Jetzt geht’s los!
Sie drücken die bis zum Filter runtergerauchte Zigarette in eine Mauerritze im Treppenhaus. Gehen ein paar Stufen hinab ins Dunkle. Öffnen eine schwere Eisentür und eine schwüle, dampfende Hölle schlägt Ihnen erbarmungslos entgegen. Der Lärm und die Hitze scheinen unerträglich und Sie finden sich plötzlich umzingelt von schreienden Gladiatoren und wild gewordenen Piraten, die Pfannen und Töpfe, aus denen meterhohe Flammen schlagen, auf scheinbar riesigen Herden zur hämmernden Musik von „Nine Inch Nails“ zum Tanzen bringen. Ein Bon schwebt wie ein Schmetterling im Frühling an Ihnen vorbei, um in der nächsten Sekunde von einem Küchensäbel an die Wand geheftet zu werden. Ein dunkelhäutiger, muskelbepackter Zombie greift mit seinen riesigen, vernarbten Händen, auf denen Schwielen und Brandblasen ein kubistisches Muster hinterlassen haben, nach Ihnen und brüllt: „Wo bleibt die Bestellung für die vier?“ Sie werden herumgeschubst, angeschrien, glühende Augen scheinen Sie zu verfluchen und nur darauf zu warten, Sie in der nächsten kurzen Pause endgültig zu erledigen. Bestellungen exotisch klingender Gerichte in unbekannten Sprachen werden in den Raum gebrüllt. Männer mit rußigen Gesichtern schaufeln Kohlen in riesige Öfen, in denen ganze Ochsen braten, die mit monströsen Pinseln von kleinen geschickten Äffchen in Kochjacken und Mützen mit zähen Säften bestrichen werden. Am anderen Ende der Hölle steht ein wunderschöner Engel – gefangen in einem Licht aus Liebe und Sehnsucht – und flüstert leise: „Kommst du?“
Sie versuchen zu ihr zu gehen, aber auf dem schmierigen, öligen Boden kommen Sie nur Millimeter für Millimeter voran. Sie rutschen aus, reißen einen mächtigen Arm nach unten und eine Pfanne voller heißer, fettglänzender Speisen schwebt wie in Zeitlupe über Ihnen. Muscheln, Tintenfische und Spaghetti scheinen wie eine wunderschöne Wolkenformation an einem sardischen Sommertag über Ihnen stillzustehen, um im nächsten Augenblick schmatzend auf Sie herunterzukrachen. Wie Würmer fliehen die Spaghetti in dunkle Ritzen und die Muscheln hüpfen klappernd weg von Ihnen, um in die Freiheit zu entkommen. Der Henker, dessen Arm Sie jäh ins Nichts gerissen haben, beugt sich über Sie mit einem glänzenden Dolch und einem verächtlichen Grinsen, bereit zu töten. „Die Tomaten sind alle.“ Stammelt es aus Ihnen heraus. Und plötzlich ist es still. Da wo gerade noch tosender Lärm und Wut geherrscht haben, ist es still. Totenstill.
„Houston, we have a problem!“
Ein Albtraum.
MISE EN PLACE
Vielleicht ist die Realität weniger erschreckend, aber jetzt ist die Zeit gekommen, in der Sie wie ein Profi denken sollten, sonst wird der Traum vom perfekten Dinner platzen wie die Galle eines exotischen Fisches, dem Sie achtlos Ihr rostiges Messer in den Bauch gejagt haben. Beginnen Sie zu planen, sonst wird dieser beklemmende, furchtbare Traum, der erst nach einer ausgiebigen Dusche und einem Espresso Doppio langsam die Macht über Sie verliert, zur Realität.
Für alle Köche – Profis und Amateure – ist perfekte Vorbereitung ein Muss. Egal ob Sie für zwei Personen oder eine ganze Kompanie kochen.
Keine Diskussion. Stellen Sie sich einen Profi vor, der mitten im Mittagsgeschäft plötzlich anfängt, Kräuter zu hacken, Zwiebeln zu schälen, Butter zu schmelzen, das Backrohr vorzuheizen, das Salz zu suchen, oder noch mal los muss, um Shrimps für das Lunch-Special zu holen. Der Mann hat gerade seine Karriere beendet. Und das zu Recht. Chaos und Stress kommen von allein, wenn gleichzeitig 100 Bestellungen in die Küche kommen. Ist hier nicht alles perfekt vorbereitet, geht die Küche schneller unter als die Titanic.
Ihre Vorbereitung fängt schon Tage vor dem Essen an. Machen Sie sich klar, was Sie kochen wollen, und suchen Sie sich ein Rezept, das Sie auch meistern können. Passt das Rezept auch zur Jahreszeit? Es bringt nichts, ein Essen anzudenken, dessen Zutaten gerade keine Saison haben oder schlicht nicht passen. Ein Käsefondue gehört nicht zu einem heißen Sommerabend auf der Terrasse. Außer Sie wollen Ihre Gäste umbringen. Okay, das kann funktionieren. Bringt aber, falls Ihr Anwalt unter den Gästen war und seine Beratung dem Menü anpasst, zehn Jahre ohne Bewährung.
Machen Sie sich Gedanken, welche Geräte und Werkzeuge Sie brauchen, und beginnen Sie rechtzeitig, Listen anzufertigen. Listen sind das A und O einer erfolgreichen Operation.
Kochen Sie das Menü schon mal in Gedanken durch. Visualisieren Sie die Gerichte und die notwendigen Arbeitsschritte. Am besten im Bett kurz vor dem Einschlafen. Dann träumt es sich gleich viel besser. Hallo! Liegen bleiben! Kein Würstchen aus dem Kühlschrank holen!
Wenn Sie jetzt glauben, Sie haben kapiert, was ich Ihnen gesagt habe, und könnten das ganz allein, weil Sie schon groß sind, muss ich Sie enttäuschen. Sie haben noch keine Ahnung.
Also von Anfang an.
Ein riesiger Vorteil wäre, schon mal zu wissen, was Ihr Gast isst und was nicht. Für eine Frau, die sich für die Rechte aller Tiere mit Gesicht einsetzt, ihre Katzen „meine Kinder“ nennt und nach ihrer ersten und letzten Martinigans mehrere Jahre in Therapie war, ist Stubenküken kein passendes Gericht. Glauben Sie mir, der Abend wäre gelaufen, bevor er angefangen hat.
Wenn Sie ein Menü gefunden haben, von dem Sie annehmen, dass es Ihrem Gast gefallen wird, durchforsten Sie Ihre Küche und überprüfen, ob überhaupt alle notwendigen Messer, Töpfe, Pfannen, Schüsseln, Kochlöffel und was sonst noch so gebraucht wird vorrätig sind. Ein Schmorbraten in einem kleinen Aluminiumtöpfchen mit welligem Deckel geht nicht.
Sie brauchen nicht viel, aber Sie brauchen das gute Zeug. Profitöpfe sehen nicht nur cooler aus, sie funktionieren auch besser. Aber dazu kommen wir ein wenig später.
Als Allererstes sollten Sie Ihre Küche auf Vordermann bringen. Das ist Ihr Arbeitsplatz, Ihre Werkstatt. Werfen Sie einen Blick in Ihren Kühlschrank. Alles – nennen wir es mal Lebensmittel –, was im Kühlschrank ist und bei dem Sie sich nicht mehr erinnern können, was es ist und wann Sie es gekauft haben, darf entsorgt werden. Werfen Sie auch alles weg, was Sie sich für einen speziellen Moment aufh eben wollten. Der Moment kommt nicht. Vielleicht könnten Sie die Maschine auch mal abtauen und nachsehen, was sich hinter der Zweiraum-Arktis so alles versteckt. Ein sauberer und vielleicht auch desinfizierter Kühlschrank hat den fantastischen Vorteil, dass kurz hineingestellte Speisen nicht den linkischen Geschmack verrotteter Science Projects annehmen. Abgesehen davon, wollen Sie Ihren gerade frisch gekauft en Fisch und die schönen Fleischtomaten nicht zwischen das verklebte Mayonnaiseglas und das Gastronomievorratsglas Essiggurken stopfen. Schauen Sie doch mal nach, ich bin fast sicher, es ist nur noch eine mickrige Gurke drin. Raus damit. Sie brauchen Platz. Sie brauchen Ordnung.
Als Nächstes ist Ihre Arbeitsfläche dran. Die ganzen Souvenirs und der alberne Schrott, der sich auf der Küchentheke angesammelt hat, müssen weg. Trennen Sie sich endlich von der leeren Chiantiflasche, in der seit Jahren dieser vergammelte Kerzenrest steckt – so toll war es in Lignano auch wieder nicht. Sie brauchen Platz, kapiert? Je mehr, desto besser.
Wenn Sie einigermaßen Ordnung geschafft haben, geht es an die Vorbereitung. (Vielleicht sollten Sie zuerst das Kapitel „Shopping“ auf Seite 14 lesen. So ein Durcheinander.)
Bereiten Sie jede einzelne Zutat so vor, wie sie im Rezept beschrieben ist. Geschält, gehackt, gezupft, abgewogen, portioniert, wie auch immer. Verwenden Sie kleine Schüsseln, Teller oder Klarsichtfolie, egal was. Platzieren Sie alle Zutaten so, dass sie griffbereit vor Ihnen liegen. Gehen Sie noch mal in sich. Brauchen Sie die Butter kalt? – In den Kühlschrank. Brauchen Sie die Butter in Raumtemperatur? – Auf die Theke. Müssen die Schalotten gehackt sein und brauch ich sie als Erstes, oder sollen sie noch mal gut verpackt in den Kühlschrank, um frisch zu bleiben? Wo ist die Pfeffermühle, wo das Meersalz? Sind die Kräuter und Gewürze vorbereitet? Und so weiter, und so fort. Wenn alles nach Arbeitsschritten sortiert ist und in den richtigen Mengen und im richtigen Zustand griffbereit vor Ihnen liegt, kann fast nichts mehr schiefgehen. Das Gleiche gilt auch fürs Werkzeug. Das nennt man Mise en Place: vorbereitet, zurechtgelegt. So machen es die Pro᾽s.
Anders erklärt: Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade Ihre Süße aufs Bett geschmissen. Schmusen wie wild rum, haben echten Spaß. Ihre erregte Gespielin will sich Ihnen hingeben und Sie müssen noch mal weg, um in Ihrem chaotisch überfüllten Alibert ein Kondom zu suchen. Das dauert. Das dauert lang, das dauert unter Umständen viel zu lang. Sie hat keinen Bock mehr, Ihr bester Freund hat keinen Bock mehr, und alles nur, weil Sie nicht nachgedacht und sich nicht vorbereitet haben.
Mise en Place bedeutet für Sie auch: frische Unterhosen, Socken ohne Loch,...