3. Kapitel
Aller Anfang ist leicht
Das Ruhegebet schafft einen Zustand im Betenden, der von allen dunklen Schatten gereinigt ist und gleichzeitig die Seele vor neuen zerstörerischen Elementen bewahrt, die von außen herantreten. Für einen Menschen gibt es nichts Schlimmeres als eine zunehmende Verdunkelung der Seele ertragen zu müssen, ohne durch seine Religion ein Mittel in der Hand zu haben, die stärker werdende Dunkelheit zu bremsen und sie so lange zu erhellen, bis sie vergeht oder sich gar in Licht wandelt. Jesus Christus, die Gottesmutter und viele Heilige haben uns ein Gott gefälliges Leben vorgelebt und konkrete Wege in die Nachfolge Christi aufgezeigt. Eigentlich dürfte es daher keine Verdunkelung der Seele oder den »Tod« der Seele geben.
Wenn wir das Gebet regelmäßig pflegen und unser Leben so einrichten, dass wir uns bewusst nicht allzu vielen negativen Kräften aussetzen oder ihnen durch ein kleines Stoßgebet, das wir wiederholen, eine Absage erteilen, dürfen wir von geistlichem Fortschritt sprechen. Sind wir jedoch fahrlässig in unserem religiösen Leben, müssen wir damit rechnen, dass sich Böses in uns festsetzt und wir nicht voran kommen. Unserer Seele wohnt eine geheime Kraft inne, die sich darin äußert, dass sie sich auf den Himmel ausrichten und sich zu göttlicher Sehnsucht und Liebe bewegen möchte. Auf dem Weg dorthin gibt es viele Zwischenstationen mit verschiedenen Versuchungen, die besonders die Menschen überfallen, die allein leben. Lassen wir uns nicht aufhalten und zum Hochmut verführen, wenn wir zum Beispiel ein »übernatürliches Licht« sehen, einen besonderen Duft wahrnehmen oder eventuell Stimmen hören. Kein Wunder, denn auch der Satan tarnt sich als Engel des Lichts (2. Korintherbrief 11,14).
Wir müssen uns sehr davor hüten, uns ständig mit uns selbst zu beschäftigen und gar noch hohe Erwartungen an unser Gebetsleben zu stellen. Im Ruhegebet dürfen wir nicht krampfhaft unsere Gedanken zusammenhalten, müssen uns von den sinnlich wahrnehmbaren Dingen trennen und dürfen uns auch nicht bewusst geistig sammeln. Sich auf die Worte des Gebetes zu konzentrieren, entspricht ebenso wenig dem Ruhegebet. Dieses Gebet der Hingabe und des Lassens, das durch die Wiederholung des kurzen Gebetswortes uns immer neu auf Gott ausrichtet und gleichzeitig hell wach sein lässt, hört sofort auf, ein Hingabegebet zu sein, wenn wir bewusst in eine Gedankenaktivität einsteigen. Wie schnell sich böse und eitle Dinge einschleichen, bemerken wir kaum.
Dass sich viele Menschen dem Schöpfer so fern fühlen, liegt zum Teil daran, dass sie sich ausschließlich mit sich selbst beschäftigen. Damit geben sie dem Herrn weder Raum noch Zeit, sich ihnen zu nähern und sie mit der göttlichen Liebe zu beschenken. Oft beherrscht eitle Ehrsucht einen Menschen, ohne dass er es bemerkt. Er verachtet aus Hochmut die anderen, verurteilt sie und bildet sich sogar noch ein, Vorbild für andere zu sein. Lasst sie, es sind blinde Blindenführer. Und wenn ein Blinder einen Blinden führt, werden beide in eine Grube fallen (Matthäus 15,14).
Wir müssen uns davor hüten, mit dem Ruhegebet eigene Wege zu gehen, das heißt, es nach Gutdünken mal hier und mal dort zu beten oder es gar so zu verändern, wie wir es im Augenblick für besser erachten. Selbst wenn ich dem Lehrenden des Ruhegebetes, den ich mir ausgesucht habe, keine Lebensweisheiten abnehmen kann, so darf ich doch darauf vertrauen, dass er kompetent ist in den Weisungen, die er mir zum Gebet gibt. Ich sollte daher den Rat, den er mir gibt, auch bedenkenlos umsetzen. Wirf einfach alle Sorge, die du eventuell in Bezug auf das Ruhegebet hast, auf den Lehrenden, denn er wird für dich und dein Gebetsleben Sorge tragen. Genieße diese Sorglosigkeit, die dir zuteilwird, so kannst du umso vertrauensvoller und leichter dich dem Schöpfer im Gebet hingeben. Aber auch zwischen dir und dem Lehrenden sollte ein gutes Vertrauensverhältnis bestehen. Wenn du allerdings schon gleich am Anfang ein ungutes Gefühl hast, ihm die Beantwortung der Fragen oder gar deine Anschrift anzuvertrauen, solltest du zu jemand anderem gehen.
Um geistlich wesentliche Fortschritte auf deinem Gebetsweg zu machen, bedarfst du eines Menschen, dem du rückhaltlos vertrauen kannst. Hörst du auf ihn und das, was er dir rät, bleibst du frei von Misstrauen und von allen Zweifeln. So sollte dein neuer Lebensweg mit dem Ruhegebet beginnen. Gehst du voll Vertrauen diesen wunderbaren Weg, solltest du dich mehr und mehr von der Leichtigkeit führen lassen, die dir geschenkt wird, wenn du bereit bist, dich ganz und gar von der Sehnsucht Gottes anziehen zu lassen. Du brauchst nicht, wie es in verschiedenen Schulen gelehrt wird, mit dem Geist deine Sinne zu beobachten und sie zu kontrollieren, du brauchst nicht deinem inneren Schatten intellektuell auf die Spur zu kommen … du brauchst auf nichts Acht zu geben, sondern nur ganz sanft und leicht bei geschlossenen Augen dein Gebetswort zu wiederholen. Dass daraus geistig-geistlicher Gewinn entstehen soll, ist für viele Menschen anfangs undenkbar.
Die Tatsache, vor Gott etwas leisten zu müssen und mit etwas Großem aufzuwarten, ist in manchen Menschen so tief verankert, dass ihnen der gedankliche Einstieg in das Ruhegebet recht schwer fällt. Der Lehrende weiß, dass er hier intellektuell nicht weiter kommt und verweist auf die Praxis, mit der er sobald wie möglich beginnen sollte. Habe ich eine bestimmte köstliche Speise in meinem Leben noch niemals probiert, so bleibt sie mir fremd, wenn nur über sie geredet wird, anstatt sie zu kosten. Eine große Unterstützung auf deinem Gebetsweg besteht nicht nur darin, auf den Lehrenden des Ruhegebetes zu hören, sondern auch darin, deinen Alltag und dein Denken, Sprechen und Tun so aufrecht zu gestalten, als ob dir der Herr bei allem zusehen würde.
Dein Gewissen – es ist der Türhüter zu deiner Innerlichkeit – solltest du rein bewahren, das heißt, nichts tun, was Gott nicht gefällt. Je wachsamer der Türhüter ist, umso weniger dunkle Elemente kommen in dein Inneres und verschatten deine Seele. Dem Türhüter befahl er, wachsam zu sein (Markus 13,34b). Sei offen und ehrlich auch deinem geistlichen Begleiter gegenüber und bedenke, wie viel Zeit er in dich investiert, und dass er immer für dich da ist, wenn du ihn brauchst. Durch Aufrichtigkeit anderen Menschen gegenüber kannst du deinen geistlichen Fortschritt durch das Ruhegebet sehr unterstützen.
- Was dir selbst verhasst ist, das mute auch einem anderen nicht zu! (Tobit 4,15)
- Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! (Matthäus 7,12a)
Mit den Dingen der Welt, zu denen auch Speise, Trank, Kleidung und Geld gehören, solltest du verantwortungsbewusst umgehen und keinen Missbrauch damit treiben. Mit allem solltest du so umgehen, als ob es vor Gott geschähe. Wenn du ihn zu deinem Maßstab nimmst, wird dich niemals dein Gewissen anklagen. Wenn diese und andere gute Voraussetzungen erfüllt werden, wird sich schon sehr bald das Psalmenwort an dir erfüllen: Kostet und seht, wie gütig der Herr ist (Psalm 34,9a). Dein ständig umherspringender Geist wird mit tiefer göttlicher Ruhe erfüllt und möchte sich nicht mehr vom Ort des Gebetes entfernen, um so lange wie möglich in diesem Zustand zu bleiben. Es breitet sich eine wunderbare Erfüllung aus, die Petrus auf dem Berg Tabor erfahren hat und mit den Worten beschreibt: Herr, es ist gut, dass wir hier sind (Matthäus 17,4b). Doch fordert Jesus seine Jünger – und damit auch uns – nach dieser vorösterlichen Erfahrung auf, den Berg der Verklärung wieder zu verlassen, hinabzusteigen in das Tal, um auch die Niederungen des Lebens zu bestehen.
Jemand, der das Ruhegebet einzig und allein von außen betrachtet und noch über keine Erfahrung verfügt, kann das Wesentliche dieser heilbringenden Gebetsweise nicht erfassen. Für ihn scheint im Gegensatz zu denen, die das Ruhegebet beten, das Wort zu gelten: »Aller Anfang ist schwer!«
Vom Herzen her kommen die bösen Gedanken zu Unzucht, Ehebruch, Verleugnungen … (vgl. Matthäus 15,19). Daher ist, um in einem Bild zu sprechen, der Becher zuerst innen zu säubern, denn dann ist er auch außen rein (vgl. Matthäus 23,26). Daher ließen die Wüstenväter wie auch die frühen Kirchenväter, die das hesychastische Gebet übten, zunächst jedes andere geistliche Werk fort und wandten sich ganz und gar dem Ruhegebet zu – im Wissen und aus Erfahrung, dass sie hiermit am ehesten geistlichen Fortschritt erzielen würden. Je mehr sich jemand mit dem Gebet der Ruhe beschäftigt und es parallel dazu auch regelmäßig praktiziert, umso mehr wird er der göttlichen Gnadengaben gewürdigt.
Es ist nicht gut, wenn wir unserem Geist erlauben, sich zu teilen. Dies geschieht zum Beispiel beim Beten sehr leicht. Wir beten mit den Lippen und unser Geist beschäftigt sich mit völlig anderen Dingen. Dies wird dann besonders gefährlich, wenn es von selbst geschieht und wir es nicht einmal bemerken. Beten wir jedoch das Ruhegebet genau nach den Angaben Cassians, gehen wir nicht diese Gefahr ein, da wir immer wieder zu unserem Gebetswort zurückkehren. Diese Gebetsweise findet in größter Armut statt, sodass die erste Seligpreisung genau auf sie zutrifft: Selig die Armen im Geist (Matthäus 5,3a).
Das heißt, glücklich sind jene, die während des Ruhegebetes und darüber hinaus in ihrem Herzen keine Dinge dieser Welt erwägen,...