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E-Book

Stalingrad

AutorBernd Ulrich
VerlagVerlag C.H.Beck
Erscheinungsjahr2016
ReiheBeck'sche Reihe 2368
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783406691416
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR

Bernd Ulrich schildert anschaulich und kenntnisreich Vorgeschichte und Verlauf der Schlacht von Stalingrad. Deutlich wird so ihre Bedeutung in einem Vernichtungskrieg, in dem sich zwei totalitäre Systeme gegenüberstanden. Der "Schicksalskampf an der Wolga" war indessen weder kriegsentscheidend noch die verlustreichste Schlacht des Zweiten Weltkriegs. Gerade deswegen stellt sich die Frage, wie "Stalingrad" zum Inbegriff einer Katastrophe und zum Ursprung eines bis heute lebendigen Opfermythos werden konnte.



<p>Bernd Ulrich ist Historiker und Publizist in Berlin. Zahlreiche Ver&ouml;ffentlichungen zur Milit&auml;rgeschichte und zu den beiden Weltkriegen. Im Fr&uuml;hjahr 2005 erscheint ein von ihm und Manfred Hettling herausgegebener Band zum B&uuml;rgertum nach 1945.</p>

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Leseprobe

II. Im Kessel oder Eine Armee verschwindet


«Der Führer lässt auf Folgendes hinweisen:

Der Russe ist z.Zt. wohl kaum in der Lage, eine große

Offensive mit weiträumigem Ziel zu beginnen.»

OKH/Chef des Generalstabs des Heeres Zeitzler am

23.10.1942, 1. Ergänzung zum Operationsbefehl Nr. 1

1. Der Krieg als Willensakt


Auch wenn der Krieg vor Moskau in einer Niederlage endete, so hieß das natürlich keineswegs, dass auf deutscher Seite die Siegeszuversicht ernsthaft Schaden genommen hätte. Jedenfalls galt dies für jene Generäle, die durch die Niederlage vor Moskau nicht «die Nerven verloren hatten». Zwar Ausdruck der angespannten Lage, blieb dies dennoch eine ominöse, psychologisierende Begründung. Sie tauchte nun ebenso wie die jetzt öfter verwendete Sprachfigur des «stahlharten» oder «bedingungslosen Willens», auch in aussichtslos scheinenden Situationen aus- und durchzuhalten, immer häufiger in Befehlen und Lageeinschätzungen auf.

Seit den Tagen des Ersten Weltkriegs spukte derlei in den Köpfen der eben in diesem ersten Weltkrieg als junge Front- oder Stabsoffiziere militärisch sozialisierten deutschen Generalität herum. Dass den im August 1914 beginnenden Weltkrieg gewinnen werde, wer die «besseren Nerven» und den «stärkeren Willen» zeige, war schon in den ersten Äußerungen Kaiser Wilhelms II. nachzulesen. Beherrscht von solcher Zuversicht zeigte sich auch – bis in die direkten Befehle hinein – die Sprache Hindenburgs und Ludendorffs. Insgesamt gerieten die «besseren Nerven» und der «stählerne Willen» zum probaten semantischen Mittel, um sowohl den grassierenden Hunger an der Front und in der Heimat zu kaschieren als auch die materielle Überlegenheit einer ganzen «Welt von Feinden» wegzureden. Noch in der Zwischenkriegszeit waren die Verfassung der «Nerven» und vor allem die des «Willens» manchem «Heimatkrieger» und Militärtheoretiker entscheidende Faktoren in der Beurteilung der Heimat – der eben flächendeckend die «Nerven» gerissen seien – und der Armee, die, an sich willensstark, eigentlich hätte siegen können. Der stahlhelmbewehrte, mit starrem Blick in imaginäre Fernen schauende Weltkriegssoldat, bereits vielfach porträtiert auf den Kriegsanleiheplakaten seit 1917, und die durch ihn personifizierte willensstarke Entschlossenheit wurden nun auch zum Inbegriff des soldatischen Nationalismus in der Weimarer Republik. Soweit es die Favorisierung des «stahlharten Willens» betraf, fand die Botschaft schließlich Eingang in den Ausbildungskanon der Reichswehr und der Wehrmacht.

Es war im Übrigen eine Sprache, die auch mit der Hitlers vollständig kompatibel war, eine Sprache, die der «einfache Gefreite des Weltkriegs» verstand und verwendete, nicht zuletzt deshalb, weil die mit ihr transportierte Überzeugung spezifisch deutscher, mentaler Überlegenheit sich umstandslos mit der einer rassistisch begründeten verbinden ließ. So mochte Hitler auch seinem ansonsten eher skeptisch betrachteten Generalstabschef Halder durchaus zustimmen, als der im März 1942 gar den gesamten Krieg gegen die Sowjetunion als letztlich natürlich siegreichen «Krieg des Willens» bezeichnete.

Der Krieg als – wo die materiellen Reserven fehlten – purer Willensakt galt indessen nicht nur der immer angestrebten Offensive als eine Art mentaler Wegweiser. Er implizierte darüber hinaus auch eine spezifische Einstellung, wenn defensive Operationen notwendig oder vom Feind erzwungen wurden. Das hatte sich schon während der sowjetischen Gegenoffensive vor Moskau gezeigt, die wie geschildert große Anfangserfolge zu verzeichnen hatte. Im Grunde waren die Wehrmacht und ihre Führung darauf nicht vorbereitet. Der Rückzug, der Übergang zur Defensive gehörte zu jenen Friktionen, die im Konzept des «Blitzkriegs» nicht vorgesehen waren. Hitler und Teile der militärischen Führung reagierten darauf mit der Negierung der aktuellen Realität, der in Reden und Weisungen wiederholten Erwartung, die Offensive könne wieder aufgenommen werden – und mit bedingungslosen «Halte-Befehlen». Auch wenn sie vor Moskau noch erfolgreich umgesetzt werden konnten – wenngleich um den Preis bis dahin nicht gekannter Verluste –, sollte das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die diesen «Halte-Befehlen» zugrundeliegende Mischung aus Willensmobilisierung, Wunschdenken und strategischer Ratlosigkeit von nun an immer öfter das Handeln der militärischen Führung bestimmte. Für Hitler, der in seiner Selbstwahrnehmung angesichts der sowjetischen Offensive vor Moskau als einziger unter seinen Generälen «die Nerven behalten» hatte, war denn auch die erst Ende Januar 1942 erreichte Stabilisierung der Front ein «Triumph des Willens».

Der Kulminationspunkt solcher Fokussierungen auf eine vermeintliche mentale Überlegenheit angesichts materieller Unterlegenheit und der daraus folgenden Handlungsmaximen wurde in Stalingrad erreicht. Dort und im Zusammenhang mit den Folgen der Schlacht an der Wolga sollte sich in Hitlers Befehls- und Verlautbarungssprache der «bedingungslose Willen» endlich zum «fanatischen Willen» bzw. zur «fanatischen Entschlossenheit» steigern, um keinen Preis zu kapitulieren oder sich auch nur zurückzuziehen. Das war die Semantik des so irrwitzigen wie totalen Krieges, die Strategie des Alles-auf-eine-Karte-setzens, die sich in Hitlers Vorstellungswelt schon im Aufstiegskampf der NSDAP zur Macht so bewährt hatte.

Generäle und Feldmarschälle aber wie von Brauchitsch, von Bock, Hoepner oder Guderian, die entweder wie von Brauchitsch den gesamten «Ostfeldzug als nicht gewonnen bezeichneten» oder wie von Bock oder Hoepner für umfassende Rückzüge in zu bildende Auffangstellungen plädierten, wurden nun in rascher Folge von Hitler entlassen oder baten selbst, zumeist mit Erkrankung oder Erschöpfung begründet, um die Entbindung von ihren Kommandos. Fast die Hälfte aller Generäle in hohen Kommandostellen wurde in den noch folgenden Jahren des Krieges abgelöst, versetzt und/oder gemaßregelt sowie mitunter auch wieder reaktiviert. Insofern markierte das Scheitern aller Blitzkriegpläne vor Moskau auch den Beginn der nun offen zutage liegenden Spannungen zwischen Hitler und Teilen seiner Generalität. Deren Mitverantwortung steht allerdings außer Frage; nach Beispielen einer auf militärischem Sachverstand beruhenden Widerständigkeit gegenüber Hitlers Befehlen sucht man vergebens.

Zum Zeitpunkt der Niederlage vor Moskau, im Dezember 1941, hatten die Planungen für den in Aussicht genommenen Frühjahrsfeldzug längst begonnen. Wie schon die Vorbereitung des Überfalls auf die Sowjetunion im Juni 1941 waren auch sie durchdrungen von der Absicht, den Gegner zu vernichten. Der «Vernichtungsgedanke» ist wörtlich zu nehmen und betraf sowohl die «Behandlung» der Bevölkerung in den zu erobernden Gebieten bzw. der Gefangenen wie auch den militärischen Feind. In den bereits eroberten Gebieten gingen die Vernichtungspläne, konkretisiert in der Zerstörung der Städte und der Industrie sowie der rücksichtslosen Nutzung von landwirtschaftlichen Erzeugnissen, nach wie vor verstärkt mit der Ermordung großer Teile der Bevölkerung einher.

In diesem Zusammenhang gehörten die Kriegsgefangenen und die Juden, in denen die Eingreiftruppen der SS und des SD sowie die mehrheitlich nationalsozialistisch ideologisierte Wehrmacht per se Partisanen und der deutschen Herrschaft feindlich gesinnte «Saboteure» und «Hetzer» sahen, zu den bevorzugten Opfergruppen. Dabei scheinen insbesondere die Massenerschießungen von Juden ab September/Oktober 1941 in den bis dahin besetzten sowjetischen Landesteilen mit der Mitte September 1941 gefallenen Entscheidung zusammenzuhängen, mit der Deportation der deutschen Juden – und schließlich auch der Juden aus den von der Wehrmacht besetzten Ländern – in die nun allmählich entstehenden Vernichtungslager im okkupierten Polen zu beginnen. Gegen Ende des Jahres 1941 schließlich waren erstmals «Experimente» angestellt worden, die die technischen Voraussetzungen für die dann seit Sommer 1942 einsetzende «Ausrottung» aller europäischen Juden bildeten, derer man habhaft werden konnte: Das Giftgas Zyklon B wurde an einigen hundert sowjetischen Kriegsgefangenen «ausprobiert» und die Erfurter Firma Topf und Söhne erhielt den Auftrag zum Bau eines großen Krematoriums im bis dahin noch «nur» als Konzentrationslager genutzten Lagerkomplex in Auschwitz.

Daneben stand der «Vernichtungsgedanke» seit den Tagen von Clausewitz und Schlieffen im Mittelpunkt des deutschen militärischen Führungsstils. Damit soll natürlich keineswegs ein direkter Zusammenhang zwischen der aus rassenideologischen und kriegsökonomischen Gründen durchgeführten «Vernichtung» der Bevölkerung und der wie auch immer begründeten, in der strategisch-taktischen Planung jeder Armee bedeutsamen «Vernichtung» des militärischen Gegners konstatiert werden. Die besonders...

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