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Leben und Hinrichtung des Mathias Weber, genannt Fetzer

Anführer und Mitglied der Crevelder, Neußer, Niederländischen und Westphälischen Räuberbande. Aus den Papieren des Br. Keil, öffentlichen Anklägers im Ruhr-Department. Skizzirt und entworfen von Br. Diepenbach, Secretair des öffentl. Anklägers.

AutorAnton Keil, Diepenbach
VerlagStiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789 - 1815
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl90 Seiten
ISBN9783981318883
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Mein Ruhm zog meinen Untergang nach sich', äußerte sich Mathias Weber, genannt Fetzer, kurz vor seiner Hinrichtung in Köln am 17. Februar 1803. Als sein Kopf unter der Guillotine fiel, waren die Rheingegenden in den unruhigen Zeiten der Französischen Revolution um einen ihrer berüchtigsten Verbrecher ärmer geworden. Anton Keil, Kopfjäger im Dienste Frankreichs, unermüdlich im persönlichen Einsatz gegen das organisierte Verbrechen, verzeichnete einen seiner größten Erfolge im Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Die Zeit der Räuberbanden am Rhein, die seit dem Kriegsbeginn 1792 eine ungeahnte Bedrohung entfaltet hatten, näherte sich mit Fetzers Tod einem Ende. Zahlreiche andere Verbrecher, wie der bekanntere Schinderhannes, waren bereits in die Hände der Justiz gefallen. Fetzer und Schinderhannes aber waren entgegen der heute landläufigen Meinung keine schillernden Räuberhauptmänner, keine Robin Hoods, die nur die Reichen bestahlen und den Armen gaben. Sie hatten vor allem ihren eigenen Vorteil vor Augen. Fetzer bot sich auch nie als Romanheld im Stile eines Karl Mohr oder Rinaldo Rinaldini an: Eher schmächtig von Gestalt, niemals auffällig durch seine Kleidung, kein Frauenheld - die Merkmale, die einen Schinderhannes ausmachten, fehlten ihm. Obwohl die heute nachweisbaren 130 Straftaten des Schinderhannes - Raubüberfälle, räuberische Erpressungen, Diebstähle und die Beteiligung an fünf Morden - jede Größenvorstellung sprengen, so konnte Fetzer diese Zahl noch übertreffen: '181 vollendete und 122 mißlungene' Straftaten verzeichnete Keil zum Zeitpunkt von Fetzers Hinrichtung, dem mehrere tausend Zuschauer beiwohnten. So galten die letzten Worte Fetzers seinem Publikum: 'Ich habe den Tod verdient, meine Freunde, hundert Tode für einen. Ihr, die ihr auf bösem Wege seyd, spiegelt euch an meinem Ende ! Junge Leute ! flieht, flieht die Hurenhäuser. Eltern ! erzieht eure Kinder in Religion. Denkt an Gott. Möchte mein Blut das Letzte seyn, das so vergossen wird.'

Dr. Anton Keil gehörte zu den vielen deutschen Studenten, die sich Anfang der 1790er Jahre nach Paris aufmachten, um die Französische Revolution mitzuerleben und mitzugestalten. Als studierter Jurist wurde er zuerst Ordonnanzoffizier der Jourdanschen Armee, dann Kunstkommissär, Staatsanwalt und Richter in Köln. In dieser Zeit ließ er sich auch als Kopfjäger und Geheimagent für das Justizministerium in Paris verpflichten. Seine Vorgesetzten bezeichneten ihn als 'blutrünstig und ohne moralische Grundsätze' - Eigenschaften, die ihm bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zugute kamen. Dr. Dr. Mark Scheibe, Treuhänder und Leiter der Stiftung Historische Kommission für die Rheinlande 1789-1815, kommentierte Keils Buch, insbesondere mit seinen Forschungsergebnissen zu Keils Vita.

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Leseprobe

Vorerinnerung1


Erst später, kurz vor der Ankunft der Bestätigung des Competenz-Urtheils und des gleich darauf entscheidenden End-Urtheils kam der Verfasser auf den Gedanken, aus dem thatenvollen Leben des Fetzers dem Publikum, das allenthalben begierig nach dessen Räubereyen und Abentheuern fragte, eine kleine Skizze zu entwerfen. So entstand in dem kleinen Zeitraume von zwey bis drey Tagen das ganze Werk.

Den Leser, den Beurtheiler ersuchen wir darauf Rücksicht zu nehmen, damit er nicht dort Eleganz, Correctheit und Ausfeilung sucht, wo man nichts versprechen kann als rohen Stoff. Sollte (I/II) das Leben des interessanten Räubers, das immer dem eines Schinderhannes an die Seite gesetzt werden darf, auch so, wie es jetzt hier vorgetragen wird, einige Nachfrage und Beyfall erhalten, so soll bey besserer Muse aus überfliessend sich anbiethender Materie ein größeres vollendetes Gemählde desselben erscheinen.

Der Verfasser.

(1) Nicht das Privatleben eines einzeln Räubers, welcher, so berüchtigt er immer seyn mag, doch nur durch die auffallenden Schatten im Gemählde seines Lebens einen Reitz geben kann, ist der ausschließende Gegenstand dieser Geschichte, sondern in ihm sucht der Biograph das schauderhafte Bild mehrerer Räuberbanden, welche – man wird es unglaublich finden – bereits seit einem ewigen Jahrhunderte trotz aller Wachsamkeit und Thätigkeit der Polizey-Beamten der Schrecken des ganzen Brabands, der Schrecken von Holland, der preussischen-westphälischen Landen, des cöllnischen, des lüttichschen, des jülichschen und des bergischen Gebiethes waren, und, ob sie gleich nicht immer mit einander in unmittelbarer Verbindung standen, doch, wenn man ihre Lebensart, die Manier ihres Raubens, ihre Pläne, und das in Betracht zieht, daß sie sich wechselweise sowohl Glieder als Anführer umtauschten, gewissermaßen in einer einzigen Kette ineinander zu greiffen schienen; dieses sucht der Biograph dem Leser ohne allen trügerischen Schmuck der Phantasie, ohne sich irgend, auch nur die kleinste Abweichung von dem zu erlauben, was die vorliegenden Actenstücke bezeugen, treu und offen darzustellen. Die eine dieser Banden hat sich unter dem Nahmen der Mersischen2 zum Verderben des ruhigen Landmanns vor Menschengedenken schon gebildet; aber ihrer wird nur in der Periode ihrer Auflösung gedacht.

Eine andere nicht minder berüchtigte war die Crevelder oder vielmehr Westphälische. Ihr Centralpunct war die Stadt Creveld mit ihren umliegenden einzelnen Höfen. (1/2) Von da aus dehnte sie sich in das Herz des preussischen Westphalens, in das Jülichsche und Bergische aus.

Nicht selten hausten beyde Banden um die nähmliche Zeit in derselben Gegend ohne sich zu berühren oder in ihren Geschäften zu durchkreuzen. Mit dem Anwachsen der Mitglieder vervielfältigten sich die Diebstähle und störten die öffentliche Sicherheit. Am häufigsten fielen sie in der Periode der ersten sechs Jahres des neunten Jahrzehnts vor. Keine Nacht vergieng, die nicht mit einer Räuberschandthat bezeichnet wurde. Gegen das Jahr 1796 war es so weit gekommen, daß man in der Gegend von Creveld mit Fingern auf die Urheber hinwies, ohne den Muth zu haben, sie der Behörde anzuzeigen. Die Bande selbst fühlte, daß sie entweder aufgelöst werde, oder der Justiz in die Hände fallen würde; sie zog sich daher von Creveld weg, und schlug ihren neuen Versammlungspunct in Neuß, und den umliegenden Ortschaften auf. Seit dieser Zeit wird sie bekannt unter dem Namen Neußer Bande, welchen sie behält, bis sie in Verbindung mit der aufgelösten Mersischen Bande sich in’s obere Deutschland zieht, wo sie den Nahmen Niederländische Bande bekömmt.

Die Neußer Bande hatte während den sechs letzt verflossenen Jahren den Helden unserer Geschichte an ihrer Spitze. Hier folgt sein Bild. Er ist kaum fünf Fuß groß, gegenwärtig fünf und zwanzig Jahre alt, von einem schwachen Körperbau, hat schwarze zarte in einem dünnen Zopf gebundene Haare, eine ganz runde kleine Stirn3 schwarze tief liegende und scharf blickende Augen, ründliches Gesicht, eine blaße Gesichtsfarbe, im ganzen Angesicht kleine Sommerflecken, eine mittelmäßige Nase, einem mittelmäßigen Mund, dessen Ober- und Un- (2/3) ter-Lippen bräunlich-roth sind, hat einen kurzen dünnen Hals, der an beyden Seiten mit großen Narben bezeichnet ist, lächelt beim Sprechen, zieht beym Lügen und Spaß machen die Unter-Lippen etwas auf die rechte Seite, und treibt dabey den Laut der Worte durch die Zähne.

Dieser Mensch verdiente, daß die Neußer Bande ihn wegen seiner Verschlagenheit, Kühnheit, wegen seines Muthes und seiner Standhaftigkeit zu der Würde des Anführers erhob, so wie sie ihm wegen der Grausamkeit, die er sich bey Diebstählen oft erlaubte, den Beynahmen, Fetzer ertheilte. Sein Ruhm unter seinen Kameraden stieg in den letzten Jahren so hoch, daß man nur mit Angst eine wichtige Plünderung unternahm, bey welcher er nicht commandirte, oder an der er zum wenigsten nicht Theil nahm. Er selbst im Hochgefühle seiner Großthaten und stolz auf das Zutrauen seiner Spießgesellen, drückt sich hierüber folgendermaßen mit diesen treu anführten Worten so aus: „Ich habe es aus der Geschichte von meines Gleichen bestätigt gefunden und glaube es ganz sicher, daß, sobald der Ruhm eines Räubers durch seine Thaten unter seinen Mitgesellen groß zu werden anfängt, er nicht mehr lange mitmacht, und der Justiz bald in die Hände fällt; so gieng es auch mit mir; kein großer Streich wurde projectirt, wo man mich nicht zum Anführer wünschte; war ich dabey, so ging ein jeder voll von Zuversicht mit. Zur Zeit, wie ich meine Kameraden in Essen wiedertraf, hatten sie weder Kleidung, noch Schuh und Strümpfe; als sie mich in ihrer Mitte sahen, frohlockten sie, jeder Raub, den wir unternahmen, gelang, und Geld gab es dann wieder in Menge. Aber mein Ruhm zog meinen Untergang nach sich.“ Also ist auch bey Räubern nur Mittelstraße die beste. Es ist gewiß nicht ohne Interesse, die Lebensgeschichte dieses seltenen Bösewichts, der nach seinem eigenen Eingeständnis während eines Zeitraums von sieben Jahren hundert ein (3/4) und achtzig Diebstähle ausgeführt hat, dem in dem nähmlichen Zeitraum 122 mißlungen sind, der in Allem, nach seiner eigenen Berechnung 47600 Livres baares Geld mit Rauben gewonnen hat, etwas näher kennen zu lernen. Wir werden indessen nur hauptsächlichsten Diebstählen deren Fetzer sich schuldig gemacht hat, erwähnen; ausführlichere Beschreibungen derselben so wie Characteristik seiner Kameraden wird man in dem angekündigten Werke über die Räuberbanden der beyden Ufern des Rheins finden.

Fetzer nennt sich mit seinem eigentlichem Nahmen Mathias Weber. Sein Vater war Godfried Weber, und seine Mutter, die seit zwölf Jahren todt ist, Elisabeth Krügers. Mathias Weber wurde im Jahr 1778 in Greffrath im Crefelder Bezirk, wo damahls sein Vater wohnte, und das Passementirer Handwerk trieb, gebohren; der alte Weber ward nachher Unteroffizier unter dem preussischen Regiment Kanitzka, das in Wesel in Besatzung lag, desertirte, und nahm vor acht Jahren Dienst unter den kaiserlichen Ulanden, von welcher Zeit an man nichts mehr von ihm vernommen hat. Mathias Weber wurde von seinen Aelteren fünf Jahre lang in die Schule geschickt, lernte aber nichts, und wollte auch nichts lernen, ob er gleich manchmal durch gewaltsame Mittel dazu angehalten worden war. In seinem elften Jahre verließ er sein väterliches Haus, und vermiethete sich bey einem Bauren zu Forst zwey Stunden von Greffrath als Schweinsjunge. Kaum war er ein Viertel Jahr an dieser Stelle, als sein munteres Betragen und seine tollkühnen Streiche die Aufmerksamkeit der Gräfin von Neersdunk4 erregten. Sie nahm ihn in ihre Dienste als Hausknecht. Ihm gelang es (4/5) bald ihre Gewogenheit sich zu erwerben, aber sein unglückliches Gestirn ließ ihn das Glück verscherzen. Drey und ein halbes Jahr blieb er auf der Burg, bekam endlich, weil er niemahls gehorchen wollte, Streit mit dem Hausgeistlichen, packte heimlicher Weise seine Effecten zusammen5, gieng nach Holland und nahm Dienst unter dem Regiment Douglas. Anderthalb Jahre trug er die Uniform, das Soldaten-Leben misfiel ihm, er desertirte und kehrte zu dem Bauren zurück, bey dem er früher die Schweine gehütet hatte. Die Arbeit, die er für seine Kost verrichten mußte, behagte ihm noch weniger als das Soldaten-Leben, und er entschloß sich wieder nach Holland zu gehen. Unter Wegs gerieth er in die unglückliche Bekanntschaft mit einem sicheren Francis bekannt unter dem Nahmen der Scherenschleifer, einem der Hauptleute von der Crevelder-Bande, mit dem nähmlichen, der nachher den 24ten Ventose 7ten Jahrs von dem Criminal-Gerichte zu Cölln zu einer vierzehnjährigen Galeerenstrafe verurtheilt worden, dieser schlug ihm vor, mit ihm auf Räubereyen auszugehen. Das gefährliche Beispiel lockte den Jüngling, und so begieng er in Gesellschaft dieses Francis mehrere Pferde- und Kühe-Diebstähle; zwey Monate lebten sie zusammen von...

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