STATT EINES VORWORTS
„Ich halte es, offen gestanden, für nicht gar schwer, besonders in unsern Tagen, ein gelehrtes Buch zu schreiben, oder doch was man so nennt, das heißt: ein Buch mit gelehrten Citaten, Noten, Erklärungen und dergleichen Zuthaten mehr. Weit schwerer, dünkt mich, ist es, ein Werk abzufassen, das alles gelehrten Apparates entbehrt, gründliche und solide Studien aber voraussetzt; ich halte dies nicht blos für weit schwerer, ich halte es auch für seltener; denn es gehört dazu eine gewisse Kraft der Entsagung, ein Sinn nämlich, der es über sich vermag, auf den Ruhm vor der Menge, welche die Gelehrsamkeit nach dem äußerlichen Apparate beurtheilt, Verzicht zu leisten. So selten es aber auch sein mag, so fruchtbar und segenbringend dünkt es mich; ja ich halte es für die nobelste Art von Schriftstellerei ... Leichte, pikante Waaren auf der einen Seite und auf der andern schwerfällige, verhältnismäßig nur Wenigen zugängliche Arbeiten haben wir fast mehr als genug; dabei geht aber gerade der Kern des gebildeten christlichen Volkes leer aus.
Hiermit habe ich das Ideal, das mir bei Abfassung meines Buches vorschwebte, angedeutet. Niemand mehr als ich selbst kann indessen fühlen, wie weit ich hinter diesem Ideal zurückgeblieben bin; aber angestrebt habe ich; und dies wird mir, wie ich hoffe, bei billigen, einsichtsvollen Beurtheilern Anerkennung verschaffen.“
Friedrich Böhringer,
Die Kirche Christi und ihre Zeugen oder die Kirchengeschichte in Biographien I, 2 (1842), S. VIII f.
Einleitung
DIE VÄTERKUNDE UND DIE KIRCHENVÄTER
Als „Kirchenväter“ bezeichnet man die rechtgläubigen Schriftsteller der alten Kirche. Wer über sie schreiben möchte, steht nicht auf Neuland, sondern auf einem sehr alten, oft gepflügten und nicht selten auch heiß umstrittenen Boden der kirchengeschichtlichen Forschung. Ein paar Andeutungen über den Begriff und Ursprung der „Patristik“ oder „Patrologie“, der „Väterkunde“, die sich mit ihnen befaßt, mögen darum am Platze sein.
Gewöhnlich setzt man der Patristik die Aufgabe, die literarischtheologischen Leistungen der Kirchenväter zu erforschen, zu bewerten und darzustellen. So gesehen, handelt es sich um eine Art kirchlicher Literaturgeschichte, die der Lehr- und Dogmengeschichte zur Seite geht, sie sichert und ergänzt, und gleichzeitig um einen letzten Teil oder Anhang für die Literaturgeschichte der klassischen Antike. Allein der Ursprung der Patristik liegt weder bei der Philologie noch bei der allgemeinen Kirchengeschichte. Von hier aus wäre die seltsame Begrenzung des Gebiets nach dem Glaubensbekenntnis und dem theologischen Standort der Autoren im Grunde gar nicht zu begreifen. In Wirklichkeit stammt „der Begriff des Kirchenvaters aus der Dogmatik und ist aus den Bedürfnissen des katholischen Traditionsbeweises entstanden“ (F. Overbeck, Über die Anfänge der patristischen Literatur, Hist. Zeitschr. 48, 1882, 418). Es galt, die Zeugen der „echten“, orthodoxen Überlieferung zu sammeln, um gültige oder umstrittene Lehren dadurch zu stützen und zu begründen. In dieser Absicht bemühte man sich schon im vierten Jahrhundert um die Meinung der früheren, anerkannten Theologen und bezeichnete sie mit Nachdruck als „Väter“ der Kirche. Ihre Autorität wurde auch für die Gegenwart maßgebend und trat damit neben die ältere und eindeutigere Autorität des biblischen Kanons, der Heiligen Schrift. Dieses dogmatische Interesse an der kirchlichen „Tradition“ spielt für die katholische Theologie heute noch eine erhebliche Rolle. Nur so versteht man es, daß der Ehrentitel eines „Kirchenvaters“ manchen, zu ihrer Zeit voll anerkannten Lehrern wie z. B. Origenes grundsätzlich vorenthalten wird. Für andere wie etwa Klemens von Alexandrien bleibt die Autorität in der Schwebe und wieder andere wie der alexandrinische Patriarch Kyrill empfangen als „doctores ecclesiae“ eine besonders betonte Auszeichnung. Diese nachträglichen Klassifikationen bilden die Parallele zu der entsprechenden Beurteilung des Kanons und der urchristlichen Literatur. Hier wird eine Reihe von Urkunden als „apostolisch“ bezeichnet und im Neuen Testament zu einer dogmatisch maßgeblichen, „kanonischen“ Sammlung vereinigt, während andere, vielleicht ebenso alte und ursprünglich ebenfalls hoch geschätzte Schriften „apokryph“ bleiben oder gar ausdrücklich verworfen sind. Wir werden in dem vorliegenden, durchaus historisch gemeinten Versuch auf derlei Unterscheidungen keinerlei Rücksicht nehmen. Denn mögen sie auch kirchlich sinnvoll und im Fall des Neuen Testaments sogar sehr wohl begründet sein, so ist es doch klar, daß einer rein historischen Darstellung der Väter, wie sie hier versucht wird, mit solchen vorgegebenen Normen wenig gedient sein kann. Solange sich die ältere Patristik an sie zu binden suchte, gelangte sie in der Tat nicht über den „Zustand primitivster Konfusion“ hinaus, gegen den Franz Overbeck im Jahre 1882 Protest einlegte. Er erhob als Philologe und Historiker die Forderung einer streng literaturgeschichtlichen, d. h. stil- und formgeschichtlichen Beurteilung der Väterschriften, und diese Forderung ist in ihrem prinzipiellen Recht seitdem mehr und mehr anerkannt, mag auch das damit gesteckte Ziel noch nicht völlig erreicht sein.
Allein dieser „literaturgeschichtliche“ Gesichtspunkt ist nicht der einzige, der für eine sachliche Darstellung der Kirchenväter in Betracht kommt, und ganz für sich allein genommen, kann er überhaupt nicht genügen. Denn die Männer, um die es in der Väterkunde geht, wollten selbst durchaus nicht als Literaten und bloße theologische Schriftsteller genommen sein. Sie fühlten sich als Vertreter der göttlichen Wahrheit, die sie den Gemeinden erhalten und der Welt ringsum verkündigen sollten. Der rhetorische und wissenschaftliche Ehrgeiz wird von ihnen ausdrücklich verworfen und steht zum mindesten nicht im Vordergrund ihres Interesses. Sie begreifen sich als die berufenen Lehrer der Kirche, als christliche Philosophen, als geschulte und erleuchtete Ausleger der Bibel, die die heilbringende Offenbarung Gottes enthält. In dieser Absicht muß man sie verstehen und ernst nehmen. Sonst wird der entscheidende Gesichtspunkt ihres Schaffens und Wirkens willkürlich verschoben. Das gilt auch für die weltgeschichtliche Beurteilung ihrer Leistung. Zweifellos ist die Verbindung des christlichen und antiken Erbes, auf der die geistige Kultur des Abendlandes beruht, zuerst und bleibend wirksam von den Kirchenvätern geschaffen worden. Schon sie haben über das darin liegende Problem auch reflektiert und sich z. T. ganz bewußt um eine grundsätzliche, theologische Lösung bemüht. Aber es ging ihnen gleichwohl nicht um das vielverhandelte Problem der Anpassung und Bewahrung der antiken Tradition, sondern es ging ihnen um die unbedingte Wahrheit, die sie maßgebend nicht hier, sondern in der Bibel fanden und in der eigenen, heilsgeschichtlichen Tradition ihrer Kirche.
Die nachstehenden Skizzen wollen die Kirchenväter in ihrem Beruf und ihrem Berufungsbewußtsein so schildern, wie sie sich selbst verstanden. Sie wollen nicht als ein Abriß der altchristlichen Literaturgeschichte gelesen werden und auch nicht als eine kurzgefaßte Dogmengeschichte, die die theologischen Lehranschauungen in den Mittelpunkt stellt. Es geht hier um die Persönlichkeiten, um ihr geistiges Wollen im Rahmen ihrer Welt und Zeit und um die kirchliche Funktion, die sie mit ihrem Lehren und Unterrichten jeweils ausgeübt haben. Das vorliegende Bändchen beschränkt sich auf die Kirchenväter griechischer Zunge. Die uns erreichbare christliche Literatur beginnt im griechischen Raum, und die griechische Theologie bleibt für die ersten vier Jahrhunderte der Kirche überhaupt führend. Sie entwickelt sich dabei durchaus eigenwüchsig, und man darf das geschlossene Bild, das so entsteht, nicht dadurch trüben und verwirren, daß man noch andere Erscheinungen des Westens oder Ostens bloß darum hinzunimmt, weil sie der äußeren Chronologie nach „gleichzeitig“ waren.
Die erste Persönlichkeit von Rang, mit der die Reihe griechischer Kirchenväter beginnen muß, tritt nicht zufällig in derselben Zeit auf, da auch die Vorstellung eines neutestamentlichen Kanons greifbar geworden ist und langsam bestimmende Bedeutung gewinnt. Die Kirchenväter fühlen sich nicht mehr als unmittelbare Zeugen der Christusoffenbarung wie die Generationen der apostolischen und nachapostolischen Zeit. Sie setzen deren feste und grundsätzlich abgeschlossene Bezeugung in ihrer Arbeit vielmehr überall voraus. Sie schreiben keine Evangelien, Apokalypsen und apostolischen Sendschreiben mehr, sondern sie verfassen Auslegungen und Abhandlungen, polemische und apologetische Traktate erbaulichen, systematischen, gelegentlich auch historischen Charakters, und sie halten dabei auf ihre Ausbildung und Methode. Sie wollen mit ihren besonderen Gaben und Fähigkeiten der Kirche dienen, aber sie fühlen sich bei diesem Dienste andererseits noch völlig frei. – Schwieriger als der Beginn ist die untere Grenze zu bestimmen, mit der die Epoche der „Kirchenväter“ zu Ende geht. Ich habe sie dort gesucht, wo durch die jahrhundertelange Arbeit der Väter selbst eine Tradition entstanden ist, die bestimmende Geltung verlangt und die anfängliche Bewegungsfreiheit der biblischen und systematischen Forschung grundsätzlich beschränkt. Damit ändert sich die Methode und die kirchliche Stellung der Theologie. Seit dem fünften Jahrhundert wird sie in diesem Sinne „scholastisch“: die Autorität der alten, der Vergangenheit zugehörigen Kirchenväter überschattet in der Kirche...