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E-Book

Psychoanalyse und Psychosomatik

Die leiblichen Grundlagen der Psychodynamik

AutorTimo Storck
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl252 Seiten
ISBN9783170248397
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis25,99 EUR
Freud and body are located close to each other: The concepts of psychoanalysis refer to the connection to the physical and require a differentiated conception of the mind-body relationship. Starting with Freud comments on actual neurosis, questions arise on the development of psychopathology, psychodynamics and treatment technology. First of all, the conceptual developments are examined in general terms before diagnosis, classification and specific disease teaching are handled. The volume concludes with treatment settings, social aspects of psychosomatics and exemplary research fields.

Timo Storck is Professor of Clinical Psychology and Psychotherapy at the Psychological University of Berlin and scientific assistant at the Medical University of Vienna and psychotherapist (AP/TP).

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Leseprobe

1         Einleitung: Freud und Leib liegen nah beieinander


 

 

 

 

Einführung


In einigen ihrer zentralen Begriffe – (infantile) Sexualität, Trieb, Konversion, erogene Zone – thematisiert die Psychoanalyse seit Freud die Leiblichkeit des Menschen und dessen psychosomatische Grundverfasstheit. Dem steht gegenüber, dass zumindest Freud keine psychosomatische Krankheitslehre entwickelt hat und sich der Behandelbarkeit von Patientinnen und Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen gegenüber sehr skeptisch gezeigt hat. Wie kann also die Psychoanalyse als Psychosomatik formuliert werden? Ein weiterer Ausgangspunkt besteht in der unhintergehbaren Interdisziplinarität der psychoanalytischen Psychosomatik: Diese berührt Felder der Medizin, Psychologie, Soziologie, Neurobiologie und Philosophie. Was ist von psychoanalytischer Seite nötig, um in einen entsprechenden Dia- bzw. Polylog einzutreten, und worin besteht ihr Beitrag zu einer psychosomatischen Anthropologie?

Lernziele


•  Den psychosomatischen, d. h. leibseelischen Charakter zentraler psychoanalytischer Konzepte erkennen

•  Die Art der Beteiligung verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen an der Psychosomatik wahrnehmen und unterscheiden

•  Den spezifischen Beitrag der Psychoanalyse zur Psychosomatik ausweisen

Freud und Leib liegen nah beieinander. Der Begründer der Psychoanalyse nahm nicht nur neurophysiologische bzw. neuropsychologische Überlegungen zum Ausgangspunkt, um seine Konflikttheorie oder seine Praxis der Traumdeutung und der analytischen Kur zu begründen, er formulierte auch in zentralen psychoanalytischen Konzepten und Krankheitskonzeptionen im Kern Psychosomatisches: Was könnte beispielsweise ein psychosomatischeres Geschehen sein als die Scheinschwangerschaft von Anna O., derjenigen Patientin Josef Breuers, welcher dieser und Freud bereits in den Studien über Hysterie (Freud, 1895d) die wesentlichen Bestimmungen der Psychoanalyse zuschreiben: die talking cure. Bekanntlich entwickelt Freud aus der irritierenden Konstellation, dass Anna O. fest davon überzeugt war, das einer Liebes- und Sexualbeziehung entsprungene Kind Breuers zu erwarten, einige Grundkonzepte der Psychoanalyse, insbesondere das der unbewussten Fantasie. Deren Wirkung ist hier, so muss erkannt werden, eine bidirektionale: Sie entspringt sowohl leiblichen, triebhaften, psychosomatischen Vorgängen, als sie auch auf diese zurückwirkt. Die unbewusste Fantasie bzw. der unbewusste, auf Breuer gerichtete Triebwunsch Anna O.s zeitigt somatische Ereignisse, die Scheinschwangerschaft. Hier sind psychoanalytische Begriffe von Konversion oder der später von Freud beschriebene »rätselhafte Sprung« ins Somatische bereits angelegt – ebenso wie die Konzeption der infantilen Sexualität. An dieser lässt sich nun der Hinweis auf den psychosomatischen Charakter der psychoanalytischen Theorie des Psychischen am eindrücklichsten markieren, ist es doch die Sexualität, die weder auf den Körper/Leib (zur konzeptuellen Unterscheidung beider  Kap. 2), noch auf das psychische Erleben verzichten kann bzw. sich einer Spaltung beider verschließt, es sei denn im Rahmen einer (psychosomatischen) Pathologie.

Konsequenterweise beschreibt die Freud‘sche Psychoanalyse den Trieb als »Grenzbegriff zwischen Psyche und Soma« (Freud, 1915c, S. 214) bzw. als »Grenzbegriff zwischen psychologischer und biologischer Auffassung« (Freud, 1912e, S. 410 f.) und als »eine[n] der Begriff der Abgrenzung des Seelischen vom Körperlichen« (Freud, 1905d, S. 70). Deutlich wird dies auch, wenn Freud (a. a. O.) vom Trieb als der »psychische[n] Repräsentanz einer kontinuierlich fließenden, innersomatischen Reizquelle« spricht. Dies macht nicht nur deutlich, weshalb der psychoanalytische Triebbegriff sich entscheidend vom Instinkt unterscheidet, es kennzeichnet auch die vier Komponenten des Triebes, die Freud (1915c) identifiziert – Quelle, Drang, Ziel und Objekt –, als Teil einer leibseelischen Durchdrungenheit. Begreift man die Triebquelle als diejenige Körperregion, an der eine Reizung erfolgt, ferner den Triebdrang als das (quantitative) »Maß an Arbeitsaufforderung« für das Psychische, das Triebziel als diejenige (Wunsch-)Vorstellung, die in Handlung und Abfuhr umgesetzt werden soll, und schließlich das Triebobjekt als die (objektale) Repräsentanz, auf die sich der Trieb richtet, dann ist akzentuiert, in welcher Weise hier Psyche und Soma, Erregung und Vorstellung ineinander wirken.

Das wiederum hat eine Konsequenz für die Entwicklungstheorie der Psychoanalyse. Der Trieb ist hier konstitutiv für Psychisches, mit ihm ist konzeptuell auf den Begriff gebracht, in welcher Weise leibliche Empfindungen in die Repräsentation treiben – leibliche Empfindungen, die sowohl aus innerkörperlichen Zuständen erwachsen als auch aus Interaktionen mit den frühsten Bezugspersonen. Mag auch Freud (1915c) betonen, das Objekt sei das Variabelste am Trieb, so kann doch beispielsweise unter Rückgriff auf die Entwicklungstheorie Laplanches (z. B. 1987) dafür argumentiert werden, dass es das frühe Objekt ist, das der sich entwickelnden Psyche die Notwendigkeit der Repräsentation derjenigen psychosomatischen, sexuellen Vorgänge aufnötigt, mit denen erste Sinnlichkeitserfahrungen verbunden sind.

Psychische Repräsentation erwächst also aus der Leiblichkeit (ohne den Anschluss an diese zu verlieren). Freud formuliert nicht ohne Grund den oft rezipierten Befund:

»Der eigene Körper und vor allem die Oberfläche desselben ist ein Ort, von dem gleichzeitig äußere und innere Wahrnehmungen ausgehen können. Er wird wie ein anderes Objekt gesehen, ergibt aber dem Getast zweierlei Empfindungen, von denen die eine einer inneren Wahrnehmung gleichkommen kann. Es ist in der Psychophysiologie hinreichend erörtert worden, auf welche Weise sich der eigene Körper aus der Wahrnehmungswelt heraushebt. Auch der Schmerz scheint dabei eine Rolle zu spielen, und die Art, wie man bei schmerzhaften Erkrankungen eine neue Kenntnis seiner Organe erwirbt, ist vielleicht vorbildlich für die Art, wie man überhaupt zur Vorstellung seines eigenen Körpers kommt. Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche.« (Freud, 1923b, S. 253; Hervorh. TS).

In einer Fußnote zu Standard Edition fügt Freud Folgendes hinzu (vgl. die editorische Bemerkung zum Text in der Studienausgabe, Band 3, S. 294):

»Das heißt, das Ich leitet sich letztlich von körperlichen Gefühlen ab, hauptsächlich von solchen, die auf der Körperoberfläche entstehen. Es könnte deswegen als eine psychische Projektion der Körperoberfläche angesehen werden und nicht nur, wie wir oben gesehen haben, als Darstellung der Oberfläche des psychischen Apparates.«

In seinem Kommentar zu dieser Passage Freuds bemerkt Rangell (1986, S. 36), dass sie drei Aspekte umfasse: Erstens die »profunde Einsicht«, dass das Ich »aus dem Körper kommt« und »von Anfang an« mit diesem in Beziehung stehe, zweitens eine »subtile Feststellung, die in die Irre führen kann: Das Ich ist nicht ein Teil des Körpers; es ist keine somatische, sondern eine seelische Struktur; der Körper im Ich ist nicht die somatische Körper-Struktur, sondern deren Repräsentanz« und schließlich drittens eine »Kern-Feststellung«, die bislang kaum ausgeschöpft worden sei.1

En passant ist damit eine bis heute so anzugebende konzeptuelle Entwicklungsaufgabe für die Psychoanalyse benannt, nämlich die Erörterung des Verhältnisses von Psyche und Soma. Aber damit ist auch hervorgehoben, dass eine Reihe von Trivialisierungen oder Spaltungen droht, wenn es darum geht, Ich und Körper miteinander ins Verhältnis zu setzen. Zwar ist der Hinweis Rangells unerlässlich, dass »der Körper im Ich« als Repräsentanz auftauche, und ebenso wichtig ist der Hinweis auf die uranfängliche Beziehung zwischen Ich und Körper, jedoch hat die Geschichte der psychoanalytischen Psychosomatik auch gezeigt, in welcher Weise eine Tendenz dazu besteht, Körperliches/Leibliches als unreife Vorstufe des eigentlich Psychischen zu thematisieren und so eine Theorie des Psychischen voranzutreiben, in welcher dieses sich den Körper gleichsam vom Leib halten sollte.

Hinsichtlich zentraler Konzepte und insbesondere hinsichtlich ihrer Entwicklungstheorie kann die Psychoanalyse im Anschluss an diese erste Sichtung als psychosomatisch bezeichnet werden. Eine weitere Frage...

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Deckblatt1
Titelseite4
Impressum5
Geleitwort zur Reihe6
Inhalt8
Vorwort12
1 Einleitung: Freud und Leib liegen nah beieinander16
2 Leiblichkeit24
2.1 Wer hält wen gefangen? Kurze Skizze zu Leib und Seele bei Platon und Aristoteles26
2.2 Körper haben und Leib sein29
2.3 Phänomenologische Bezüge der Psychoanalyse33
3 Ätiologie und Psychodynamik psychosomatischer Erkrankungen I: Abwehrformen, Objekterfahrung und frühe Bildungsprozesse42
3.1 Freuds Aktualneurose43
3.2 Auf dem Weg zur psychoanalytischen psychosomatischen Medizin52
3.2.1 Prägenitale Konversion: F. Deutsch, S.Ferenczi53
3.2.2 Organneurose und Affektäquivalent: O. Fenichel61
3.2.3 Entwicklungspsychopathologische Skizzen: J. Ruesch, M. Sperling, H. Deutsch64
3.2.4 Die »Heiligen Sieben« und die Theorie der Konfliktspezifität: F. Alexander66
3.3 Abwehrfiguren und Reifegrade68
3.3.1 De- und Resomatisierung: M. Schur69
3.3.2 Zweiphasige Verdrängung: A. Mitscherlich71
3.3.3 Hilf- und Hoffnungslosigkeit und »Schlüsselperson«: G. Engel und A. Schmale73
3.4 Operatives Denken und Alexithymie74
3.4.1 Die Pariser Schule der Psychosomatik: P. Marty, M. de M’Uzan, M. Fain75
3.4.2 Das Alexithymiekonzept: J. Nemiah und P. Sifneos79
3.4.2.1 Kritik und zeitgenössische Konzeption81
3.5 Strukturen des Objekterlebens83
3.5.1 Körper und Organ im Verhältnis zur Objekterfahrung: D. Eicke, P. Kutter, R. Plassmann, M. Hirsch84
3.6 Mechanismen früher psychischer Bildungsprozesse92
3.6.1 Umgekehrte Alpha-Funktion und bizarre Körperobjekte: W. Bion94
3.6.2 Organ-Objekt-Einheiten: J. Kestenberg98
3.6.3 Zone-Objekt-Komplemente und Originärprozess: P. Aulagnier99
3.6.4 Der Ansatz J. McDougalls als Verknüpfung verschiedener Untersuchungsstränge102
4 Ätiologie und Psychodynamik psychosomatischer Erkrankungen II: Symbolisierung und Repräsentation112
4.1 Affekt, Symbol und Sprache in pathopsychosomatogenen Sozialisationsprozessen: S. Zepf113
4.2 Multiple Codes und die Verbindung zur Kognitionswissenschaft: W. Bucci118
4.2.1 Diskonnexion bei L. Solano121
4.2.2 Embodimentforschung121
4.3 Die Pariser Schule heute: C. Smadja, M. Aisenstein123
4.4 Die »italienische Schule« der Psychosomatik126
4.4.1 Psychische Basisorganisation: E. Gaddini127
4.4.2 Objekteklipse und Zweifaltigkeit: A.B. Ferrari128
4.4.3 Der Leib als Organisator des Psychischen: R. Lombardi132
4.5 Die Arbeit des Negativen in der psychosomatischen Erkrankung133
4.5.1 Negative Kommunikation: J. Küchenhoff137
4.5.2 Verneinungsunmöglichkeiten: T. Storck139
4.6 Encore en corps: Der struktural-psychoanalytische Ansatz in der Psychosomatik141
5 Diagnostik, Klassifikation und spezielle Psychodynamik150
5.1 Psychoanalytisch-psychosomatische Diagnostik151
5.1.1 Übertragung und Gegenübertragung und psychosomatische Diagnostik151
5.1.2 Diagnostische Instrumente156
5.1.2.1 Fragebögen und Interviews156
5.1.2.2 Körperbild-Diagnostik157
5.1.2.3 Alexithymie-Diagnostik159
5.2 Klassifikation und differenzielle Krankheitslehre161
5.2.1 ICD-10 und DSM-5161
5.2.2 Psychodynamik spezieller Störungsbilder169
5.2.2.1 Hypochondrie170
5.2.2.2 Somatisierungsstörung und somatoforme Funktionsstörungen174
5.2.2.3 Somatoforme Schmerzstörung178
5.2.2.4 Psychosomatosen181
5.2.2.5 Anpassungs- und Belastungsstörungen als somatopsychische Erkrankungen185
5.2.2.6 Zur Bedeutung von Angst- und Paniksymptomen185
6 Behandlung und Behandlungssettings189
6.1 Ambulante Behandlung in psychoanalytischen Verfahren190
6.2 Stationäre Psychotherapie194
6.2.1 Die Besonderheiten des tagesklinischen Settings196
7 Psychosomatik und Gesellschaft200
7.1 Sozialisationsbedingungen auf mikro- und makrosozialer Ebene201
7.2 Geschlechtsspezifische Aspekte der Psychosomatik205
7.3 Die Kultur der Psychosomatischen Medizin und Psychotherapie210
8 Forschung214
8.1 Alexithymieforschung215
8.2 Elemente stationär-psychosomatischer Psychotherapie219
9 Fazit: Psychoanalyse als Leibesertüchtigung224
Literatur226
Sachregister251

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