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E-Book

Imas Geschichte

Schwäbische Erinnerungen

VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783741231063
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,49 EUR
Ein halbes Jahr vor ihrem Tod im Jahr 2004 berichtet Christine Coulin, genannt 'Ima', in einem mehrtägigen Interview mit ihrem Schwiegersohn und ihrer Enkelin von ihren frühen Lebensjahren und der Kriegszeit. Anschaulich und lebendig erzählt sie von der politischen Hellsichtigkeit ihres Vaters, der Odyssee ihrer Hochzeit, weil der Bräutigam dem Nazi-Beamten nicht arisch genug war, und wie sie am Ende des Krieges mit viel Glück hochschwanger zu Fuß in ihre schwäbische Heimat zurückkehrte. Die Transkription hält sich treu an die im Laufe des Interviews zunehmend durchbrechende schwäbische Mundart. Zahlreiche Fotos bebildern diese packende Familiengeschichte.

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Leseprobe

Anstelle eines Vorworts

Rede Maio Deubner-Coulin zu Imas 80. Geburtstag am 11. Juli 2003

Du wolltest aus Paritätsgründen eine Rede von mir, die will ich dir jetzt halten. Ich werde nichts Anderes tun, als aus deinem Riesenfundus an dramatischen Geschichten zu schöpfen und aus den Geschichten, die wir mit dir erleben konnten. Ich werde es jetzt nicht so machen, wie ihr es noch am Telefon gelernt habt. Ich fasse mich kurz. Ach ja, das Telefon! Dem Überlieferten treu hast du lange an einem wandhängenden Telefonapparat sozusagen gehangen, bis deine Gesundheit dir ein Tischgerät aufzwang. Jetzt hast du auch den Kabelsalat.

Ich hab mich immer über dein spezielles Verhältnis zur Technik gewundert, aber als du vor 80 Jahren in Ansbach zur Welt kamst, gab es das alles noch nicht so einfach. In den Laden deiner Oma kam ja noch eine leibhaftige Prinzessin zum Einkaufen, im Auto mit Chauffeur. Das wird ein tolles Gefährt gewesen sein.

Nachts um halb zwei wurdest du geboren, in einem kleinen, bedrohten Zwischenfrieden. Deine Eltern waren ein, für damalige Zeiten, spät berufenes Ehepaar. Der Krieg und die lausigen Zeiten waren schuld daran. Auguste Christine Dorothea nannten sie dich, Rufnamen Christel, verkleinert zu Tienele oder Tinchen, und Karle, dein Bruder nannte dich Juschtl. Es war für uns Kinder nicht leicht zu verstehen, warum dein Nennname nicht Christel war, sondern Juschtl, aber irgendwann haben wir es doch begriffen.

Dein Vater Ludwig Schmidt war ein strenger, aber nicht gänzlich humorloser Mann, fromm und kirchentreu, und deine Mutter, Christine Rosine Schmidt, geborene Fuchs, stand ihm darin in nichts nach. Allerdings hat Vater Ludwig schon mal sein ganzes Gehalt für die kirchliche Jugendarbeit ausgegeben und daraufhin Frau und Kinder nach Tübingen geschickt, ansonsten hätten sie darben müssen. Wie Männer halt so sind, wenn sie großen Ideen treu ergeben sind. „Was schert mich Weib, was schert mich Kind, laß sie betteln gehen, wenn sie hungrig sind“ (Zitat aus Die Grenadiere von Heinrich Heine). Zur Ergänzung muss man wohl hinzufügen, dass wir uns damals in Zeiten befanden, in denen das Gehalt auf dem Leiterwagen nach Hause gefahren wurde. Das war trotzdem eine frühes Trauma, nicht Vater Ludwig sorgte für Nahrung, sondern Christine Fuchs Witwe mit ihrem Stoffladen und ihren Gütles.

Einen kleinen Webfehler hatte Christine Coulin, damals Schmidt: Sie war kein Junge. Und Vater Ludwig hätte nun mal gern nach dem ersten Kind Beate einen Knaben gehabt. Aber so schnell hat Gott diesen Wunsch nicht erhört. Erst kam noch eine Liesel, dann der Umzug nach Tübingen. Dieser fand statt, weil deine Mutter den Laden weiterführen musste, denn deine Großmutter war am Ende ihrer Kräfte. In Tübingen werden deine Brüder geboren, Karl Julius, Klaus und Heimo. Beate, Christine und Liesel wurden von Elis und Friedel gequält, die als Babysitter fungierten; das waren deine Pflegestiefschwestern. Und sie waren eine ständige Quelle des Unfriedens. Petzen eben, wie Kinder halt so sind in dem Alter, und Kinder waren es nun mal.

Du wiederum durftest dann in Tübingen den Karle quälen, allerdings unfreiwillig. Er ist dir beim Aufpassen, du warst sieben Jahre alt, zwischen die Füße geraten. Dafür gab es Schläge von Vater Ludwig, der gläubig, wie er war, die Rute nicht schonte. Schläge, die du trotzig schweigend hingenommen hast, wie alle anderen davor und danach. „Die Fraid mach i meinem Vadder et, dass i heul“ hast du dir jedes Mal gedacht. Dein Vater berief sich auf die Bibel bei seinen Erziehungsmethoden, aber er berief sich auch auf die Bibel, als er der Hitlerei trotzte und von euch dasselbe verlangte.

Euer zu strafendes Sündenregister war lang: Es war verboten, die ausgehängten Bilder am Tübinger Filmtheater anzusehen, es war verboten, bei der Kirschernte von diesen zu essen, war verboten bei den häuslichen Verrichtungen säumig zu sein, ich vermute, dass es verboten war, sich dreckig zu machen, in der Nase zu bohren und sonntags nicht zur Kirche zu gehen. Und ganz bestimmt war jede Anwandlung pubertärer Stimmungen verboten. Aber ihr machtet schöne Ausflüge auf die Alb und kirchliche Freizeiten und das hast du bei uns auch gefordert und gefördert, schön war das.

10 Jahre warst du alt, als trotz der Warnungen deines Vaters (er war einer der Wenigen, die das Machwerk „Mein Kampf“ gelesen hatten), trotz des Unwillens deiner Mutter und deiner Großmutter, Hitler die Macht ergriff und damit euer Leben zeichnete. Mit 10 Jahren kommt man gerade an die weiterführende Schule. Du durftest auf die Wildermuthschule in Tübingen und wurdest und bliebst eine Außenseiterin, weil du nicht im BDM warst und deine Eltern nicht in der Partei waren. Zur Strafe musstest du mit den wenigen jüdischen Schülerinnen, die noch auf der Schule verblieben waren, zum weltanschaulichen Unterricht – Runenschrift lernen, „Mein Kampf“ lesen und anderen Krampf, Rassenlehre und dergleichen. Du wusstest besser Bescheid als die Nazis. Du hast dich mit dem Witz gerächt: „Zwischen drei ond fünfe kommt dr Vierer (Führer) und alle waren ganz aufgeregt – ‚Au wo, au wo??‘“ Deinen Vater hätte es fast ins KZ gebracht; die Außenstelle war auf dem Heuberg bei Tübingen. Da gab es noch die Redensart: „Bass uff, was de saggsch, sonschd kommsch uffn Heuberg, damit d’schneller braun wirsch.“

Ihr wart in der Bekennenden Kirche. Deine Mutter bekam trotzdem gegen ihren Willen das Mutterkreuz, das sie wütend in eine Schublade mit Krimskrams pfefferte. Ihr habt unzählige Theologiestudenten durchgefüttert. An eurem Esstisch war so wenig Platz mit euch und den Gästen, dass ihr nur mit eng angelegten Ellebogen essen konntet, und es gab nur wenig, damit es für alle reichte. Die Gänse, Kaninchen und Lämmer, die man dir in allen erdenklichen Zubereitungsarten vorsetzte, hast du verschmäht, weil man erst die süßen Tiere hätschelte und dann verspeiste. Das hat dir nicht gefallen. Ein weiteres Trauma. Nie mehr hast du Fleisch von diesen Tieren auf den Tisch des Hauses gebracht, leider. Dabei kannst du ganz gut kochen.

Es gab allerdings auch Tage, da schmeckte dein Essen nicht. „Eich ghert Zong gschabt!“, hast du dann geschnaubt! („Euch gehört die Zunge geschabt.“) Als Zulage gab es aber immer unendliche Geschichten von dir über die weitläufige Verwandtschaft und über dein Leben. Deine große Leidenschaft war und ist – neben dem Erzählen – das Nähen und das Klavierspiel. Mit beidem konntest du dich den Unbillen der Welt entziehen. Auch die Querflöte war dein Instrument – wer bei Euch zuhause übte, musste nicht helfen. Für deine Puppen hast du zunächst im Hinterhaus auf der Stiege genäht. Da konnten sie dich nicht finden. Das Nähen konntest du später gut brauchen, um immer nach der Mode gekleidet zu sein. Und wenig drauf deine Kinder genauso einzukleiden. Auch die Enkel profitierten von deiner Kunst und noch jetzt kleidest du ihre Puppen ein.

Nach deiner Verlobung mit Klaus Coulin durftest du in Leipzig Musik studieren, beim großen David. Der widmete dir sogar ein Lied. Verkürzt wurde dieses Studium durch den Arbeitsdienst in den letzten Kriegsjahren. Auch die Bombardierung wirkte sich nicht günstig aus. Im unbeheizten Zimmer mit dem Köfferchen unter dem Bett hast du trotzdem unverdrossen weitergemacht. Gesang hast du ebenfalls studiert. Davor musstest du allerdings noch einige Stationen durchleiden. Da wäre das Pflichtjahr, in dem du hart rangenommen wurdest, die Gänse hassen gelernt hast und zum Putzen ein inniges Verhältnis aufgezwungen bekamst. Deine Mutter kam dahinter, dass es dir schlecht ging, und hat dich wieder mit nach Hause genommen.

Die Handelsschule hast du nach der mittleren Reife absolviert, weil du mit deiner freundlichen Art in den Laden solltest. Und dann war noch die Warte- und Probezeit bis zu eurer Hochzeit. Den Klaus Coulin hatte dein Vater schon von Weitem gerochen, ihr wart beide unabhängig voneinander zu einer Hochzeit deiner Freundin mit einem Siebenbürger eingeladen. Vater Ludwig wollte dich nicht gehen lassen. „Da lernst du nur so einen blöden jungen Mann kennen, und den heiratest du dann“, war seine Begründung. O Väter! Diese Prophezeiungen! Im Grunde war Klaus ein Immigrant. Er sprach komisch, fand die Strenge deines Vaters unmöglich und zeigte das auch. Er, der verwöhnte Sohn aus einem bürgerlichen Elternhaus, und du, wohlerzogen, wie es sich gehört. Das fand dein Vater nicht gut. Dennoch – Klaus kam, sah und siegte. Er war so verliebt und gut gelaunt, dass du dachtest, der ist immer so, mit dem wird das Leben schön. Und außerdem versprach dieser fremde Jüngling ein abenteuerreiches Leben, und das Abenteuer liebst du heute noch. Du bist auch jetzt zu mancherlei Unsinn verführbar und verführst selbst. Eine eingefleischte Anarchistin wie du wagt immer noch ein Tänzchen, obwohl du beide Hüften operiert hast. Für die Zeit nach dem Krieg versprach Klaus ein Leben im Schloss in Ungarn mit Dienstboten. Da konntet ihr noch nicht absehen, wie gründlich die Hiflerei den Karren an die Wand gefahren hatte, und wie gravierend die Folgen für eure Familie sein würde.

Von dir selbst hast du...

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