mitglied des wissenschaftlichen Beirats des Krahuletz-Museums. Neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität Wien gab es auch Angebote aus Prag, Innsbruck und Graz.
In mehreren nationalsozialistischen Einschätzungen wird Willvonseder äußerst positiv beschrieben, so zum Beispiel von Otto Höfler, einem weiteren Mitarbeiter des Ahnenerbes: „Dr. Willvonseder, ehemals Muchschüler, dann zur Vorgeschichte übergegangen; soviel ich weiss, fachlich tüchtig und, wenn ich nicht irre, politisch zuverlässig. Näher kenn [sic] ich ihn allerdings nicht.“83 In einem weiteren Dossier zu Willvonseder heißt es:
Gilt als fachlich tüchtig und als besonderer Kenner der Bronzezeit in Österreich. Politisch wird er als einwandfrei bezeichnet, er stammte aus einer betont nationalen Salzburger Familie und zeigte von jeher eine antisemitische Gesinnung. Wegen seiner Bescheidenheit ist er bei seinen Kollegen sehr beliebt. Er besitzt Verbindungen zum Ahnenerbe und zum Reichsbund für deutsche Vorgeschichte.84
Die Verbindungen zum Ahnenerbe sollte er in der Folge vertiefen, diejenigen zum Reichsbund für deutsche Vorgeschichte hingegen sollten sich in eine tiefe Abneigung verwandeln. In einer weiteren politischen Beurteilung vom 7. April 1942 heißt es über Willvonseder:
Mitglied der SS, NSV [Nationalsozialistische Volkswohlfahrt, RO], RDB [Reichsbund der Deutschen Beamten, RO]
Mitglied Völkischer Verbände und nationaler Verbindungen: Altherrn Verband v. Hutten85 […]
Angehöriger gegnerischer Verbände: Vaterländische Front
Verhalten in der Verbotszeit: war immer national eingestellt
Gegenwärtiges Verhalten: nationalsozialistisch
Spendenbeteiligung: sehr gebefreudig
Wirtschaftliche Lage: sehr gut
Gutachten des Ortsgruppenleiters: Dr. Kurt Willvonseder […] ist in jeder Beziehung einwandfrei und [es, RO] kann Nachteiliges nichts angegeben werden.86
Die Zeitzeugin Eva Frodl-Kraft, als Kunsthistorikerin selbst in der Denkmalpflege engagiert und auf Grund der Konkurrenz zwischen ihrem Mann Walter Frodl und Willvonseder vermutlich nicht gänzlich unvoreingenommen, charakterisiert ihn rückblickend folgendermaßen:
Er war wohl der einzige kompromißlos [sic] überzeugte Nationalsozialist in diesem Amt [Zentralstelle für Denkmalpflege, RO] und (wie sein Studiengang dartut) auch dem Germanenmythos verfallen. Fortan verband er seine Karriere mit der wissenschaftlichen Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe der SS. Bald wurde er Obersturmführer im persönlichen Stab des Reichführers SS. Parallel zu Seiberls Bestellung erhielt er die kommissarische Leitung der Abteilung für Vor- und Frühgeschichte.87
Diese Einschätzung scheint allerdings nicht vollständig richtig zu sein, denn im Gegensatz zu Eduard Beninger beschäftigte sich Willvonseder zumindest in seinen publizierten wissenschaftlichen Werken de facto nicht mit der „Germanenfrage“ (mehr dazu in späteren Kapiteln). Auch die Charakterisierung als „kompromißlos überzeugter Nationalsozialist“ ist so nicht zutreffend, wie in der Folge noch gezeigt werden wird.
3.1. Universitäten und Wissenschaft während der NS-Zeit
Wie in vielen anderen Bereichen des alltäglichen Lebens stießen die Nationalsozialisten auch an den Hochschulen auf wenig Ablehnung oder gar Widerstand. Vielmehr wurde die Selbstgleichschaltung vielerorts weitaus engagierter durchgeführt als von den Nationalsozialisten verlangt.88 Man kann daher Bruno W. Reimann sicherlich zustimmen, wenn dieser feststellt, dass „der Nationalsozialismus […] den Universitäten nicht einfach von außen, im Sinne einer politischen gewaltsamen Disziplinierung...