MEIN ERSTER WECKRUF
Karrierestart beim Flaschendrehen
Erich Lejeune: Tommy, der 12. August 1977 ist ein besonderes Datum in deinem Leben: An diesem Tag hast du die Diagnose erhalten, dass du zuckerkrank bist. Dieses Erlebnis hat dein Leben einschneidend verändert. Schließlich warst du zu diesem Zeitpunkt ein quicklebendiger junger Mann, hattest gerade dein Abitur gemacht, die Welt stand dir offen …
Thomas Fuchsberger: Ja, ich war drauf und dran, mich in mein Musikstudium zu stürzen, und wollte natürlich so bald wie möglich groß herauskommen!
EL: Wie ist dieser Wunsch entstanden? Hatten dich deine Eltern zum Musizieren gebracht? Schließlich war da dein Vater Blacky, dessen Leben als Showmaster und Schauspieler du ja von klein auf miterlebt hast.
TF: Den Auslöser haben tatsächlich meine Eltern gegeben: Als ich zwölf war, schenkten sie mir ein kleines Upright-Piano. Zum Glück hatte ich damals einen Lehrer, der nicht nur Klassik, sondern Popmusik unterrichtete, sonst wäre mir vermutlich schnell langweilig geworden. Leider starb mein erster Lehrer schon nach einem Jahr, und ich stand vor der Entscheidung, ob ich weitermachen wollte. Das war für mich keine Frage, und so gelangte ich an Kurt Maas, den meine Eltern über Max Greger empfohlen bekommen hatten. Das Erste, was ich von ihm lernte, war die melancholische Ballade „House of the Rising Sun“, ein Klassiker von den „Animals“, und das gleich in drei Variationen.
EL: Hast du damals schon daran gedacht, die Musik zu deinem Beruf zu machen?
TF: Zumindest fand ich den Gedanken ganz verlockend. Ich erinnere mich an eine Kinderparty, an der wir Flaschendrehen spielten, und als die Reihe an mir war, sagte ich: „Ich spiel euch was vor!“ Die anderen staunten: „Kannst du das denn?“, und ich dachte mir, das werdet ihr ja sehen, und gab meine Versionen von „House of the Rising Sun“ zum Besten. Das hat natürlich Eindruck gemacht! Aber so richtig den Entschluss gefasst, Musik zu machen, das passierte erst mit 16.
EL: In diesem Alter träumen ja viele Jugendliche von einer Karriere als Popstar. Wie war das bei dir? Waren da vielleicht auch die Mädchen im Spiel?
TF: Sicher! Wer steht nicht gern auf der Bühne und wird bewundert! Das Problem war nur, die coolen Typen auf der Bühne spielten immer Gitarre, aber nie Piano. Mein Schlüsselerlebnis hatte ich auf einem Konzert der britischen Band „Emerson, Lake and Palmer“, wo ich mit meinem langjährigen Klavierlehrer Kurt Maas war. Bei den Konzerten, die ich bis dahin miterlebt hatte, versteckten sich die Jungs an den Tasten immer irgendwo hinter den Bühnenaufbauten oder hinter ihren Instrumenten und spielten keine große Rolle, was die Show betraf. Aber hier war es genau umgekehrt: Der Pianist Keith Emerson benutzte seine beiden gigantischen Synthesizer genau dazu, sich in den Mittelpunkt zu stellen. Mich hatten schon als Kind riesige Anlagen, Schaltwerke, Lichter fasziniert, besonders die technisch aufgerüsteten Cockpits, weswegen ich mir auch hätte vorstellen können, Pilot zu werden. Und dann sah ich auf einmal diesen Musiker, der da auf der Bühne inmitten seiner riesigen Aufbauten eine Riesenshow um sich und seine Instrumente veranstaltete! Er hat mich einfach unglaublich beeindruckt, und ich dachte: „Wow, so will ich auch spielen können.“
Abitur auf Umwegen
EL: Vom Wunschtraum bis zur Wirklichkeit sind es ja meist noch ein paar Schritte mehr. Wie hast du versucht, das zu realisieren?
TF: Das stellt man sich in solchen Momenten ganz einfach vor, aber natürlich geht so etwas nicht von heute auf morgen! Kurt Maas sah das gleich ganz realistisch und meinte: „Dann fang schon mal an zu üben.“ – Ich war natürlich reichlich spät dran und merkte bald, dass ich technisch zu viel aufzuholen gehabt hätte, um diesen Weg einzuschlagen. Aber beim Üben und Probieren fielen mir immer wieder Melodien ein, und um die nicht zu vergessen, habe ich mir dazu Texte ausgedacht und beides aufgeschrieben. Das Spielen selbst trat dann quasi von selbst in den Hintergrund, und so kam ich eigentlich ganz natürlich zum Singer-Songwritertum.
EL: Zu diesem Zeitpunkt wusstest du noch nicht, dass dir bald der Diabetes dazwischenkommen würde.
TF: Richtig, das konnte niemand ahnen. Ich war damals auf der Munich International School, der MIS in Starnberg bei München, sollte mein Abitur aber auf Drängen meiner Mutter an einer anderen Schule machen. Wäre ich auf ein staatliches Gymnasium gegangen, hätte ich vermutlich zwei Jahre verloren, ich wollte aber endlich Musik machen und hätte fast auf das Abitur verzichtet, nur um endlich loszustarten. Letztendlich einigten wir uns auf einen Kompromiss: Ein Freund von mir, Oliver Rennert, Sohn des damaligen Intendanten Günther Rennert an der Bayerischen Staatsoper, überzeugte mich, das mit ihm durchzuziehen, und so absolvierten wir die letzte Strecke am Privatgymnasium Huber. In Englisch waren wir ja bereits perfekt, da es die Unterrichtssprache an der MIS ist, aber unser Französisch ließ leider zu wünschen übrig, und Mathe …! Aber ich war wild entschlossen, meine Sache gut zu machen, wenn es schon sein musste.
EL: Diesen Dickschädel hast du sozusagen von deinem Vater geerbt! Von ihm weiß ich, dass du dir schon als Kind nichts sagen lassen wolltest.
TF: Ja, ich wollte mir nie helfen lassen, sondern alles allein tun! Und so habe ich es mit disziplinierter Paukerei auch zu einem ordentlichen Abitur gebracht. In Mathe wurde zwar trotzdem nur eine 5 draus, aber mein Notendurchschnitt war recht gut: 2,7 – ich habe in den anderen Fächern gebüffelt wie verrückt, da ich wusste, dass ich in Mathe keine Chance habe.
EL: „Diszipliniert“ ist ein wichtiges Stichwort. Die Disziplin hat dir ja auch später geholfen, besser mit dem Diabetes umzugehen.
TF: Auf alle Fälle! Die braucht man in allen Lebenslagen. Ich habe damals bis spät in die Nacht gelernt, ein ganzes Jahr lang. Oft stand morgens um zwei Uhr mein Vater in der Tür und fragte: „Was machst du denn da?“ Lernen natürlich! Ich habe ein ganzes Jahr lang gelernt und mir den Stoff reingezogen, der uns gefehlt hat. Und dadurch hat dann auch alles geklappt – auch wenn ich noch jahrelang danach davon träumte, ich müsse alles wiederholen: dass ich Abitur schreibe und einer reinkommt und sagt: „Freunde, es tut mir leid, wir müssen alles noch mal machen, es gilt nicht“. Das war für mich der größte Albtraum! Und ich bin sicher nicht der Einzige, der solche Träume hat!
EL: Wie ging es dann weiter? Konntest du dich gleich deinem Traum widmen, Musik zu machen?
TF: Erst drohte mir noch der Wehrdienst. Bei der ersten Musterung erhielt ich nur ein „Bedingt tauglich“, auch wenn von Zucker da noch nicht die Rede war. Dann kam die zweite Musterung, und plötzlich hieß es, ich würde doch noch eingezogen. Das war natürlich eine Katastrophe für mich: Ich war schließlich schon 20, hatte mit großer Kraftanstrengung das Abi gemacht und wollte jetzt dafür endlich Musik studieren! Letztlich wendete sich das Blatt doch noch zum Guten, und ich musste keinen Dienst leisten. Das Dumme war nur, dass ich durch das viele Lernen für die Schule nur wenig Zeit zum Klavierspielen gehabt hatte, ich wollte mich aber aufs Münchner Richard-Strauss-Konservatorium bewerben. Ich übte fürs Konservatorium also nicht bloß vier Stunden am Tag, sondern acht. Dazu kam noch Gehörbildung und weitere Theorie. Weil es in der Pianoklasse einen Aufnahmestopp gab, verzichtete ich auf die Bewerbung und bewarb mich für Komposition. Der damalige Rektor, der Deutsch-Amerikaner Peter Jona Korn, mein Förderer, sagte damals zu mir: „Wenn Sie in die Popmusik gehen, werden Sie mal richtig Geld verdienen“, das hat mich sehr motiviert. Ich habe also die Aufnahmeprüfung geschafft und war sehr stolz, endlich alles hinter mich gebracht zu haben und nach vorn blicken zu können.
Aus der Feierstimmung gerissen
EL: Und dann kam doch erst einmal alles anders: Dein Diabetes brach aus.
TF: Ja, und ich war voller Tatendrang, als die Krankheit ins Spiel kam. Nach meinem Abi wollte ich endlich etwas von meiner neuen Freiheit haben. Ich war im Sommer viel mit meinen Freunden am Starnberger See unterwegs, wir gingen schwimmen, grillten, ließen es uns gut gehen. Irgendwann merkte ich, ich muss permanent auf die Toilette, ich hatte einen ungeheuren Harndrang. Fast jede Stunde! Gleichzeitig dazu hatte ich einen wahnsinnigen Durst und schüttete mir alle Getränke hinein, die ich greifen konnte.
EL: Hattest du da schon einen Verdacht, dass etwas nicht stimmen könnte?
TF: Nein, ich dachte mir gar nichts, ich fühlte mich eigentlich gesund. Erst dachte ich, ich...