Einführung
Die Antike als Epoche der Technikgeschichte
In der Gegenwart besteht Einigkeit darüber, dass Produktion, Verkehr und Kommunikation in den modernen Industriegesellschaften grundlegend von der Technik und von technischen Innovationen bestimmt sind; Datenverarbeitung und die großen technischen Systeme wie die Versorgungsnetze für Wasser, Energie und Information gewinnen weiterhin an Bedeutung. Unter dem Eindruck der Relevanz technischen Wandels in der Gegenwart hat die Geschichtswissenschaft sich stärker der Technikgeschichte zugewandt; dabei hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass auch die Technik der vormodernen Agrargesellschaften ein wichtiges Thema historischer Forschung darstellt. In neueren technikhistorischen Arbeiten wird Technik allgemein so definiert, dass der Begriff nicht nur für die Industriegesellschaften, sondern auch für die vormodernen Gesellschaften Gültigkeit beanspruchen kann: Im Verständnis der modernen Techniktheorie umfasst Technik – allgemein formuliert – solche Artefakte, Sachsysteme, Verfahren und menschliche Handlungen, die nutzenorientiert zur Gewinnung und Umwandlung von Stoffen sowie zur Herstellung von Artefakten eingesetzt werden.
Obgleich die Industrielle Revolution als eine tiefe Zäsur in der Menschheitsgeschichte zu begreifen ist und die vorangegangenen Gesellschaften insgesamt als vorindustrielle Agrargesellschaften charakterisiert werden können, bleibt es eine wichtige Aufgabe der Technikgeschichte, eine präzise Periodisierung der technischen Entwicklung vorzunehmen und die Epochen der Technikgeschichte unter technischen Aspekten voneinander abzugrenzen. Hierbei ist es möglich, sich an der Existenz technischer Systeme zu orientieren. Die in einer Epoche verwendeten Werkzeuge oder Geräte und die in der Produktion angewendeten Verfahren existieren keineswegs unabhängig voneinander, sondern weisen enge wechselseitige Beziehungen auf. Die Einsicht in diesen Zusammenhang verschiedener technischer Bereiche besaß in der Antike bereits Platon, der in seinen Dialogen ‹Politeia› und ‹Politikos› darauf hinweist, dass ein Handwerker die Werkzeuge für ein anderes Handwerk herstellt, so etwa der Tischler das Weberschiffchen, das in der Textilherstellung verwendet wird. Selbst die Landwirtschaft liefert nach Platon nicht nur Lebensmittel für die Bevölkerung, sondern auch Arbeitstiere etwa für die Fuhrleute. Die Technik einer Epoche stellt damit ein Ensemble von Werkzeugen, Geräten, Installationen und Verfahren dar, das als technisches System aufgefasst werden kann. Wenn die Antike als eine Epoche der Technikgeschichte verstanden werden soll, ist es notwendig, zunächst die wesentlichen Merkmale der antiken Technik zu beschreiben und zwischen der antiken Technik und der Technik früherer und späterer Epochen klar zu differenzieren.
Als ein grundlegendes Kennzeichen der antiken Technik muss die Dominanz der Landwirtschaft genannt werden, deren Produktivität so gering war, dass etwa achtzig Prozent der Menschen auf dem Lande arbeiten mussten, um für sich und die übrige Bevölkerung Nahrungsmittel und andere Agrarerzeugnisse zu produzieren. Ferner sind in diesem Zusammenhang auch die Energiequellen, die einer Gesellschaft zur Verfügung stehen, von Relevanz. In der Antike handelte es sich vorrangig um die menschliche und die tierische Muskelkraft; die Nutzung der Wasserkraft setzte erst im frühen Principat (seit Augustus, 27 v. Chr.–14. n. Chr.) ein und blieb weitgehend auf das Mahlen des Getreides beschränkt. Daneben lieferte die Verbrennung von Holz und von Holzkohle die thermische Energie für die Zubereitung von Nahrung und für verschiedene Arbeitsprozesse im Handwerk, so für die Metallverarbeitung oder für das Brennen von Keramik. Als drittes wesentliches Merkmal ist die Verwendung der Werkzeuge zu erwähnen. Die antike Technik war eine Handwerkszeug-Technik: In der Produktion arbeitete der Handwerker mit einfachen Werkzeugen oder einfachen mechanischen Instrumenten; mit dem Werkzeug wirkte der Handwerker unter Aufwendung eigener Muskelkraft auf den Arbeitsgegenstand ein und formte ihn entsprechend seiner Vorstellung von dem fertigen Produkt. Unter den Metallen, die in der Antike in großem Umfang verarbeitet wurden, sind Kupfer und Bronze sowie Eisen zu nennen.
Im Mittelalter, das wie die Antike agrarisch geprägt war und sich in dieser Hinsicht strukturell kaum von der Antike unterscheidet, wurden gegenüber der Antike bedeutende technische Fortschritte erzielt: Durch die Verbesserung des Transmissionsmechanismus, durch die Konstruktion der Nockenwelle, war es möglich geworden, die Rotationsbewegung des Wasserrades in eine hin- und hergehende Bewegung oder in eine Stampfbewegung umzuwandeln; auf diese Weise konnte die Wasserkraft für völlig verschiedenartige Arbeitsprozesse genutzt werden, etwa zum Zerkleinern von Erz, zum Betrieb von Blasebälgen bei der Verhüttung, zur Wasserhaltung in Bergwerken, zum Walken von Tuchen oder zum Ziehen von Draht. Die Mühle, die Produktionsstätte, die mit Wasserkraft arbeitete, fand im Gewerbe des Mittelalters eine weite Verbreitung. Ein weiterer Fortschritt war in der Metallurgie und in der Feinmechanik mit der Konstruktion von Uhren gegeben, die durch den Gewichtszug in Bewegung gesetzt wurden. Zudem ist auch in der Landwirtschaft ein Innovationsschub feststellbar; so hat die Einführung der Dreifelderwirtschaft – der Wechsel von einem zweijährigen Anbau verschiedener Feldfrüchte mit einjähriger Brache – und die Verwendung verbesserter Ackergeräte die Produktivität im Agrarbereich deutlich erhöht. Diese Innovationen haben die Technik so weit verändert, dass eine klare Unterscheidung von antiker und mittelalterlicher Technik möglich ist.
Die antike Technik hat viele Errungenschaften Ägyptens und des Vorderen Orients übernommen. Obgleich in Ägypten und Mesopotamien im Bereich der Skulptur, der Monumentalarchitektur und der Infrastruktur eminente technische Leistungen vollbracht wurden, legen die späteren technischen Entwicklungen in Griechenland und Rom durchaus eine Abgrenzung zur Technik des Alten Orients nahe. Die weit verbreitete Verarbeitung von Eisen, neue Produktionsmethoden in der Keramikherstellung, neue Verfahren in der Glasherstellung, die Anwendung neuer Verfahren im Bauwesen, die Verwendung neuer Baumaterialien und die Entwicklung der einfachen mechanischen Hilfsmittel zu leistungsfähigen Instrumenten rechtfertigen es, der antiken Technik eine Eigenständigkeit gegenüber der Technik der älteren Kulturen des Alten Orients zuzuschreiben.
Aufgrund dieser Feststellungen kann der historische Ort der antiken Technik präzise erfasst werden: Die vorindustrielle Agrargesellschaft war in der Zeit des Neolithikums, der Jungsteinzeit, entstanden, ein Vorgang, der oft auch als «neolithische Revolution» bezeichnet wird. Die Menschen gingen zwischen 10.000 und 8000 v. Chr. in Vorderasien dazu über, ihre Nahrungsmittel durch Getreideanbau und Tierhaltung zu produzieren; damit war auch die Entwicklung handwerklicher Techniken verbunden: Damals begannen die Menschen, aus Ton Keramikgefäße herzustellen und aus Wolle Kleidung zu fertigen. Mit der Sesshaftigkeit ging der Hausbau einher, und die zunehmende Beherrschung des Feuers und der kontrollierte Umgang mit hohen Temperaturen führten dazu, dass dann auch Metalle, zunächst Kupfer, verarbeitet werden konnten. Mit diesen Entwicklungen waren die Voraussetzungen für die Entstehung von Hochkulturen in den großen Stromtälern Ägyptens und Mesopotamiens gegeben, und auf diesen Errungenschaften beruhte auch die griechische und römische Zivilisation.
Die Agrargesellschaften hatten Bestand bis zum Beginn der Industrialisierung, die durch den grundlegenden Wandel der Produktion, durch die Entstehung des Fabriksystems und durch die Durchsetzung der Marktwirtschaft die tradierten sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse einem fortdauernden Prozess der Veränderung unterwarf. In diesem Rahmen kann die Antike als eine wichtige Epoche der Technikgeschichte bewertet werden, eine Epoche, die auf der Grundlage der älteren Zivilisationen des Vorderen Orients die technischen Möglichkeiten in großem Umfang erweiterte und damit das Fundament für weitere technische Fortschritte im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Europa legte.
Ein Tatbestand verdient an dieser Stelle Beachtung: Die Entwicklung der antiken Technik war mit der Entstehung einer Begrifflichkeit für den Bereich technischen Handelns verbunden, und noch die moderne Terminologie leitet sich zumindest partiell von griechischen und lateinischen Begriffen ab. So stammt das neuzeitliche Wort ‹Technik› vom griechischen techne ab, mit dem zunächst verschiedene Zweige des Handwerks bezeichnet wurden; das Wort erscheint bereits in den Epen Homers im Zusammenhang mit der Arbeit des Schmiedes oder des Zimmermanns.
Bodenschätze, Böden, das Klima und das Meer – Die naturräumlichen Voraussetzungen der antiken Technik
Die technische Entwicklung einer Gesellschaft ist immer auch durch die naturräumlichen Gegebenheiten bedingt, mit denen diese Gesellschaft konfrontiert ist. Wirtschaftliche Aktivitäten und technische Innovationen können als eine Antwort auf die Herausforderungen der natürlichen Umwelt, auf das Klima und die natürlichen Ressourcen eines Raumes, begriffen werden. Diese Feststellung...