I. Das Vorspiel
1. Vom Paläolithikum zur Eisenzeit
Spuren menschlicher Existenz finden sich in Süddeutschland – und damit auch dort, wo heute Bayern liegt – in der frühesten Phase der Altsteinzeit, die in die Wärmeperiode zwischen der Riß- und der Würmeiszeit (etwa 200000 Jahre v. Chr.) eingeordnet wird.
In der eisfreien Zone zwischen der mitteldeutschen Vergletscherung und den bis ins Alpenvorland reichenden Gletschern der Alpen hausten Menschen, die in Höhlen oder unter vorkragenden Felsdächern (Abris) an steilen Jurahängen Schutz vor den Unbilden der Witterung suchten. Sie ernährten sich aus der Beute von Jagd und Fischfang und vom Sammeln karger Waldfrüchte. Sie waren noch nicht seßhaft, sondern suchten besonders ertragreiche Jagd-, Fang- und Sammelgebiete periodisch auf. An dieser Lebensweise änderte sich auch nichts, als seit Beginn des Mesolithikums (Mittlere Steinzeit, etwa 8000 v. Chr.) mit der zunehmenden Klimaerwärmung Flora und Fauna sich änderten und die Siedlungsbedingungen im Gebiet südlich der Donau und im Alpenvorland besser wurden.
Erst in der Jungsteinzeit (Neolithikum, seit dem 4. Jahrtausend v. Chr.) werden hier Getreideanbau, Zucht und Pflege von Haustieren, die Töpferei und der Hausbau bekannt. Die Epoche der seßhaften Ackerbauern und Viehzüchter, die Jagd und Fischerei nur noch nebenbei betrieben, war angebrochen. Offenbar sind damals auch schon Völker aus Südosteuropa und aus Vorderasien hier durchgezogen.
Im 2. Jahrtausend v. Chr., am Ausklang des Neolithikums, wurden die Gewinnung von Kupfer und die Herstellung der Bronzelegierung bekannt. Beim Ausschmelzen der Metalle und beim Verarbeiten durch Gießen oder Schmieden erreichten die Bronzezeit-Handwerker große Fertigkeit. Hauptsiedelgebiete waren die fruchtbaren Landstriche südlich der Donau, das voralpine Moränenland und auch die Gebirgstäler, in denen Metalle gefunden wurden. In der Spätphase der Bronzezeit wird eine neue Bestattungsform üblich: Die Toten werden verbrannt, die Asche in Urnen gesammelt und diese in Grabfeldern beigesetzt. Danach erhielt die Epoche den Namen „Urnenfelderzeit“. Nekropolen, die längere Zeit belegt wurden, finden sich in ganz Bayern, besonders ausgedehnt ist die von Kelheim.
Die vorgeschichtlichen Epochen von der älteren Steinzeit bis in die Bronzezeit sind nur durch Bodenfunde und deren archäologische Interpretation erschließbar. Das gilt auch für das folgende Zeitalter, die Hallstattzeit, benannt nach dem wichtigen Fundort im oberösterreichischen Hallstatt. Neu ist nun die Verwendung von Eisen für unterschiedlichste Geräte und Waffen. Eisenstein gab es in größeren Mengen; das ausgeschmolzene Roheisen war widerstandsfähig und vielseitig bearbeitbar, so daß es als Werkstoff die allergrößte Bedeutung erlangte. Seit der Mitte des ersten Jahrtausends v. Chr. sind im Handwerk und Kunsthandwerk besonders qualitätvolle Stilelemente zu beobachten, die auch neue Entwicklungslinien in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft markieren. Das neue Zeitalter wird nach dem Hauptfundplatz bei La Tène am Neuenburger See in der Schweiz „Latène-Zeit“ genannt. Die Völkerschaften dieser Epoche werden der großen, über ganz Europa verbreiteten Population der Kelten zugeordnet.
2. Die Kelten
Wohl vom 5. Jahrhundert v. Chr. an kamen vom Westen her keltische Stämme in den süddeutschen Raum und integrierten die dort siedelnden Urnenfelder- und Hallstatt-Stämme. Sie bildeten die dominierende Schicht unter der Leitung einer geheimnisvolle Riten vollziehenden Priesterkaste, die in Gallien als „Druiden“ bezeichnet wurde. Aus antiken Schriftquellen (z.B. dem ‚Tropäum Alpium‘ aus der Zeit um Christi Geburt) kennen wir die Namen keltischer Völker: Die Vindeliker bevölkerten die schwäbisch-bayerische Hochebene im Osten bis zum Inn; östlich von ihnen lebten die Noriker; westlich davon und südlich und nördlich vom Bodensee die Helvetier; im zentralen Ostalpengebiet die Raeter. Ebenfalls den Kelten zuzuordnen sind die Boier, nördlich der Donau und bis nach Böhmen hinein. Dabei handelte es sich um größere Stammesverbände, die ihrerseits wieder in kleinere Gruppen gegliedert waren. So gelten die Licates, wohl am Lech (Licca) hausend, mit den Runcinates, Cosuanetes und Catenates als die wichtigsten Vindeliker-Stämme. Hauptort der Vindeliker war das weitläufige Oppidum (Stadt) bei Manching südlich der Donau. Im 2. Jahrhundert v. Chr. gab es dort Eisenschmieden, Werkstätten für Bronzeguß, Glasherstellung und Münzprägung. Die hier hergestellten Goldmünzen („Regenbogenschüsselchen“) fanden weite Verbreitung. In den Töpferwerkstätten wurden auf der Drehscheibe große Serien von Keramikartikeln produziert. Verschiedene andere Oppida in Nord- und Südbayern erreichten nicht die Bedeutung des Manchinger Wirtschafts- und Herrschaftszentrums. Über das ganze Land verstreut finden sich regelmäßig angelegte Viereckschanzen, die wohl als temenoi (Kultstätten) zu deuten sind.
Manching lag am Ende des 1. Jahrhunderts v. Chr. in Trümmern. Ob dies die Folge von Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen keltischen Stämmen oder der über das Keltenland hereinbrechenden römischen Okkupation war, ist umstritten.
3. Die römische Herrschaft in Bayern
Jedenfalls begann mit den Jahren 16/15 v. Chr. eine neue Epoche für Vindelikien: Jetzt gewannen die imperialen römischen Planungen für das nördliche Alpenvorland schicksalhafte Bedeutung. Die raetischen Völker in den Ostalpen, die vindelikischen Stämme im Alpenvorland bis zur Donau und die seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. von Nordosten aus Böhmen über das Maingebiet bis zum Oberrhein hereinsickernden germanischen Scharen der Sueben mochten von Rom als Bedrohung empfunden worden sein. Mit den Norikern im Osten hatte die römische Republik noch ein mehr oder weniger friedliches Auskommen arrangiert. Nun, zur Augusteischen Zeit, plante Rom, den großen Raum zwischen dem Ober- und Mittelrhein und den Alpen ins Imperium einzugliedern; vielleicht sollten diese Länder die Basis bieten für den weiteren Vorstoß ins freie Germanien. Dazu ist es dann zwar nicht gekommen, aber die Feldzüge der Augustus-Söhne Drusus und Tiberius im zweiten Jahrzehnt v. Chr. beseitigten die Keltenherrschaft von Helvetien im Westen bis Vindelikien im Nordosten.
Die keltische Bevölkerung des Landes zwischen Bodensee und Wiener Wald und beiderseits der oberen Donau paßte sich in den folgenden Generationen der römisch geprägten Lebensform und Kultur so vollständig an, daß ihre Eigenständigkeit und ihre Sprache untergingen. Bemerkenswert ist, daß einige Flußnamen (wie Isar, Altmühl, Main, Ilz) und auch Ortsbezeichnungen (Campodunum-Kempten, Lauriacum-Lorsch, Abodiacum-Epfach, Boiodurum-Beiderwies bei Passau) erhalten blieben. Sonst aber mußten sich die Kelten der römischen Integrationskraft ebenso fügen, wie sie ihrerseits ein halbes Jahrtausend vorher die Hallstatt-Stämme in ihr Kultur- und Herrschaftssystem gezwungen hatten. Jetzt mußten junge Raeter und Vindeliker im römischen Heer dienen, weitab ihrer Heimat.
Im Land entstanden römische Siedlungen (villae rusticae), Kastelle und Städte (civitates); die Stein- und Mauerbautechnik setzte sich durch; große, nach Militärgesichtspunkten geplante Fernstraßen (sogenannte Römerstraßen) wurden angelegt, die das bestehende örtliche Wegesystem der Keltenzeit mit modernen Mitteln erschlossen und großräumig zusammenfaßten.
Die Grenze gegen das Gebiet der Germanen zog der römische Limes, der zur Zeit Kaiser Hadrians (117–138) als starker Palisadenzaun zur Grenzüberwachung und Grenzsicherung gegen die nördlich und östlich von Obergermanien und Raetien sitzenden germanischen Stämme fertiggestellt war. In der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts n. Chr. wurde der raetische Abschnitt vom württembergischen Lorch bis an die Donau bei Hienheim gegenüber dem Kastell Eining (Abusina) als zweieinhalb bis drei Meter hohe Steinmauer ausgebaut. Dahinter lagen diesseits und jenseits der Donau zahlreiche befestigte Militärstützpunkte und Zivilsiedlungen.
Die bedeutendste dieser Siedlungen war Augusta Vindelicum (Augsburg), die Hauptstadt der Provinz Raetien seit etwa 50 n.Chr. Als Legionslager wurde Castra Regina (Regensburg) stark ausgebaut; die Reste der 179/180 n.Chr. fertiggestellten Ummauerung sind die bedeutendsten römischen Baudenkmäler, die in Raetien erhalten blieben. Diese Befestigungsanlagen am nördlichsten Punkt der Donau gegenüber der Regenmündung sind als Antwort auf die Bedrohung zu sehen, die bald nach 160 die Angriffe germanischer Stämme auf Obergermanien, Raetien und Pannonien brachten. Zwar wurden diese Raubzüge der Germanenvölker abgewehrt und auch die Romanisierung des Landes ging vor allem durch die Ansiedlung römischer Veteranen weiter. Aber im 3. Jahrhundert überrannten die Alamannen mehrfach die Limeslinien (besonders 233 und 259/260), zogen mit Raub und Brand durch die...