4.3.2 Die Trends der Lebensmittelindustrie als Ideengeber
und Erfolgsindikatoren
Jedem Produktinnovationsprozess gehen umfangreiche Marktforschungsaktivitäten vor- die ermitteln, wer was, wie, warum, wann und wo kauft. Qualitative und repräsentative Marktforschungen können sicherlich sehr wertvolle Informationen zum Konsumentenverhalten liefern, allerdings immer nur solche aus der Vergangenheit. Um Produkte für morgen zu entwickeln, muss vielmehr in die Zukunft geschaut werden. In Verbindung mit den Marktforschungsaktivitäten müssen auch Trendrecherchen durchgeführt werden: Wohin bewegen sich Gesellschaft und Märkte? Was könnte die Konsumenten von morgen interessieren? Was tut sich im technologischen Bereich? Was bei den Zutaten? Chancenfelder und die richtigen Zielgruppen lassen sich somit frühzeitig erkennen.
Die wichtigsten Trends
Trends ergeben sich aus unterschiedlichen Faktoren wie demographischer Entwicklung, Einkommensveränderungen, der Urbanisierung, dem erhöhten Informationsstand sowie vermehrtem kulturellem Austausch. Die wichtigsten Konsumententrends, die Veränderungen im Lebensmittelkonsum herbeiführen, werden im folgenden aufgeführt 37 :
• Stagnierendes Bevölkerungswachstum und höhere durchschnittliche Lebenserwartung führen zu immer älteren Menschen, die bald als eine dominierende Zielgruppe nicht vernachlässigt werden sollten.
• Die durchschnittliche Haushaltsgröße wird kleiner, während die Anzahl der gesamten Haushalte zunimmt. Auf der einen Seite stellen die sogenannten „Dink“- Haushalte (double income, no kids) eine wesentliche Zielgruppe für die hochpreislichen Convenience-, Genuss- und Lifestyle-Produkte dar, während sich auf der anderen Seite eine ebenfalls stark wachsende Zielgruppe herausbildet, die aus älteren, pensionierten Ehepaaren besteht.
• Eine Polarisierung der Verbrauchereinkommen wird deutlich - insgesamt hat sich das reale Einkommen der Konsumenten in den letzten Jahrzehnten erhöht, in der Tat trifft es aber nur auf die ohnehin wohlhabenden Verbraucher zu, während die ärmeren (insbesondere alleinerziehende Mütter oder Rentner, die auf ein festes Ein-
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kommen angewiesen sind) in der Hinsicht kaum Schritt halten konnten - und zieht erhebliche Konsequenzen für hochpreisliche und preisgünstige Produkte mit sich.
• Eine zunehmende Bereitschaft der Konsumenten, einen Preisaufschlag für Zeitersparnis zu zahlen. Da mehr und mehr Frauen neben ihren hauptverdienenden Ehemännern einer Beschäftigung nachgehen, erhöht sich die Nachfrage nach Convenience-Produkten, sei es Fertiggerichte zum Heimverzehr oder Auswärtsessen in Restaurants oder Schnellimbissen.
• Der Konsument ist im Allgemeinen besser gebildet und ist zunehmend besorgt um seine Gesundheit, seine Ernährung, artgerechte Tierhaltung und andere Umweltaspekte. Sie achten vermehrt auf die Produktherkunft, auf die Art und Weise des Anbaus und der Zubereitung, auf die Zutaten sowie auf die allgemeine Lebensmittelsicherheit. Es besteht ein erhöhter Bedarf u.a. an kalorienreduzierten, fettreduzierten und koffeinfreien Produkten auf der einen Seite und Produkten mit gesundheitlichem Zusatz (z.B. Vitamine oder Ballaststoffe) auf der anderen Seite.
• Das Verlangen nach mehr Wohlbefinden und Gesundheit sowie die immer unbefriedigendere staatliche Gesundheitsversorgung führen zur verstärkten Selbstmedikation und zum Kauf von Produkten mit gesundheitlichem Zusatznutzen.
• Die Konsumenten entwickeln sich zu „Nomaden“ und nehmen ihre Mahlzeiten überall und zu jeder Zeit ein. Essen beschränkt sich nicht mehr auf die drei Hauptmahlzeiten. Nahrungsmittel werden zwischendurch, vor dem Fernseher und „auf dem Weg“ verzehrt. Der aus dem amerikanischen Raum stammende „Fünfmal am Tag 38 “-Ansatz setzt sich wegen seiner angeblichen „figurbegünstigenden“ Wirkung allmählich durch, wie auch die kleineren Packungen, fertige Mahlzeiten zum Mitnehmen und der Snack für zwischendurch.
• Eine verstärkt internationalisierte Ernährung in Europa mit zunehmend exotischeren Artikeln wie japanische Sushis oder chinesische Dim Sums und Nudelsuppen.
• Die allgemeine Präferenz für das Schlichte, das Natürliche und das Traditionelle. Produkte werden bevorzugt, die sich durch die Reduzierung auf das Wesentliche sowie die Beibehaltung ihrer ursprünglichen Form auszeichnen. Gerade in einer immer globaleren und virtuelleren Welt hält man sich an Bewährtem, an Bekanntem und an Kindheitserfahrungen fest - quasi ein Retro-Trend.
Projektmanagement für Europaweite Produktinnovationsprozesse am Beispiel der Lebensmittelindustrie
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Produktinnovationen im Food-Bereich
Im Food-Bereich haben sich die anspruchsvollen Verbraucherwünsche vor allem in den
Snack- und Convenience-Produkten sowie den sogenannten Wellness 42 -Produkten bzw. Funktional Foods 43 bemerkbar gemacht. Der mobile Mensch stillt seinen Hunger gern zwischendurch mit Snacks wie Pick Up! von Bahlsen, was so handlich und praktisch ist, mit seinen 144 Kalorien dennoch sättigt und gleichzeitig „gesünder“ wirkt, weil der Riegel statt mit Schokolade mit Keksen umgeben ist. Auch das Mini- oder Riegelformat von Gebäckartikeln, Schokoladenriegeln und sogar Getreideprodukten aller Art wie beispielsweise Leibnitz Minis und Ohne Gleichen Minissimo (Ohne Gleichen ist First Class in nicht-deutschsprachigen Ländern) von Bahlsen; Miniatures von Mars, Bounty, Snickers und Twix u.a.; die Müsliriegel von Corny oder Kellogg’s Nutri Grain konnten jeweils die Konsumenten überzeugen. Insbesondere die Miniaturisierung von klassischen Produkten eröffnen den Konsumenten neue Verwendungsanlässe und somit auch neue Marktpotentiale. Die Miniatures-Serie von Mars z.B. wird als Pralinen zum Extra-Genuss positioniert. Oder das Magnum After Dinner bringt das klassische Impulseis - ursprünglich zum Sofortverkehr gedacht - nun in die Familie für den gemeinsamen Genuss nach dem Abendessen oder vor dem Fernseher.
Im Bereich der Convenience-Produkte sind die Fertiggerichte und Fix-Produkte in Nass-, Trocken- oder Tiefkühlverpackungen sehr im Kommen. Tiefkühlgemüse wird wegen seiner betonend beibehaltenen Frische und seiner beliebigen Portionierbarkeit verstärkt bevorzugt. Auch werden Kräuter immer häufiger aus der Tiefkühltruhe genommen, um bei qualitativem Essen und Kochen trotzdem Zeit zu sparen. Ebenfalls für
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Zeitersparnis insbesondere für die zunehmend beschäftigten Hausfrauen sorgen die Fix- Soßen-Produkte in Nass- und Trockenbeuteln. Während sich die Fix-, Soßen- und Suppen-Produkte von Maggi (Nestlé) und Knorr (Bestfoods/Unilever) in Trockenbeuteln jahrelang bewährt haben, kamen zwischenzeitlich auch noch Nudel-, Reis- und Kartoffel- und sogar Süßgerichte wie z.B. in Deutschland der Grießauflauf von Mondamin (Bestfoods/Unilever) aus Trockenbeuteln hinzu. Auch Suppen feiern eine Art „Comeback“ und werden nun als sättigende Mahlzeiten vermarktet. Die Gastronomie spielt dabei als Ideenlieferant eine nicht unerhebliche Rolle, die z.B. zu den neuen Fix-Produkte für Spare Ribs, Chicken Wings oder zu der völlig neuen Kreation Wrap’it (Zutaten-Mischungen für gefüllte Tortillas) aus dem Hause Maggi führten. Wem es dennoch zu aufwendig ist, gibt es von vielen Soßen- und Suppenprodukten auch eine tafelfertige Nassvariante in Stehbeuteln, Schalen, Dosen und Gläsern. Insbesondere die Gläser (z.B. von Uncle Ben’s) werden wegen ihrer „Transparenz“ - das Auge isst schließlich mit - besonders bevorzugt. Schließlich gibt es auch die tafelfertigen Gerichte in verschiedener Ausführung wie z.B. fertige internationale Pfannengerichte aus der Tiefkühltruhe oder frische Pastawaren und Soßen aus dem Kühlregal. Auch frisch verpackte Salate, Sandwiches, Wraps oder Sushis zum Sofortverzehr, die in England längst Gang und Gebe sind, werden sich auch langsam mit den expandierenden Handelsunternehmen wie Marks & Spencer im ganz...