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Mein bunter Schatten

Lebensweg einer Transgender-Frau

AutorPari Roehi
VerlagNeues Leben
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783355500364
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Pari wird im Körper eines Jungen geboren. Schon früh spürt sie, dass sie anders ist. Nach der Flucht aus dem Iran in die Niederlande wächst sie in Flüchtlingsheimen auf, muss sich nicht nur in der neuen Kultur zurechtfinden, sondern auch mit dem ihr fremden Körper auseinandersetzen. Unentwegt testet sie Grenzen aus, eckt an, ist auf der Suche nach Identität. Als Mann will sie niemals leben, das weiß sie. Doch der Weg zum Frausein ist lang und beschwerlich. Pari geht ihn?- und kommt an: selbstbestimmt, glücklich und mit ganzem Herzen Frau.

Pari Roehi, geboren 1989, wuchs im Iran und in den Niederlanden auf. Nach dem Abitur arbeitete sie als Model, Hostess im berühmten Club 'Jimmy Woo', als Performance-Künstlerin und Moderatorin. Zur gleichen Zeit begann sie den medizinischen Prozess ihrer Geschlechtsangleichung und unterzog sich mit 19 einer Operation. Heute lebt sie in Berlin, spricht sechs Sprachen, ist ein YouTube-Star und engagiert sich für Kinder mit Transgender-Identität.

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Leseprobe

Das weiße Kleid

Manchmal denkst du, du hast es selbst in der Hand, wer du bist und wer du sein wirst. Irgendwann realisierst du jedoch, dass du immer etwas von deinen Eltern in dir trägst, ob du willst oder nicht. Deshalb beginne ich meine Erzählung in der Zeit, als die beiden Menschen zusammenkamen, die mich zehn Jahre später in die Welt setzen würden.

Es war 1979 und der Iran ein modernes Land, in dem Frauen Miniröcke tragen und Richterin werden durften. Bald sollte die Revolution alles ändern, aber noch war davon nichts zu spüren.

Meine Mutter heißt Kobra, das ist persisch und bedeutet »die Größte«. Sie hat zwei ältere Brüder und Schwestern und war eine wirklich schöne junge Frau mit dichten schwarzen Locken und ganz heller Schneewittchenhaut. Mit neunzehn Jahren studierte sie an der Universität von Rascht Ökonomie.

»Ich saß in einem goldenen Käfig«, sagt Mama, wenn sie mir von dieser Zeit erzählt. Ihre Eltern waren konservativ, religiös, ultrastreng, sie hatten viel Geld und kontrollierten genau, was ihre Töchter taten. »Wir Mädchen durften uns nur an drei Orten aufhalten: zu Hause, auf dem Markt – oder an der Universität.« Wenn sie das Haus verließ, musste sie ein Kopftuch tragen. »Als junges Mädchen fand ich das furchtbar, aber Vater hat darauf bestanden, denn er legte Wert auf Tradition. Dabei sah man damals überall auf den Straßen neueste Mode und geschminkte Frauen. Sobald ich also um die erste Ecke gebogen war, nahm ich das Tuch ab, malte mir die Lippen an und fühlte mich frei wie die anderen Mädchen.«

Wenn Mama von sich in früheren Jahren erzählt, erkenne ich darin sofort Züge von mir selbst wieder. Wir teilen zum Beispiel das Interesse für Mode; vor allem aber sind wir uns wohl ziemlich ähnlich, wenn es um die Eigenwilligkeit geht.

Einmal sah mein Großvater, wie sie ohne Kopftuch die Straße entlanglief. Er hielt mit dem Auto neben ihr. »Ich habe dir das Tuch nicht gekauft, damit du deine Bücher damit abstaubst!«, rief er und sah sie streng an, was Mama nicht weiter beeindruckte.

»Das entscheide ich selbst. Es ist deine Religion, nicht meine«, erwiderte sie, streckte trotzig das Kinn vor und akzeptierte wortlos den Hausarrest, den er ihr aufbrummte. Auch darin sind wir uns ähnlich – statt zu gehorchen, nehmen wir unangenehme Konsequenzen in Kauf.

Eigentlich träumte Mama davon, Stewardess zu werden. Sie wollte einen modernen Beruf ausüben und in der Welt herumkommen. Die meisten jungen Leute lebten damals wie Europäer, gingen aus und tanzten in Discos.

In dieser Zeit kam mein Vater Reza nach Rascht. Er war zweiundzwanzig Jahre alt und stammte aus einfachen Verhältnissen, hatte sich aber beim Militär hochgearbeitet. Und er wollte eine Frau. Mein Großvater war bekannt in der Stadt, und Reza hörte, dass er schöne Töchter hätte – die jüngste aber sei die hübscheste. Er sprach bei meinem Großvater vor, und es wurde ein Treffen arrangiert. Hätten meine Eltern je versucht, ohne mein Zutun einen Mann für mich auszusuchen, ich hätte sie zum Teufel geschickt! Im Iran aber war es damals üblich, dass Ehen von Eltern und Verwandten organisiert wurden, gerade in religiösen, traditionsbewussten Familien. Immerhin war mein Großvater so fortschrittlich, es letztlich seiner Tochter zu überlassen, ob sie Ja zu diesem Mann sagte.

Das erste Treffen meiner Eltern muss völlig unromantisch gewesen sein. »Reza und ich saßen uns an einem riesigen Holztisch im Haus meiner Eltern gegenüber. Miteinander geredet haben wir kaum. Aber er sah mich immer wieder an und versuchte, seine Hände ruhig zu halten«, erzählt Mama. »Er hatte braune Locken und so ein hübsches Gesicht. Dein Vater war wirklich ein gut aussehender Mann, Pari.«

Reza sprach von Reisen nach Amerika und Europa, die das Militär ihm ermöglichen würde. Damals dachte Mama, mit ihm würde sie die ganze Welt entdecken. Sie wollte weg aus der Enge ihres Elternhauses.

Sie sahen sich wieder, immer im Haus der Verwandten, und begannen zu flirten. Das sei aufregend gewesen und habe sich erwachsen angefühlt, sagt Mama. Meinem Onkel Hassan gefiel Reza allerdings nicht. »Der ist kein guter Mann, warte auf einen besseren!«, riet er seiner kleinen Schwester. Aber Mama war schon total verliebt in Reza, himmelte ihn durch eine rosarote Brille an, und zwei Monate später heirateten sie. Sie gab ihr Studium auf – und einem Zweiundzwanzigjährigen, mit dem sie noch keine Minute allein gewesen war, ihr Jawort.

Ihre Hochzeit feiern Kobra und Reza (m. v.) schon bald nach ihrem Kennenlernen 1979 im iranischen Rascht. Beim Tanz mit seiner frisch angetrauten Ehefrau flirtet er mit einer anderen

Mama hat ein Foto von ihrer Hochzeit aufgehoben. Als ich es zum ersten Mal sehe, fällt mir sofort auf, wie böse sie guckt. »Dein Vater zwinkerte einer anderen zu, während er mit mir einen Tango tanzte«, erklärt sie ihren Gesichtsausdruck. »Alle hatten mich davor gewarnt, Nahid, dieses Flittchen, einzuladen«, seufzt Mama. »Diese Frau kannte keine Grenzen. Dauernd nahm sie Männer mit nach Hause, und alle redeten darüber. Die hat gemacht, was sie wollte.«

»Warum hast du sie denn dann eingeladen?«, frage ich.

»Ich wäre gern mehr so gewesen wie sie, verstehst du? Auch ich hätte manchmal gern so viele Freiheiten gehabt.«

Nahid war die erste Frau, auf die meine Mutter eifersüchtig war. Aber damals war ihr noch nicht klar, in welchem Ausmaß mein Vater es genoss, andere Frauen zu verführen.

Meine Eltern lebten nach ihrer Heirat in einer großzügigen Wohnung mit teuren Möbeln, hatten Geld und waren gesellschaftlich angesehen. In den ersten Jahren ihrer Ehe wurde der Iran zur islamischen Republik. Das Leben veränderte sich, alle Frauen trugen nun in der Öffentlichkeit Kopftücher. Der erste Golfkrieg brach aus, und mein Vater machte eine rasante Karriere bei der Marine. Er war kein einfacher Soldat, sondern ein Planer, ein Architekt des Krieges. Zu den Kriegsschauplätzen fuhr er nur, um sich ein Bild von der Lage zu machen. Ein einziges Mal geriet er in Gefahr, als er mitten unter den Soldaten stand. Er sollte Wache halten, musste pinkeln und ließ sich von einem Kameraden ablösen. Als er zurückkam, war der Mann tot. Erschossen von den Irakern. Auch später ist er aus Situationen heil herausgekommen, die ihn eigentlich das Leben hätten kosten können.

Meine Eltern wünschten sich schon länger ein Kind, aber im Krieg wollte meine Mutter nicht schwanger werden. Sie half zwei Jahre freiwillig im Krankenhaus, schnitt den Verwundeten Kugeln aus dem Leib und hielt den Soldaten, die Albträume vom Krieg hatten, die Hand.

»Mein Kittel war morgens weiß und abends rot vor Blut«, erzählt sie.

Erst nach sechs Jahren Ehe, kurz vor Kriegsende, wurde mein Bruder geboren. Meine Eltern nannten ihn Pedram, »der Erfolgreiche«. Er war ein zufriedenes Baby, das meine Mutter sehr glücklich machte. Die drei hätten eine richtige Familie sein können, doch mein Vater drückte sich vor dem Leben mit Frau und Kind, so oft es ging. Er wollte raus, zu anderen Frauen, auf Partys. Er wollte immer mehr, von allem. Vielleicht ist das etwas, was ich von ihm geerbt habe.

Mama hörte wirklich beunruhigende Geschichten über Reza. Mal erzählte eine Freundin, mal eine von ihren Schwestern, wie sie ihn im Haus dieser oder jener Frau hatten verschwinden sehen. Mama wusste genau, wie charmant er sein konnte. Wie kleine Tropfen Gift brachten die Gerüchte Misstrauen und Eifersucht mit sich.

»Ich wusste einfach nicht mehr, ob ich ihm vertrauen kann«, sagt meine Mutter, »deshalb habe ich angefangen, ihn genau zu beobachten, wenn wir zusammen ausgingen.« Auf einer Dinnerparty sah sie dann, wie er einer Frau am Tisch lange und tief in die Augen blickte, viel länger als angebracht. Und als die andere sich zur Seite drehte, sah Mama etwas zwischen ihren Haaren hervorblitzen. Es war ein eleganter, goldgefasster Perlenohrring. Die lächelnde junge Frau da am Tisch trug genau den gleichen Schmuck, den Reza ihr vor einer Woche geschenkt hatte. Sie kam ins Grübeln: Hatte er der Fremden die Ohrringe geschenkt? Waren die beiden ein Liebespaar?

Irgendwo zwischen ihrem Hirn und ihrem Herzen wusste sie, dass ihrem Mann eine einzige Frau niemals genug sein würde. Aber sie konnte nicht mehr zurück. Eine Ehe im Iran ist für immer, bis einer von beiden stirbt. Und eine Scheidung zerstört alles: die Familie, den Ruf, die Ehre.

Eines Abends, als Mama dabei war, das Essen vorzubereiten, nahm Reza die Autoschlüssel.

»Wo gehst du hin?«, rief sie ihm nach. »Ich muss noch die Einkäufe aus dem Wagen holen!« Er murmelte etwas von Problemen bei der Arbeit und sah sie nicht einmal an. Sie glaubte ihm nicht und lief ihm misstrauisch auf die Straße hinterher. Reza saß schon im Auto, als sie die hintere Tür öffnete, um das Gemüse vom Rücksitz zu holen. »Wo fährst du hin?«, schrie sie dabei wütend. Mein Vater stieg aus. »Das geht dich nichts an, Schlampe«, sagte er kalt, und bevor Mama sich aufrichten konnte, schlug er ihr mit einem kurzen, festen Stoß die Autotür gegen den Kopf. Die metallische Kante traf ihre Stirn. Sie fühlte, wie das Blut ihr Gesicht hinunterlief. Er fuhr weg, während sie mit der Hand versuchte, die Blutung zu verstecken. Niemand sollte sehen, was passiert war, vor allem nicht ihr kleiner Sohn.

Am nächsten Tag redete sie mit ihren Schwestern und ihrer Mutter darüber, was ihr Mann ihr angetan hatte. Sie wollte sich scheiden lassen, doch ihre Mutter rief aufgebracht: »Das kannst du nicht tun, Kobra, denk an...

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