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E-Book

Mit Feuer und Schwert

Wie Christen heute im Nahen Osten verfolgt werden

AutorHans-Joachim Löwer
VerlagStyria Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783990404225
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Tod im Namen der Religion Hassparolen an Klostermauern, Brandanschläge auf Kirchen, Menschenhatz auf offener Straße: Die Christen im Nahen Osten erleben eine blutige Zeit. Fanatische Islamisten, aber auch extremistische Juden haben ihnen den Kampf angesagt. Ausgerechnet in der Region ihres Ursprungs ist eine zweitausendjährige Kultur vom Untergang bedroht. Drei Monate lang recherchierte Hans-Joachim Löwer an den Fronten des derzeit größten Konfliktherds der Welt, von der Türkei über Syrien bis nach Ägypten. Er traf einen gefolterten Priester, traumatisierte Flüchtlinge und Mönche, aber auch Christen, die mit Waffen um ihr Überleben kämpfen. Doch es gibt nicht nur Hass: Der Autor entdeckte auch erstaunliche Projekte interreligiöser Zusammenarbeit, die aller Gewalt trotzen und Hoffnung für eine friedlichere Zukunft geben. Aus dem Inhalt • Vakifli (Türkei): Wie das letzte Armenierdorf mit seiner Geschichte umgeht • Wadi Natroun (Ägypten): Wie koptische Mönche mit ihren muslimischen Nachbarn leben • Maala (Syrien): Wo ein Pilgerort zum Schlachtfeld wird • Sinya (Irak): Wie eine christliche Familie sechs Monate unter dem 'Islamischen Staat' übersteht • Jerusalem (Israel): Wie radikale Kräfte auf Kirchenmänner losgehen • Bethlehem (Palästina): Weshalb Christen den Geburtsort Jesu verlassen u.v.m.

HANS JOACHIM LÖWER, geboren 1948, war 16 Jahre lang Auslandsreporter des 'Stern' und von 1999 bis 2000 Redakteur für die deutschsprachige Ausgabe von 'National Geographic'. Er bereiste Afrika und Lateinamerika, den Nahen Osten und große Teile Asiens. In den 1990er-Jahren leitete er Selbsthilfeprojekte in Mexiko, Guatemala, Peru, Kolumbien, Brasilien, Südafrika und Namibia. Hans-Joachim Löwer unternahm spektakuläre Rucksacktouren, u. a. 2003 durch Israel und die Palästinensergebiete. Er ist Autor zahlreicher Bücher.

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Leseprobe

KAPITEL 1 · VAKIFLI – TÜRKEI

„Fühlt ihr euch hier eigentlich wohl?“


Wie das letzte Armenierdorf mit seiner Geschichte umgeht

Bin ich im Garten Eden angekommen? Rote Rosen, die Toreingänge überwölben. Gelbe Ginstersträucher, die in der Sonne leuchten. Orangen- und Zitronenbäume zu beiden Seiten der Straße, die Früchte greifbar nahe und verführerisch durch das Blattwerk schimmernd. Hinter Geflechten aus Ästen und Zweigen verstecken sich schmucke Landhäuser und stille Villen – Residenzen des Rückzugs aus der lärmenden Welt. Ausflügler, die in Vakıflı landen, stoßen Rufe des Entzückens aus. Sie spähen durch die blühenden Büsche, um noch ein Stück mehr von diesem Paradies zu erhaschen. Zücken ihre Kameras, um ein paar Bilder mit nach Hause zu nehmen. Ziehen eine Schleife durch das verwunschene Dorf und spüren, dass hier irgendetwas anders ist. Vakıflı liegt an einem Hügel, 27 Kilometer südlich von Antakya, neun Kilometer vor der Mittelmeerküste. Wer hierherkommt, nimmt eine kleine Auszeit vom Leben. Ein Aquädukt, das die Gärten versorgt, zieht sich einen Steilhang entlang. Direkt an der Straße plätschern die Fluten über eine zehnstufige Treppe nach unten, ein Wasserfall als rauschender Höhepunkt des Dorfrundgangs.

An diesem Tag steigen nacheinander drei Brautpaare aus dekorierten Limousinen, um vor dieser Kaskade für Hochzeitsbilder zu posieren. Die angeheuerten Fotografen fangen die Frischvermählten in romantischen Posen ein: die Frau, von hinten zart an seine Schultern geschmiegt, der Mann, das Haupt ihr zugeneigt, dann beide lächelnd einander zugewandt, wie sie einen Blumenstrauß umfassen – Symbol des neuen, gemeinsamen Glücks. Ein Teehaus ist das Zentrum des Ortes. Hier stoppt alle zwei Stunden ein dolmuş, das türkische Sammeltaxi, das Vakıflı mit dem fünf Kilometer entfernten Städtchen Samandağ verbindet. Touristen parken ihre Autos vor der Terrasse, ehe sie ihren Bummel beginnen. Unter schattigen Bäumen sitzen alte Männer auf Plastikstühlen und verbringen den Tag mit tabla und sadranç, beliebten Brettspielen des Orients, die sie geradezu süchtig machen.

Dieses Dorf, so scheint es, ist eine pittoreske Sommerfrische, den Sorgen des Lebenskampfes enthoben. Es gibt auch keine Infotafel, die darüber aufklärt, welches Drama hier vor hundert Jahren ablief. Kein Monument, kein Museum, nichts. Es ist, als habe die laue Brise, die häufig über den Hang weht, das historische Drama in alle Winde verstreut. Oft wundern sich türkische Gäste, dass die Bewohner von Vakıflı untereinander nicht Türkisch sprechen. Es gibt hier auch keine Moschee, nur ein kleines, sorgsam gepflegtes Gotteshaus mit einem Kreuz auf dem Glockenturm. Die Grabsteine auf dem Friedhof gegenüber haben Inschriften in lateinischen, aber auch ganz andersartigen Buchstaben. Vakıflı ist ein armenisches Dorf – das einzige, das es in der Türkei noch gibt.

Es ist Sonntagmorgen und aus der Kirche dringen uralte Choräle hinaus in die Obstplantagen. Pater Avedis Tabașian kommt alle zwei Wochen aus Iskenderun, um hier eine Messe nach armenisch-apostolischem Ritus zu feiern. Pater Housig Hergelian aus Istanbul, der im Dorf seinen Urlaub verbringt, predigt allerdings lieber auf Türkisch. Die Leute hier würden ihn nur schlecht verstehen, weil das Armenisch von Vakıflı ganz anders klingt als das Armenisch, das in der Großstadtgemeinde am Bosporus gesprochen wird. Staunend lauschen die Touristen den seltsamen Lauten, Liedern und Gebeten, die da nach draußen dringen. Die Texte verhallen, ohne verstanden zu werden.

DIE ARMENIER

Die Armenier, eines der ältesten christlichen Völker, siedelten seit 2.700 Jahren bis Anfang des 20. Jahrhunderts im ostanatolischen Teil des Osmanischen Reiches. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurden sie wegen angeblicher Kollaboration mit Russland massenweise massakriert oder in Wüstenregionen deportiert. Schätzungen zufolge kam dadurch mehr als eine Million Menschen ums Leben. Der heutige Staat Armenien am Südrand des Kaukasus ging 1991 aus der Erbmasse der Sowjetunion hervor und hat drei Millionen Einwohner. Ein Großteil der Armenier aber lebt in der ganzen Welt verstreut. Die Armenisch-Apostolische Kirche zählt neun Millionen Mitglieder. Der Armenisch-Katholischen Kirche, die mit Rom uniert ist, gehören gut 500.000 Gläubige an.

Ich versuche das Schweigen zu durchbrechen, das sich über dieses Bergdorf gelegt hat. Panuş Çapar, Jahrgang 1932, gilt als jemand, der viel über die Geschichte weiß. Doch was er mir berichtet, liegt 200, 500, 1.000 Jahre zurück. Kein Wort darüber, was vor hundert Jahren geschah. Er habe zwar selber ein Buch geschrieben, lässt er mich wissen, das habe er aber noch niemandem gezeigt, denn er wolle es seinen Enkeln vererben, sozusagen als Vermächtnis seines Lebens. Eine Gruppe von Amerikanern, die mit ihrem Führer zu Besuch kommt, befreit ihn von meinen bohrenden Fragen. Wie mit der Reiseagentur besprochen, spielt er Flöte und singt alte armenische Lieder, die Gäste machen davon Videoclips und sind stolz, für ein paar Minuten ein lebendiges Stück „history“ in ihren Reihen zu haben.

Ich mache einen zweiten Versuch. Da ist Harabet Doğan, 1941 in Vakıflı geboren. Er war fünf Jahre Import-Export-Händler im Libanon und ging 1973 nach Deutschland. In Kirchenlamitz bei Hof arbeitete er in einer Porzellanfabrik, in Osnabrück in einer Margarinefabrik, dann machte er sich mit einem Lederwarengeschäft in Bad Essen selbstständig. Seit 2008, als er sich pensionieren ließ, verbringt er jedes Jahr sieben bis acht Monate in seinem Geburtsort. Es zieht ihn zurück zu seinen Wurzeln – doch was vor hundert Jahren geschah, darüber will auch er sich lieber nicht zu ausführlich unterhalten. „Es ist besser, die alten Wunden nicht wieder aufzureißen.“

Immerhin beschließt er, ein Foto sprechen zu lassen: Er bringt von zu Hause ein Bild mit, das schon vom Alter gezeichnet ist. Ein seltsames Monument aus Stein ist darauf zu erkennen, der linke Teil sieht aus wie ein Schiff, der rechte wie eine Kirche. Das Foto trägt eine Inschrift in armenischen Buchstaben, die Doğan aber gar nicht lesen kann, weil er in der Schule nie diese Zeichen gelernt hat. Wir holen Pater Housig herbei, nur er als Priester ist der armenischen Schriftsprache kundig, und der Kirchenmann liest uns feierlich vor: „Wir müssen uns den Mut unserer gefallenen Helden erhalten – wo immer wir auch leben.“

Dieses Foto bricht für kurze Zeit den Bann. Es zeige ein vier Meter hohes Monument, sagen Dorfbewohner, die mich jetzt neugierig umringen, Anfang der 1920er-Jahre hätten es Armenier errichtet und die Bausteine dafür auf Pferden hinaufgeschleppt. Es sei auf dem berühmten Höhenzug gestanden, an dessen Flanke Vakıflı liegt. 1982 hätten türkische Soldaten das Denkmal demoliert, weil es angeblich in der Türkei keine Armenier mehr gäbe, also auch kein armenisches Denkmal mehr nötig sei. Die verbliebenen Reste seien mittlerweile restauriert – aber es sei ein weiter, schwerer Weg dorthin, man brauche einen Esel dafür und einen ortskundigen Führer. Dann ist es aber auch genug mit diesem Thema und die Alten kehren zu ihren Brettspielen zurück.

Der Gipfel, von dem sie sprachen, heißt auf Deutsch „Berg Musa“. Unter seinem türkischen Namen „Musa Dagh“ ging er in die Weltliteratur ein. Wie kein anderer steht er für den Untergang eines Volkes, obwohl er ja zur Stätte einer geradezu wundersamen Rettung wurde. 1915, ein Jahr nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, führte der Ex-Offizier Moses Der Kalousdian rund 4500 Armenier aus umliegenden Dörfern auf diese 1355 Meter hohe Erhebung des Nur-Gebirges. Dort wollten sie den osmanischen Truppen Widerstand leisten, die Hunderttausende von Armeniern entweder gleich massakrierten oder auf Todesmärsche in die mesopotamische Wüste schickten. So wollten die Türken ihr zerbröckelndes Reich ein für allemal von diesem christlichen Volk säubern, weil es angeblich mit dem feindlichen Russland kollaborierte. Es war, so die Mehrheit der Historiker, ein Völkermord, der gut fünfundzwanzig Jahre vor Hitler mit der Judenvernichtung begann.

Die Armenier, die sich auf dem Bergrücken verschanzt hatten, sahen die Soldaten immer näher an ihre letzte Bastion heranrücken. In ihrer Verzweiflung hissten sie zwei Fahnen, die bis auf das Mittelmeer hinaus sichtbar waren. Die eine trug ein rotes Kreuz auf weißem Grund, die andere eine Aufschrift in englischer Sprache: „Christians in distress: Rescue!“ („Christen in Not: Rettet uns!“) Um den Blick darauf zu lenken, entzündeten sie abends ein Feuer. Nach ein paar Tagen entdeckten Matrosen eines französischen Kriegsschiffes, das vor der Küste kreuzte, die Fahne mit dem Schriftzug. Drei weitere Schiffe ihres Flottenverbands wurden hinzugerufen, die Franzosen nahmen die Türken unter Beschuss, so wurden alle Armenier gerettet, die noch am Leben waren. Die vier Schiffe brachten sie nach Ägypten. 53 Tage hatte ihr Widerstand gedauert, der österreichische Schriftsteller Franz Werfel schrieb darüber den epochalen, dramaturgisch etwas gewandelten Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“.

Alte Männer beim Brettspiel in Vakıflı. Die Vergangenheit des Dorfes am Musa Dagh möchten sie lieber ruhen...

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