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Es war ein Unfall – oder?
Ich habe niemals mit so etwas gerechnet.
Es war ein kühler Abend im März 1999. Ich befand mich auf dem Nachhauseweg, nachdem ich in einem kleinen Geschäft in der Nachbarschaft, nur wenige Blocks von meiner Wohnung entfernt, einen Laib Brot gekauft hatte. Seit zehn Jahren ging ich diesen Weg jeden Tag. Immer brauchte ich irgendetwas, und mir gefiel es, abends nach einem Zwölfstundentag als Installateur zur Entspannung noch ein wenig zu laufen. Der Laden war jeden Abend bis zehn Uhr geöffnet und war daher das perfekte Ziel, wenn ich noch ein wenig frische Luft tanken wollte.
Die Straßen in der Gegend waren sicher und nicht bekannt für kriminelle Aktivitäten. Allerdings missachteten manchmal verrückte Autofahrer, die es eilig hatten, Halteschilder oder rote Ampeln.
Ich halte mich für einen ziemlich aufmerksamen Menschen, und ich war ständig in meinem Stadtteil – der Bronx – unterwegs, und das meist zu Fuß. Dabei hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, mich erst nach beiden Seiten umzublicken, bevor ich viel befahrene Straßen überquerte.
Aber an jenem Abend war es anders. Vielleicht war ich in meinen Gedanken versunken und grübelte über die am nächsten Tag zu erledigenden Installationsarbeiten. Um ehrlich zu sein, erinnere ich mich nicht einmal daran, dass ich losmarschiert bin. Und in dem Moment, in dem ich bemerkte, was geschah, war es bereits zu spät.
Ich stand am Bordstein und war gerade dabei, die Straße zu überqueren, als ein Auto ohne Licht aus dem Nichts kam. Es raste auf mich zu, und ich wurde durch die Luft geschleudert. Nachdem ich mit voller Wucht auf den Boden geprallt war, schlitterte ich noch auf Armen, Rumpf, Schultern und Kopf über den Asphalt. Durch die Kraft der Reibung wurden meine Haut und meine Muskeln fast bis zum Knochen weggeschmirgelt.
Ich habe den Fahrer nicht gesehen. Ich könnte nicht sagen, welche Marke oder welches Modell er fuhr oder auch nur, welche Farbe das Auto hatte. Alles, was ich weiß, ist, dass ich vierzig Jahre alt war, als ich starb.
Bis zu jenem schrecklichen Unfall führte ich ein ganz normales Leben. Ich wurde in eine katholische italienische Familie hineingeboren. Wir gingen regelmäßig in die Kirche und beachteten alle traditionellen katholischen Feiertage.
Aufgewachsen bin ich in Riverdale, einer irisch-jüdischen Gegend in der nordwestlichen Bronx. Riverdale ist ein schmaler, hügeliger Streifen Land am Hudson River. Die meisten Menschen halten die Bronx für ein von Kriminalität, Drogen und Armut beherrschtes Stadtviertel, aber auf Riverdale trifft das nicht zu. Es ist eine grüne Gegend mit Bäumen und Einfamilienhäusern, netten Wohnungen und sogar Villen und einem großartigen Blick auf den Fluss. Riverdale bietet denen, die dort aufgewachsen sind, einen starken Zusammenhalt. Heute ist das Viertel sehr angesagt und mit teuren Eigentumswohnungen bestückt.
Ich besuchte eine katholische Schule und war ein ziemlich guter Schüler, obwohl ich nicht sonderlich fleißig war. Nach der Schule hingen meine Freunde und ich gemeinsam rum. Heutzutage gehen die Kinder nicht mehr raus, sondern kleben vor dem Computer, dem Fernseher oder ihrem Handy. Damals war das noch ganz anders. Es gab wenige organisierte Aktivitäten, und wir hatten keine wachsamen Eltern, die unsere Tage verplanten. Wir gingen einfach hinaus auf die Straße und sorgten selbst für unser Vergnügen. Es war eine Welt des Baseballs, des Fußballs, des Straßenhockeys und des Fahrradfahrens, und wenn mal Autos vorbeifuhren, frustrierte uns das. Dadurch, dass ich jeden Tag eineinhalb Stunden mit dem Rad die Hügel von Riverdale rauf- und runterfuhr, bekam ich sehr muskulöse Waden.
Meine Familie wohnte in einem zweistöckigen Haus, und wir hatten die zweite Etage belegt. Neben dem Haus lag ein freies Grundstück. Meine Freunde und ich spielten da die ganze Zeit. An einem der Bäume hing eine Schaukel, mit der wir viel Spaß hatten. Riverdale war ein wunderbarer Ort für uns Kinder.
Ich blieb immer bis fünf Uhr draußen; dann wollten meine Eltern, dass ich zum Abendbrot kam. Meine Mom war und ist eine exzellente italienische Köchin, der es große Freude machte, für ihre Familie Speisen zuzubereiten. Das bedeutete: »Iss deinen Teller leer. Ich habe hart für diese Mahlzeit gearbeitet!« Ihre gehaltvollen, soßenreichen Abendessen mit Bergen von Brot und Pasta und unsere abendlichen Nachtische waren meiner Figur nicht gerade dienlich. Ich hatte die Art von Körper, die man gemeinhin als »kräftig« bezeichnet, eine freundliche Umschreibung von »fett«.
Da ich ein übergewichtiges Kind war, entwickelten sich die Einkäufe von Schulkleidung zum Albtraum. Meine alten Schulfotos geben einen Eindruck davon. Damals bevorzugte ich Streifen in ausdrucksvollen, kräftigen Farben. Man kann sagen, dass ich als Kind fett, nicht gerade stilsicher und offenbar irgendwie farbenblind war.
Im Sommer wurde ich in ein katholisches Ferienlager geschickt. Aber ich lief weg, mir gefiel es dort nicht. Ich verbrachte meine Zeit lieber im Schwimmklub in meiner Nachbarschaft, wo es ein Freiluftschwimmbecken mit olympischen Abmessungen gab. Meine Freunde besaßen die Schlüssel, um hineinzukommen und wieder abzuschließen, also ging ich nach getaner Arbeit schwimmen. Ich schwamm bei einigen lokalen Wettbewerben mit und gewann sogar ein paar Goldmedaillen. Das Schwimmbecken war ein angenehmer Ort für mich. Wenn man übergewichtig ist, hält einen das Wasser in Schwung. Wenn man im Wasser schwimmt, fühlt man sich nicht so dick wie an Land.
Ich war immer ein emsiges Kind, weil ich gern mein eigenes Geld haben und außerdem für ein Auto sparen wollte. Als ich elf Jahre alt war, bekam ich einen Job als Zeitungsausträger. Ich schaffte es, sechzig bis siebzig dauerhafte Abonnenten zu bekommen. Ihnen gefiel meine Zuverlässigkeit, und sie gaben mir ein gutes Trinkgeld. Ich musste morgens um halb sechs aufstehen, um meine Zeitungen für die Auslieferung vorzubereiten. Also gewöhnte ich mich, schon bevor ich ein Teenager war, an einen strengen Zeitplan. Die Zeitungen mussten bis sieben Uhr morgens an der Türschwelle aller Abonnenten liegen. Ich lernte, hart und schnell zu arbeiten, und lieferte die Zeitungen mit dem Fahrrad aus, manchmal auch zu Fuß.
Die Zeitungslizenz gehörte einem Mann, der Alkoholiker war. Er vertrank jede Woche alle Gewinne. Frustriert bat mich seine Frau, das Geld zu kassieren. Sie schloss es dann zur Aufbewahrung weg, damit er nicht drankommen konnte. Ich tat, worum sie mich gebeten hatte, und gab ihm nur noch 50 Dollar die Woche. So wurde ich zum Torwächter der Einnahmen, weil sie mir vertraute.
Sobald ich mit dem Zeitungsaustragen fertig war, eilte ich nach Hause und machte mich für die Schule fertig. Ich fuhr jeden Morgen einen weiten Weg mit dem Bus, und diese Zeit nutzte ich, um noch schnell alle Hausaufgaben zu erledigen, die ich am Abend zuvor nicht beendet hatte.
Im Winter wurde der Schwimmklub zur Eislaufbahn. Und dort erhielt ich im Alter von vierzehn Jahren meinen nächsten Job. Ich habe immer sehr gern gearbeitet, und jetzt lernte ich, jede Arbeit auszuführen, die im Umfeld der Eislaufbahn getan werden musste. Ich fuhr die Kehrmaschine, was ein Riesenspaß war. Ich half beim Schlittschuhverleih. Ich verkaufte Pizza und Sprudel am Imbissstand.
Die Eislaufbahn war ein beliebter Treffpunkt. Familien aus der gesamten weiteren Nachbarschaft, Eltern wie Kinder, drängten sich an den Wochenenden um die Eislauffläche. Es waren die Siebzigerjahre, und es war ein Ort der unbeschwerten Realitätsflucht. Damals waren die Stadt New York und die umliegenden Gemeinden in einem Prozess des Zerfalls, und es gab Kürzungen in den Dienstleistungsbereichen, die der Lebensqualität dienten. Dazu gehörten die Polizei, die Parkverwaltung und die Schulen. Es war auch die Zeit der Stromausfälle. Das städtische Stromversorgungssystem brach einfach zusammen, und Millionen von Menschen saßen plötzlich im Dunkeln. Überall kam es zu Plünderungen, und viele Gebäude wurden niedergebrannt.
Also kamen die Leute zur Eislaufbahn, um all das zu vergessen und ihren Spaß zu haben. Wenn ich die Augen schließe, taucht alles wieder vor mir auf. Ich kann noch immer hören, wie die Metallkufen der Schlittschuhe in das frische Eis schnitten und es zerpflügten. Ich kann sehen, wie glückliche junge Paare Hand in Hand zu den Tönen altmodischer Orgelmusik dahinglitten. Niemand musste sich um irgendetwas Sorgen machen. Die Eislaufbahn war ein Ort der Erholung, ein Winterwunderland mitten in einer häufig chaotischen Stadt.
Durch meinen Job bei der Eislaufbahn entdeckte ich, dass es mir sehr gefiel, mit Publikum zu arbeiten. Man könnte wohl sagen, dass ich ein geselliger Mensch bin. Ich war nie zu schüchtern, um mit einem Fremden ein Gespräch zu beginnen, und so bin ich immer noch. Ich spreche mit jedem! Daher dauerte es nicht sonderlich lange, bis ich nahezu jeden kannte, der zur Eislaufbahn kam. Ich genoss es auch, gute Schlittschuhläufer dabei zu beobachten, wie sie ihre Kunststücke auf dem Eis vollführten. Ich selbst war ein jämmerlicher Schlittschuhläufer.
Meine Eltern waren emsige Sparer. Sie haben mir auf jeden Fall eine ausgeprägte Arbeitsethik und einen Drang zur Unabhängigkeit vermittelt. Sie hielten nichts vom Schuldenmachen und kauften nur Dinge, die sie bar bezahlen konnten. In diesem Geiste haben sie mich erzogen. Ich sparte das Geld, das ich durch das Zeitungsaustragen verdiente. Aber ich wusste, wenn ich mir eines Tages ein Auto kaufen wollte, musste ich den Job als Zeitungsausträger und die Arbeit auf der Eislaufbahn behalten, um mein Sparziel möglichst schnell...