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E-Book

Frühstück mit Elefanten

Als Rangerin in Afrika

AutorGesa Neitzel
VerlagUllstein
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl368 Seiten
ISBN9783843714495
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Alles hinschmeißen, nach Afrika gehen und sich zur Rangerin ausbilden lassen - ist das nun unglaublich mutig oder die Schnapsidee von jemandem, der vor dem Leben davonläuft? Noch während Gesa darüber grübelt, landet sie kopfüber in ihrem afrikanischen Abenteuer. Sie lernt Spurenlesen und alles über Elefanten, Gelbschnabeltokos und Sternenkunde und muss sich nicht nur einigen Prüfungen, sondern auch ihren Ängsten stellen. Sie erzählt von atemberaubenden Begegnungen mit Löwen, vom Barfußlaufen durch die Savanne, von langen Nächten unterm Sternenhimmel - und von einem Leben, das endlich richtig beginnt.

Gesa Neitzel, Jahrgang 1987, war Fernsehredakteurin in Berlin, bevor sie sich in Südafrika zur Rangerin ausbilden ließ. Während der Corona-Pandemie begleitete sie ihren Partner Frank in seine Heimat Australien und widmet sich dort derzeit ganz dem Schreiben. 2016 erschien ihr Bestseller Frühstück mit Elefanten, 2019 folgte mit The Wonderful Wild ihre Anleitung für ein wildes Leben.

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Leseprobe

1. Halleluja, Berlin?


Meine Geschichte beginnt in Berlin. In der Stadt, die ich seit zehn Jahren mein Zuhause nenne. Ich sitze in der S-Bahn, auf dem Weg zur Arbeit. Tatsächlich bin ich bereits zwei Stationen zu weit gefahren, ohne es zu bemerken. Das passiert mir öfter. Die Kopfhörer in den Ohren und einen verschwommenen Ausdruck in den Augen, schlürfe ich jeden Morgen gegen halb zehn meinen Coffee to go und krümele meine Jacke mit Blätterteigsplittern vom Croissant voll, während ich von einem Leben träume, in dem es keine Station gibt, an der ich wieder und wieder aussteigen muss.

Ich wollte schon immer weg. Raus. Frei sein. Das steckt so in mir drin. Also bin ich gleich nach dem Abi von zu Hause weg. Allerdings wusste ich mit meinen 19 Jahren auch nicht so recht, wohin mit mir. Darum ging es nach Berlin. Von der Kleinstadt in die Großstadt – das war zumindest eine Veränderung, die sich anhand von Einwohnerzahlen belegen ließ. Über Umwege bin ich zu einem Leben gekommen, das funktioniert. Ich arbeite als Redakteurin beim Fernsehen – ein Job, der bestimmt nicht langweilig ist. Ich habe meine eigene kleine Wohnung und mache einmal im Jahr eine Reise. Über meine Ausflüge in die weite Welt schreibe ich einen Reiseblog. Ich habe eine Handvoll guter Freunde und einen Park vor der Tür. Ich könnte zufrieden sein. Nein, ich sollte zufrieden sein. Nicht zufrieden zu sein, ist sogar ziemlich unfair. Dem Leben, den anderen und mir selbst gegenüber. Ich sollte jeden Tag genießen und dankbar sein, und ich sollte nicht so viel träumen. Aber ich kann’s einfach nicht lassen.

Als Kind hatte ich mir das anders vorgestellt, das Leben. Es war für mich ein großes Abenteuer, das Leben. Es war ein leeres Malbuch, das mit Farben gefüllt werden wollte, das Leben. Es war nicht das, was es heute ist, das Leben.

Mir fehlt etwas. Das ist normal, höre ich von allen Seiten, wenn ich es laut ausspreche. Meine Generation schwimmt in einem »Mehr«, kann nicht zufrieden sein und fragt sich stets, was hinter der nächsten Straßenecke wartet. Sicher ist an diesen Behauptungen was dran. Sicher ist das so. Die Welt steht uns offen und sich für das eine Ding zu entscheiden, scheint unmöglich, im reißenden Strom der Möglichkeiten. Ich versuche, mich damit abzufinden. Dass ich etwas anderes will, ist nur eine Illusion, dass ich unzufrieden bin, mein Schicksal als Teil der »Generation Y«. Trotzdem kann ich es nicht lassen. Trotzdem schweift mein Blick immer wieder in die Ferne, muss ich immer wieder raus. Auf der Suche nach einem Ort, an dem ich stillstehen kann, ohne stehenzubleiben.

An der nächsten Station steige ich aus und die Treppen hinunter auf die andere Seite, warte am Bahnsteig auf den Zug zurück in den Alltag. Obwohl ich nur zwei Stationen fahren muss, setze ich mich ans Fenster und beobachte die Stadt, die vorbeizieht. Und die Farben, die verschwimmen. Und die Straßen, die undeutlich werden. Und ich frage mich, wann ich eigentlich das letzte Mal so richtig zufrieden war. Eigentlich ist das gar nicht so lange her. Drei Wochen, um genau zu sein. Vor drei Wochen war ich in Südafrika und saß auf dem offenen Träger eines Pick-ups, der über holprige Straßen ins Nirgendwo fuhr. In der Ferne brüllte eine Löwin, schrien Affen, spielten die Zikaden ein Lied. Nur die Sterne über mir und Fahrtwind in meinen Haaren.

Hier, in der Gegenwart, tut plötzlich etwas weh. Ein Stechen in der Brust, das ich nicht kenne. Ich versuche mir einzureden, dass das normal ist, dass es jedem nach einem Urlaub so geht. Und beruhige mich. Ja genau, bleib ruhig. Natürlich ist es schwer, nach drei Monaten auf Reisen wieder im Alltag anzukommen. Kennst du doch schon, warst doch schon öfter weg von zu Haus. Und dennoch. Dieses Mal komme ich damit nicht klar. Dieses Mal ist etwas anders. Während ich noch versuche, herauszufinden, was es ist, stelle ich fest, dass ich schon wieder meine Station verpasst habe.

Ich glaube, eine Reise beginnt nie erst mit dem Tag des Abflugs. Sie beginnt bereits mit der Entscheidung zu gehen. Eine ganze Woche vergeht, ohne dass ich an Afrika denke. Jeder kommende Morgen sieht so aus wie der davor. Ich bin zurück im Job, zurück im Alltag, habe eingekauft, die Wäsche gewaschen und in den Schrank gehängt und meinen Rucksack obendrauf verstaut. Bis zum nächsten Mal, alter Freund.

Bei der Arbeit bin ich mit Castings und Recherchen abgelenkt. Der Tag, an dem mir aber dann doch der Kragen platzt, ist ein Montag. Natürlich ist es ein Montag. Montage bieten die besten Voraussetzungen für geplatzte Kragen. Mein Wecker klingelt um sieben Uhr. Ich versuche gerade ein wenig früher aufzustehen, damit ich vor der Arbeit noch Zeit für mich habe. Aber es gelingt mir nicht. Nie. Ich drücke alle zehn Minuten die Schlummertaste und stehe nach einer weiteren Stunde im Halbschlaf mit schlechter Laune auf. Die Wohnung ist kalt. Ich stolpere ins Bad, stehe länger als nötig unter der heißen Dusche und suche im Dampf nach einem Gedanken, der mir Zuversicht für den Tag gibt. Mir fällt keiner ein, außer dieser hier: Feierabend. Ich überlege, was ich denn anders machen würde, wenn ich könnte.

So viel weiß ich: Ich will raus aus der Stadt. Ich will Holz hacken und Lagerfeuer machen und Stockbrot über den Flammen rösten. Ich will mich auf einfache Freuden und naturbewusste Lebensweisen besinnen, und ich will nicht länger in dieser Blase leben, in der Unzufriedenheit mit Konsum betäubt wird. Ich will durch Wälder wandern und wilden Tieren begegnen und Steinchen übers Wasser springen lassen. Ich will mit der Sonne aufstehen und der Welt zuschauen, wie sie jeden Morgen aufs Neue erwacht. Ich will wieder Kind sein und mich über die Welt wundern. Wir leben auf einem blauen Planeten, der um einen brennenden Ball kreist, und nachts leuchtet der Mond, der unsere Meere bewegt … Wenn das nicht schon ein Wunder ist, was dann? Nur kriege ich nichts mit von diesem Wunder. Ich bin ein ganz natürlicher Teil davon und habe es völlig vergessen. Ich bin zu digital, zu pixelig geworden.

Ich will wieder auf dem Boden ankommen. Mein Leben verläuft losgelöst von der Erde, auf der ich stehe. Ich könnte hier in Berlin wochenlang in meiner Wohnung überleben, ohne jemals vor die Tür gehen zu müssen! Ich halte mich die meiste Zeit in geschlossenen Räumen auf und weiß nicht, wo die Lebensmittel herkommen, die ich täglich zu mir nehme. Wenn ich Bäume sehe, dann nur solche, die von Menschenhand gepflanzt wurden. Bewegung ist Fitness oder Sport, nicht ein notwendiger Bestandteil meiner Tätigkeiten. Mit meinen Nachbarn trete ich nur dann in Kontakt, wenn sie zu laut sind, und außer Tauben am Bahnhof und Hunden an Leinen sehe ich so gut wie nie ein lebendes Tier, geschweige denn ein wildes. Ich benutze meine Hände nicht. Meine Beine sind faul geworden, meine Sinne abgestumpft. Ich fühle mich wie ein taubes Gliedmaß, das zwar noch an einem lebendigen Körper hängt, dort aber keinerlei Zweck mehr erfüllt. Ich kriege von nichts genug, aber ich habe von allem zu viel.

Ich muss raus. Darum will ich etwas Neues wagen. Eigentlich weiß ich auch schon was. Ich habe mich bis jetzt nur noch nicht getraut, den Gedanken zuzulassen. Er hat mich im Urlaub gepackt und lässt mich seitdem einfach nicht mehr los: Ich will nach Afrika gehen und Rangerin werden. Ich will lernen, mit wilden Tieren zu leben, und mich wieder an meine Instinkte erinnern. Ich will herausfinden, woraus ich gemacht bin. Aber ich traue mich nicht. So was macht man doch nicht einfach so.

Noch in Afrika erschien mir der Gedanke weniger abwegig. Da war ich von Leuten umgeben, die genau das vorleben und als Ranger Safari-Gästen die großen Wildtiere Afrikas zeigen. Zurück in den eigenen vier Wänden klingt diese Idee jetzt aber verrückt. Ich Rangerin – völlig absurd. Ich gehe nie campen. Ich habe keine Haustiere. Ich ekele mich vor Krabbeltieren. Ich habe kein tiefschürfendes Interesse an Biologie, und was ich über Afrika weiß, ließe sich wohl in einem Aufsatz auf drei DIN-A4-Seiten zusammenfassen. Darf jemand wie ich überhaupt nach Afrika? Oder ist dieses Abenteuer nicht denen vorbehalten, die genau das schon immer wollten? Einer der Lieblingsfilme aus meiner Kindheit ist der Klassiker Hatari. Weiß der Geier wieso, aber ich finde den großartig. Rasante Fahrten durch offenes Gelände, wilde Nashörner und süße Baby-Elefanten. Ein junger Hardy Krüger in Khaki. Ganz großes Kino. Ich erinnere mich auch noch an diesen Jungen aus meiner Schulzeit, in den ich verliebt war und der mit seinem Fahrrad nach Afrika fahren wollte. Er kam bis ins Nachbardorf, wo er einen Platten hatte. Am Abend stand er mit einem Kasten Bier zum Grillen wieder auf der Matte. Näher bin ich Afrika jetzt auch kaum.

Ich halte mir den Fön ins Gesicht, und die Luft wärmt meine Haut. Kann die Lösung am Ende so einfach sein? Kann es sein, dass ich bis jetzt einfach nur an den falschen Orten gesucht habe? Afrika … einen größeren Kontrast zu meinem Berliner Leben kann ich mir kaum vorstellen. Vielleicht genau deshalb eine gute Idee.

Meine Haare sind trocken, und ich scrolle mich bei Marmeladentoast und Kaffee durch die Facebook-Timeline bis in die Unendlichkeit. Schaue mit der Bahn-App, wann die nächste S-Bahn fährt. Checke Instagram. Dann wieder Facebook, Twitter, Instagram, in der Hoffnung, irgendwelche sinnlosen neuen Benachrichtigungen in den letzten sechzig Sekunden erhalten zu haben. Und da ist er schließlich – der Moment, in dem ich es nicht mehr länger ertrage. Ich schleudere mein Handy aufs Sofa, als wäre es virenverseucht, und schüttele angewidert den Kopf. Ich muss jetzt los. Die Bahn erwischen. Aber mit der Tür ins Schloss fällt an diesem Morgen auch eine Entscheidung: Ich gehe nach...

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